Der Hornissenstaat – Vom Totholz zum Eigenheim

Bis zu 1700 Individuen, bestehend aus der Königin, Arbeiterinnen und Drohnen in allen Entwicklungsstadien – Eier, Larven, Puppen und adulte Tiere – können in einem Volk der Europäischen Hornisse (Vespa crabro) beheimatet werden [1]. Die Europäische Hornisse gehört zur Familie der sozialen Faltenwespen, auch Papierwespen genannt. Die Bezeichnung Faltenwespe, die sich auf die Familie der Wespen bezieht, stammt daher, dass die Vorderflügel in der Ruhelage längsgefaltet sind [3]. Der Name Papierwespe kommt ebenfalls nicht von ungefähr, denn die bis zu 60 cm hohen ockerfarbenen Nester werden aus zerkauten Pflanzenfasern oder zerkautem Totholz gebaut, was uns papierartig erscheint [1, 3, 4] (Abb. 2). Dabei wird bevorzugt feuchtes, morsches Holz verwendet, da es weicher ist und somit leichter verarbeitet werden kann [3-6]. Besonders geeignet sind entsprechend modrige Bereiche von abgestorbenen Ästen, oder faulige, bis zu Mulm zerfallene Stellen an absterbenden oder toten Bäumen, aber auch in die Jahre gekommene Zaunpfähle.

Nestbau – Die Bauherrin beginnt ihre Arbeit

In der Regel findet die Materialbeschaffung in der nächsten Umgebung statt, da die Hornissen bei ihren ersten Ausflügen mit Erkundungen im direkten Umfeld starten [4]. Außerdem strömen die Hornissen, wie alle sozialen Hautflügler, einen arteigenen Geruch aus, den ihre Artgenossinnen wahrnehmen [4, 6, 7]. So riechen häufig besuchte Orte intensiver und weitere Hornissen des eigenen Volkes werden an diese Holzstelle gelockt.

Ein begehrter Platz für den Nestbau ist eine trockene Stelle in einem hohlen Baum [1, 3, 8, 9] (Abb. 2). Es werden zum Beispiel die verlassenen Höhlen des Schwarzspechts (Dryocopus martius) [10] und seltener auch Mauselöcher in der Erde bewohnt [9]. Manchmal werden sogar freihängende Nester gebaut, die lediglich vom Blätterdach eines Baumes geschützt sind [1].

Die Holzfasern werden abgenagt und währenddessen wird der Holzabschnitt mit Speichel durchnässt, um das Abreißen zu erleichtern und die abgebissenen Fasern zusammenzuhalten [3, 4, 6]. Daraus wird ein Breiklumpen geformt. Wer die Ohren spitzt, kann das Abnagen sogar hören. Anschließend wird die Kugel aus Holzbrei zum Nest geflogen und dort weiterbearbeitet, indem sie mit Speichel getränkt und mit den Mundwerkzeugen bearbeitet wird [4]. Dabei benutzt die Hornisse ihre Vorderbeine, um den Klumpen immer in Bewegung zu halten. Danach wird das Material an das Nest angedrückt und angebaut [3, 4]. Der Nestbau findet generell immer von oben nach unten statt und die Wabenöffnungen sind nach unten ausgerichtet [6].

Untergang eines Volkes mit Herbstbeginn

Mit dem Einsetzen der Herbstfröste beginnt sich das Nestmaterial noch im selben Jahr der Staatsgründung aufzulösen [1, 6] und der Großteil des Volkes stirbt. Nur die neuen Königinnen überwintern und graben sich hierzu unter Moos, im Boden, oder in modrigen Baumhöhlen meist aufrechter Bäume beziehungsweise Baumstümpfe ein [1, 3, 6, 11].

Die weiblichen Geschlechtstiere (Jungköniginnen) werden noch im Herbst von den männlichen Geschlechtstieren (Drohnen) begattet. Nur die begatteten Jungköniginnen können nach der Überwinterung ein neues Nest gründen. Die Eier werden erst unmittelbar vor der Eiablage befruchtet; dann entstehen weibliche Tiere daraus. Unbefruchtete Eier lassen männliche Tiere entstehen [27]. 

Ende April bis Anfang Mai können die ersten Königinnen auf der Suche nach einem geeigneten Platz für das Nest beobachtet werden [1]. Hat eine Königin einen geeigneten Platz gefunden, beginnt sie die erste Wabe samt Schutzhülle zu bauen, in der sie die ersten Arbeiterinnen aufzieht [6, 9]. Anfang Juni schlüpfen diese und übernehmen ab sofort den Nestbau und die Brutpflege. Ab Mitte August schlüpfen dann die Geschlechtstiere, männliche Drohnen und weibliche Jungköniginnen [1]. Die Drohnen bleiben in der Nähe des Nestes an sonnigen Orten und halten Ausschau nach den Jungköniginnen [12]. Die Paarung findet entweder schon im Nest zwischen den Wabenetagen oder nach dem Ausflug am Boden statt [13]. Nach der Paarung werden die Männchen vertrieben [3].

Auf die Optik kommt es an – Wespentaille und Ernährungsplan

Die Hornisse ist das größte staatenbildende Insekt in Mitteleuropa [2, 3, 6]. Die Königin der Europäischen Hornisse ist 25-35 mm groß [1] und damit das größte Individuum im Hornissenstaat, gefolgt von den Drohnen (21-28 mm). Erst dann kommen die Arbeiterinnen mit 18-25 mm Körperlänge [1]. Die Europäische Hornisse zeigt neben der klassischen schwarz-gelben Färbung eine Rotfärbung sowohl im Brustbereich als auch im ersten Hinterleibssegment [1] (Abb. 2).

Beeindruckend ist die Hornisse sicher auch wegen ihres etwa 3,5 mm langen Stachels [1]. Der gängige Spruch, dass drei Hornissenstiche einen Menschen töten, ist allerdings falsch: Durch die kurze Einstichzeit ist die injizierte Giftmenge gering und vergleichbar mit der anderer Wespen. Schließlich wird die Giftblase nicht geleert, sondern muss für potenzielle weitere Angreifer ausreichen. Eine Honigbiene dagegen, deren Stachel beim Einstich in der Regel abbricht, entleert die gesamte Giftblase. Somit kann der Stich der Europäischen Hornisse zwar schmerzen, ist aber im Normalfall nicht weiter bedenklich. Gefährlich wird ein Stich für den Menschen erst dann, wenn eine Allergie besteht – das lässt sich dank Allergietests ärztlich abklären. Die Männchen der Europäischen Hornisse können, genau wie bei anderen Faltenwespen, übrigens nicht stechen und die Arbeiterinnen nutzen ihren Stachel nur im Notfall [1]. Vor allem heißt es, wie bei anderen Wespen auch, Ruhe bewahren, denn durch hektische Bewegungen fühlt sich eine Hornisse viel schneller gestört oder sogar bedroht [2, 14].

Ruhe bewahren – das machen auch die Hornissen, wie es scheint. So wurde beobachtet, dass Hornissen während der Mittagszeit den Flug nahezu einstellen [15]. Das mag an einer Vielzahl an Faktoren liegen, zum Beispiel am Licht, der Temperatur und auch am Nahrungsangebot. Auf dem Ernährungsplan der Hornissenlarven steht das eine oder andere Insekt, das unsereins als störend empfinden mag wie etwa Mücken, Fliegen und andere Wespenarten [2, 6]. Die Brut der Hornissen wird täglich mit bis zu 500 g Insekten gefüttert [2]. Sind die Hornissen erwachsen geworden, ändert sich das Fressverhalten radikal vom Fleischfresser zum Pflanzenfresser. Die adulten Tiere ernähren sich von kohlehydratreichen Baumsäften [2, 3] und Blütennektar [6] (Abb. 3). Dabei stehen Laubbäume wie Eiche, Esche und Birke hoch im Kurs [2]. Zur Abwechslung gibt es auch mal etwas Fallobst [2, 3].

Stets den Horizont im Blick – Ocelli und Flugverhalten

Aus der Nähe betrachtet fällt ein besonderes Merkmal der Hornisse auf: Zwischen den beiden Facettenaugen befinden sich drei zu einem Dreieck angeordnete sogenannte Ocelli (Abb. 3). Das sind einfache Augen [16], die als zusätzliches visuelles System der Insekten dienen [17]. Nicht nur die Europäische Hornisse ist mit Ocelli ausgestattet, sondern auch viele andere Insekten. Hauptvoraussetzung scheint bis auf einzelne Ausnahmen zu sein, fliegen zu können [17, 18].

Bei klassischen Augen, egal ob nun Facettenauge oder menschliches Auge, laufen viele Verarbeitungsprozesse ab, bevor die detaillierte Information des Bildes ins Gehirn gelangt [17]. Bei den Ocelli werden die Details dagegen gar nicht erst gesehen, da sich die Linsen nicht bewegen und somit auch nicht scharf gestellt werden können [17, 19]. Das ist auch gar nicht notwendig, denn die Ocelli haben vor allem den Zweck, den Horizont im Blick zu halten [16, 18] und dienen der Helligkeitsaufnahme [15, 16, 18-21]. Aus diesem Grund sind die Linsen der Ocelli im Vergleich zu den Linsen der Facettenaugen viel größer, um deutlich mehr Licht aufnehmen zu können [18]. Die Ocelli sind so am Kopf ausgerichtet, dass der vordere mittige Ocellus den Himmel und den Horizont nach vorne, die seitlichen den Himmel und den jeweils seitlichen Horizont im Blick haben [16, 22]. Je nach Kopfneigung oder -drehung ist entscheidend, dass alle Ocelli ihre Aufgaben erfüllen. Kommt beispielsweise eine Windböe kann sich die Hornisse dank der Ocelli blitzschnell wieder ausrichten und ihren Kurs halten [17]. Die Lichtsensibilität dieser einfachen Augen ist so stark, dass der Europäischen Hornisse eine Lichtintensität von 0,001 cd/m2 genügt [15]. Das entspricht dem Eintausendstel der Lichtintensität einer Kerze. Dank der Ocelli können die Hornissen bei Dämmerung oder sogar bei Mondlicht ausfliegen, wobei lediglich die Fluggeschwindigkeit reduziert wird [6, 15].

Lebensraum und Bedrohung

Der natürliche Lebensraum der Europäischen Hornisse wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter eingeschränkt: Alte Obstbäume in Siedlungsbereichen wurden ebenso entnommen, wie abgestorbene Bäume in Wäldern [2]. Dabei bieten genau diese oftmals hohlen Bäume optimale Voraussetzungen für den Nestbau der Hornissen.

Die Europäische Hornisse wurde aufgrund ihrer akuten Bestandsgefährdung in den 1980er-Jahren auf die Liste der besonders geschützten Arten gesetzt [23]. Das heißt, für sie gelten nach § 44 BNatSchG bestimmte Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Auch in Baden-Württemberg steht sie nach dem Landesnaturschutzgesetz unter allgemeinem Schutz [24]. Entsprechend dürfen weder sie noch ihre Lebensstätten gestört, getötet oder aus der Natur entnommen werden [23, 25, 26].

Wer also bei einem Waldspaziergang die Hornissen summen hören möchte ohne sie zu stören, begibt sich am besten in artenreiche Mischwälder, strukturreiche Wald- und Wegränder oder natürliche Waldgesellschaften [2]. Hier fühlt sich die Europäische Hornisse wohl, denn es gibt genügend Alt- und Totholz und Höhlen für den Nestbau und die Überwinterung, sowie viele Insekten für die Fütterung der Larven.

Quellen

  1. Tischendorf, S., et al., Atlas der Faltenwespen Hessens. 2015, Gießen: HESSEN-FORST FENA. 260 S.
  2. Ripberger, R., Hornissen. Falken unter den Insekten. Naturschutz um Kleinen. Vol. Heft 6. 2017, Stuttgart: Stiftung Landesbank Baden-Württemberg. 24 S.
  3. Schremmer, F., Wespen und Hornissen. 1962: Ziemsen. 104 S.
  4. Weyrauch, W., Wie entsteht ein Wespennest? I. Teil. Beobachtungen und Versuche über den Papierbearbeitungs-Instinkt bei Vespa, Dolichovespula und Macrovespa. Zeitschrift für Morphologie und Ökologie der Tiere, 1935: S. 401-431.
  5. Matsuura, M., Vespa and provespa. The social biology of wasps, 1991: p. 232-262.
  6. Zahradník, J., Bienen, Wespen, Ameisen: die Hautflügler Mitteleuropas. 1985: Franckh. 192 S.
  7. Wittwer, B., et al., Solitary bees reduce investment in communication compared with their social relatives. Proceedings of the National Academy of Sciences, 2017. 114(25): p. 6569-6574.
  8. Raftopoulo, J.G., Die Rolle der Vogelkirsche in einheimischen Waldgesellschaften. LWF Wissen, 2010. 65: S. 57-62.
  9. Rietschel, G., Beobachtungen zur Entstehung von Ausweichnestern bei der Hornisse (Vespa crabro L.) (Hymenoptera, Vespidae). PHILIPPIA, 1996. 7: S. 281-285.
  10. Hayo, L. and B. Froehlich-Schmitt, Höhlen des Schwarzspechts Dryocopus martius (Linnaeus, 1758), Nachnutzer und fraglicher Schutz von Altholzinseln im saarländischen Warndt (Piciformes: Picidae). 2015. S. 301-308.
  11. Deutsche Wildtier Stiftung. Lebensraum Totholz - So recyclet die Natur. 2018. URL: https://www.deutschewildtierstiftung.de/aktuelles/totholz, [aufgerufen am 16.06.21].
  12. Spiewok, S., E. Schmolz, and J. Ruther, Mating system of the European hornet Vespa crabro: male seeking strategies and evidence for the involvement of a sex pheromone. Journal of chemical ecology, 2006. 32(12): p. 2777-2788.
  13. Mader, D., Kopulation und Sexualethologie von Hornisse, anderen Hautflüglern, Schwebfliegen und anderen Zweiflüglern. galathea - Beiträge des Kreises Nürnberger Entomologen, 2017. 33: S. 65-137.
  14. Mauss, V., Bionomie und Abwehrverhalten der in Deutschland vorkommenden allergologisch bedeutsamen Bienen und Faltenwespen. Der Hautarzt, 2008. 59(3): S. 184-193.
  15. Kelber, A., et al., Hornets can fly at night without obvious adaptations of eyes and ocelli. PloS One, 2011. 6(7): e21892.
  16. Klowden, M.J., Nervous Systems, in Physiological Systems in Insects. 2007, Academic Press: Amsterdam. S. 560-573.
  17. Krapp, H.G., Ocelli. Current Biology, 2009. 19(11): p. R435-R437.
  18. Hesse, R., Das Sehen der niederen Tiere. Erweiterte Bearbeitung eines auf der 79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Dresden 1907 gehaltenen Vortrags ed. 1908: Gustav Fischer. 52 S.
  19. Grimaldi, D.A. and M.S. Engel, Evolution of the Insects. Cambridge Evolution Series. 2005, Cambridge [U.K.]: Cambridge University Press. P. 121-124.
  20. Parsons, M.M., H.G. Krapp, and S.B. Laughlin, A motion-sensitive neurone responds to signals from the two visual systems of the blowfly, the compound eyes and ocelli. Journal of Experimental Biology, 2006. 209(22): p. 4464-4474.
  21. Hengstenberg, R., Multisensensory control in insect oculomotor systems, in Visual Motion and its Role in the Stabilization of Gaze. 1993, Elsevier. p. 285-298.
  22. Hung, Y.-S. and M.R. Ibbotson, Ocellar structure and neural innervation in the honeybee. Frontiers in Neuroanatomy, 2014. 8: p. 6.
  23. BArtSchV, Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten (Bundesartenschutzverordnung - BArtSchV). 2005. 73 S.
  24. NatSchG, Gesetz des Landes Baden-Württemberg zum Schutz der Natur und zur Pflege der Landschaft (Naturschutzgesetz - NatSchG). 2015. 46 S.
  25. LUBW, Geschütze Arten in Baden-Württemberg. 2010: S. 1-27.
  26. BNatSchG, Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege. 2009: Bonn. 38 S.
  27. Von der Eiablage bis zum Vollinsekt. URL: http://www.vespa-crabro.de/ei.htm, abgerufen am 13.10.2021