In Zusammenarbeit mit Förstern versucht die Schweizerische Vogelwarte Sempach das im Rahmen bisheriger Forschungsprojekte gewonnene Wissen über die Habitatansprüche des gefährdeten Waldlaubsängers waldbaulich umzusetzen. In einem Artenförderungsprojekt in der Nordwestschweiz wurden im Winter 2016/2017 zehn gegenwärtig nicht besiedelte, aber von der Habitatstruktur grundsätzlich geeignet erscheinende Waldbestände gezielt behandelt. Ein für die Folgejahre geplantes Monitoring soll zeigen, ob die Eingriffe erfolgreich sind.

Der Waldlaubsänger (Phylloscopus sibilatrix) wurde im Jahr 2010 in die Rote Liste der Brutvögel (Gefährdungskategorie "Verletzlich,VU") aufgenommen und gehört somit zu den gefährdeten Arten der Schweiz. Er ist zudem eine von 50 Prioritätsarten des Programms "Artenförderung Vögel Schweiz", das die Schweizerische Vogelwarte und der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz mit Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt durchführen.

Prioritätsarten sind Arten, die mit herkömmlichen Massnahmen wie etwa der Errichtung von Schutzgebieten nicht genügend gefördert werden können und deshalb auf artspezifische Förderprojekte angewiesen sind.

Habitatansprüche

In verschiedenen Wäldern im Aargauer, Basler und Solothurner Jura sowie im Kanton Glarus wurden von 2010 bis 2015 Ansiedlungsverhalten, Prädation und Bestandsfluktuation des Waldlaubsängers untersucht. Durch den Vergleich von aktuell besiedelten Revieren mit benachbarten, unbesiedelten Flächen bzw. mit früher besiedelten, aktuell aber verwaisten Revieren konnten die Habitansprüche der Art charakterisiert werden. In Kombination mit früheren Studien ergeben sich folgende Habitatansprüche:

Waldlaubsänger besiedeln in erster Linie mittelalte Waldstadien, welche etwa dem schwachen Baumholz zuzuordnen sind. Bevorzugt werden insbesondere

  • von Buche und Eiche dominierte Wälder mit einem weitgehend geschlossenen, homogenen Kronendach,
  • einer relativ hohen Baumzahl,
  • wenig bis keine Büsche und Sträucher,
  • eine mässig bis mittelstarke Bedeckung des Bodens mit Gräsern, Hanglage und
  • nährstoffarme Böden.

Vereinbarkeit von Artenförderung und forstwirtschaftliche Praxis?

Im Rahmen eines Projekts soll untersucht werden, ob vom Standort geeignete, vom Waldlaubsänger aber unbesiedelte Waldflächen durch gezielte forstliche Eingriffe so verändert werden können, dass sie besiedelt werden.

Neben dieser direkten Artenförderung soll ebenfalls geprüft werden, wie die Ergebnisse der bisherigen Studien über die Habitatansprüche der Art grundsätzlich in die forstwirtschaftliche Praxis eingebracht werden könnten und ob Eingriffe zugunsten der Vogelart mit der gängigen forstlichen Praxis im Wirtschaftswald vereinbar sind.

Waldbaulicher Eingriff

Zu diesem Zweck wurden gemeinsam mit Förstern in den Kantonen Basel-Landschaft und Solothurn vor der Brutzeit 2016 20 geeignet erscheinende Waldflächen ausgesucht. Diese Flächen sind jeweils 1 ha gross und bestehen hauptsächlich aus mittelaltem Laubwald, dessen Kronendach fast geschlossen ist und besitzen reichlich Unterwuchs. In 10 dieser Flächen wurde im Winterhalbjahr 2016/2017 der bodennahe Bereich und der untere Stammbereich durch Entfernen von kleinen Büschen, Bäumen und Sträuchern aufgelichtet. Die obere Baumschicht wurde nicht verändert. Es wurde also der vom Waldlaubsänger bevorzugte offene Raum unter dem geschlossenen Kronendach geschaffen. Die anderen 10 Flächen wurden nicht behandelt und dienen als Kontrollflächen.

Periodische Kontrollen in den kommenden Jahren

Die Wirkung der beschriebenen Eingriffe soll über längere Zeit untersucht werden. Damit trägt man auch Rechnung, falls der Waldlaubsänger die Flächen nicht schon im ersten Jahr besiedelt, sondern erst später.

Im Frühjahr 2016 wurden in allen 20 Flächen die Waldstruktur (Kronenschluss, Vegetationsdichte der Kraut- und Strauchschicht, Baumzahl und-durchmesser) sowie das Vorkommen des Waldlaubsängers und ausgewählter Brutvogelarten erhoben. Letzteres dient dazu, die Auswirkungen der zugunsten des Waldlaubsängers getroffenen Massnahmen auf andere Vogelarten abzuschätzen. Zudem wurde die Häufigkeit von Mäusen erfasst, da der Waldlaubsänger von ihm sonst gut besiedelte Gebiete in mausreichen Jahren meidet. Die Kenntnis der Maushäufigkeit und -Dichte im Lebensraum ist somit wichtig, um das jährliche Auftreten des Waldlaubsängers einordnen zu können. Vogel-, Maus- und Waldstrukturkartierungen sollen zunächst in den folgenden drei Jahren jeweils im Frühling wiederholt werden.

Erst die Zukunft wird zeigen, ob der gefährdeten Vogelart auf diese Art geholfen werden kann und wie die Massnahmen mit der gängigen forstlichen Praxis im Wirtschaftswald vereinbar sind.