Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel "Saproxylische Arten in der Schweiz". Es empfiehlt sich, zuerst jenen Beitrag zu lesen.

Alt- und Totholzarten, auch saproxylische Arten genannt, gehören zu den am meisten gefährdeten Organismen Mitteleuropas. Der Hauptgrund für die zunehmende Gefährdung ist die jahrhundertelange, zum Teil intensive Bewirtschaftung der meisten Wälder Mitteleuropas. Dies führte zu Wäldern, die arm an stehendem und liegendem Totholz sind.

Im schweizerischen Mittelland nehmen 160-jährige oder noch ältere Bestände nur noch 1 % der Waldfläche ein. In den Schweizer Alpengebieten bedecken solche Bestände jedoch beachtliche 20 % der Waldfläche. Alt- und Totholzspezialisten sind also im Mittelland besonders stark bedroht. Gleichzeitig zeigte eine Studie, dass Förderungspotenziale für saproxylische Arten im Mittelland sowie im Jura sehr gross sind. Alt- und Totholzarten sind dort noch inselartig vorhanden, könnten aber durch geeignete Massnahmen durchaus wieder häufiger werden.

Abbildung 2 zeigt, dass die Artenzahl schon mit einer geringen Zunahme der Totholzmenge rasch ansteigen kann, wenn die verbleibenden Restvolumen niedrig sind. Förderungsmassnahmen wirken sich also besonders auch in Regionen mit sehr geringen Totholzvolumen positiv aus.

A) Direkte Massnahmen

  • Alt- und Totholzanreicherung durch "weniger machen"
    Natürlich entstandenes Totholz (z. B. aus Windwurf, Insektenbefall usw.) nicht entfernen
  • Waldreservate ausscheiden
    Waldreservat-Konzepte liegen bereits in fast allen Kantonen vor. Die Einrichtung der Reservate schreitet voran, und ihre Fläche lag 2006 bei 2,5 Prozent der Schweizer Waldfläche (314 km2). Die Waldpolitik hat sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2030 auf zehn Prozent der Waldfläche Reservate (Sonder- und Totalwaldreservate) einzurichten.

    Diese Massnahme ist bestens geeignet für die Erhöhung der Alt- und Totholzanteile im Schweizer Wald. Allerdings ist sie alleine keineswegs ausreichend. Die Reservate decken nur eine geringe Fläche des Schweizer Waldes und liegen oft viel zu weit auseinander, um Migrationen und den Austausch von Arten zu ermöglichen.
  • Altholzinseln schaffen
    Schwieriger als eine genügende Totholzmenge zu erreichen, ist es, ausreichende Anteile von Altholz sicherzustellen. Denn dies ist ein viel längerer Prozess, da es Jahrzehnte dauern kann, bis ein Baum Altersmerkmale aufweist. In Mitteleuropa werden Altholzinseln folgendermassen definiert:

    Altholzinseln sind in der Regel ein bis fünf Hektar grosse, reife Altholzbestände heimischer Baumarten, die temporär, d.h. bis zum Zeitpunkt ihres natürlichen Zerfalls, nutzungsfrei bleiben.
  • Biotopbäume (Biotopholz, Habitatbäume) erhalten
    Ein "Biotopbaum" ist ein Baum, der aufgrund seiner Beschaffenheit für die (tot-)holzbewohnenden Lebewesen geeignete ökologische Nischen zur Verfügung stellt. Biotopbäume umfassen:
    • Bäume mit grösseren Stammverletzungen, Blitzrinnen, Rissen, Spalten, aufgesplitterten Stämmen
    • Bäume mit Kronenbruch, Zwieselabbruch, Ersatzkrone, viel Kronentotholz
    • Bäume mit Stammfäule, Pilzbefall (z. B. Buchen mit Zunderschwamm)
    • Bäume mit Natur- und Spechthöhlen ("Höhlenbäume"), ausgehöhlten Stämmen, mit Mulmhöhlen, Rindentaschen
    • Bäume mit Krebsbildungen, Schürfstellen, Wurzelteller
    • Bäume mit Horsten baumbrütender Vogelarten ("Horstbäume")
    • Uralte Bäume (sogenannte "Methusalems")
    • Totholz (stehend und liegend)
  • Vernetzung
    Unter Berücksichtigung der geringen Mobilität vieler gefährdeter, von Alt- und Totholz abhängiger Arten ist ein System von Waldschutzgebieten (Reservate, Altholzinseln usw.) allein nicht ausreichend. Eine zu starke Verinselung der Reliktpopulationen würde die Reservatsmassnahmen wirkungslos machen. Um den Erhalt aller Arten zu sichern, sollten die Alt- und Totholzstrukturen möglichst flächendeckend vorkommen.
  • Technische Eingriffe
    Das künstliche Herstellen von Totholz und Biotopbäumen mittels technischer Eingriffe, die lebende Bäume zum vorzeitigen Absterben bringen (z.B. Ringeln) oder typische Merkmale von Altholz schaffen (Schlitze, Höhlen).

B) Verbesserung der Rahmenbedingungen

Nebst den direkten, im Wald auszuführenden Massnahmen gibt es auch eine ganze Reihe von Vorkehrungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen, die indirekt zur Förderung von Alt- und Totholzspezialisten beitragen. Folgende Bereiche können die Akzeptanz von Totholz beeinflussen:

  • Aus- und Weiterbildung von Waldverantwortlichen: den Themen Alt- und Totholz vermehrte Aufmerksamkeit schenken
  • Information der Bevölkerung: Informationsdefizite beheben
  • Sicherheit und Haftbarkeit bei Unfällen: Ausmerzen des Widerspruchs zwischen der Rechtslage (in gewissen Fällen Haftbarkeit des Forstdienstes oder des Waldeigentümers bei Unfällen) und der staatlichen Forderung nach mehr Alt- und Totholz (vom Bund subventioniert)
  • Monitoring (Erfolgskontrolle)

C) Zielkonflikte und mögliche Lösungsansätze

Die multifunktionale Waldbewirtschaftung muss definitionsgemäss vielen Zielen gerecht werden, um die Erfüllung aller ökologischen, ökonomischen und sozialen Funktionen zu gewährleisten. Gewisse Zielkonflikte und Bedenken sind zuweilen der Grund, warum eine Anreicherung von Alt- und Totholz in manchen Situationen unerwünscht ist. Tabelle 1 gibt einen Überblick über mögliche Bedenken sowie Lösungsansätze zur Bewältigung von Konfliktsituationen.

Tab. 1 - Zielkonflikte und Bedenken, die einer Anhäufung von Alt- und Totholz gegenüberstehen, sowie mögliche Lösungsansätze zur Bewältigung von Konfliktsituationen.
Zielkonflikt, BedenkenMögliche Lösungen
Phytosanitäre Risiken,
Angst vor Borkenkäfern
  • Aufklärung: >1-jähriges Totholz meist zu trocken für den Borkenkäfer!
  • Bei grossen Windwürfen Empfehlungen von Waldschutz Schweiz befolgen
  • Effiziente präventive Massnahme zur Belassung des Baumes im Bestand als liegendes Totholz: Baum nicht entrinden, mit Motorsäge Schnitte in Stamm sägen => schnelle Austrockung
Gefährdung durch
herabfallendes Totholz
  • Arbeitssicherheit: Alt- und Totholz in Gruppen statt einzeln; klare Arbeitsanweisungen und besondere Umsicht
  • Entlang von Verkehrsachsen und vielbegangenen Wegen, bei Park- und Picknickplätzen Dürrständer fällen und liegen lassen
  • Massnahmen zur Besucherlenkung im Waldesinnern und in Naturwaldreservaten
  • Sensibilisierung: Alt- und Totholz gehört zum Wald => Eigenverantwortung der Waldbesucher fördern
  • Didaktische Hinweise bei Feuerstellen und Picknickplätzen: auf die Gefahren aufmerksam machen und ökologische Rolle von Alt- und Totholz erklären
Brandgefahr
  • Risikogebiete: Laubwaldgürtel Alpensüdseite, Zentralalpen und ausgesprochene Föhntäler in südwest- bis südostexponierten Lagen in der Nähe von potentiellen Zündquellen (menschliche Aktivitäten)
  • Liegendes Totholz nur entfernen, wenn:
  • - Helikopterentfernung zum nächsten Wasserreservoir mehr als 5 – 8 Flugminuten
  • - Keine Leitungen/Rohre an Ort
  • - Entfernung von Strassen und Wegen grösser als 200 m
  • - Feuer in den letzten 30 Jahren aufgetreten
  • - Information der Bevölkerung schlecht
  • - Entasten des Holzes, so dass es auf dem Boden aufliegt, nicht möglich ist
Rutschgefahr
  • Risikofaktoren: grosse Hangneigung und Schneewirkung, stark aufgearbeitetes Holz (Entastung, Entrindung)
  • In Lawinenzügen liegendes Totholz entfernen, falls grosses Schadenpotential
  • Positive Wirkung des Totholzes (Strünke, Wurzelteller usw.) ausnützen zur Erhöhung der Oberflächenrauhigkeit => Verhindern von Schneebewegungen, Steinschlagschutz
Verklausung, Überschwemmungsgefahr
  • Positive Wirkung des Totholzes (Stämme grösser als Flussbett) ausnützen. Liegendes Totholz im Einflussbereich des Hochwasserprofils entfernen, falls es mitgerissen werden kann und Schäden verursachen würde.
Holzernteverlust
  • Geringwertige Bestandesteile oder Baumgruppen auswählen
  • Qualitativ schlechte Bäume als Totholzanwärter auswählen: mit Kronen- oder Astbrüchen, Astwunden, Frostrissen, Blitz- oder Fällungsschäden, Drehwuchs, Zwiesel usw.
  • Aufwand für Holzernte verringern durch Belassen von Totholz in Schutzwäldern
Erschwerung von
Folgeeingriffen
  • Naturverjüngung statt Pflanzungen
  • Altholz in Gruppen ohne Nutzung bis zum Zerfall
  • Positive Auswirkungen ausnützen (höhere Humusvorräte und bessere Standorteigenschaften nach Totholzzersetzung)
Unordnung,
Verschwendung
  • Sensibilisierung: Alt- und Totholz gehört zum Wald. Wald hat nebst der ökonomischen Funktion auch ökologische und soziale Funktionen sowie Schutzfunktionen