Immer häufiger leidet auch der Schweizer Wald unter langanhaltenden Trockenperioden. Die aussergewöhnlich trockenen Sommer der Jahre 2003, 2018 und 2022 führten teilweise zu erheblichen Beeinträchtigungen der Wälder mit sichtbaren Schäden an Waldbäumen, verringertem Zuwachs und teils gestörten Ökosystemprozessen. Durch den Klimawandel werden solche extremen Klimabedingungen immer wahrscheinlicher und setzen das Ökosystem Wald vermehrt unter Druck.
Wenn es im Wald regnet, finden verschiedene Transport- und Speicherprozesse statt, die noch wenig erforscht sind. Um die Trockenheit im Wald zu verstehen, muss man zunächst wissen, wie und in welchen Mengen das Regenwasser durch das Ökosystem Wald fliesst. Also: Wo finden wir das Regenwasser im Wald? Wieviel gelangt in den Boden und wieviel davon ist für die Waldbäume nutzbar? Welche Zeit braucht es, bis ein Regentropfen wieder über die Blätter der Bäume verdunstet?
Wissenschaftler des Waldlabors Zürich – einem interdisziplinären Forschungsprojekt – erforschen u.a. diese komplexen Prozesse im Wald-Wasserkreislauf. In einem gross angelegten Monitoring und mit Experimenten werden die Auswirkungen von Wasserknappheit auf den Wald intensiv untersucht. Im besonderen Fokus stehen dabei die Bedeutung der Winterniederschläge, der Streu und des Totholzes für den Wasserhaushalt der Wälder sowie die Frage, ob tiefere Wurzeln den Wassermangel in oberflächennahen Bodenschichten in Trockenperioden kompensieren können. Die ersten Forschungsergebnisse von Fichten (Picea abies) und Buchen (Fagus sylvatica) zeigen dabei einige teils überraschende Erkenntnisse.
Im Waldlabor Zürich werden von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hydrologische Experimente mit physiologischen Messungen an Pflanzen kombiniert, Nass- und Trockengewichte von Streumaterial ermittelt und die chemische Zusammensetzung von Wasserproben analysiert. Auf diese Weise werden sämtliche Wasserflüsse während und nach Niederschlägen, vom Rückhalt durch die Baumkronen und der Bodenstreu inkl. Totholz über Bodenwasser, Pflanzenwurzeln, Grundwasser bis hin zum Abfluss in den Bach erfasst.
Winterniederschläge sind die Lebensversicherung für Fichten und Buchen
Während sich in den letzten Jahren die Niederschlagsmengen kaum verändert haben, hat, bedingt durch die höheren Temperaturen, vor allem der Wasserbedarf der Atmosphäre sehr stark zugenommen. Dies bedeutet, dass der Anteil an Niederschlag, der verdunstet, immer höher wird und weniger Wasser im Boden, Grundwasser und den Oberflächengewässern verfügbar ist. Hinzu kommt, dass der erhöhte Wasserbedarf der Atmosphäre den Trockenstress von Bäumen erhöht und vor allem in längeren Perioden ohne Niederschläge den Bäumen hydraulische Schäden zufügen kann.
Vor allem in der Sommerhälfte des Jahres zwischen April und September verdunstet der Grossteil des Niederschlags wieder zurück in die Atmosphäre, nur geringe Wassermengen können im Boden zwischengespeichert werden und sind für die Waldbäume verfügbar. Deshalb ist speziell die Speicherung von Winterniederschlägen entscheidend für den Wasserhaushalt von Wäldern.

Abb. 6. Analyse der saisonalen Herkunft des Baumwassers von Buchen (li) und Fichten (re). In allen Proben links von der schwarzen Linie findet sich deutlich mehr Winterniederschlag, in allen Proben rechts der Linie mehr Sommerniederschlag. Die meisten Proben beider Baumarten im Sommer aus dem Waldlabor weisen einen grösseren Anteil an Winterniederschlägen auf. Sie verdunsten also im Sommer zum Grossteil die Niederschläge aus dem vorangegangenen Winter (modifiziert aus Floriancic et al. 2024).
Dies konnte auch im Rahmen der 3-jährigen Forschungen im Waldlabor für Fichten und Buchen nachweisen werden. Nach der Analyse von Hunderten von Proben war die Antwort eindeutig:
Baumwasser und Transpiration bestehen das ganze Jahr über zu einem Grossteil aus Winterniederschlägen. Der Grossteil des Wassers, welches Fichten und Buchen in den Sommermonaten verwenden, stammt also aus Niederschlägen aus den vorangegangenen Wintermonaten (Oktober bis März), und dass, obwohl im Sommerhalbjahr eigentlich mehr Niederschläge fallen als im Winterhalbjahr.
Streu und Totholz – unauffällige Wasserspeicher mit grosser Wirkung
Da der Grossteil des von den Bäumen im Waldlabor aufgenommenen Wassers aus Niederschlägen des vorangegangenen Winters stammt, ist die effiziente Speicherung des Winterwassers im Boden essenziell, damit die Wälder auch längere Trockenperioden besser überstehen können.
Um die Speicherkapazität von Waldböden zu erhöhen, ist es notwendig, so viel organisches Material wie möglich im Wald zu behalten. Damit wird der Bodenbildungsprozess optimal unterstützt.
Dies hat zudem noch einen grossen positivem Nebeneffekt: CO2 wird so im Boden eine Zeit lang gebunden und zwischengespeichert.
Streu und Totholz spielen demnach eine wichtige Rolle im Bodenaufbau und tragen gleichzeitig wesentlich zum Wasserkreislauf im Wald bei.
- Die Forschung im Waldlabor zeigt, dass etwa 20% des Jahresniederschlags in den Baumkronen zurückgehalten und direkt wieder in die Atmosphäre verdunstet wird.
- Weitere 40% fliessen nach Wochen, Monaten oder sogar Jahren als Oberflächenwasser in den Holderbach ab.
- In zahlreichen Feldversuchen und Laboranalysen konnte ausserdem belegt werden, dass rund 18% des Niederschlags in der Streuschicht und dem Totholz am Waldboden gespeichert und ebenfalls an die Atmosphäre abgegeben wird. Dies ist insofern bemerkenswert, da die absoluten Speicherkapazitäten in dieser Schicht eigentlich nur wenige mm sind, aber jeder Regentropfen muss auf dem Weg in den Boden zuerst die Streuschicht passieren. Besonders im Sommer, wenn die Verdunstungsraten hoch sind, erreicht nur ein sehr kleiner Teil des Niederschlags tatsächlich den Waldboden und steht den Bäumen direkt zur Verfügung.
Trotzdem leistet das in Streu und Totholz zwischengespeicherte Wasser einen bedeutenden Beitrag für das Waldklima! Es sorgt bei geschlossenem Kronendach für ein feuchtes Mikroklima, senkt den atmosphärischen Wasserbedarf und hilft den Bäumen, Hitzetage besser zu überstehen. Böden und organisches Material auf dem Waldboden sind daher entscheidende Elemente, um Wasser in unseren Wäldern zu speichern.
Waldbauliche Relevanz: Im Hinblick auf zukünftige Trockenperioden sollten Streu und Totholz als funktioneller Bestandteil des Waldökosystems stärker beachtet werden, damit sie ihrer Aufgabe bei der Trockenheitsbewältigung auch nachkommen können.
Tiefe Wurzeln helfen Bäumen über Trockenperioden
Vertiefte Analysen im Waldlabor Zürich zeigten, inwieweit die Bäume ihre Wasseraufnahmetiefe bei zunehmender Trockenheit verändern. Es wurde ein seltener Einblick ermöglicht: um Saftfluss- und Dendrometer-Sensoren an flacheren und tieferen Wurzeln zu installieren, wurde der Wurzelraum einzelner Fichten und Buchen freigelegt. Saftflusssensoren messen die Wassermenge, die durch den Stamm fliesst, Dendrometer zeichnen kontinuierlich Veränderungen im Durchmesser der Wurzeln auf. Die Wurzeln schrumpfen tagsüber und dehnen sich nachts bei Wassersättigung wieder aus.
Leidet der Baum unter Trockenheit, kann der Wasserspeicher in der Nacht nicht vollends aufgefüllt werden, was sehr gut in den Dendrometermessungen ersichtlich ist, da bei Trockenheit der Ausgangsdurchmesser nicht mehr erreicht wird. Seit 3 Jahren werden so im Waldlabor die Wasserflüsse in Wurzeln und im Stamm dieser beiden Baumarten aufgezeichnet.
Erste Analysen zeigen, dass der Saftfluss in den flachen Wurzeln mit zunehmender Trockenheit im Boden abnimmt. Sobald der Boden beginnt auszutrocknen, können die flacher liegenden Wurzeln nicht mehr mit voller Kapazität Wasser aufnehmen. In den tieferen Wurzeln bleibt der Saftfluss dagegen annähernd konstant, auch wenn der Oberboden auszutrocknen beginnt. Daraus folgern die Wissenschaftler, dass tiefere Wurzeln die Transpiration in Trockenperioden unterstützen und den Bäumen helfen, Trockenperioden besser zu überstehen. Allerdings nimmt auch der Saftfluss im Stamm bei zunehmender Trockenheit im Boden ab, was bedeutet, dass der Baum unter Trockenstress leidet, sobald nicht mehr alle Wurzeln mit voller Kapazität Wasser aufnehmen können. Der Baum muss also die Photosynthese und den Wasserverbrauch reduzieren, um keine hydraulischen Schäden zu erleiden. Weitere Informationen aus dem Waldlabor Zürich finden Sie hier.
Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze
- 20 Prozent des Jahresniederschlages im Wald bleiben in den Baumkronen hängen und verdunsten wieder.
- Neue Erkenntnisse: Etwa gleichviel Regenwasser (18 %) hält die Streuschicht aus abgefallenen Blättern, Nadeln und Totholz auf dem Waldboden zurück. Auch dieser Anteil verdunstet später wieder.
- Bisher wurde die Aufgabe von Streu und Totholz auf dem Waldboden im Rahmen des Wasserkreislaufs im Wald unterschätzt: sie nehmen bis zu einem Fünftel des Jahresniederschlages auf und verdunsten ihn.
- Insgesamt werden somit rund 38 Prozent des Jahresniederschlags durch die Baumkronen und die Streuschicht zurückgehalten.
- Nur 62 Prozent des Regenwassers dringen effektiv in den Waldboden ein und sind für die Pflanzen nutzbar. Allerdings nehmen die Wurzeln von Gräsern und Sträuchern einen Grossteil dieses Wassers auf. In den tieferen Bodenschichten kommt davon nur ein kleiner Teil an und steht den Waldbäumen zur Verfügung.
- Für Waldbäume ist somit weniger Wasser verfügbar als bisher gedacht.
→ Streu und Totholz im Wald belassen, um die Wasserspeicherung und das Mikroklima zu stabilisieren! - Waldbäume leben zum Grossteil vom Winterniederschlag.
→ Winterniederschläge gezielt im Boden halten, z. B. durch möglichst ungestörte Böden und bodenschonende Bewirtschaftung!
→ Wurzelarchitektur und hydraulisches Verhalten als Kriterium bei der Baumartenwahl und Standortanpassung berücksichtigen - Förderung tiefwurzelnder Baumarten!
Wälder anpassen, Zukunft sichern
Das Waldlabor Zürich mit seiner Nähe zur ETH Zürich erforscht die Prozesse entlang des Wasserkreislaufs im Wald, um wichtige Erkenntnisse in Bezug auf die Resilienz und Wirtschaftlichkeit der Schweizer Wälder in Zeiten sich schnell verändernder Umweltbedingungen sicherzustellen. Man kann auf die nächsten Ergebnisse gespannt sein.
Das Verständnis darüber, wie Bäume Wasser aufnehmen und auf Trockenheit reagieren, spielt eine zentrale Rolle im adaptiven Waldbau. Dieses Wissen hilft Försterinnen und Förstern künftig, Wälder gezielt an wärmere und trockenere Klimabedingungen anzupassen. Denn der Schlüssel zu widerstandsfähigen Wäldern liegt in der gezielten Förderung von Baumarten, die dem Klimawandel gewachsen sind. Die Erkenntnisse fliessen zudem auch in Modellierungen des Wasserhaushalts ein, um künftige Veränderungen der Wälder besser vorhersagen zu können.
Im Waldlabor mitwirken
Das Waldlabor Zürich zeigt und erforscht den vom Menschen gepflegten Kulturwald. Interessierte sind eingeladen, bei Projekten, Beobachtungen (Citizen Science) oder bei praktischen Arbeiten im Wald mitzuwirken oder den Wald einfach zu geniessen.
Es finden zudem interessante Veranstaltungen und Führungen rund um die Themenschwerpunkte: «Bewirtschaftungsformen», «Biodiversität und Ökosystemleistungen», «Gesellschaft und Wald» sowie «Klimawandel» statt.
Alles Wissenswerte dazu finden Sie auf der Webseite des Waldlabors Zürich, in der Waldlabor-App oder unter ETH Zürich im Waldlabor.















