In der Schweiz gab es bisher nur vereinzelte, regionale Kartierungen von Waldameisennestern. Eine Aussage zur schweizweiten Häufigkeit der Waldameisen oder gar zur zeitlichen Entwicklung ihrer Bestände war somit nicht möglich.

Um den aktuellen Gefährdungsstand und die Entwicklung dieser wichtigen Insekten besser beurteilen zu können, haben die Feld-Equipen im Rahmen des 2017 abgeschlossenen vierten Landesforstinventars (LFI4) erstmals die vorkommenden Ameisenhaufen erhoben und vermessen. Zudem wurden die Waldameisenarten bestimmt. Nach der Analyse von etwa 65% der rund 6600 je 500 m2 grossen Stichprobenflächen erlauben die ersten Auswertungen repräsentative und gesicherte Aussagen.

Häufigkeit der Ameisenhaufen

Die Auswertung des sechsjährigen Datensatzes des LFI4 zeigte, dass auf nur 5% der Stichprobeflächen Waldameisenhaufen vorkamen, insgesamt waren es 258 Ameisennester. Dies ergibt eine durchschnittliche Häufigkeit von 1,4 Haufen pro Hektare Wald. Laut Literaturangaben liegt die Häufigkeit von Ameisenhaufen in europäischen Wäldern meist unter fünf Nestern pro Hektare.

Allerdings fanden sich nach LFI4 in den Lagen oberhalb 900 m ü. M. doch 2,2 Haufen pro Hektare, was aber immer noch unter den Häufigkeiten in den beiden ebenfalls systematisch erhobenen Waldameisenvorkommen in Finnland (2,4 Haufen/ha) und im Tirol (2,9 Haufen/ha) liegt. In tieferen Lagen gab es lediglich 0,16 Haufen pro Hektare, es wurden hier nur 5% aller erhobenen Waldameisenhaufen gefunden.

Die verschiedenen Arten

Die Roten Waldameisen wurden 1966 als erste Insekten der Schweiz unter Schutz gestellt. Die Artengruppe "Rote Waldameise" (Formica rufa-Gruppe) umfasst in der Schweiz sechs verschiedene Formica-Arten, wovon fünf echte Waldbewohner sind. Alle diese Arten bauen Nesthügel.

  1. Grosse Rote Waldameise (Formica rufa)
  2. Kahlrückige oder Kleine Waldameise (Formica polyctena)
  3. "Gebirgswaldameise" (Formica lugubris)
  4. "Gebirgswaldameise" (Formica paralugubris)
  5. Schwachbeborstete Gebirgswaldameise (Formica aquilonia)
  6. Grosse Wiesenameise (Formica pratensis), vorwiegend in offenen Habitaten

Die schweizweit weitaus häufigsten Arten waren die beiden Gebirgswaldameisen Formica lugubris und F. paralugubris, die nur mit genetischen Analysen sicher voneinander unterschieden werden können. Formica lugubris baute nur etwa halb so grosse Nesthaufen wie F. paralugubris. Zwei weitere Arten (F. rufa und F. polyctena) wurden nur vereinzelt über die ganze Schweiz gefunden, und F. aquilonia, die in Finnland und im Tirol die häufigste Art ist, blieb in der Schweiz auf das Engadin beschränkt. Die Haufen der drei letztgenannten Arten waren im Vergleich zu einigen anderen Studien eher klein, allerdings hängt das Verhältnis zwischen dem Volumen des ober- und des unterirdischen Nestteils auch von der Bodenbeschaffenheit ab.

Welche Faktoren beeinflussen das Vorkommen?

Besonders interessiert natürlich, von welchen Faktoren die Präsenz/Absenz der Ameisenhaufen abhängt. Das Vorkommen von Ameisennestern wurde mit statistischen Verfahren in Zusammenhang mit folgenden Bestandes- und Standortfaktoren gebracht:

Bestandesbeschreibende FaktorenStandortfaktoren
  • Art und Dominanz der vorkommenden Gehölze
  • Vorrat
  • Kronenschluss
  • Vegetationshöhe
  • Totholzvolumen
  • Bestandesgrösse
  • Abstand zum nächsten Waldrand
  • jährliche Temperatur-, Niederschlags- und Einstrahlungsverhältnisse
  • Topografie (Höhe über dem Meeresspiegel, Hangexposition)

Hier zeigten die Analysen, dass die meisten Haufen an ostexponierten Hängen mit hoher Sonneneinstrahlung im Sommer lagen. An diesen Lagen wärmen sich die Nester in den frühen Morgenstunden schnell auf, und eine zu hohe Hitzeentwicklung am Mittag/Nachmittag wird vermieden. Die Ameisenhaufen waren bei höherem Bestandesdeckungsgrad im Allgemeinen grösser.

Wälder mit dichter Bodenvegetation wurden speziell von den beiden Gebirgswaldameisen bevorzugt, da sie an solchen Standorten wahrscheinlich besser gegen Vögel (z.B. Spechte) geschützt sind oder weil die Vegetation zusätzliche Nahrung in Form von Insekten oder Samen bietet. Ein häufigeres Vorkommen von Ameisenhaufen hing auch klar mit einem erhöhten Nadelholzanteil (speziell Fichte bei F. lugubris) zusammen. Dies erstaunt nicht, da Nadelbäume einerseits wichtige Baumaterialien wie Nadeln und Harz liefern und anderseits die für die Ernährung der Ameisen wichtigen Blattläuse in grosser Zahl beherbergen.

Die Ameisennester kamen eher in einzelnen lichten Baumgruppen vor als unter einer geschlossenen Kronendecke. Interessant ist auch, dass kein Zusammenhang bestand zwischen dem Vorkommen von Ameisenhaufen und der Baumartenvielfalt, der Fläche eines Waldbestandes oder dem Abstand zum nächsten Waldrand. Das heisst, dass auch kleine, fragmentierte Waldstücke für Ameisen geeignet sein können, mindestens solange sie nicht gestört werden.

Die erstmalige systematische Erhebung von Waldameisen in der Schweiz bildet die Grundlage, um die künftige Entwicklung beurteilen zu können. Auch im LFI5 (2018–2026) werden die Waldameisenhaufen aufgenommen, allerdings sind bei 9 Jahren Erhebungsintervall noch keine allzu grossen Änderungen zu erwarten. Aufschlussreicher werden die Inventuren der nächsten Jahrzehnte sein. Das spärliche Vorkommen von Waldameisen im Mittelland rechtfertigt jedoch bereits jetzt weitere Schutzmassnahmen.

Straff organisierte Gemeinschaften

Die Nesthügel bauenden Formica-Arten leben als straff organisierte Staatsgemeinschaften in den wohlbekannten, oft riesigen Ameisenhaufen. Ähnlich wie die Bienen haben Waldameisen ein hochentwickeltes Sozialverhalten mit verschiedenen Kasten, die klar definierte Aufgaben haben.

Im Zentrum jedes Volkes stehen je nach Ameisenart eine bis über tausend Königinnen. Nach ihrer Entwicklung und dem Hochzeitsflug wirft die begattete Königin ihre Flügel ab und verbleibt danach – falls sie Aufnahme in ein Ameisenvolk gefunden hat – zeitlebens im Nest. Dort wird sie von den Arbeiterinnen gefüttert und gepflegt. Ihre Hauptaufgabe ist die Produktion von Eiern – mehr als 30 Stück pro Tag. Aus den befruchteten Eiern entstehen weibliche, aus den unbefruchteten männliche Tiere. Es verblüfft, dass eine Königin bei ihrer Begattung so viel Sperma aufnimmt, dass dies für ihr ganzes Leben reicht. Und Königinnen können bis zu 20 Jahre alt werden, eine für Insekten extrem lange Lebensdauer!

Die zweite weibliche Kaste bilden die immer ungeflügelten Arbeiterinnen. Sie sind kleiner als die Königinnen und haben meist verkümmerte Geschlechtsorgane. Die jungen Arbeiterinnen übernehmen zuerst Aufgaben im Innendienst: Sie pflegen die Eier, bereiten die eingetragene Beute auf, füttern damit die Larven und lagern Larven und Puppen je nach Entwicklungsstand im Nest um. Sie kümmern sich zudem auch um den Unterhalt und die Temperaturregulierung des Nestes. Die älteren Arbeiterinnen wechseln vom Innen- in den Aussendienst, wo sie in erster Linie für die Nahrungsbeschaffung verantwortlich sind. Sie transportieren dann die Nahrung zusammen mit Materialien für den Nestbau zum Haufen.

Die Nahrung von Ameisen besteht zu rund einem Drittel aus tierischen Produkten (Insekten, Aas) und zu zwei Dritteln aus Honigtau, den Blattläuse in den Baumkronen ausscheiden. Dabei werden die Läuse von den Ameisen regelrecht gemolken. Im Gegenzug halten die Ameisen den Blattläusen die natürlichen Feinde vom Leibe.

Die dritte Kaste, die Männchen, sind grösser als die Arbeiterinnen und während ihres kurzen Lebens immer geflügelt. Sie haben lediglich die Aufgabe, die schwärmenden Königinnen nach dem Verlassen des Nestes zu begatten; kurz danach sterben sie. Den Winter verbringt das Waldameisenvolk als adulte Arbeiterinnen und Königinnen in Kältestarre in unterirdischen Nestkammern. In dieser Zeit leben die Ameisen ausschliesslich von den körpereigenen Fettreserven.

Bedeutung von Waldameisen

Ein Ameisennest besteht aus einem oberirdischen und einem mindestens ebenso grossen unterirdischen Teil. Die Bautätigkeit führt zu einer physikalischen, chemischen und biologischen Verbesserung des Bodens. Die Erde wird gelockert, mit organischer Substanz durchmischt und mit Nährstoffen angereichert. Verbesserte Bodenatmung und Bodenfruchtbarkeit führen zu einem gesteigerten Wachstum von Bäumen, Sträuchern und Pilzen in der Nähe, zu einer erhöhten Produktion von Früchten und Samen und zu deren erfolgreicheren Keimung. So ist die Verjüngung von Bäumen in der näheren Umgebung von Ameisenhaufen oft besonders gut.

Ameisen helfen auch beim Verbreiten der Samen von Kraut- und Holzpflanzen. Ausserdem dienen sie als Nahrung für Vögel, insbesondere Spechte, und für andere Wirbeltiere. Ameisenhaufen sind auch Lebensraum für zahlreiche andere wirbellose Tiere wie Käfer, Springschwänze, Hautflügler, Fliegen, Silberfischchen und Milben. In einem einzigen Liter Nestmaterial leben rund 200 solche Untermieter.

Auch wir Menschen profitieren indirekt von den Waldameisen. Da sie die Blattlauskolonien durch Betrillern mit den Fühlern zu stärkerer Honigtauproduktion anregen, können auch die Honigbienen mehr Honigtau eintragen und zu Honig verarbeiten. In der Schweiz werden so im Schnitt jährlich 2200 Tonnen Waldhonig gewonnen.

Die grösste Bedeutung haben Waldameisen aber als Jäger von anderen Insekten wie Fliegen- und Schmetterlingsraupen. Dadurch spielen sie eine bedeutende Rolle bei der Regulation von potenziellen Schädlingen. Die proteinreiche Insektennahrung wird vor allem für die Fütterung der Brut und der Königin verwendet. Der Jahresbedarf eines grossen Waldameisennestes mit einer Million Tieren liegt bei rund 30 kg Insekten; dies entspricht Millionen von Beutetieren.

Da die Volksgrösse eines Ameisenhaufens nicht mit der Häufigkeit bestimmter Beutetiere schwankt, können Waldameisen sehr schnell auf Massenvermehrungen von Insekten reagieren. Sind Schmetterlings- und Blattwespenraupen im Aktivitätsradius eines Ameisennestes von rund 100 m in grossen Mengen verfügbar, werden sie ausgiebig genutzt. Grosse Völker können in solchen Fällen täglich bis zu 100‘000 Schmetterlingsraupen eintragen!

In einem Eichenwald beispielsweise wurde während einer Massenvermehrung des Eichenwicklers (Tortrix viridana) geschätzt, dass ein mittelstarkes Ameisenvolk während der Raupenentwicklungszeit ein bis zwei Millionen Raupen eintrug, was zu einer deutlichen Reduktion der Frassschäden in der Nestumgebung führte. Auch aus Föhrenkulturen Deutschlands sind zahlreiche Beispiele bekannt, wo um Ameisenhaufen herum grüne Oasen in den sonst von Schmetterlings- und Blattwespenraupen kahl gefressenen Wäldern verblieben. In einer finnischen Untersuchung waren die Spannerraupen auf Birken, die vom Ameisenbesuch ausgeschlossen wurden, mehr als doppelt so häufig wie auf ameisenbesuchten Bäumen.

Die vielfältige Bedeutung der unscheinbaren Waldameisen sollte Grund genug sein, bei der wirtschaftlichen oder Freizeit- Nutzung des Waldes die Nesthaufen der emsigen (Emse=Ameise!) Ameisen nicht zu stören.

Die hier dargestellten Resultate basieren auf einem wissenschaftlichen Artikel.

Der Insektenforscher Beat Wermelinger stellt in seinem 2017 erschienenen Buch Insekten im Wald die Vielfalt, die Funktionen und die Bedeutung der Waldinsekten vor. Darin werden auch die Biologie und Bedeutung von Waldameisen ausführlich behandelt.

(TR)