Dieser Beitrag enthält die wichtigsten Ergebnisse eines Saatversuchs in kleinen Bestandeslücken in hochmontanen und subalpinen Fichtenwäldern bei Sedrun (Graubünden). Der Versuch wurde an je einem steilen Nordhang und Südhang durchgeführt. 1991 und 1992 säten die Wissenschafter auf 160 Saatstellenpaaren Fichtensamen. Danach verfolgten sie deren Entwicklung über anderthalb Jahre. Das Hauptergebnis: Dichte Konkurrenzvegetation vermindert ausnahmslos den Keimerfolg und die Überlebenschancen der Fichte. Positive Wirkungen der Vegetation können in keinem Fall nachgewiesen werden. Die Wirkungen sind in der Keimphase der Fichte am stärksten und nehmen später ab.

Fragestellung und Methode

In dieser Studie untersuchten die Forscher, ob einige in hochmontanen und subalpinen Fichtenwäldern vorkommende Pflanzenarten die Keimung, das Überleben und das Wachstum von Fichtenjungpflanzen beeinflussen. Dazu wurden im Frühjahr 1991 und 1992 Fichtensamen auf Saatstellenpaare von mit dichter Vegetation bedeckten und vegetationsfreien Stellen in Bestandeslücken gesät und deren Entwicklung bis Ende 1993 verfolgt. Die Methoden sind im Originalartikel (siehe Zitierung) genauer beschrieben.

Resultate

Die Resultate gelten für die Fichte und dichte Konkurrenzvegetation in Bestandeslücken zwischenalpiner Fichtenwälder. Lockere Konkurrenzvegetation wurde nicht untersucht. Nach zwei Vegetationsperioden lag das Pflanzenprozent (Verhältnis der überlebenden Pflanzen zu den gesäten Samen; siehe auch Worterklärung ganz unten) bei allen Arten der Konkurrenzvegetation unter den Werten, welche auf vegetationsfreien Stellen (meist Humusauflagen) erreicht wurden (Abb. 2). Positive Wirkungen der Vegetation konnten in keinem Fall nachgewiesen werden. Die Wirkungen waren in der Keimphase der Fichte am stärksten und nahmen später ab.

Die untersuchten Arten können nach ihrer Wirkung auf Keimung und Überleben der Fichtenjungpflanzen wie folgt eingeteilt werden:

  • sehr ungünstige Wirkung: Wolliges Reitgras, Wald-Hainsimse
  • ungünstige Wirkung: Heidelbeere mit Moospolster, Sauerklee und die Moose Dicranum scoparium, Pleurozium schreberi, Polytrichum formosum, Polytrichum alpinum
  • indifferent oder Unterschiede nicht signifikant: Krautschicht am Südhang, Pogonatum urnigerum

Wissen aus anderen Untersuchungen

Es gibt wenige andere Studien mit abweichenden Resultaten. Dafür sind zum Teil methodische Probleme verantwortlich: Einige frühere Arbeiten beruhen nicht auf Feldexperimenten, sondern auf Inventuren (Moser 1965, Eichrodt 1969, Sorg 1980). Bei Inventuren sind aber Fehlschlüsse möglich, weil bei älteren Fichtenpflanzen nicht bekannt ist, ob die Vegetation während der Ansamungsphase gleich war wie beim Inventurzeitpunkt.

Die ungünstige Wirkung des Wolligen Reitgrases und der Heidelbeere ist aus früheren Studien bekannt (Reitgras: Rehák 1957, von Bülow 1964, Kuoch und Amiet 1970, Piussi 1988; Heidelbeere: André und Gensac 1989). Der Sauerklee bildet aus der Perspektive eines Fichtenkeimlings einen dichten, oft unerreichbar hohen Schirm (vgl. Hesselmann 1939). Die ungünstige Wirkung vieler Moosarten bestätigen Studien von Kontuniemi (1932) und Krüdener (1955). Hinweise, dass lockere Vegetation die Fichtenansamung nicht erschwert, sind bei Moser (1965) zu finden.

Wirkung von Vegetation auf die Fichtenansamung

Wie lässt sich die ungünstige Wirkung dichter Vegetationsteppiche erklären? Dies ist erst wenig untersucht, und verschiedene Wirkungspfade sind denkbar. Wichtig ist, dass die Streu der Vegetation die zarten Keimlinge über Winter zu Boden drückt, wo diese mit Pilzmyzel verklebt und abgetötet werden. Bei Heidelbeeren dürften die Keimlinge nur schlecht in der Lage sein, mit ihren Wurzeln überhaupt den Boden zu erreichen, weil die Samen im Moospolster einige Zentimeter über der Bodenoberfläche stecken bleiben. Generell dürften auch der Lichtentzug und evtl. die geringere Oberbodenwärme unter Vegetation das Wachstum der Fichtenkeimlinge und -sämlinge begrenzen. Allelopathische Wirkungen durch chemische Ausscheidungen sind zwar im Labor nachgewiesen (Pellissier 1993), dürften aber unter Freilandbedingungen eine untergeordnete Rolle spielen.

Nach einem Verjüngungshieb in einem hochmontanen oder subalpinen Fichtenwald werden vegetationsfreie Stellen innert weniger Jahre von Pionierarten (Waldhainsimse, Sauerklee, Haarmützenmoos, aber auch Fichte) besiedelt - ein Wettlauf beginnt. Grosse Bestandeslücken sollen möglichst vermieden werden, weil sich dort Arten wie das Reitgras rasch und üppig entwickeln und dadurch die Fichtenverjüngung stark behindern.

Gegenmassnahmen: Das Entfernen von Moospolstern (wie im Feldexperiment) begünstigt die Ansamung. Dies ist aber wegen Wiederbesiedlung nur während weniger Jahre wirksam. Mit Pflanzung kann man die heikle Phase der Keimung und des Überlebens in den ersten Jahren umgehen. Auch Schürfung bei Samenbehang der Fichte ist möglich, aber es folgt eine rasche Wiederbesiedlung.

Wirkung der einzelnen Arten der Konkurrenzvegetation

Wolliges Reitgras (Calamagrostis villosa)

untersuchte Expositionen:Süd und Nord
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:hochsignifikant senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:hochsignifikant senkende Wirkung

Wald-Hainsimse (Luzula sylvatica)

Hat Pioniercharakter, besiedelt vegetationsfreie Stellen in Bestandeslücken rasch, wirkt ähnlich wie Reitgras.

untersuchte Exposition:Nord
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:hochsignifikant senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:hochsignifikant senkende Wirkung

Sauerklee (Oxalis acetosella)

Hat Pioniercharakter, besiedelt vegetationsfreie Stellen in Bestandeslücken rasch.

untersuchte Exposition:Nord
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:signifikant senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:signifikant senkende Wirkung

Krautschicht

Die hier untersuchte Krautschicht bestand aus folgenden Arten: Wiesen-Wachtelweizen (Melampyrum pratense), Purpur-Hasenlattich (Prenanthes purpurea), Schneeweisse Hainsimse (Luzula nivea), Sauerklee (Oxalis acetosella), Wald-Storchschnabel (Geranium sylvaticum), Brennesselblättriger Ehrenpreis (Veronica urticifolia), Wald-Habichtskraut (Hieracium sylvaticum), Wald-Schmiele (Deschampsia flexuosa), Gewöhnlicher Holzzahn (Galeopsis tetrahit), Mnium (Mnium spec.), Rotstängel-Moos (Pleurozium schreberi).

untersuchte Exposition:Süd
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:keine signifikante Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:keine signifikante Wirkung

Heidelbeere über Moospolster (Vaccinium myrtillus)

untersuchte Exposition:Nord
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:hochsignifikant senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:hochsignifikant senkende Wirkung

Rotstängelmoos (Pleurozium schreberi)

untersuchte Expositionen:Süd und Nord
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:hochsignifikant senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:hochsignifikant senkende Wirkung

Haarmützenmoos (Polytrichum formosum und Polytrichum alpinum)

Hat Pioniercharakter, besiedelt vegetationsfreie Stellen in Bestandeslücken rasch.

untersuchte Expositionen:Süd und Nord
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:signifikant senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:in Südexposition tendenziell, in Nordexposition signifikant senkende Wirkung

Besen-Gabelzahnmoos (Dicranum scoparium)

untersuchte Expositionen:Süd und Nord
Oberbodenart:Humusauflage
Keimerfolg:signifikant bis hochsignifikant senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:in Südexposition signifikant, in Nordexposition tendenziell senkende Wirkung

Pogonatum (Pogonatum urnigerum)

untersuchte Expositionen:Nord
Oberbodenart:Mineralerde
Keimerfolg:tendenziell senkende Wirkung
Pflanzenprozent nach 2 Vegetationsperioden:tendenziell senkende Wirkung

Worterklärungen:

Allelopathie ist die Eigenschaft von Pflanzen, organische Verbindungen auszuscheiden, welche Wachstum oder Keimen anderer Pflanzen unterbinden oder hemmen.

Keimerfolg: Anteil der gekeimten Samen an den gesäten

Pflanzenprozent: Anteil der überlebenden Sämlinge in Prozent der gesäten.

Literatur

  • EICHRODT, R. 1969. Über die Bedeutung von Moderholz für die natürliche Verjüngung im subalpinen Fichtenwald. Dissertation Institut für Waldbau, ETH Zürich (Beiheft Schweiz. Z. Forstwes. 45).
  • KUOCH, R. & AMIET, R. 1970. Die Verjüngung im Bereich der oberen Waldgrenze der Alpen. Mitteilungen der Eidgenössischen Anstalt für das forstliche Versuchswesen, 46: 159-328.
  • MOSER, O. 1965. Untersuchungen über die Abhängigkeit der natürlichen Verjüngung der Fichte vom Standort. Centralblatt für das Gesamte Forstwesen, 82: 18-55.
  • VON BÜLOW, G. 1964. Fichten-Naturverjüngung in den Hochlagen des Bayerischen Waldes. Allgemeine Forst Zeitschrift für Waldwirtschaft und Umweltvorsorge [AFZ-Der Wald], 19: 593-595.