Wenn die Wertschöpfungskette Holz gestärkt wird, könnte ein wichtiges Ziel der Schweizer Politik in Griffweite rücken: der Wandel einer auf Erdöl setzenden Wirtschaft zu einer nachhaltigen Ökonomie, die auf erneuerbaren Rohstoffen beruht. Der Schlüssel dazu heisst vielleicht MFC - mikrofibrillierte Cellulose.
MFC – aus Holz gewonnen
Ein Kunstwerk aus dem Picasso-Museum in Paris von 1955 - "Corrida" – kann dank MFC auch zukünftig noch in unbeschadetem Zustand ausgestellt werden, denn ein Restaurator konnte die Schäden mit MFC so stabilisieren, dass sie mit blossem Auge nicht mehr zu erkennen sind. Seine vielfältigen Erfahrungen zeigen, dass sich sogar Schäden in feinstem Papier mit Hintergrundbeleuchtung oder in brüchig gewordenen Kinofilmen dank einer hauchdünnen MFC-Schicht nahezu vollständig beheben lassen.
Was genau ist dieses Wundermittel, wo kommt es her und für welche Anwendungen kann es noch eingesetzt werden?
MFC besteht aus Zellstoff, dessen grob zerkleinerte Faserbündel unter hohen Scherkräften ohne Zugabe jeglicher Zusatzstoffe voneinander getrennt werden. Dadurch entsteht eine Substanz aus Wasser und Cellulosefasern, die durch ihre vielseitigen Eigenschaften und die entsprechend mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten besticht. Hergestellt wird MFC von der Schweizer Firma Weidmann Fiber Technology in Rapperswil (SG). Sie entwickelten den neuen Stoff als Alternative zu Polyesterharz.
Im Ausgangszustand handelt es sich um eine Art Gel. Je nach Trocknungsprozess lassen sich dann daraus leichte, schwammartige Materialien, harte Formen oder dünne Folien herstellen. Ein Gramm MFC ist sehr ergiebig und besitzt eine Oberfläche von einem Volleyballfeld. Ausserdem ist das Material frei von Chemikalien und belastet die Umwelt in keiner Weise.
Aufgrund ihres Aufbaus kann die mikrioibrillierte Cellulose auch als wirkungsvoller Klebstoff eingesetzt werden. In der Lebensmittelindustrie wird MFC auch als Verdickungs- und Bindemittel in Saucen, Scheibenkäse oder Pasta verwendet. Ausserdem ist MFC auch für Verpackungen aller Art geeignet. So lassen sich z.B. sauerstoff- und fettundurchlässige Folien herstellen, die Dreikomponentenbecher für Joghurt lassen sich durch MFC-Becher ersetzen oder es können kompostierbare Kaffeekapseln hergestellt werden. Auch in der Kosmetikindustrie eignet sich das Material zum Eindicken von Salben und kann erdölbasierte Produkte ersetzen. MFC schmiert nicht auf der Haut und zieht gut ein. Zudem verursacht das Gel keine Umweltprobleme, wenn es beim Waschen ins Abwasser gerät.
Siebenmal mehr Wertschöpfung
Cellulose ist bei Weitem nicht das einzige Material, welches sich aus Holz gewinnen lässt. Aus Lignin – neben Cellulose der Hauptinhaltsstoff von Holz – kann man u.a. Vanillin herstellen und der in Cellulose enthaltene Mehrfachzucker kann als Ausgangsmaterial für kalorienarme und zahnschonende Süssungsmittel. Viele Terpene aus dem Harz von Nadelbäumen sind medizinisch von Bedeutung, während phenolische Verbindungen wie z. B. Gerbstoffe oder Flavonoide beispielsweise zur Abwehr von Mikroorganismen eingesetzt werden können. Verschiedene Baumarten produzieren in ihrem Holz auch noch Wachse und Fette.
Im Rahmen seines Aktionsplans Holz 2030 unterstützt das BAFU u.a. auch angewandte Forschungsprojekte, die auf eine umfassende Nutzung der wertvollen, erneuerbaren Ressource abziehen. Im Fokus der Förderperiode 2017 bis 2020 stand unter anderem die optimierte Kaskadennutzung. So wird die mehrfache Verwendung eines Rohstoffs über mehrere Stufen bezeichnet – meist mit abnehmender Wertschöpfung entlang der verschiedenen Verwendungsarten. Holz sollte demnach zuerst als Baumaterial oder zur Herstellung von Möbeln eingesetzt werden, im nächsten Schritt dann als Werkstoff wie z. B. Cellulose. Erst zum Schluss wird es als Brennstoff einer energetischen Nutzung zugeführt. Ökonomisch ist die Kaskadennutzung laut einer Studie von 2013 äusserst sinnvoll, denn die Schweizer Wald- und Holzbranche erwirtschaftet mit der stofflichen Verwertung im Vergleich zur energetischen knapp siebenmal mehr Wertschöpfung und siebenmal mehr Arbeitsplätze.
Zum Funktionieren dieser Kaskade, braucht es eine lückenlose Wertschöpfungskette. Die Ressourcenpolitik Holz 2030 möchte vermehrt die gesamte Kette stärken. Dieser Fokus bringt es mit sich, dass eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren am gleichen Strick ziehen müssen. Ergänzt wird der eine Schwerpunkt "Wertschöpfung Schweizer Holz" mit einem zweiten, überschrieben mit "Klimagerechtes Bauen". Entsprechend ist die Trägerschaft der Ressourcenpolitik Holz 2030 gegenüber vorangegangenen Versionen stark angewachsen, und zwar von drei auf sieben Bundesämter aus drei Departementen.
An den Klimawandel denken
Wer mit Holz baut, trägt zu einer Reduktion des Treibhausgasausstosses bei. Zum einen ersetzt der klimaschonende Rohstoff energieintensive Materialien wie Stahl oder Beton, und zum anderen bleibt das im Holz gebundene Kohlendioxid über längere Zeit gespeichert. Die Ressourcenpolitik Holz 2030 des Bundes setzt mit dem Schwerpunkt "Klimagerechtes Bauen" auf die Qualitäten von Holz als leichten und vielfältigen Baustoff. Er bietet sich für modulare und flexible Konstruktionen an, die den Ansprüchen einer individualisierten Gesellschaft gerecht werden. Ausserdem eignet er sich aufgrund seines geringen Gewichtes, um bestehende Gebäude aufzustocken.
Die Ressourcenpolitik Holz 2030 trägt auch dem Umstand Rechnung, dass der Klimawandel die Artenzusammensetzung in unseren Wäldern verändert. Die Fichte als Lieferant von Gebrauchsholz gerät vielerorts unter Druck, während sich Laubbäume wie die Eiche stärker verbreiten. Es schein daher sinnvoll, Verwendungsmöglichkeiten für Laubholz zu finden.
Die Firma Weidmann untersuchte im Rahmen des Aktionsplans Holz 2030, ob sich MFC aus Buchenholz gewinnen lässt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich einheimische Buche hervorragend für die Produktion mikrofibrillierter Cellulose eignet und sie kann sogar einen Vorteil bei der Energiedifferenz ausspielen. Einziger Wermutstropfen, der die Freude an den Erkenntnissen aus der Machbarkeitsstudie trübt: In der Schweiz fehlt ein Unternehmen, dass Zellstoff herstellt und somit direkten Nutzen aus dem Pilotversuch ziehen könnte. Auch für die Herstellung ihrer Zellstoffplatten muss die Firma Weidmann den Rohstoff aus dem Ausland importieren, obschon im Schweizer Wald jedes Jahr weit mehr Holz nachwächst, als geerntet und nachgefragt wird.