Mit 15 Prozent Anteil am Vorrat in den Wäldern ist die Weisstanne (Abies alba) die dritthäufigste Baumart in der Schweiz. Nebst ihrer Funktion im Schutzwald ist die Weisstanne im Wirtschaftswald eine wichtige Baumart. Die Eigenschaften und die Verwendung ihres Holzes sind denjenigen der Fichte sehr ähnlich. Da ihr Holz gut imprägnierbar ist, wird Tannenholz dort bevorzugt, wo Beständigkeit gegenüber Feuchtigkeit gefragt ist.

Grosse ökologische Spannbreite

Hierzulande ist die Weisstanne bekannt als Charakterart von Standorten mit guter Wasserversorgung in den montanen Lagen der Vor- und der Nordalpen. Ebenso typisch ist sie für weite Bereiche des südlichen Tessins, des Mittellandes und des Jurabogens, und sie dringt sogar in inneralpine Trockentäler wie das Wallis und das Bündner Rheintal vor. Somit deckt die hiesige Verbreitung sehr unterschiedliche Standortbedingungen ab.

Diese ökologische Spannbreite wird durch die Vorkommen in südlichen, südöstlichen und östlichen Gegenden Europas erweitert. Damit verfügt die Weisstanne über die Voraussetzungen, auch unter zukünftigen, vermutlich wärmeren und trockeneren Bedingungen in der Schweiz überdauern zu können und weiterhin eine wichtige ökologische und ökonomische Rolle einzunehmen.

Im eher kühlen und feuchten Klima des frühen Holozäns breitete sich die Weisstanne zuerst im Tessin, später auch nördlich der Alpen aus und wurde vielerorts bestandesbildend. Als der Mensch sesshaft wurde und die Bevölkerung wuchs, wurden Waldflächen zugunsten von Getreideanbau und Viehweiden gerodet. Vor allem die Brandrodung setzte der Weisstanne zu und förderte Eichen oder Buchen, die weniger empfindlich gegen Feuer sind.

Die Weisstanne wurzelt eher tief und ist dadurch besser vor Trockenheit und Sturmereignissen geschützt als andere Baumarten; mit ein Grund, weshalb die Weisstanne dem zu erwartenden Klimawandel besser standhalten dürfte als zum Beispiel die Fichte, die weniger tief wurzelt. Auch paläo-ökologische Daten (Pollen und Makro-Reste in Mooren und See-Sedimenten) weisen auf frühere Vorkommen der Weisstanne an Standorten hin, wo es wärmer und trockener war als heute und wo sie zum Teil heute noch vorkommt. Dennoch zeigte die Weisstanne hierzulande auch deutliche Schäden nach den langen Trockenheitsperioden der letzten Sommer.

Ob in Zukunft weiterhin die heute vorkommenden Provenienzen hier wachsen oder durch solche aus wärmeren und trockeneren Regionen ersetzt werden, wird sich weisen. Natürliche Ausbreitung, aber auch gezielte Anpflanzungen könnten Herkünfte in unsere Breiten bringen, die an submediterrane Verhältnisse angepasst sind. Somit stellt sich die Frage, wie die Weisstanne hierzulande erhalten oder gar gefördert werden soll, und welche Rolle dabei die Genetik spielt nebst ökologischen Einflussfaktoren wie dem Verbissdruck.

Rückwanderung aus drei eiszeitlichen Refugien

Genetische Untersuchungen von Weisstannenbeständen und paläo-ökologische Studien ermöglichen, die Rückwanderung von Baumarten nach der letzten Eiszeit vor ca. 18'000 Jahren nachzuzeichnen. Während der maximalen Vergletscherung lag der grösste Teil der Alpen unter einer dicken Eisschicht, und an den wenigen eisfreien Standorten konnte die Weisstanne nicht überleben. Sie musste während dieser Zeit in Gebieten mit günstigerem Klima ausharren, welche in südlichen Regionen wie dem Balkan, im Nordapennin und in den Seealpen vermutet werden.

Mit dem Wegschmelzen der Eisschicht am Ende der letzten Kaltzeit kehrten viele Baumarten nach und nach ins Gebiet der heutigen Schweiz zurück. Diese Rückwanderungsgeschichte lässt sich auch aus genetischen Untersuchungen von Schweizer Weisstannenbeständen ableiten, wenn diese in Bezug zum genetischen Muster über das gesamte Verbreitungsgebiet gestellt werden.

In der Schweiz sind heute drei genetische Verwandtschaftsgruppen erkennbar (Abb. 3): Die beiden weitverbreiteten Gruppen haben ihre Schwerpunkte im Westen beziehungsweise Osten, während eine dritte Gruppe vor allem im Tessin und östlichen Wallis vorkommt.

Dieses Muster dürfte dadurch entstanden sein, dass die Weisstanne einerseits vom nördlichen Balkan oder nordöstlichen Italien aus die Ostschweiz erreichte, andererseits von Südfrankreich her in die Westschweiz gelangte und sich bis über den «Röstigraben» hinweg in die Zentralschweiz ausdehnen konnte. Vom Nordapennin her wanderte die dritte Gruppe in die Gebiete südlich des Alpenhauptkamms ein.

Der unscharfe Übergang zwischen den beiden genetischen Hauptgruppen, d.h., das Gebiet, wo sich die Rückwanderungsrouten der (süd-) östlichen und der westlichen Herkunft getroffen haben, fällt mit der biogeographisch bekannten, als «Gotthardlinie» bezeichneten Kontaktzone zusammen, die auch bei anderen Pflanzenarten gefunden wird. Dank weitreichendem genetischem Austausch durch Pollen und Samen haben sich die genetischen Gruppen jedoch stark durchmischt, erkennbar am zumeist hohen Anteil der jeweils anderen genetischen Gruppen in den Populationen.

Verbreitung der Weisstanne in Europa (Euforgen)
Verbreitung der Weisstanne in der Schweiz (infoflora)

Birmensdorfer Weisstanne als Referenz

Als wichtige Grundlage für ökologisch-genetische Untersuchungen entschlüsselte ein Konsortium aus 20 Forschungsinstitutionen inklusive der Eidg. Forschungsanstalt WSL das vollständige Erbgut (= Genom) der Weisstanne. Der dafür verwendete Baum steht bei der WSL in Birmensdorf. Aus der komplexen Analyse entstand ein noch bruchstückhaft zusammengesetztes Abbild des Genoms, aber es konnten über 50'000 Gene gefunden werden.

Gerade diese Information ist eine wichtige Grundlage für die weitere genetische Forschung. Dabei interessiert insbesondere, welche Gen-Varianten sich als vorteilhaft erweisen bei Standortbedingungen, die wir aufgrund von Klima-Modellen in Zukunft erwarten. Solche Erkenntnisse könnten helfen, um die an zukünftige Umweltbedingungen angepassten Genotypen im Wald zu fördern oder um die Herkünfte auszuwählen, die als Ergänzung zu natürlicher Verjüngung angepflanzt werden sollen.

Unterschiedliche Wachstumsstrategien

Mithilfe genetischer Untersuchungen können wir mehr über die Evolution und Anpassung der Weisstanne lernen. Beispielsweise zeigten Wuchs- und Phänologie-Erhebungen aus einem gross angelegten Provenienzversuch mit Schweizer Beständen, dass die Weisstanne aus Herkünften in den wärmeren, klimatisch ausgeglichenen Lagen (z.B. Mittelland) höher wächst. Darüber hinaus liessen sich, abhängig von der saisonalen Niederschlagsverteilung, zwei Wachstumsstrategien ableiten: «früh starten und langsam wachsen» in den inneralpinen Tälern mit Sommertrockenheit, und «spät starten und schnell wachsen» in den eher hohen Lagen mit viel Niederschlag.

Da in Provenienzversuchen für alle Herkünfte die Umweltbedingungen am Versuchsort gleich sind, müssen Unterschiede an äusseren Merkmalen genetisch bedingt sein. Wissenschaftler analysierten Holzbohrkerne in zwei Schweizer Provenienzversuchen, um Wachstum und Trockenheitsresistenz zu untersuchen. Dabei wurde neben dem langfristigen Wachstum auch das Wachstum vor, während und nach dem extremen Trockenjahr 2003 in Provenienzen aus ganz Europa gemessen.

Die Wachstumsmerkmale zeigten dabei klare Unterschiede und Anzeichen von lokaler Anpassung. Bezüglich Trockenheitsresistenz waren es eher die lokalen mitteleuropäischen Herkünfte, die am besten abschnitten, während die osteuropäischen beim langfristigen Wachstum die anderen übertrafen.

Interessanterweise fand die Studie grosse Unterschiede zwischen den Herkünften, die aus verschiedenen kaltzeitlichen Rückzugsgebieten stammten und aufgrund molekular-genetischer Marker erkennbar sind. Dies deutet darauf hin, dass die genetische Anpassung an die Standortbedingungen im Rückzugsgebiet und während der Rückwanderung bis heute noch einen Einfluss auf das Wachstum von Herkünften hat. Für beide Studien gilt jedoch: Welche Gene für diese Anpassungen verantwortlich sind, ist bisher noch unklar. Weitere molekulare und experimentelle Studien werden darüber Aufschluss geben.

Genetisch informierter Waldbau?

Welche praktischen Erkenntnisse lassen sich aus solchen genetischen Untersuchungen ableiten? Können diese helfen, zukünftige Waldbaustrategien zu unterstützen, um die Weisstanne hierzulande zu fördern? Welche Wissenslücken haben wir noch?

Wichtig ist es, zwischen demographischen Prozessen einerseits, insbesondere als Folge der nacheiszeitlichen Rückwanderung, und anpassungsrelevanten Vorgängen andererseits zu unterscheiden. Für den ersteren Fall ist es wünschenswert, die räumliche Verteilung der drei genetischen Gruppen in der Schweiz und damit ihre unterschiedliche Vergangenheit so weit möglich zu erhalten, beispielsweise bei Saatguttransfer. Ansonsten besteht zum Beispiel das Risiko einer Auskreuzungsdepression, also verminderte Fruchtbarkeit wegen zu grosser genetischer Unterschiede der Eltern.

Aber ebenso spielt die Anpassungsfähigkeit der Weisstannenbestände eine wichtige Rolle im Hinblick auf die bevorstehenden Umweltveränderungen. Molekular-genetische Studien, die vorteilhafte Gen-Varianten für eine Anpassung an das zukünftige Klima identifizieren, die durch waldbauliche Massnahmen gefördert werden können, fehlen bei der Weisstanne aber noch weitgehend.

Damit sowohl das geschichtliche Vermächtnis aufgrund demografischer Prozesse als auch die lokale Anpassung durch Selektion in die waldbauliche Planung einfliessen, empfehlen wir nur regionalen Saatguttransfer. Dabei sollten Herkünfte mit Standortbedingungen ausgewählt werden, die ähnlich oder tendenziell wärmer und trockener sind als gegenwärtig am Pflanzort.

Die Weisstanne hat sich in den letzten Jahren als Fundgrube für ökologische und genetische Forschung erwiesen. Zahlreiche derzeit laufende Projekte zeigen das unverminderte Interesse an dieser Baumart, aber auch die zum Teil recht widersprüchlichen Erwartungen an ihr Potenzial. Es bleibt somit spannend, wie sich die Zukunft der Weisstanne – oder die Weisstanne der Zukunft – weiterentwickelt.

Die Literaturverweise finden Sie im Origianalartikel, die Referenzen in der Literaturliste.

(TR)