Wegen der geringeren ökologischen Defizite bieten Fließgewässer im Wald, verglichen mit Fließgewässern in der freien Landschaft und Stadt, viel günstigere Voraussetzungen, den von der EU-WRRL verlangten "guten Zustand" tatsächlich zu erreichen. Um dieses Potenzial besser auszuschöpfen, wurde ein vereinfachtes Verfahren zur Erfassung von Gewässerbeeinträchtigungen entwickelt und an Waldbächen in Baden-Württemberg erprobt.

Das Aufnahmeverfahren besteht aus zwei Teilen:

  • Teil 1 zur Erfassung von natürlichen und künstlichen Strukturen am Gewässer und im Gewässerumfeld
  • Teil 2 zur Erfassung der Naturnähe von Waldbeständen im Gewässerumfeld und von Referenz(wald)flächen (WBK-Biotope)

Erfassung von Gewässer- und Umfeldstrukturen (Teil 1)

Ziel des Verfahrens EstruKa-FVA ist es, natürliche und künstliche Gewässerstrukturen und künstliche Umfeldstrukturen, die sich potenziell schädlich auf ein Fließgewässer auswirken, kartografisch zu dokumentieren und zu bewerten (vgl. Tab. 1). Die Erhebung natürlicher Gewässerstrukturen wie Kaskaden, Querbänke oder Wasserfälle, dienen als Entscheidungshilfe bei späteren Planungen. Es kann geprüft werden, ob es sinnvoll ist ein künstliches Bauwerk durchgängig zu gestalten, wenn unterhalb durch eine natürliche Struktur die Ausbreitung von Organismen ohnehin verhindert wird. Im Gelände werden die Strukturen in Arbeitskarten eingetragen und zu jeder Struktur Angaben zum baulichen Zustand und zur Priorität von Maßnahmen erhoben. Beim Zustand gibt es drei Klassen, mit Angaben zur Funktionstüchtigkeit eines Bauwerks. Die Priorität wird nach fünf Klassen eingestuft und gibt an, wie dringlich Maßnahmen am betreffenden Objekt sind, um an einem Fließgewässer den ökologischen Zustand zu verbessern.

PDF-Dateien als Download: Den Aufnahme­bogen zeigt Anlage 1 (36KB), Beschrei­bungen bzw. Definitionen der Gewässer- und Umfeldstrukturen enthält Anlage 2 (201KB) und Hin­weise zur Durchführung der Kartierung Anlage 3 (143KB).

Erfassung der Naturnähe von Waldbeständen in der Aue bzw. im Gewässerumfeld und von Referenzflächen (Teil 2)

In Sohlentälern werden alle Waldbestände innerhalb der Talaue erfasst (vgl. Abb. 1). Wo keine Talsohle entwickelt ist (Kerbtal) bezieht sich die Aufnahme auf das sog. Gewässerumfeld. Das Gewässerumfeld ist ein Streifen von 25 m Tiefe links und rechts des Gewässerlaufs. Eine Tiefe von 25 m wurde gewählt, weil dies in etwa der durchschnittlichen Höhe eines ausgewachsenen Baumes entspricht. Stürzt ein solcher Baum um, kann ein Teil des Stammes oder der Krone an oder in das Gewässer gelangen. Bäume bis zu dieser Entfernung vom Ufer zählen damit noch zu den Elementen im Gewässerumfeld, die Einfluss auf die Gewässerstruktur haben können.

Teil 2 des Verfahrens wurde bewusst von der einfacher zu handhabenden Erfassung der Gewässerstrukturen und Umfeldstrukturen abgetrennt. Für die Erfassung der Naturnähe von Waldbeständen im Gewässerumfeld muss der Bearbeiter zum einen über Kenntnisse der potenziellen natürlichen Vegetation (pnV) in Abhängigkeit von kleinräumigen standörtlichen Wechseln verfügen. Zum anderen geschieht die Erfassung der Wälder besser in einem eigenen Geländebegang. Die Bewertung weist drei Naturnähestufen aus. Für die Einstufung maßgebend ist der prozentuale Anteil den die Baumarten der pnV an der Kronenschicht eines Bestands haben. Ist in einem Bestand der Anteil der gebietsfremden Nadelbaumarten besonders hoch, werden diese als naturferner Nadelholzbestand gesondert ausgewiesen, da Hinweise auf schädliche Auswir­kungen von Nadelwäldern auf die Gewässerfauna vorliegen. Angaben zur pnV können einer Übersicht der potenziellen natürlichen Vegetation in Baden-Würt­temberg (LUBW 2013) entnom­men werden. Unter "Bestand" werden Waldbestände zusammengefasst, die nach der Baumartenzusammensetzung in der Kronenschicht eine Einheit bilden. Mit gebietsfremden Nadelbaumarten sind in erster Linie die Fichte (Picea abies) und die Douglasie (Pseudotsuga menziesii) gemeint sowie weitere nichtheimische Fichten- und Tannenarten.

Entlang eines Teils der Untersuchungsgewässer kommen durch die Waldbiotopkartierung (WBK) erfasste, dem Biotopschutz nach § 33 NatSchG bzw. § 30a LWaldG unterstehende, seltene naturnahe Feucht- und Auewaldgesellschaften vor. Sie dienen als Referenzfläche oder Referenzwald (Scherzinger 1996), um Rückschlüsse auf die potenziell natürliche Vegetation im Gewässerumfeld zu ziehen. Da die WBK die seltenen und naturnahen Waldgesellschaften für Baden-Württemberg mit hoher Vollständigkeit erfasst hat, ergibt sich aus einer Zusammenstellung dieser Biotope ein guter Überblick über die aktuelle Verbreitung naturnaher Feucht- und Auewälder am zu untersuchenden Bach. WBK-Daten können über die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) in Karlsruhe oder die FVA in Freiburg bezogen werden.

Auswertung

Die Auswertung der Daten erfolgt tabellarisch z.B. mit MS Excel und durch Darstellung der Gewässer- und Umfeldstrukturen sowie der Wälder im Gewässerumfeld in digitalen Karten. Hinweise zur Darstellung in Karten enthält Anlage 3 (143KB).

Literaturhinweise

  • EU-WRRL = Wasserrahmenrichtlinie: Richtlinie 2000/60/EG des europäischen Parla­ments und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemein­schaft im Bereich der Wasserpolitik, Amts­blatt der Euro­pä­ischen Gemeinschaft L 327
  • FVA = Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg [Hrsg.] (2004): Fließ­gewässer im Wald – Beiträge und Untersuchungsergebnisse zu ökologischen Funkt­io­nen, zur Gewässerstruktur und Gewässerfauna von Waldbächen, 152 S., Freiburg
  • Graff, P. (2002): Gewässerentwicklungsplanung im Wald – dargestellt am Beispiel zweier Wald­bäche im Forstbezirk Villingen-Schwenningen, Diplomarbeit an der Fakultät für Forst- und Umwelt­wissenschaften, Albert-Ludwigs-Universität, Institut für Landespflege, 115 S., Anhang u. Kartenband, Freiburg
  • Landesanstalt für Boden, Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg - LUBW (Hrsg., 2013): Reidl, K., Suck, R., Bushart, M., Herter, W., Koltzenburg, M., Michiels, H.-G., Wolf, Th.: Potentielle Natürliche Vegetation von Baden-Württemberg. Naturschutz – Themen – Spektrum 100, Karlsruhe, 342 S. + 3 Karten
  • Schaber-Schoor, G. & Rinderspacher, H. (2006): Erfassung von Gewässerstrukturen an Wald­bächen (20 S., Druck in Vorbereitung)
  • Scherzinger, W. (1996): Naturschutz im Wald, 447 S., Stuttgart