Die Bestandsermittlung

Der Arnsberger Wald in Nordrhein-Westfalen ist das größte Verbreitungsgebiet des Sikawildes (Cervus nippon) in Westeuropa. Ausgangspunkt für die Besiedlung des Arnsberger Waldes war ein privater Wildpark am Möhnesee, in dem ab 1890 auch Sikawild gehalten wurde. Aus diesem Gehege konnten bereits 1936 nach Zaunschäden durch Schneebruch Tiere entkommen. Direkt nach dem Zweiten. Weltkrieg wurde das Gehege vollständig geöffnet. Genaue Zahlen existieren nicht, es mögen aber um die 150 Tiere gewesen sein, die so in die freie Wildbahn gelangten.

1995 wurden für die großen Schalenwildarten in NRW Verbreitungsgebiete definiert. Für das Sikawild im Arnsberger Wald wurde eine Fläche von ca. 19.500 ha ausgewiesen und als Zielbestand 500 Stück vorgegeben. Über die wirkliche Höhe des Bestandes gibt es seit jeher Diskussionen. Ging man um das Jahr 2000 von ca. 900 Stück Sikawild aus, spricht ein im Jahr 2004 erstelltes Gutachten von 1.600 Exemplaren.

Nachdem der Bewirtschaftungsbezirk aktuell bis zum 31.12.2020 ruht und somit der gesamte Bereich als Freigebiet betrachtet werden muss, befürchten manche, dass das Sikawild ausgerottet werden soll – sogar eine Onlinepetition wurde geschaltet.

Das Lehr- und Versuchsforstamt Arnsberg Wald des Landesbetriebes Wald und Holz NRW – mit einer Fläche von 6.232 ha im Bewirtschaftungsbezirk vertreten – möchte mit einer nachvollziehbaren Bestandserfassung zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen.

Hierzu wurden im April 2016 im Lehr- und Versuchsrevier (LVR) Hirschberg in einem ersten Versuch Sikawild und Rotwild mit der Methode der Scheinwerfertaxation gezählt. Die Ergebnisse dieser ersten Zählung haben das Forstamt bewogen, im April 2017 auf einer Fläche von 7.122 ha im Eigenjagdbezirk (EJB) Schmalenau eine weitere Scheinwerfertaxation durchzuführen. Dabei werden folgende Ziele verfolgt:

  1. Beobachtung der jährlichen Bestandsentwicklung,
  2. Feststellen der räumlichen Verteilung,
  3. Anpassung der Jagdstrategie.

Nach einer Information an die Hegegemeinschaft konnten weitere fünf Reviere für eine Taxation und Auswertung der Daten gewonnen werden. Die Abbildung 2 zeigt den EJB Schmalenau (violett )und die weiteren teilnehmenden Reviere. Die Reviere südlich der roten Linie liegen außerhalb des ehemaligen Sikawildbewirtschaftungsbezirks und sind somit seit 1995 Freigebiet. Mit Inkrafttreten der Verordnung war hier jedes Stück Sikawild zu erlegen, auch Hirsche. Ein Abschussplan musste nicht erstellt werden. Der ehemalige Sikawildbewirtschaftungsbezirk umfasst die in der Karte blau (auch Rotwildbewirtschaftungsbezirk) und braun (Rotwildfreigebiet) umrandeten Flächen. Rot und blau begrenzt ist der Rotwildbewirtschaftungsbezirk.

 

Ablauf der Zählung

In allen Revieren wurden am 7. und 13. April 2017 im Vorfeld festgelegte Routen befahren. Die Fahrzeuge waren in der Regel mit vier Personen besetzt. Die Fahrstrecke betrug zwischen 50 und 100 km. Gezählt wurden auf einer Gesamtfläche (siehe Abbildung 2) von ca. 9.500 ha 1.117 Stück Sikawild; bezogen auf die Flächenanteile des Bewirtschaftungsbezirks entspricht dies 1.025 Stück auf 6.500 ha (Abb. 3).

Analyse der Daten

Die Daten wurden zur Analyse der Verbreitung kartografisch aufbereitet, um die Verteilung des Wildes festzustellen. In Abb. 4 ist die Karte des LVR Himmelpforten dargestellt. Obwohl auf einer Revierfläche von 1.200 ha 65 km Wegenetz befahren wurde, gibt es deutliche Schwerpunkte der Sichtungen. Ein Blick auf das Luftbild zeigt, dass das Sikawild sich so verhält, wie erwartet: Zum gewählten Zeitpunkt im Erstfrühling (Buschwindröschenblüte) entwickelt sich in den Offenlandbereichen die Grünäsung und genau dorthin zieht das Wild (Abb. 5).

Um zu herauszufinden, wie viel Fläche absolut eingesehen werden kann, wurde hierzu im LVR Hirschberg tagsüber eine Testfahrt von 17,6 km unternommen. Während der Fahrt wurde der einsehbare Bereich rechts und links des Weges dokumentiert. Unter den Verhältnissen des LVR Hirschberg können demnach bei einer Fahrtstrecke von 48 km 575 ha oder 29 % der Revierfläche direkt eingesehen werden. Bei einer erneuten Nachtfahrt auf der Teststrecke zeigte sich, dass sich die nun taxierbaren Entfernungen teilweise von den tagsüber ermittelten Werten unterscheiden. Unter anderem erscheint höherer, tagsüber kaum störender Bewuchs an den Wegesrändern unter dem hellen Scheinwerferlicht als weiße "Leinwand". Auch Reflexionen durch den Baumbestand führen zu einer geringer einsehbaren Fläche. Andererseits ist in den Kyrill-Kahlflächen mit ausgedehnter Birkenvegetation tagsüber kaum ein Stück Wild auszumachen. Reflexionen der Augen ergeben nachts zumindest einen kleinen Beitrag zum Gesamtbestand.

Für das LVR Hirschberg kann ein erster Vergleich zum Vorjahr gezogen werden. Witterungsbedingt lag das erste Zählergebnis vom 8. April 2016 mit 243 Stück deutlich hinter der zweiten Zählung vom 15. April 2016 mit 382 Stück zurück. Für das Jahr 2017 ergab die Zählung 418 (Abb. 7) bzw. 464 Stück Sikawild. Da naturgemäß nie das gesamte Wild gezählt werden kann und das Ergebnis Schwankungen unterliegt, kann für das Revier Hirschberg davon ausgegangen werden, dass der Bestand in etwa gleich geblieben ist.

Bekannt war die räumlich sehr unterschiedliche Verteilung des Sikawildes. Die Taxation hat dies bestätigt. Bezogen auf die reine Jagdfläche des EJB Schmalenau ergab sich eine durchschnittliche Sichtung von 13 Stück Sikawild auf 100 ha.

Betrachtet man die dazu gehörigen Staatswaldreviere einzeln (Abb. 8), ergibt sich ein völlig anderes Bild: Während im Revier Lattenberg (seit 1995 im Freigebiet!) lediglich drei Stück Sikawild auf 100 ha gesehen wurden, zählte man im LVR Hirschberg 21 Stück pro 100 ha. Aber auch innerhalb der bis 2.000 ha großen Staatswaldreviere gibt es deutliche Unterschiede. Daher wurden die Reviere in Blöcke eingeteilt und genauer betrachtet. Hierbei kristallisierte sich ein deutlicher Schwerpunkt östlich der Ortschaft Neuhaus heraus, teilweise in der Nähe des ursprünglichen Gatters. Abbildung 9 mit den Nachbarrevieren zeigt schlüssig, dass es regionale, Revier übergreifende Schwerpunkte gibt.

Bewertung der Abschussleistung Jagdjahr 2016/2017

In einem weiteren Schritt wurde die Abschussleistung des Jagdjahres 2016/2017 im EJB Schmalenau analysiert. Insgesamt wurden 533 Stück Sikawild erlegt, so viel wie nie zuvor. Es stellt sich die Frage, wie sich der hohe Abschuss auf die Bestandsentwicklung auswirkt. Hierzu wurde zunächst eine Hochrechnung der Zählung auf den Gesamtbestand durchgeführt. Aufgrund eines zum Rotwild sehr ähnlichen Sozialverhaltens und auch Nahrungsspektrums hat man die beim Rotwild dokumentierten Erfassungsraten zu Grunde gelegt. Hier geht man von einer Erfassung – bezogen auf das weibliche Wild – von 60-70 % aus; Hirsche werden auffallend weniger oft gesichtet (40 %). Nimmt man einen Anteil von 70 % (auch bei den Hirschen) an, entsprechen 100 Sichtungen 143 Stück Wild. Bei ausgeglichenem Geschlechterverhältnis und einem Zuwachsprozent von 90 bezogen auf die Alttiere ergibt sich ein Zuwachs von ca. 50 Stück. Wenn der Zuwachs abgeschöpft werden soll, müssen also je 100 Sichtungen 50 Stück erlegt werden. Sollte aber, wie auch beim Rotwild, die Sichtung der Hirsche deutlich geringer sein, muss von einer reduzierten Erfassungsrate von 60-65 % bezogen auf den Gesamtbestand ausgegangen werden. Der Zuwachs bezogen auf 100 Sichtungen läge dann bei ca. 60 Stück. Das Verhältnis von Abschuss und Zuwachs im staatlichen EJB Schmalenau zeigt die Abb. 11.

Für das LVR Hirschberg war in diesem Zusammenhang auch eine genauere Betrachtung einzelner Revierteile möglich. Rot dargestellt sind Flächen, auf denen der Abschuss unter 50 % der gezählten Stücke liegt. Klar ist, dass das Wild verglichen mit dem Zeitpunkt der Zählung zur Jagdzeit nicht zahlenmäßig gleich in den einzelnen Revierteilen vorkommt. Revierteile mit im Frühjahr ausgesprochen attraktiven Flächen weisen zur Jagdzeit teilweise deutlich geringere Wilddichten auf. Umso wichtiger ist es, die Bestandsermittlung auf der gesamten Fläche des Sikaverbreitungsgebietes durchzuführen und die notwendigen Abschüsse auf dieser Grundlage zu berechnen.

Aus den Ergebnissen lässt sich schließen:

  1. In allen Bereichen sind die Bestände zu hoch.
  2. Es gibt große regionale Unterschiede.
  3. Der Abschuss von 533 Stück Sikawild im EJB Schmalenau liegt vermutlich auf Höhe des Zuwachses.
  4. Es ist davon auszugehen, dass der aktuelle Frühjahrsbestand im zurzeit ruhenden Bewirtschaftungsbezirk bei über 3.000 Stück und damit deutlich zu hoch liegt. Für die überschlägliche Ermittlung dieses Gesamtbestandes wurden die Sichtungen auf der Gesamtfläche zu Grunde gelegt. Diese Fläche beinhaltet auch ca. 3.000 ha im "Freigebiet". Somit ist gewährleistet, dass in die Berechnung auch dünn besiedelte Bereiche mit einfließen. Zu diesem Bestand kommen dann noch die im "Freigebiet" lebenden Sikas hinzu.

Das Lehr- und Versuchsforstamt Arnsberger Wald wird auch in den kommenden Jahren die Taxation wiederholen und hofft, weitere Reviere dafür gewinnen zu können. Überlegt werden muss auch, ob begleitende wissenschaftliche Untersuchungen die Bestandeshöhe bestätigen und das Raumnutzungsverhalten des Sikawildes analysieren können.