Im Fokus von Naturschutz und Wasserbau

Flussauen sind Brennpunkte vieler Nutzungsinteressen wie Wasserkraft oder Naherholung. Sie bieten gleichzeitig Lebensraum für viele, auch spezialisierte und seltene Arten. Durch ein besseres Verständnis der Lebensraumansprüche solcher Organismen lassen sich Managementmassnahmen in Flussauen besser planen und umsetzen sowie die Kooperation zwischen Forschung, Naturschutz und weiteren Interessensgruppen verbessern.

Dynamische Flussauen als Lebensraum

Die Verhüllende Korallenflechten lebt meistens auf älteren Kiesbänken im Bereich breiter, verzweigter Flussabschnitte, die von einer lückigen Vegetation wie beispielsweise Weidengebüschen bedeckt sind (Abb. 3).

In Gebieten mit sehr geringer Vegetationsdeckung und grösseren Sedimenten sind solche Populationen häufiger. Ältere Individuen können auch weiter ausserhalb der dynamischen Flusszone auf grösseren Steinen von lichten, strauch- und waldbewachsenen Kiesbänken überleben. Nach grösseren Störungsereignissen sind diese Vorkommen wichtige Quell­populationen für die Wiederbesiedlung von stärker umgelagerten oder neu geschaffenen Kiesbänken, wie beispielsweise an der Maggia nahe der Ortschaft Someo (Abb. 4).

Synergien mit weiteren gefährdeten Flussauen-Arten

In der Schweiz sind alle Korallenflechten-Arten (Gattung Stereocaulon) gemäss der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz (NHV) geschützt und «das unberechtigte Pflücken, Ausgraben, Ausreissen, Wegführen, […] oder Vernichten […]» dieser Flechten daher untersagt (NHV Art. 20 Abs. 1, 1991). Während in der Schweiz einzelne Populationen nach wie vor bestehen (Abb. 5), ist sie in Deutschland und Österreich ausgestorben.

Die Verhüllende Korallenflechte teilt sich den Lebensraum auf mageren Sand- und Kiesböden mit anderen gefährdeten Arten wie beispielsweise der Deutschen Tamariske (Myricaria germanica) oder dem Flussregenpfeifer (Charadrius dubius). Die Deutsche Tamariske ist ein verletzlicher Zwergstrauch der Auengebüsche und auf Schutz- und Fördermassnahmen angewiesen. Letzteres trifft auch auf die stark gefährdete Vogelart des Flussregenpfeifers zu. Im Unterschied zur primär während der Vegetationsperiode sichtbaren Deutschen Tamariske und dem mobilen Flussregenpfeifer ist die Verhüllende Korallenflechte ganzjährig im Feld erkenn- und bestimmbar. Daher und aufgrund der ähnlichen Lebensraumansprüche bietet sich die Verhüllende Korallenflechte zur Charakterisierung des Lebensraumes anderer gefährdeter Arten an, und mögliche Synergien zu deren Schutz und Förderung können genutzt werden.

Förderung der Verhüllenden Korallenflechte

Um bestehende Vorkommen der Verhüllenden Korallenflechte zu schützen, muss die natürliche Flussdynamik erhalten oder mittels Renaturierungen verbauter Flussabschnitte wiederhergestellt werden. Alte, weniger dynamische Flussarme sollten regelmässig entbuscht und offengehalten werden, da die lichtbedürftige und konkurrenzschwache Art von Vegetation verdrängt wird. Um die Lebensräume für die Flechte zu erhalten, müssen wasserbauliche Massnahmen so geplant werden, dass ein vielfältiges Lebensraum-Mosaik entsteht und bei durchschnittlichen (fünf- bis fünfzehnjährigen) Hochwasserereignissen ausreichend besiedelte Kiesbänke im verzweigten Flusssystem erhalten bleiben.

Von Erhaltungs- und Schutzmassnahmen für die Verhüllende Korallenflechte profitieren auch anderen Arten wie die Deutsche Tamariske und der Flussregenpfeifer, da sie auf dieselben Lebensräume angewiesen sind.

Abgesehen von Massnahmen zum Schutz der Lebensräume ist auch die Minimierung von menschlichen Störungen wichtig. Saisonal beschränkte Besucherlenkungsmassnahmen und Betretverbote für bestimmte Auenabschnitte mit grossen Vorkommen der Verhüllenden Korallenflechte und Brutgebieten des Flussregenpfeifers helfen, Störungen und Trittschäden zu vermindern. Als Ausgleichsmassnahmen können andere Uferbereiche ohne Artennachweise naturnaher gestaltet und frei zugänglich gemacht werden, um sowohl ökologische als auch gesellschaftliche Interessen zu berücksichtigen.

Um die Ausbreitung und Etablierung der Verhüllenden Korallenflechte und der Arten mit ähnlichen Lebensraumansprüchen nachhaltig zu fördern, muss nebst der Struktur des Lebensraumes auch die Vernetzung entlang der Fliessgewässer aufrechterhalten werden. Ziel dabei ist es, Lebensräume in Ausbreitungsdistanz der Arten für die Besiedlung bereitzustellen. Falls Quellpopulationen in einem Gebiet fehlen, muss die Ausbreitung aus entfernten Populationen unterstützt werden. Und um die Vernetzung der Fliessgewässer und Flussauen und damit die Lebensräume gefährdeter Arten nicht weiter zu reduzieren, sind zudem wirtschaftliche Aktivitäten wie Kiesabbau so zu gestalten, dass nur so viel Geschiebe entnommen wird, wie aus Hochwasserschutzgründen erforderlich ist.

Managementempfehlungen

Die Förderung der Verhüllenden Korallenflechte und ihres Flusslebensraumes erfordern einen interdisziplinären Ansatz, der die verschiedenen Nutzungsinteressen miteinbezieht. Folgende Massnahmen sind dabei zu berücksichtigen:

  • bestehende, alte Kiesbänke mit Populationen der Verhüllenden Korallenflechte regelmässig entbuschen
  • Besucherströme saisonal in weniger empfindliche Gebiete lenken
  • befahrbare Wege in Gebieten mit grossen Populationen der gefährdeten Arten absperren, Fahrzeugkontingentierung im Einzugsgebiet
  • Sensibilisierung der Bevölkerung sowie Touristen und Touristinnen mittels Informationsbroschüren und -tafeln über Flussauengebiete als wichtige Lebensräume und die darin vorkommenden geschützten oder gefährdeten Arten
  • Einsatz von Rangern zur Durchsetzung der Verhaltensregeln in den betreffenden Gebieten
  • Monitoring der Artbestände und entsprechendes Reagieren mit Massnahmen, falls ein Populationsrückgang beobachtet wird
  • wasserbauliche Massnahmen beispielsweise zwecks seitlicher Stabilisierung und Hochwasserschutz in Abstimmung auf die Erhaltung und Förderung von vielfältigen Kiesbänken in Lebensräumen von Flussauen
  • Geschiebedefizit der Fliessgewässer ausgleichen und die Neubildung von Kiesbänken ermöglichen
  • ausreichend Flussauenfläche für die Geschiebeumlagerung und gleichzeitig den Erhalt von älteren Kiesbänken gewährleisten
  • punktueller Einsatz von Schutzverbauungen (z.B. kleine, seitliche Dämme wie Buhen) bei sehr kleinen Restbeständen von Arten auf Kiesbänken ohne Aussicht auf Neubesiedlung (Erhaltungsmassnahme)
  • Längs- und Breitenvernetzung (Wasser-Umland) der Gewässer fördern und die natürliche Dynamik erhalten oder wiederherstellen
  • Schaffung neuer, vegetationsarmer Kies-, Schotter- und Sandflächen, welche der Ausbreitung der Verhüllenden Korallenflechte und anderer Auenarten entlang eines Fliessgewässers dienen können

Eine vertiefte Kooperation zwischen Wasserbau sowie Natur- und Artenschutz kann somit zu einer nachhaltigeren Nutzung und gleichzeitig zu einem besseren ökologischen Zustand von Flussauen beitragen. Dadurch werden der Lebensraum und die darin ansässigen Arten auch widerstandsfähiger gegenüber zukünftigen Veränderungen wie klimawandelbedingt höheren Wassertemperaturen oder häufigeren Trockenperioden.

Literatur

Literaturverweise finden sich im Originalartikel (PDF).

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