Ameisen lassen ihre verstorbenen Schwestern nicht im Bau verrot­ten, sondern tragen sie auf Friedhöfe ausserhalb des Nestes. Dort wachsen aus den Ka­davern nach einiger Zeit oft Sporenträger eines Pilzes, der die Ameisen noch zu deren Lebzeiten befallen hatte. Der Pilz wächst im Inneren der Ameisenkörper heran und entzieht den toten Ameisen Wasser. Da­durch mumifiziert er die Kadaver – aus denen schliesslich die nächste Generation todbringender Sporen wie ein dichter weis­ser Pelz spriesst.

Waldameisenkolonien im Wallis

Schon seit 15 Jahren beobachten die Biologen um Michel Chapuisat von der Universität Lausanne eine ausgedehnte Ameisenpopulation der Waldameisenart Formica selysi (Pelzige Sklavenameise) im Wallis. Auf einem der Ameisenfriedhöfe hat Chapuisat für seine Experimente Spo­ren von Beauveria bassiana entnommen.

Der nach dem italienischen Gelehrten Agosti­no Bassi benannte Killerpilz befällt auch eine Vielzahl anderer Insekten. Bassi wies vor 180 Jahren erstmals nach, dass das Lei­den der Raupen in den damals in Frank­reich und Italien weit verbreiteten Seiden­spinnerzuchten durch einen biologischen Erreger ausgelöst wird (und bewies noch vor Louis Pasteur und Robert Koch die Gültigkeit der Krankheitskeimtheorie). Heute kommt der Pilz auch als biologischer Schädlingsbekämpfer etwa gegen Schild­läuse zum Einsatz.

"Eigentlich sind Ameisenkolonien ein idealer Nährboden für Krankheitserreger", sagt Chapuisat. Im Ameisenbau sei es im­mer warm und feucht. Wegen des regen Treibens, das im Bau herrscht, mangelt es nicht an Ansteckungsmöglich- keiten – zu­dem seien in Nestern mit nur einer Kö­nigin die Arbeiterinnen genetisch eng miteinander verwandt.

Dass solche Amei­senkolonien nicht dahingerafft würden, wie das teilweise mit Monokulturen auf den Getreidefeldern geschieht, sei des­halb aussergewöhnlich. Die Widerstands­fähigkeit der Ameisen erklärt sich Chapui­sat damit, dass die Ameisen im Laufe von etwa 100 Millionen Jahren genügend Zeit hatten, erstaunliche Verteidigungskünste gegen Krankheitserreger zu entwickeln.

Zusammen stark gegen Krankheitserreger

Ihn interessieren dabei vor allem die kollektiven oder sozialen Abwehrmecha­nismen, die auf der Zusammenarbeit ver­schiedener Individuen beruhen. Dass es Ameisenfriedhöfe gibt, zeige, dass Ameisen soziale Wesen seien. "Ameisen sind ziem­lich zivilisiert", sagt Chapuisat. Friedhöfe setzen zum Beispiel voraus, dass Arbeite­rinnen den Schutz der Kolonie über ihr eigenes Wohl stellen. Denn sie riskieren beim Kontakt mit den Toten, vom Erreger angesteckt zu werden, sorgen aber mit dem Abtransport der Kadaver dafür, dass die Pilzsporen erst ausserhalb des Ameisen­baus zur Reife gelangen.

Nadelbaumharz gegen Bakterien

Zudem besitzen Ameisen eine so genannte "soziale Immunität". Sie putzen sich nicht nur selbst, sondern helfen auch, ihre Mit­bewohnerinnen und Schwestern sauber und möglichst frei von Krankheitskeimen zu halten. Die kollektive Abwehr stützt sich sogar auf die Architektur der Ameisen­bauten. Vor einigen Jahren war Chapuisat aufgefallen, dass die Arbeiterinnen einiger Ameisenarten kleine Stücke gehärtetes Nadelbaumharz mit in den Bau bringen. In grösseren Ameisenhügeln kommen so bis zu 20 Kilo von dem duftenden Material zusammen, das Nadelbäume ausscheiden, um ihre Wunden zu verschliessen. Die im Harz enthaltenen Substanzen hemmen das Wachstum von Bakterien und Pilzen – nicht nur auf den Nadelbäumen, sondern auch im Ameisenbau. Mit dieser Art von kollektiver Medikation gelingt es den Insekten, ihre Brut besser vor Krankheits­erregern zu schützen, wie Chapuisat mit seinem Team nachweisen konnte.

Einfluss der sozialen Umwelt

Für die neue Studie war Chapuisat mit seiner Mitarbeiterin Jessica Purcell wieder im Wallis Ameisen sammeln. Sie besuch­ten 50 Ameisenbauten und entnahmen je­weils 50 Eier und Arbeiterinnen. Im Labor überliessen sie die Eier der Kolonie A der Obhut der Arbeiterinnen der Kolonie B und umgekehrt. Die Pflegerinnen hatten viel zu tun: Aus den Eiern schlüpften Larven, die sich verpuppten, bevor dann daraus neue Arbeiterinnen hervorgingen. Auf den Rücken einiger dieser Ameisen tröpfelten Purcell und Chapuisat die auf den Friedhöfen gesammelten Pilzsporen. Auch die Pflegerinnen setzten sie dem Erreger aus. Dabei zeigte sich: Je resistenter die Pfle­gerinnen, desto resistenter waren auch die neuen Arbeiterinnen. Und diese Ähnlich­keit in der Immunität ist nicht genetisch bestimmt, denn im Experiment kamen eben Eier und Pflegerinnen aus verschiede­nen Nestern und waren nicht miteinander verwandt. "Die soziale Umwelt während der Ent­wicklung hat also die Resistenz der Amei­sen beeinflusst", sagt Chapuisat; Unter­schiede in der Immunität könnten auf ein spezielles Verhalten der Pflegerinnen zu­rückgehen oder auf verschiedene Moleküle auf der Oberfläche der Ameisen, die "den Duft eines Ameisennests ausmachen" und den Ameisen helfen, ihren eigenen Bau zu erkennen.

Steuerung der Krankheitsresistenz über den *sozialen" Magen?

Oder liegen Unterschiede in der Krankheitsresistenz an Unterschieden im "sozialen Magen" der verschiedenen Amei­senkolonien? Weil viele Arbeiterinnen einen Teil ihrer Nahrung erbrechen und den Larven oder anderen Koloniemitglie­dern geben, tauschen sie auch ihre Mikro­ben aus, die bei der Abwehr von Erregern eine wichtige Rolle spielen können. "Es gibt viele Ideen, aber zurzeit noch wenig solide Daten, die die eine oder andere Er­klärung stützen würden", sagt Chapuisat.

Aus seinen Untersuchungen über kol­lektive Abwehrmechanismen der Ameisen lassen sich keine Strategien zur Vermei­dung von gefährlichen Epidemien unter uns Menschen ableiten. "Unsere Forschung zielt nicht darauf ab, die Menschheit bes­ser vor gefährlichen Erregern zu schützen", sagt Chapuisat. Mit seinem Team betreibt er Grundlagenforschung, das Interesse gilt den Mechanismen der Evolution, die die Zusammenarbeit zwischen Individuen fördern. Grundsätzlich wirken diese Me­chanismen auch bei uns Menschen – wenn auch erst seit ein paar Millionen Jahren, also einem Bruchteil der Zeit, die soziale Insekten bereits zusammenarbeiten.