Der Wolf ist zurück in deutschen Wäldern. Das weckt Neugier, sorgt aber auch für Unsicherheit – besonders bei Kindergärten und Schulen, die regelmäßig in den Wald gehen. Wolfsexpertin Johanna Fritz von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) erklärt, wie wahrscheinlich eine Begegnung mit Wölfen ist, was man über ihr Verhalten wissen sollte und warum Aufmerksamkeit wichtig, Angst aber nicht angebracht ist.
Die meisten Menschen wissen, dass es in Deutschland wieder Wölfe gibt. Wie viele sind es denn?
In Baden-Württemberg, dem Bundesland, in dem ich lebe und arbeite, gibt es im Jahr 2025 vier sesshafte Einzeltiere – also recht wenige. In Gesamtdeutschland sieht es schon anders aus: Nach Angaben der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, kurz DBBW, lebten im Monitoringjahr 2024/2025 hierzulande mindestens 1.636 Wölfe, die meisten davon in den bundesweit 219 bekannten Rudeln. Die Anzahl erwachsener Wölfe lag im Untersuchungszeitraum zwischen 544 und 606, die der Jungtiere zwischen 770 und schätzungsweise 1.100. Durch Verkehrsunfälle und Krankheiten schwanken die Zahlen.
Das sind gar nicht so wenige. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Gruppe, beispielsweise eine Kita, bei einem Waldausflug auf einen Wolf trifft?
In Baden-Württemberg mit nur vier sesshaften Tieren und ein paar durchziehenden ist sie sehr gering. Zumal Wölfe riesige Gebiete zwischen 100 und 300 km² als Territorium nutzen. In anderen Bundesländern gibt es deutlich mehr Wölfe. Dennoch sehen Försterinnen und Förster, die täglich im Revier sind, dort jahrelang keinen Wolf. Wie die meisten Wildtiere sind auch Wölfe zurückhaltend und verhalten sich grundsätzlich vorsichtig. Kindergruppen kündigen sich durch Rufe, Lachen und Bewegung deutlich an. In der Regel ziehen sich Wildtiere dann zurück. Rehe und Wildschweine bekommt man ja auch selten zu Gesicht, obwohl sie deutlich häufiger vorkommen als Wölfe.
Wenn es doch zu einer Begegnung mit einem Wolf kommt, wie sollten sich Kinder und Begleitpersonen verhalten?
Ruhe bewahren und Respekt zeigen. Wenn wir im Wald unterwegs sind, bewegen wir uns im Lebensraum der Wildtiere. Bei einer Begegnung sollten sie zunächst einmal stehen bleiben und abwarten, wie das Tier reagiert. Normalerweise verschwindet ein Wolf, ohne dass man etwas tut. Es kann aber vorkommen, dass ein Wolf ebenfalls stehen bleibt und interessiert schaut. Wenn man sich in der Situation unwohl fühlt, kann man sich langsam zurückziehen oder auch laut auf sich aufmerksam machen. Das reicht meist, um die Tiere zum Rückzug zu bewegen.
Gibt es auch Ausnahmen?
Junge Wölfe zeigen manchmal, ähnlich wie junge Hunde, etwas mehr Neugier. In so einem Fall kann man auch mal lauter werden, die Arme heben und einige Schritte auf den Wolf zugehen, um zu signalisieren: Du bist zu nah, ich möchte, dass du weggehst. Im Zweifel kann man Steine oder Stöcke werfen. Wichtig ist, ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu geraten. Dabei ist es auch wichtig, sich bewusst zu machen, dass der Wolf eben kein Fluchttier ist wie ein Reh und sein Rückzugsverhalten daher auch anders sein kann.
Sollten sich Kinder anders verhalten als Erwachsene, wenn sie einem Wolf begegnen?
Nein. Menschen, egal welchen Alters, fallen in Europa grundsätzlich nicht ins Beuteschema der Wölfe. Dennoch ist Respekt angebracht. Wölfe sind kräftige Wildtiere und körperlich in der Lage, einem Menschen Schaden zuzufügen. In anderen Regionen der Welt, etwa in Teilen Indiens, wo Wölfe unmittelbar mit Menschen um Nahrung konkurrieren, oder Wölfe in ihrem Lebensraum extrem eingeschränkt sind, kam es durchaus schon zu Angriffen, auch zu tödlichen. Die ökologische und soziale Situation dort ist aber überhaupt nicht mit unserer in Mitteleuropa vergleichbar.

Abb. 4: Einer von vier territorialen Wölfen in Baden-Württemberg. Wolfsrüde GW1129m lebt am Schluchsee im Hochschwarzwald. (Fotofalle: FVA BW)
In Deutschland besteht diese Gefahr nicht?
Seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland im Jahr 2000 sind keine Menschen verletzt oder getötet worden. Seit einem Vierteljahrhundert leben wir also ohne Übergriffe mit den Wölfen. Letztendlich gibt es aber nie eine hundertprozentige Sicherheit; die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist nach bisherigem Kenntnisstand aber sehr, sehr gering.
Ist es denkbar, dass sich das Beuteschema des Wolfes im Laufe der Zeit verändert?
Der Wolf passt sein Beuteschema an seinen Lebensraum und die Verfügbarkeit von Wildtieren an. Wenn er die Möglichkeit hat, greift er gelegentlich zudem Nutztiere an. Das ist auch in anderen Ländern so. Bei uns jagt der Wolf hauptsächlich Rehe, Rotwild und Wildschweine. Wenn Gebiet und Jahreszeit es anbieten, frisst er ergänzend auch mal Früchte, Mäuse, Hasen und so weiter. Ein Wolf müsste sich erst eine Alternative suchen, wenn seine Hauptbeutetiere knapp würden. Davon ist in Mitteleuropa nicht auszugehen. Unsere Wildtierdichten sind sehr hoch. Im Vergleich dazu ist die Wolfsdichte niedrig. Es ist daher nicht zu erwarten, dass der Wolf sein Beuteschema verändert und schon gar nicht auf den Menschen ausgerichtet.
Kann sich der Lebensraum ändern, rückt der Wolf näher an den Menschen heran?
Immer wieder werden Wölfe auf Straßen und in Siedlungen gesichtet. Das löst natürlich Sorgen aus. Dabei geht es meist aber nicht um die Suche nach Nahrung. Die Wildtiere haben teilweise gar keine andere Wahl, als Siedlungen zu passieren, wenn sie von A nach B kommen wollen. In der Regel zeigen sie dabei kein Interesse am Menschen, sondern wollen einfach nur ins nächste Waldgebiet. Wichtig ist: Wölfe dürfen niemals gefüttert werden! Wenn Wölfe an menschliche Futterquellen gewöhnt werden, kann dies zur Entwicklung problematischer oder gefährlicher Verhaltensweisen führen.
Sollten Wald-Kitas in Wolfsgebieten darauf achten, dass Kinder nicht unbeaufsichtigt spielen?
In Deutschland gibt es durchaus Gebiete, in denen Wölfe häufiger und regelmäßiger vorkommen als in Baden-Württemberg. Von dort sind bislang keine Fälle bekannt, in denen unbeaufsichtigte Kinder gefährdet waren. Natürlich gehört es aber dazu, dass Kinder und Eltern aufgeklärt werden, welche Risiken es im Wald und im Gelände gibt. Der Wolf ist ein für uns neues Lebewesen und die Menschen haben noch wenig Erfahrung darin, wie mit diesem Wildtier umzugehen ist. Wenn sich also ein Waldkindergarten ein Territorium mit einem Wolfsrudel teilt, dann sollte man sich mit dem Thema auseinandersetzen, sich informieren und die Sachverhalte kindgerecht vermitteln.
Die Fachkräfte sollten also mit den Kindern über Wölfe sprechen?
Ja, mit den Kindern und vor allem auch mit den Eltern. Hier erlebe ich, dass teilweise viele Sorgen und Unsicherheiten bestehen. Rotkäppchen ist nicht mehr aktuell, aber immer noch in den Köpfen verankert. Wir müssen einige Geschichten neu schreiben und uns darüber austauschen, welche Herausforderungen es gibt, wenn Wölfe vor Ort sind. Diese liegen in der heutigen Zeit insbesondere im Schutz der Weidetiere.
Was können Fachkräfte tun, wenn Kinder große Ängste vor Wölfen entwickeln?
Ängste sind individuell. Sie dürfen auch da sein. Wichtig ist, sie ernst zu nehmen und das Thema nicht unter den Teppich zu kehren. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise Wildtierbeauftragte in den Landkreisen. Die gehen oft in Kindergärten und Schulen und erzählen über den Wolf, wie er sich verhält und wie er lebt. So können Kinder eine Vorstellung davon entwickeln, wer dieses Wildtier ist und wie wir mit ihm zusammenleben. Auch aus dem regionalen Forst- und Naturschutzbereich kann man Expertinnen und Experten ansprechen, die Wissen über Wölfe an Kinder und Eltern vermitteln können. Diese Gespräche helfen Kindern, altersgerecht eine realistische Einschätzung der Gefahr zu entwickeln.

Abb. 5: Fotofallenbild des männlichen Wolfswelpen GW3699m in der Nähe des Schluchsees im Südschwarzwald. Das Tier war der erste Wolfsnachwuchs in Baden-Württemberg seit dem 19. Jahrhundert. Der Rüde wurde im Dezember 2023 im Alter von acht Monaten bei einem Verkehrsunfall getötet. (Fotofalle: FVA BW/Wildtiermonitoring)
Geht es bei Ihrer Aufklärungsarbeit auch darum, Kindern und Erwachsenen die Faszination und Schutzwürdigkeit von Wölfen zu vermitteln?
Nein. Es geht nicht darum, Begeisterung zu wecken. Unsere Aufgabe ist die wissenschaftliche Begleitung und die Moderation. Die Gesellschaft in Europa hat sich auf demokratischer Basis dafür entschieden, ihren Lebensraum mit dem Wolf zu teilen; damit hat er die Berechtigung, hier zu sein. Manche Menschen sind von den Tieren fasziniert, andere möchten sie so schnell wie möglich wieder loswerden, einigen ist es egal. Unser Job ist es, Wissen zu erarbeiten und zu vermitteln, um eine fachliche Grundlage für den Diskurs über die Tierart bereitzustellen. Indem wir Erfahrungen aus anderen Regionen und Ländern sammeln und dokumentieren, haben wir Referenzen, wie sich ein normaler, gesunder Wolf verhält. Auf dieser Wissensgrundlage können Menschen, egal ob Erwachsene oder Kinder, eine persönliche Einstellung zum Wolf entwickeln.
In den Niederlanden kam es zu einem Angriff eines Wolfes auf ein Kind. Wie ist dieser Fall einzuordnen? Muss auch in Deutschland mit einem solchen Szenario gerechnet werden?
Ein Fall, der für alle Wolfsgebiete in Europa sehr relevant ist. Er zeigt, dass es im schlimmsten Fall zu einem Übergriff kommen kann. Die Sicherheit der Menschen hat im Wolfsmanagement oberste Priorität, ein Übergriff wie dieser muss durch rechtzeitiges Handeln verhindert werden. Nach bisherigem Erkenntnisstand findet ein solches Ereignis nicht unvermittelt statt. Es kündigt sich durch auffälliges Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg an. Unter anderem dafür gibt es das Monitoring: Warnsignale frühzeitig erkennen, dokumentieren und einordnen. Wann kritische Schwellen überschritten werden, ist im „Konzept zum Umgang mit auffälligen Wölfen“ des Bundesamtes für Naturschutz definiert. Darin sind klare Handlungsempfehlungen benannt. In Baden-Württemberg regelt ein Managementplan den Umgang mit sogenannten auffälligen Wölfen. Hierin ist benannt, unter welchen Bedingungen eine Entnahme, also das gezielte Töten eines Wolfes, möglich und notwendig ist. Ob und wann Maßnahmen ergriffen werden, entscheiden nicht wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern die Naturschutzbehörden der Bundesländer. In Baden-Württemberg sind dies die Regierungspräsidien und in höchster Instanz das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft.
Haben Sie schon einmal einen Wolf gesehen?
Ja, allerdings nicht in Deutschland, sondern in Norwegen, wo ich studiert habe. Es war ein Rudel mit Welpen, das auf einem zugefrorenen See spielte. Das war eine eindrückliche, nicht alltägliche Erfahrung.
Zur Person: Johanna Fritz ist Wildtierökologin und leitet am FVA-Wildtierinstitut den Fachbereich Wissenstransfer und Kommunikation Wolf. Das Interview basiert auf einem Gespräch mit der Zeitschrift kindergarten heute, Ausgabe 01/2025, geführt von Sofie Raff, Redaktion kindergarten heute. Für die Veröffentlichung auf waldwissen.net wurden Stellen aktualisiert und überarbeitet. Das komplette Gespräch können Sie online bei kindergarten heute anhören.








