
Schon unter den historisch eher stabilen Standortverhältnissen waren die oft gleichaltrig und artenrein bewirtschafteten Kiefernbestände mit einer Reihe von vor allem biotischen Risiken verbunden, die zu drastischen Schäden bzw. Ausfällen führen konnten. Die Witterungsextreme der vergangenen Jahre haben dieses fragile Gleichgewicht zwischen der Kiefer und ihren Antagonisten in Richtung zunehmender Schädigungen von einzelnen Bäumen bis zu ganzen Beständen verschoben. Unter dem Eindruck dieses Schadgeschehens einerseits und der überragenden aktuellen Bedeutung der Baumart andererseits geht der Beitrag deshalb der Frage nach, welche Zukunft der „Brotbaum“ der Waldnutzung in Nordostdeutschland hat, und inwieweit wir es vielleicht mit einem „Fossil“ zu tun haben, das den sich ändernden Verhältnissen nicht mehr gewachsen ist.
Hintergrund
Die Baumart Kiefer gehört zur Gruppe der Nacktsamer (Gymnospermae), die als ursprünglicherer Teil der Samenpflanzen mit rund 300 Millionen Jahren mehr als doppelt so alt ist wie die Bedecktsamer (Angiospermae). Vor dem Hintergrund, dass ihre Blütezeit in etwa mit der der Dinosaurier übereinstimmt und mit dem Aufstieg der Bedecktsamer die Artenzahlen der Nacktsamer immer weiter zurückgingen, lässt sich der Begriff „Fossil“ zwar rein stammesgeschichtlich durchaus rechtfertigen. Jedoch sind die Nadelbäume (Pinales) als relativ artenreichste verbliebene Nacktsamer-Ordnung immer noch weltweit verbreitet und stellen den größten Teil der forstlich relevanten Baumarten.
Ökologisch weist die Kiefer eine Reihe von Eigenschaften auf, die sie zu einer klassischen Pionierbaumart macht (Otto 1994):
Bestäubung der Blüten durch Windübertragung des Pollens;
Samen werden ebenfalls durch den Wind transportiert;
hoher Lichtbedarf bei geringer Konkurrenzkraft,
Toleranz für extreme Standortbedingungen (trocken/nass, geringes Nährstoffangebot);
rasches Jugendwachstum bei zeitig abnehmendem Reaktionspotenzial (frühe Kulmination von Höhen- und Durchmesserzuwachs).
Neben diesen Eigenschaften ist für die Beurteilung der Baumart wichtig, dass die Nadelstreu der Kiefer langfristig zur Bodenversauerung beiträgt, dass sich gerade in Reinbeständen zunehmende Rohhumus-Decken aufbauen können und dass an der immergrünen Krone und der groben Borke relativ viel Niederschlagswasser verbleibt, das nicht den Waldboden erreicht und dann wieder verdunstet.
Die Kiefer bald ein Fossil?
Die Frage, ob die Kiefer (Pinus sylvestris L.) in Nordostdeutschland zum Fossil wird, ist besonders relevant vor dem aktuellen Hintergrund rasanter standörtlicher Veränderungen. Schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts sind diese auch direkt regional nachweisbar und haben zum Beispiel dazu geführt, dass die jährlichen Mitteltemperaturen in Brandenburg um etwa zwei Grad Celsius (oder 2 Kelvin) in den vergangenen 70 Jahren gestiegen sind (Abbildung 2, links). Bei der Betrachtung der Witterungsverhältnisse im Gesamtareal der Kiefer (Abbildung 2, rechts) fällt auf, dass Brandenburg schon heute zu den trockensten Vorkommensgebieten überhaupt zählt.
Die stark vitalitätsmindernde Wirkung von Trockenheit und hohen Temperaturen hat drastische Folgen für die Zukunftsaussichten der Kiefer, wenn man die zu erwartende Witterungsentwicklung zugrunde legt. Der aktuell wahrscheinlichste Pfad, auf dem der Klimawandel verläuft, ist der RCP8.5. Verlängert man diese Entwicklung in die fernere Zukunft, dann ergeben sich für die Bedingungen in Brandenburg der Jahre 2071-2100 nur noch sehr geringe Vorkommenswahrscheinlichkeiten der Kiefer von weniger als 20 Prozent; nur kleinere Bereiche im Norden erreichen noch Werte bis maximal 40 Prozent.
Abb. 2. Jahresmitteltemperaturen für vier Klimastationen des Deutschen Wetterdienstes in Brandenburg mit linearen Ausgleichsfunktionen für die Zeit 1951-2024 (links) sowie Vergleich der Vorkommensdaten für Kiefer nach Jahresmitteltemperatur und Jahresniederschlagssumme in Brandenburg zum weltweiten Vorkommen der Baumarten nach Mauri et al. (2022; rechts)
Brotbaum Kiefer
Die aktuelle Flächenverteilung der Kiefer nach Alter spiegelt die historisch bedingt hohen Anteile von Beständen im Alter 60-80 (vierte Altersklasse), die als Ergebnis der Aufforstungen nach Kriegsschäden und Reparationshieben in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Im Gesamtwald Brandenburgs nimmt die Altersklasse 4 aktuell rund ein Fünftel aller Flächen ein, im Landesbetrieb Forst Brandenburg (LFB) ist der Anteil mit über einem Drittel noch deutlich größer. Ebenso sichtbar ist der Rückgang der Kiefernfläche in der jüngsten Altersstufe in den letzten Jahrzehnten.
In der unten stehenden Tabelle sind die Verhältnisse in Landes-, Körperschafts- und Privatwald dargestellt, die bezüglich der ökonomischen Bedeutung der Kiefer in Brandenburg vorliegen. Demnach liegen sowohl die Anteile am Einschlag (im Mittel bei 85 %) als auch der Beitrag zum Erlös im Landeswald (ebenfalls bei 85 %) enorm hoch. Mit der Kiefer „steht und fällt“ derzeit und auch in naher Zukunft noch die Erlösseite der Forstbetriebe. Dementsprechend nehmen Initiativen in der praxisnahen Forschung zu, die den Beitrag der Baumart zur Forst- und Holzwirtschaft nicht nur in Brandenburg auch zukünftig absichern sollen.
| Landeswald | Körperschaftswald | Privatwald |
|---|---|---|---|
Umsatzerlös gesamt [Mio €] | 147,7 |
|
|
Holzerlöse gesamt [Mio €] | 61,8 |
|
|
Anteil GKI am Einschlag [%] | 84,7 | 90,3 | 82,6 |
Anteil GKI am Erlös [%] | 85,0 |
|
|
Zuwachs Gesamtwald | 8,98 m³/(ha*a) | ||
Nutzung | 4,4 m³/(ha*a) | 4,5 m³/(ha*a) | |
Durchschnittspreis | ca. 90 Euro/m³ (2022-2024) | ||
Tabelle: Ökonomische Kennziffern zur Nutzung der Kiefer (GKI) in Brandenburg
Dass der nachwachsende Rohstoff Holz jedoch nicht unendlich zur Verfügung steht und bei seiner verstärkten Nutzung Zielkonflikte mit Bestrebungen zum Biomasseaufbau in Wäldern sowie mit anderen Landnutzungsinteressen unvermeidlich sind, kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass es noch immer keine einheitliche Biomassestrategie für Deutschland gibt, sondern nur Eckpunkte und Hintergrundpapiere.
Vitalität, Wachstum und Waldschutzaspekte
Die massive anthropogene Steigerung des Flächenanteils der Kiefer in Nordostdeutschland hat auch zu einer stark gestiegenen Relevanz von entsprechenden Waldschutzproblemen geführt. Trotzdem sind – im Vergleich mit anderen Baumarten oder Baumartengruppen in Brandenburg – die Schäden, die durch die Waldzustandserhebung (WZE) festgestellt werden, bei der Kiefer immer noch eher gering.
Die Wirkungen abiotischer und biotischer Faktoren auf die Schäden durch Insekten sind in jüngster Vergangenheit auch am LFE intensiv untersucht worden. Demnach verlaufen typische Störungsketten oder „Kaskaden“ meist von standörtlichen (abiotischen) Problemen über die schrittweise Schwächung der Bäume bis zum flächigen Absterben.
Beim Umgang mit derartigen Störungskaskaden sollte es das übergeordnete Ziel sein, die Umweltbedingungen zu erhalten, die für Waldökosysteme kennzeichnend sind. Dazu gehören ein ausreichend dichter Schirm beziehungsweise eine dreidimensionale Vegetationsstruktur, die Witterungsextreme abschwächt, den Boden schützt und die Baumverjüngung fördert.
Diskussion und Ausblick
Die Zahlen der aktuellen Bundeswaldinventur (BWI) verdeutlichen das hohe Biomassepotenzial vorrangig der Kiefer, das in den Brandenburger Wäldern derzeit vorherrscht. Mit zunehmender Zeit werden sich jedoch zum einen die derzeit hochproduktiven Bestände dieser Baumart im Alter von 60-100 Jahren durch Nutzung und natürlich bedingte Abgänge verringern, zum anderen wachsen deutlich geringere Flächenanteile in die für die Holzproduktion relevanten Durchmesserstufen nach. Das Ende der großflächigen Kunstverjüngungen mit Kiefer in den 1990er Jahren hat dafür gesorgt, dass die Baumartenanteile in den jüngsten Altersklassen ausgeglichener sind. Als Folge der nach wie vor dominanten Präsenz von Samenbäumen, aber auch der Bevorzugung des Schalenwilds für Laubbaumknospen ist die Kiefer trotzdem nach wie vor die häufigste Baumart in der Verjüngung und wird auch in einem zukünftig stärker gemischten Wald eine wichtige Rolle für die Bereitstellung des nachwachsenden Rohstoffs Holz spielen.
Hinsichtlich der Vitalität und Störungsresilienz ist zu erwarten, dass für die Kiefer die Probleme nicht kleiner, sondern eher noch zunehmen werden. Höhere Temperaturen und steigende Verdunstung erhöhen zum Beispiel die Generationenzahl pro Jahr von holz- und rindenbrütenden Käfern und schwächen das Abwehrvermögen der angegriffenen Bäume. Dass die Schäden vor allem in Reinbeständen auftreten, verdeutlicht die Dringlichkeit des Waldumbaus zu gemischten, strukturreicheren Beständen.
Die trocken-warmen Vegetationsperioden der vergangenen Jahre und die von den regionalen Klimamodellen abgebildete Entwicklung bis zum Ende des Jahrhunderts legen nahe, dass es gerade auf heute schon benachteiligten Standorten zu weiteren Ausfällen und einem möglicherweise flächigen Rückzug der Kiefer kommen wird. Ob eine Art Übernahme des „Staffelstabs“ durch trockenstress-tolerantere Baumarten in den Problemgebieten in Brandenburg abläuft, ist zweifelhaft, denn eine Verjüngungsschicht aus anderen (Laubbaum-)Arten, die bei größeren Ausfällen der Kiefer quasi schon „in den Startlöchern“ stünde, ist bei weitem nicht überall vorhanden.
Fazit
Als Fazit für den künftigen Umgang mit der Kiefer ergeben sich aus dem bis hierher Dargestellten folgende Überlegungen:
Der „klassische“ Waldumbau durch flächige Kunstverjüngung von Laubbäumen unter Nadelbaumschirm allein ist angesichts der enormen Flächenkulisse und des geringen Tempos zu langsam, um die problematischen Altersklassen-Kiefernreinbestände abzulösen. Bei der Anpassung der Waldökosysteme an den Klimawandel sind alle verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen – neben ggf. spärlich auflaufender Naturverjüngung von Laubbaumarten also auch die Strukturanreicherung durch Kiefern-Naturverjüngung, zum Beispiel als Vorwald oder auch als gratis entstehender Beitrag zur künftigen Baumartenmischung.
Vitale Schirmschichten sind für jede Art von Verjüngung ökologisch deutlich vorteilhafter als die Extrembedingungen unter freiflächenähnlichen Verhältnissen. Wald wächst unter Wald – der Erhalt vorhandener Bestandesschichten als Voraussetzung erfolgreicher Veränderungen in der räumlichen Struktur und der Baumartenzusammensetzung sollte dementsprechend höchste Priorität haben.
Ein situationsangepasstes waldbauliches Vorgehen, zum Beispiel in Form stärkerer Durchforstungen, zeitigerer bzw. gestaffelter Ernte und der Förderung von Pionierbaumarten, sollte (angepasste Wildbestände vorausgesetzt) darauf ausgerichtet sein, Vorausverjüngungen unter Kiefer auch in jüngeren Beständen als „Risikolebensversicherung“ konsequent zu fördern. Dabei sind mosaikartige, standortangepasste Strukturen weit effizienter als großflächig homogene Unterschichten.
Vom übergeordneten Standpunkt solle es darum gehen, auch für die noch dominierenden Kiefern-Waldökosysteme die Funktionsvielfalt zu sichern. Auch wenn auf einzelnen Flächen jeweils bestimmte Ökosystemleistungen im Fokus der Bewirtschaftung stehen, so sollten in der Gesamtsicht die versorgenden (Nutzung), die regulierenden (Schutzwirkungen) und die kulturell-sozialen Funktionen des Waldes in einem für die Gesellschaft möglichst förderlichen Verhältnis zueinander angestrebt werden.
Als Erbe der Vergangenheit ist die Kiefer auf absehbare Zeit auch der zentrale Ausgangspunkt der waldbaulichen Aktivitäten in Richtung gemischter, strukturreicher Wälder. Baumarten- und Strukturvielfalt sowie kleinflächige, standortangepasste Mischungen unter Nutzung ihrer vorteilhaften Pionier-Eigenschaften sind notwendige „Brückentechnologien“ bzw. Voraussetzungen, um die zunehmenden Risiken für die Baumart zu minimieren. Dem sollte der Leitsatz zugrunde liegen, mit der Kiefer und nicht gegen sie zu arbeiten.
Bei allen Sorgen um die Zukunftsaussichten der Kiefer bleibt es dabei, dass sie gerade im nordostdeutschen Tiefland über die rein stoffliche oder energetische Biomassenutzung hinaus als häufigste Baumart im Hauptbestand und in der Verjüngung entscheidend zu weiteren wichtigen Waldfunktionen beiträgt. Sie ist bestimmend für die Dynamik der Kohlenstoff-Festlegung, für die räumlichen Strukturen in den Wäldern, für das herrschende Waldinnenklima, für das Angebot an Habitaten und Nahrung für andere Pflanzen- und Tierarten sowie für den Schutz jüngerer Bestandesschichten. Die Rolle der Kiefer bekommt durch den Fokus auf die “Nichtholz-Leistungen” weitere Dimensionen hinzu, auch wenn andere Baumarten diese im Detail zum Teil effektiver oder vielfältiger erfüllen könnten. Bis letztere aber flächen- und dimensionsmäßig so weit sind, bleibt die Kiefer eben auch in dieser Hinsicht der “Brotbaum”.
Literaturquellen entnehmen Sie bitte dem Originalartikel in der Eberswalder Forstlichen Schriftenreihe.
Hier finden Sie den Vortrag von Jens Schröder zum Eberswalder Waldkolloquium 2025 – Vorträge | Landesbetrieb Forst Brandenburg




