Bisher gab es zum Wachstum und zur Wertleistung der Edelkastanie vor allem Erfahrungswerte aus Frankreich. Die Ergebnisse eines INTERREG-Projekts liefern nun auch für hiesige Wuchsverhältnisse gültige Grundlagen.

In mediterranen Ländern hat die Edelkastanie (Castanea sativa MILL.) eine große Bedeutung für die Forstwirtschaft und die historische Agroforstwirtschaft, zum Beispiel zur Holzversorgung sowie zur lokalen Ernährung der Bevölkerung. In Süddeutschland findet sie vor allem in den Wäldern entlang des Oberrheingrabens besondere Beachtung.

Zwar ist auch hier ihr Anteil insgesamt eher gering, in Weinbaugebieten hat die traditionelle Niederwaldbewirtschaftung der Edelkastanie jedoch eine ganz besondere Bedeutung. Im Stockausschlag zeigt die Edelkastanie eindrucksvoll ihr enormes Wuchspotenzial, ein außerordentlich rasches Jugendwachstum und eine hohe flächenbezogene Volumenleistung gerade auf nährstoffärmeren Standorten. Da zum Wachstum der Edelkastanie bisher vor allem Erfahrungen aus Frankreich zur Verfügung standen, wurden in einem INTERREG-Projekt auch für hiesige Verhältnisse gültige Grundlagen für die Wachstumssteuerung und Wertholzproduktion erarbeitet.

Messkampagne

Im INTERREG-Projekt zur Edelkastanie wurden zwischen 2010 und 2012 in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und im Elsass auf 42 temporären Messfeldern insgesamt 409 Edelkastanien einschließlich ihrer Nachbarschaftsverhältnisse erfasst. Die Aufnahmen decken Höhenlagen von 180 bis 520 m ü. NN ab. Die für die jeweiligen Wuchsbezirke regionaltypischen Jahresdurchschnittstemperaturen weisen eine Spanne von 8,4 bis 10,2°C auf, die Niederschlagssummen reichen von 702 bis 916 mm/Jahr. Zusätzlich einbezogen wurden Messdaten langfristig beobachteter Edelkastanien-Versuche der FVA Baden-Württemberg. Der überwiegende Teil der untersuchten Edelkastanien stammt aus Stockausschlägen (88 %). Bei allen Bäumen wurden die grundlegenden wachstumskundlichen Kennwerte erhoben und folgende Hauptergebnisse abgeleitet:

Höhenwachstum

Aus dem Datenmaterial wurde ein Bonitätsfächer (Gompertz-Funktion) mit einem Oberhöhenrahmen von 15 bis 33 m im Alter von 60 Jahren abgeleitet (Abb. 1). Der Verlauf des Höhenwachstums der Edelkastanie zeigt die für eine Pionierbaumart typischen Charakteristika. Die Jugendphase mit raschem Höhenwachstum endete früh: Der Höhenzuwachs kulminierte bereits im Alter von 9 Jahren mit 51 cm/Jahr bei der schlechtesten Bonität und 111 cm/Jahr bei der besten. Danach ging der Höhenzuwachs zurück und lag bereits ab einem Alter von 49 bis 56 Jahren (je nach Bonität) unter 5 cm/Jahr. Das Höhenwachstum zeigte damit bereits frühzeitig einen sehr flachen Verlauf. Dieser Verlauf des Höhenwachstums gibt wichtige Hinweise auf die Wachstumssteuerung und dies auch in Mischbeständen. Nur in jungem Alter (< 20 Jahre) bestehen gute Möglichkeiten zum Kronenausbau. Wird diese Jugendphase dafür nicht konsequent genutzt, bestehen in höherem Alter (> 30 Jahre) bei verspäteten Durchforstungen aufgrund des rasch nachlassenden Höhenwachstums nur noch begrenzte Möglichkeiten zur schnellen Entwicklung der Kronenbreite.

Natürliche Astreinigung

Auch das Hochrücken des Kronenansatzes verläuft gerade in der Jugend (< 20 Jahre) rasch. Aufgrund des extremen Höhenwachstums und der damit verbundenen intensiven Ausscheidungsprozesse tritt eine frühe natürliche Astreinigung ein. Dazu folgendes Beispiel: Wird bei einer Bonität von 27 m innerhalb von 60 Jahren ein Zieldurchmesser von 60 cm angestrebt, kann die angestrebte Länge des grünastfreien Schaftes (Ziel 25 bis 33 % der erwarteten Endhöhe; d.h. ca. 7 m) im Mittel bereits im Alter von ca. 10 bis 15 (20) Jahren erreicht werden. Dies ist im Vergleich mit anderen Baumarten extrem früh. Daher muss bei dieser Baumart mit früh kulminierenden Zuwächsen die Auswahl der Z-Bäume möglichst zeitnah mit Erreichen der gewünschten grünastfreien Schaftlänge erfolgen. Verzögerungen gehen unmittelbar zulasten der Ausbaufähigkeit der verbleibenden Krone. In Mischbeständen oder baumzahlarmen Beständen kann bei den Z-Bäumen eine kombinierte Trocken- und Grünästung verbliebener lebender Primär- oder Totäste notwendig werden, da die vitalen Edelkastanien stärkere Trocken- und auch noch Grünäste im unteren Erdstammbereich (5 bis 7 m) aufweisen können.

Kronenbreite und Z-Baum-Zahl

Der enge Zusammenhang zwischen Kronenbreite und BHD erlaubt es, Z-Baum-Zahlen für gewünschte Zieldurchmesser abzuleiten. Unterstellt man bei Vollbestockung der Lichtbaumart vereinfachend eine Kronenüberschirmung von 50 % und einen Zieldurchmesser von 50 bis 60 cm, so können Z-Baum-Zahlen pro Hektar berechnet werden. Es erscheint möglich, dass mit ca. 60 bis 80 Z-Bäumen/ha ein Zieldurchmesser von 50 bis 60 cm zu erreichen ist. Dementsprechend werden auch für angestrebte Stammholzklassen von L4 bis L6 die Förderung von 60 bis 80 Zukunftsbäumen/ha empfohlen. Bei geringeren Zieldurchmessern (z. B. 40 cm schwaches Stammholz) sind mit 120 Z-Bäumen/ha entsprechend größere Baumzahlen möglich.

Radialzuwachs

Die jährlichen Radialzuwächse wiesen einen Verlauf auf, wie er für herrschende bis vorherrschende Edelkastanien überwiegend aus Stockausschlag und insbesondere ohne zielgerichtete Wachstumssteuerung erwartet werden kann (Abb. 2). Bereits ab einem Alter von 5 Jahren zeigt sich ein starker Abfall der zunächst enorm hohen Zuwachswerte. Ab einem Alter von 30 Jahren bewegen sich die Mittelwerte auf einem Niveau von lediglich ca. 2,5 mm/Jahr. Auf dieser Datenbasis lässt sich gutachterlich der bei zielgerichteter Wachstumssteuerung (Z-Baum Auswahl und Freistellung) erreichbare mittlere Radialwachs abschätzen: Ein Radialzuwachspotenzial von 7 mm/Jahr erscheint in den ersten 15 Jahren möglich, das in den folgenden 15 Jahren zunächst auf 5 mm/Jahr, und in den letzten 30 Jahren auf 4 mm/Jahr absinken dürfte. Unter diesen Voraussetzungen ist bis zu einem Alter von 60 Jahren ein BHD von 60 cm o. R. erreichbar, beziehungsweise in 35 Jahren ein BHD von 40 cm o. R. Über Alter 80 konnten nur zwei Edelkastanien aus einem stark aufgelichteten Waldrand untersucht werden, deshalb sind die Radialzuwächse ab Alter 80 Einzelbeobachtungen.

Produktionsrisiken

Ringschäle ist bei der Edelkastanie eine häufige Ursache für die Entwertung von Rundholz. Holzanatomisch lässt sich diese Entwertung zunächst durch die Ringporigkeit des Holzes sowie die nur einreihigen radialen Markstrahlen erklären, die zu einer mechanisch schwächeren Verbindung von Früh- und Spätholz führen. Sie tritt unter anderem nach Jahrringsprüngen auf, also bei episodisch sehr unregelmäßigem Jahrringaufbau. Daher empfehlen französische Autoren starke und sehr regelmäßige Durchforstungen, um unregelmäßigen Jahrringaufbau als zusätzlichen Risikofaktor zu vermeiden. Kastanienrindenkrebs bildet ebenfalls ein gravierendes Produktionsrisiko. Daher wurden okular erkennbar befallene Edelkastanien in dieser Auswertung nicht untersucht. Um eine langjährige, risikoerhöhende Exposition gegenüber diesen Schadfaktoren zu vermeiden und um die Radialzuwächse auf einem hohen Niveau zu halten, sollten die Produktionszeiten bei vorgegebenen Zieldurchmessern möglichst kurz gewählt werden. Phythophthora-Arten verursachen die sogenannte Tintenkrankheit der Edelkastanie. Auf staunassen Standorten, aber auch bei extremer Trockenheit, kann die Tintenkrankheit zum Absterben der Edelkastanie führen. Ganz aktuell wurde seit diesem Jahr die Edelkastanien-Gallwespe in Baden-Württemberg nachgewiesen. Durch den Quarantäne-Schadorganismus ist eine erhebliche Vitalitätsschwächung zu erwarten. Außerdem bieten die Ausschlupflöcher der Gallwespen Eintrittspforten für Schlauchpilze.

Flächenproduktivität

Im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbaumarten mit sehr früher Zuwachskulmination zeigt die Edelkastanie eine sehr gute Flächenproduktivität von Biomasse- oder Volumenleistung: Auf den besten Bonitäten in Frankreich können im Alter von 20 Jahren laufende Volumenzuwächse von 10 bis 13 m³/J/ha beobachtet werden (Derbholzgrenze: 4 cm). In ähnlicher Größenordnung bewegen sich auch die durchschnittlichen Gesamtwuchsleistungen aus Stockausschlagwäldern Englands: 10–12 m³/J/ha für Produktionszeiten von 20 Jahren. Aus Italien werden folgende durchschnittliche Gesamtvolumenzuwächse (dGz) gemeldet: Bis zum Alter von 17 Jahren der Stockausschlagwälder betrugen sie 17,6 m³/J/ha, bis zum Alter von 35 Jahren immerhin noch 12,8 m³/J/ha.

Pflegekonzept zur Wertholzproduktion

Pflegekonzepte für Edelkastanie können grundsätzlich nach starkem Wertholz (50 bis 60 cm Zieldurchmesser), nach schwächerem Stammholz (z. B. 40 cm Zieldurchmesser), Palisadenholz oder zur Energieholzproduktion gegliedert werden. Ziel dieser Arbeit war es, die Rahmenbedingungen für die Wertholzproduktion abzustecken. Ringschäle, Kastanienrindenkrebs, Tintenkrankheit und aktuell Edelkastanien-Gallwespe sind gravierende Produktionsrisiken bei der Wertholzerzeugung. Deshalb werden für die Wertholzproduktion nur gut wasserversorgte Standorte empfohlen, auf denen in relativ kurzer Zeit (50 bis 60 Jahren) mit 60 bis 80 Z-Bäumen/ha Zieldurchmesser von 50 bis 60 cm zu erreichen sind. Die sehr frühe Kulmination der Zuwächse bei der Edelkastanie und die schnelle Astreinigung erfordern zwingend eine frühe Auswahl (Oberhöhe ca. 12 m) und konsequent anhaltende Förderung der Z-Bäume. Die in Stockausschlagwäldern zu erwartende gute Astreinigung dürfte die Erfordernis zur Ästung von Z-Bäumen auf heterogene Mischbestände oder baumzahlarme Bestände beschränken.