Ablauf und Entwicklungsziele für kleine Fließgewässer

Mit dem Inkrafttreten der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (RL 2000/60/EG kurz: WRRL) wurde ein Ordnungsrahmen für eine einheitliche Wasserpolitik in Europa geschaffen. Das Bestreben ist es, europaweit die Qualität aller Gewässer zu verbessern und eine Verschlechterung zu ver­hindern. Der "gute Zustand" ist dabei das konkrete Umweltziel der WRRL. Die seit Jahren in Baden-Württemberg betriebene naturnahe Gewässer­ent­wicklung hat ebenfalls die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der ökologischen Funktionen der Gewässer im Visier. Sowohl der Wasser­haushalt als auch die Gewässerstruktur sollen innerhalb bestimmter Rahmen­bedingungen einen möglichst naturnahen Zustand aufweisen.

Die Zielsetzungen entsprechen sich weitgehend, allerdings unterscheiden sich die Betrachtungsräume und der Umfang der Bearbeitungsschritte. Die Bewertung bezieht sich auf den Lebensraum "Gewässer", dessen guter ökologischer Zustand bzw. seine naturnahe Ausprägung anhand der im Gewässer lebenden Pflanzen und Tieren eingestuft wird.

Bestandsaufnahme

Regionale Zuordnung

Bei der WRRL bezieht sich der Betrachtungsraum, für den ein Bewirt­schaftungsplan erstellt werden muss, auf das gesamte Einzugsge­biet eines Gewässers von der Quelle bis zur Mündung. Baden-Württem­berg hat Anteil an den Flussgebieten Rhein und Donau. Zum besseren "handling" wurden diese Flussgebiete weiter in (inter)nationale Bearbei­tungs­gebiete unterteilt. Dabei hat Baden-Württemberg Anteil an den Bear­beitungsgebieten Alpenrhein/Bodensee, Hochrhein, Oberrhein, Neckar, Main und Donau.

Im Rahmen der Gewässerentwicklung wird vorzugsweise ebenfalls das gesamte Einzugsgebiet betrachtet. Allerdings handelt es sich dabei um "kleinere" Fließgewässer, die in der Unterhaltungspflicht der Städte und Gemeinden liegen (Gewässer II. Ordnung). Es wird angestrebt, durch eine gemeinsame Vorgehensweise mehrerer Gemeinden einen "über­greifenden" Gewässerentwicklungsplan zu erstellen, der umfassend die Defizite am Gewässer kenntlich macht und die notwendigen Maßnahmen darstellt. Der regionale Bezug steht beim Gewässerentwicklungsplan im Vor­dergrund. Vorrangig wurden bisher die offenen Landschaftsteile beplant, während urbane Bereiche nur teilweise und bewaldete Gebiete nicht betrachtet wurden.

Abb. 1: Anteile Baden-Württembergs an den Flussgebietseinheiten Rhein und Donau. (Grafik: UVM BW 2004)

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Erfassung der Merkmale und Belastungen

Am Beginn jeder Planung und Maßnahme steht die Erfassung des Ist-Zustands.

Sowohl bei der Gewässerentwicklung als auch bei der Umsetzung der WRRL ist die Kenntnis der hydrogeologischen Merkmale die Grundlage der weiteren Arbeiten, da die Eigenschaften der Fließgewässer durch die abiotischen Faktoren geprägt sind.

Neben der Analyse der natürlichen Merkmale spielt vor allem die Ermittlung der anthropogenen Belastung eine wesentliche Rolle.

Nach WRRL werden alle Belastungen der Oberflächengewässer wie z.B. signifikante punktuelle und diffuse Stoffeinträge, Wasserentnahmen, Abfluss­regulierungen und morphologische Veränderungen einzugs­gebiets­bezogen erfasst, um so abschätzen zu können, ob der gute Zustand erreicht werden kann oder nicht. Dieser fachlich integrative Ansatz ist sehr aufwändig, gewährleistet aber durch seine einheitliche Systematik eine Vergleichbarkeit der Gewässer in Europa.

Auf der Grundlage der "vorläufigen Beurteilung" ergeben sich zu einem späteren Zeitpunkt die Monitoring- und daraus die Maßnahmen­pro­gramme, die den guten Zustand (wieder)herstellen sollen.

Bei der Gewässerentwicklungsplanung werden ebenfalls die im Einzugsgebiet herrschenden Verhältnisse erfasst. Wird der naturnahe Zustand festgestellt, sind diese Gewässerabschnitte zu erhalten, sind jedoch Defizite z.B. in der Gewässerstruktur vorhanden, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den naturnahen Zustand zu entwickeln und wiederherzustellen.

Bewertung

Die Gesamtbewertung der WRRL besteht aus zwei Säulen, nämlich aus der Erfassung des ökologischen Zustands und des chemischen Zustands. Der chemische Zustand wird in zwei Klassen eingestuft, je nachdem ob der festgelegte Grenzwerts eines Stoffes unter- bzw. überschritten wurde. Der ökologische Zustand wird in fünf Klassen eingeteilt wobei der "gute" Zustand der Zielzustand ist, der nur gering vom sehr guten Zustand (= Referenzzustand) abweicht.

Die Bewertung des ökologischen Zustands nach WRRL erfolgt bei Ober­flächen­gewässern gewässertypspezifisch anhand einer breiteren Betrach­tung der Biozönose des Gewässers. Damit ist eine Differ­en­zierung (nach Typen) möglich. Die ökologische Bewertung bezieht sich auf die Arten­zusammensetzung folgender Organismengruppen: Fische, Makro­zoo­benthos, Wasserpflanzen, Algen. Erst die Abweichung vom jeweiligen für den Gewässertyp festgelegten Artenbestand für den guten Zustand macht eine Verbesserung des Gewässerzustands durch Maß­nahmen notwendig.

Bisher erfolgt die Gewässerbewertung für alle Gewässer einheitlich nach dem Saprobiensystem, das sich auf das Vorkommen bestimmter Makro­zoo­benthen im Gewässer bezieht.

Da vor allem hydromorphologische Qualitätskomponenten wie Beschaff­en­heit der Sohle, ökologische Durchgängigkeit, Möglichkeit einer regel­mäßigen Überflutung den Lebensraum der Organismen beeinflussen, sind diese Parameter besonders bewertungsrelevant.

Die ökologische Zustandsbewertung schließt neben den hydro­morpho­logischen Qualitätskomponenten auch chemisch-physikalische Kompo­nenten ein, diese "wirken" ebenfalls auf die Biozönose, die für die Bewer­tung herangezogen wird.

Maßnahmen

Die Bestandsaufnahme Oberflächengewässer, das Monitoringprogramm und seine Ergebnisse sowie alle zu ergreifenden Maßnahmen werden im Bewirtschaftungsplan dargestellt. Der Bewirtschaftungsplan für die Flussgebietseinheit ist das Handlungskonzept, das in Zusammenarbeit mit allen (inter)national zuständigen Stellen nach Vorgaben der WRRL entsteht, und nach dessen Grundsätzen (langfristig) weiter zu verfahren ist, um europaweit den guten Zustand aller Gewässer zu erreichen.

Die Maßnahmen im Gewässerentwicklungsplan resultieren ebenfalls aus einer systematischen Vorgehensweise. Aus dem festgestellten Defizit zwischen Ist-Zustand und Entwicklungsziel, das die „innerhalb der gesell­schaftlichen Rahmenbedingungen machbare“ Variante des Leit­bilds/Refe­renz­zustands darstellt, leitet sich das generelle Vorgehen erhalten – entwickeln – umgestalten ab. Die Maßnahmen betreffen bei der natur­nahen Gewässerentwicklung vorrangig die Gewässerstruktur und das Abfluss­geschehen.

Entwicklungsziele und Maßnahmen

Im wesentlichen sind es morphologische Bedingungen, die für den ökolo­gischen Zustand Ausschlag gebend sind, wenn alle sonstigen chemischen und stofflichen Vorgaben erfüllt sind.

Sowohl bei der Umsetzung der WRRL als auch bei der Gewässer­ent­wicklung ist es die Verbesserung der Gewässerstruktur, die zu einem guten Gewässerzustand führt und damit den Lebensraum Gewässer in seiner Vielfalt wiederherstellt.

Neben der Linienführung und Laufentwicklung des Gewässers, die Raum für ihre Dynamik benötigt, ist vor allem das Sohlsubstrat und seine Vielfalt als Lebensraum für die am Gewässerboden lebenden Organismen (Makrozoobenthos) von Bedeutung. Ein abwechslungsreich gestaltetes Ufer mit Schatten spendenden Bäumen und Wurzelwerk zur Verhinderung von Ufererosion und als Unterschlupf für Fische sollte den intakten Lebens­raum ergänzen.

Um alle notwendigen Lebensräume im Gewässer während verschiedener Entwicklungsstadien erreichen zu können ist die ökologische Durch­gängig­keit von grundlegender Bedeutung. Fische durchlaufen während ihres Wachstums verschiedene Phasen, die mit unterschiedlichen Bedürf­nissen an ihren Lebensraum verknüpft sind. Deshalb ist es wichtig, hierfür die Bedingungen wiederherzustellen.

Im Pilotprojekt "Gewässerentwicklung im Wald" wurden bei den Gewässern im Wald die Grundsätze der Gewässerentwicklung ange­wen­det und bei der Analyse folgender Bedarf erkannt:

  • mehr Raum für die Gewässer
  • Verbesserung der Struktur, vor allem der ökologischen Durch­gängigkeit
  • Uferbewuchs aus standortgerechten natürlichen Pflanzen­gesell­schaften.

Die in den Pilotgebieten erprobten Verfahren zur Bewertung der Gewäs­ser und die daraus abgeleiteten Ziele für eine Verbesserung der Gewäs­ser im Wald müssen jetzt konsequent weiterverfolgt und in die Praxis übertragen werden. Dabei sollten vorhandene Instrumente wie Forst­planung und Forstbetrieb genutzt werden. Allerdings müssen zuerst diese neuen Grundsätze von den Verantwortlichen erkannt und begrüßt werden, bevor eine aktive Arbeit entstehen kann.

Zusammenfassung und Ausblick

Die grundlegenden Arbeiten für eine erfolgreiche Biotopanreicherung im Wald wurden durch die pilothafte Erfassung des Zustands verschiedener Fließgewässer im Wald durchgeführt. Die Vorgehensweise entspricht in den Grundzügen der in Baden-Württemberg bereits landesweit einge­führten Gewässerentwicklungsplanung. Für die Bestandsaufnahme wur­den die gängigen Verfahren der Strukturerfassung für die Gewässer im Wald modifiziert, da bereits zu Beginn das Problemfeld "Durch­gängigkeit" bekannt war. Im Vorgriff auf die Forderungen der WRRL an die Bewer­tungs­verfahren wurden die Fischbestände in verschiedenen Gewässer­abschnitten erfasst und daraus die Qualität der Lebensräume abgeleitet.

Bereits seit Jahren sind im Wassergesetz Baden-Württembergs Vorschriften enthalten, die über die reine Erhaltung der Abflussleistung eines Gewässers hinaus auch ökologische Schutz- und Zielvorgaben in die Gewässerunterhaltung einschließen. Sie reichen von der Erhaltung und Wiederherstellung eines standortgerechten Tier- und Pflanzen­be­stands über die naturnahe Gestaltung und Bewirtschaftung des Ge­wäs­ser­betts und seiner Ufer, einschließlich Randstreifen, bis hin zu gestal­terischen Maßnahmen, die den Menschen mit einbeziehen.

Mit der Novellierung des baden-württembergischen Wassergesetzes (Änderung wasserwirtschaftlicher Vorschriften vom 22.12.2003) wurde kein Neuland betreten, sondern es erfolgt durch die WRRL lediglich ein weiterer Vorstoß in die ökologische Richtung, die jetzt konsequent in Europa umgesetzt werden muss.

Bei der Gewässerentwicklung wie auch bei der Umsetzung der WRRL bedarf es aller Kräfte, um die anspruchsvollen Ziele zeitnah zu erreichen. Auch die Mitarbeit der Forstverwaltung ist von großer Bedeutung. Mit dem Projekt "Gewässerentwicklung im Wald" wurden die Vorraussetzungen für die naturnahe Entwicklung der Gewässer im Wald geschaffen, jetzt muss die konkrete Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen erfolgen!

Hinweis

Dieser Beitrag ist Teil des Ratgebers "Handbuch Wald & Wasser".
Dort finden Sie eine Vielzahl weiterer Beiträge zum Thema "Wald & Wasser".