Auerhuhn-Tool 1.0: Automatisierte Erkennung von Auerhuhn-relevanten Strukturen als Grundlage für die Freiflächenkampagne

Das Auerhuhn (Tetrao urogallus) hat im Schwarzwald lange Zeit von der menschlichen Waldbewirtschaftung profitiert, sodass der ehemals häufige Waldvogel sogar als Wappenvogel des Schwarzwaldes gilt. Auerhühner leben in offenen, strukturreichen Nadelmischwäldern, mit einer reichen Bodenvegetation aus vorwiegend Heidelbeere (Vaccinium myrtillus). Durch die hohen Ansprüche an ihren Lebensraum, wird das Auerhuhn als Schirmart für ein artenreicher Nadelmischwald angesehen.

In den letzten Jahrzehnten hat die Auerhuhnpopulation im Schwarzwald allerdings stetig abgenommen. Während in den 80er Jahren jedes Jahr noch circa 450 Auerhähne an den Balzplätze gezählt wurden, waren es in den letzten Jahren weniger als 200 Hähne. Auch das Verbreitungsgebiet hat stark abgenommen: Von 60.000 ha im Jahr 1993 auf 45.000 ha in 2013. Dieser Rückgang hat mehrere Ursachen. Die Hauptrückgangsursache ist vermutlich die Verschlechterung des Lebensraumes: Der Trend der Dauerwaldwirtschaft und die Entwicklung stabiler Waldbestände und vorratsreicher Wälder führten zu relativ "dunklen", weniger lichtdurchlässigen Waldstrukturen. Weitere Faktoren, die zu der Abnahme beigetragen haben, sind der Klimawandel, die Zunahme des Fuchses und zunehmende Freizeitaktivitäten in den Lebensräumen des Auerhuhns.

Aktionsplan Auerhuhn

Um das Auerhuhn im Schwarzwald zu erhalten, gibt es seit 2008 den Aktionsplan Auerhuhn. Dieser Managementplan wurde vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz für den Staatswald ratifiziert und beinhaltet eine schwarzwaldweite Flächenkulisse mit der Vorgabe zur Umsetzung konkreter Maßnahmen. Er beinhaltet für alle relevanten Handlungsfelder detaillierte Zielvorgaben. Eines der wichtigsten Handlungsfelder ist die "Habitatgestaltung", die konkrete Maßnahmen und Ziele für die Waldbewirtschaftung vorgibt, um die für das Auerhuhn wichtigen Waldstrukturen zu erhalten oder zu entwickeln: Stark aufgelichtete Waldbestände (Kronenschlussgrad zwischen 50% und 70%) sollen auf mindestens 20% und Freiflächen (0,1 bis 1 ha) auf mindestens 10% der prioritären auerhuhnrelevanten Flächen vorhanden sein.

Obwohl kleinräumige Haitataufnahmen einen Einblick in die Waldstruktur des Auerhuhnlebensraumes geben, war es bislang nicht möglich zu erfassen, wo und in welchem Umfang diese Strukturen im Schwarzwald vorhanden sind. Mittels Fernerkundung konnte jetzt erstmals für den gesamten Schwarzwald ein Überblick über diese Waldstrukturen geschaffen werden. Um sinnvolle ökologische Parameter erfassen zu können und daraus konkrete Maßnahmen für die Revierleitenden abzuleiten, wurde eine Arbeitsgruppe für die technische Umsetzung gegründet.

Begriffsdefinition "Auerhuhn-relevante" Waldstrukturen

In Annäherung an die Vorgaben des Aktionsplan Auerhuhn, wurden von der Arbeitsgruppe die vier Strukturelemente "Lücke"“, "Freifläche", "Lichte Struktur" und "Loch" definiert. Die Herleitung dieser Strukturen ist in Tabelle 1 abgebildet. Ist bekannt, wieviel dieser Strukturen aktuell vorhanden sind (=Ist-Zustand), können Umsetzungsmöglichkeiten erarbeitet und bewertet werden, um den definierten Soll-Zustand zu erreichen. Aus diesem Soll-Ist-Vergleich lassen sich konkrete Vorgaben für die Umsetzung auf jeder Teilfläche ableiten.

Lücken, Freiflächen und Löcher sollen frei von höherem Baumbewuchs beziehungsweise höherer Vegetation sein und damit ermöglichen, dass das Sonnenlicht bis auf den Waldboden gelangt. Damit wird die Entwicklung lichtliebender Pflanzenarten und einer vielfältigen Insektenfauna ermöglicht. Als Grenze für die höhere Vegetation wurden für die Analyse 2 m definiert. Somit kann jeder Quadratmeter Waldfläche in die Kategorien Kronendach (>2 m) und Waldboden mit niedriger Vegetation (<2 m) eingeordnet werden.

Die Überschirmung durch einzeln stehende Bäume darf bei Lücken, Freiflächen und Löchern 20% nicht überschreiten. Dies bedeutet, dass vereinzelte Bäume oder Büsche bis zu einer Überschirmung <20% auf der jeweiligen Fläche toleriert werden. Ein weiterer Analyseparameter ist die Flächengröße, die es ermöglicht, die Strukturen voneinander zu unterschieden. Während ein Loch zwischen 0,01 ha und 0,1 ha groß sein muss, beträgt die Fläche einer Lücke 0,1 bis 0,5 ha und für Freiflächen gilt eine Mindestgröße von 0,5 ha. Zusätzlich ist wichtig, dass die Flächen nicht nur eine Mindestgröße, sondern auch eine Mindestbreite aufweisen müssen. Nur wenn eine Struktur breit genug ist, kann genug Licht auf die Fläche treffen.

Dies ist eine Voraussetzung für eine gut entwickelte Bodenvegetation, führt zu einem entsprechenden Mikroklima und einer größeren Anzahl an Insekten auf der Fläche, die unter anderem für Auerhuhnkücken wichtig sind. Die Mindestbreite ist dabei abhängig von der Oberhöhe des angrenzenden Bestandes. Je höher der Bestand, desto breiter muss die Struktur mindestens sein. Dies garantiert, dass auch bei hohen Beständen ausreichend Licht auf den Boden trifft. Neben diesen von Baumbewuchs freien Flächen sind im Auerhuhnlebensraum noch weitere Auflichtungsstrukturen notwendig, um die Entwicklung einer vielfältigen Bodenvegetation zu ermöglichen. Die so genannten „lichten Strukturen“ mit einer Überschirmung von 20% bis 70% und einer Mindestgröße von 1 ha entsprechen stark aufgelichteten, größeren Waldbeständen.

Die technische Umsetzung – das Auerhuhn Tool 1.0

An der FVA wurde ein Verfahren entwickelt, um die für das Auerhuhn wichtigen Strukturen aus Luftbildern systematisch erfassen zu können. Das hierfür entwickelte Programm nennt sich "Auerhuhn-Tool". Grundlage des Auerhuhn-Tools sind die vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg für die gesamte Landesfläche im dreijährigen Turnus aufgenommenen digitalen Stereoluftbilder (aus den Jahren 2015 und 2016). Aus den überlappend vorliegenden Luftbildern können 3D-Punktwolken und daraus wiederum "Oberflächenmodelle" abgeleitet werden. Als Oberflächenmodell wird die Oberflächenstruktur der abgebildeten Landschaft bezeichnet. Wird nun die Geländehöhe vom Oberflächenmodelle abgezogen, erhält man ein Modell für Vegetationshöhen, das sogenannte „normalisierte digitale Oberflächenmodell“ (nDOM). Aus dem nDOM kann die Höhenstruktur von Waldflächen abgeleitet werden (Abb. 3).

Wie kann das neu entwickelte Auerhuhn-Tool 1.0 schrittweise erklärt werden? Als erster und unverzichtbarer Schritt wird das nDOM in die Klassen "Boden mit niedriger Vegetation (<2 m)" und "Bestand mit höherer Vegetation (>2 m)" eingeteilt. Benachbarte "Boden-Pixel" werden als gemeinsame Struktur betrachtet. Innerhalb dieser Struktur werden einzelne "Vegetations-Pixel" bis zu einem Prozentanteil von 20% toleriert. Es entstehen Formationen, welche potentielle Lücken/Freiflächen oder Löcher abbilden. Anschließend wird für jede Struktur die Oberhöhe der benachbarten Bestände berechnet und somit auf die geforderte Mindestbreite geschlossen. Direkt nebeneinander liegende Strukturen, die die geforderte Mindestbreite aufweisen, werden zu einer gemeinsamen Struktur zusammengefasst. Nach der Überprüfung der Mindestbreite bleiben nur Strukturen übrig, welche die Mindestbreite erfüllen und bei ausreichender Flächengröße zu Freifläche oder Lücke klassifiziert werden können. Strukturen, welche die Mindestbreite oder Mindestgröße nicht erfüllen, gehen nicht verloren, sondern werden der Kategorie "Loch" zugeteilt, sofern sie größer als 0,01 ha sind. "Lichte Strukturen" werden den Bereichen zugeordnet, welche die geforderte Überschirmung von 20 bis 70% und die Mindestgröße von 1 ha erfüllen. Um schlauchförmige Strukturen an Waldwegen auszuschließen, müssen auch lichte Strukturen eine Mindestbreite erfüllen.

Während der Entwicklung des Auerhuhn-Tools wurden verschiedene Testflächen begangen, um die detektierten Strukturen mit der Realität abzugleichen. Des Weiteren wurden Revierleiter eingeladen, die abgeleiteten Strukturen mit ihrer Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten zu vergleichen, zu bewerten und zu diskutieren. Abbildung 3 zeigt einen Ausschnitt eines Testgebiets mit zugehörigen Fotos. Die vor Ort als Lücke oder Freifläche erkannten Strukturen wurden durch das Auerhuhn-Tool als solche identifiziert. Nach Diskussionen innerhalb der Arbeitsgruppe und mit den Revierleitenden wurde das Auerhuhn-Tool 1.0 im Jahr 2017 fertig gestellt. Die Ergebnisse der Auswertungen machen deutlich, welche Waldstrukturen es im Schwarzwald gibt, wo sich diese befinden und in welchem Umfang sie vorhanden sind. Das Auerhuhn-Tool zeigt auf, wo es zu wenige dieser Waldstrukturen gibt, oder sie gar ganz fehlen. Mit der Entwicklung des Auerhuhn-Tools ist es zum ersten Mal gelungen, einen Überblick über die Waldstrukturen des gesamten Schwarzwaldes zu erhalten.

Die Ergebnisse des Auerhuhn-Tools

Um die Auerhuhnlebensräume im Schwarzwald möglichst zügig zu verbessern, wurde von ForstBW beschlossen, dass in den nächsten zwei Jahren in allen Auerhuhn-Reproduktionsgebieten im Staatswald (Bereiche rund um Balzplätze oder Nachweise von Hennen mit Küken, insgesamt ca. 14.000 ha), 10% bzw. 1.400 ha, Lücken oder Freiflächen vorhanden sein müssen. Die Auswertungen durch das Auerhuhn-Tool zeigten, dass aktuell auf nur 918 ha der Fläche ausreichend große Lücken/Freiflächen vorhanden sind. Somit fehlen im Staatswald Freiflächen für das Auerhuhn. In den nächsten zwei Jahren sollen folglich im Staatswald über den gesamten Schwarzwald in den Reproduktionsbereiche verteilt insgesamt auf 445 ha Lücken oder Freiflächen geschaffen werden, um dieses Defizit zu minimieren. Bezogen auf die gesamte auerhuhnrelevante Fläche des Aktionsplans Auerhuhns (Priorität 1 und 2 des Aktionsplan: ca. 27.000 ha Staatswald) ist das Defizit größer: nur ungefähr die Hälfte der Zielvorgaben zu Freiflächen und Lücken wurden bisher erreicht.

Die durch das Auerhuhn-Tool erfassten Strukturen wurden für die betroffenen Reviere auf Karten dargestellt. Sie stellen den aktuellen Stand der Waldstruktur zum Zeitpunkt der Befliegung in den Jahren 2015 und 2016 dar und können für die Planung der Auerhuhn-Habitatgestaltung genutzt werden. Außerdem wurde eine unverbindliche Planungshilfe erstellt. Revierleiter können hiervon abweichen, wenn dadurch bessere und langfristigere Strukturen für das Auerhuhn geschaffen werden. Für die betroffenen Revierleiter gab es zur Unterstützung der Umsetzung dieser Maßnahmen mehrere Treffen und Exkursionen.

Bei diesen ging es beispielsweise um die Optimierung der Effektivität einer Freifläche durch Entfernen der vorhandenen Verjüngung. Auch das Räumen von Reisig und Kronenmaterial oder zumindest das Sammeln auf Haufen erhöht die Wirkung einer Freifläche. Gleichermaßen sind größere Freiflächen (0,3-0,5 ha) zu bevorzugen.

Zu berücksichtigen ist, dass sich Waldstrukturen in relativ kurzer Zeit ändern können und mit diesem Tool auch ein Monitoring der Lebensraumveränderungen möglich ist. Allein das Höhenwachstum der Vegetation führt zu einer veränderten Zuordnung zu den einzelnen Strukturen oder dem Wegfall einer Freifläche. Auch Löcher nach Durchforstungen wachsen sehr schnell zu. Der erste Schritt dieses Lebensraummonitorings soll mit den Luftbildern aus den Jahren 2018 und 2019 stattfinden, um damit auch eine Evaluierung der durchgeführten Maßnahmen vornehmen zu können.

Fazit

Schon jetzt steht fest, dass durch die Auswertungen des Auerhuhn-Tools die naturraumbezogene Planung und die Durchführung und Kontrolle von großflächigen Maßnahmen für das Auerhuhn erst möglich werden. Diese Luftbildauswertung wird in den nächsten Jahren auch für weitere Arten in Baden-Württemberg angewandt. Fernerkundung wird als Methode zunehmend wichtig, um Waldstruktur großräumig abbilden zu können und dadurch Naturschutzmaßnahmen besser in die Waldwirtschaft integrieren zu können. Die Luftbildauswertungen kann somit ein Beitrag zum Schutz des Auerhuhns und anderer bedrohter Arten leisten.