Die Idee, sich dieser "Mutterstöcke" bei der Wiederbewaldung der Kalamitätsflächen zu bedienen, ist eine Methode, um mit geringen Pflanzenzahlen und finanziellen Mitteln Schadflächen wieder zu bestocken. 

Die Mutterstockverwendung und Stockachselpflanzung sind ursprünglich auf Hochgebirgs- und Hangwälder ausgerichtet, wo ein mechanischer Schutz gegen Schnee und Schneebewegungen eine große Rolle spielt. Für diese Hänge wird auf Kahlflächen durch Schadereignisse (Sturm oder Borkenkäfer) eine Höhe der Fichten-Mutterstöcke von 1m als Empfehlung angegeben. Bei Flächen mit Gleitschneegefahr wird auf eine günstigere Schutzwirkung mit zunehmender Höhe der Stöcke verwiesen (Waldbauhandbuch Bayerische Staatsforsten, 2018). 

Das hier vorgestellte Praxisbeispiel geht von einer Höhe von 2 – 2,5 m aus. Eine Höhe, in der in vielen Fällen auch der Holz Wert durch Rot Fäule gemindert ist. 

Auf der Abtriebsfläche wird schon bei der Holzernte der Pflanzverband der Hauptbaumarten der nachfolgenden Kultur festgelegt. Beabsichtigt man z.B. eine Kultur mit den Hauptbaumarten Große Küstentanne (Abies grandis) und Douglasie (Pseudotsuga menziesii) mit einem Pflanzverband von 4 x 4 m, setzt man 625 Pflanzplätze je Hektar voraus. In diesem Raster werden die Fichten in 2-2,5 m Höhe abgesägt. Die Fichten-Mutterstöcke verbleiben auf der Fläche und in ihre Stockachseln werden zur Wetterseite hin die Jungpflanzen gepflanzt. 

In den Folgejahren kann entweder gewünschte Naturverjüngung zielorientiert übernommen werden oder, bei Ausbleiben standortgerechter Naturverjüngung, auch aktiv weitere Baumarten eingebracht werden. Hier bieten sich - jeweils standortsabhängig - verschiedene Optionen an: z.B. Kiefer/Fichte als Zeitmischung oder Buche/Eiche/Roteiche u.a. Zur Erleichterung evtl. später notwendiger Pflegemaßnahmen können die Pflanzen reihenweise oder auch kleinörtlich konzentriert eingebracht werden. 

Vorteile der Fichten-Mutterstöcke für die Pflanze

Mehr Wasser: 

Die Pflanze in der Stockachsel bekommt zusätzlich zum Flächenniederschlag auch den Schlagregen, der am Stamm herunterläuft. Dieses bedeutet für die Pflanzen mehr verfügbares Wasser als der vorhandene Niederschlag. Der langsam verrottende Wurzelstock fungiert wie ein Schwamm und hat eine hohe Wasserspeicherkapazität. Dadurch kann er das Wasser über einen längeren Zeitraum kontinuierlich abgeben.

Höherer Verdunstungsschutz: 

Durch den Wanderschatten der Stöcke ist die Oberflächentemperatur der Fläche wesentlich geringer, als auf einer abgeräumten Freifläche. Die Pflanze genießt im Tagesgang der Sonne den Schatten des Mutterstockes, was dazu führt, dass weniger Pflanzen durch Hitzeschäden (direkte Sonnenstrahlung) leiden. Da durch das Vorhandensein der Mutterstöcke auch die Windruhe auf der Fläche zunimmt, sinkt die Verdunstungsrate in ihrer Gesamtheit ebenfalls. Besonders auch die Douglasie, die im Kulturstadium als echte "Mimose" gilt, ist für Windruhe dankbar. Der sich frühmorgens an den Schattenseiten der Mutterstöcke haltende Tau bildet zusätzlich ein länger in den Tag hinein anhaltendes kleinklimatisches, feuchtes Milieu für die Jungpflanze, als es auf unbeschatteten Flächen der Fall ist.

Besserer Pflanzenstandort:

Durch die Wurzeln der abgestorbenen Bäume ist der Boden für die Jungpflanzen bereits auf natürliche Weise bestens vorbereitet: Er ist vorgelockert, sodass die Jungpflanze die verrottenden Wurzelkanäle der Mutterstöcke ausnutzen kann, um schneller den Mineralboden zu durchwurzeln. In den Stockachseln ist durch Wind-, Laub- und Schlagregeneintrag eine humose Bodengare entstanden, die beste Anwuchsbedingungen bietet. Da die Jungpflanzen schneller einen größeren Raum durchwurzeln können, als es bei einer herkömmlichen Pflanzung der Fall ist, können sie sich besser im Boden verankern. Das hat eine höhere Stabilität und Standfestigkeit zur Folge, die sich in die höheren Altersphasen hinein fortsetzt.

Langfristiges Nährstoffdepot:

Die Nährstoffe und Mineralien des langsam verrottenden Mutterstockes werden mit der Zeit kontinuierlich pflanzenverfügbar und stehen den jungen Pflanzen als Depot zur Verfügung.

Förderung der Naturverjüngung:

Durch die Anflug- und Landemöglichkeiten, die die Mutterstöcke für die Vogelwelt bieten, wird die Einbringung von erwünschten Nebenbaumarten, wie z.B. der Vogelbeere, enorm gefördert.

Vorteile bei der Kulturpflege und Begleitwuchsregulierung:

Kulturpflege und Begleitwuchsregulierung werden in den nächsten Jahren ein großes Thema werden. Die auf der Fläche verbleibenden Mutterstöcke markieren über mehrere Jahre hinweg deutlich erkennbar die Standorte der Hauptbaumarten. Diese sind auf Flächen, auf denen mit Mutterstöcken gearbeitet wurde, jeder Pflegekolonne deutlich zu definieren. Übliche Freischneideverluste können auf diese Weise verhindert werden. 

Auch lässt sich bei der Kulturplanung von trupp- und gruppenweisem Einbringen von Mischbaumarten auf die Fläche dieses durch die Mutterstöcke noch lange nachvollziehbar definieren, indem man die Außengrenzen der Trupps und Gruppen durch farbig gekennzeichnete Stöcke markiert.

Vorteile beim Forstschutz:

Bei der geringen Pflanzenzahl der Hauptbaumarten und dem Bestockungswechsel von der Fichte hin zu klimastabilen Baumarten – wie z.B. Weißtanne (Abies alba), Küstentanne (Abies grandis) oder Schwarznuss (Juglans nigra) – ist der Verbissdruck auf die neuen Baumarten sehr hoch. Wenn Einzelschutz mit Wuchshüllen nötig ist, kann man diese einfach an die Stöcke krampen. So spart man Robinienpfähle und Kabelbinder. Trupp- und gruppenweiser Flächenschutz ist auf diese Weise kostenreduziert, und selbst die gesamte Fläche lässt sich kostensparend einzäunen, indem man die Mutterstöcke als Pfähle nutzt.

In Rotwildgebieten stellen die Stöcke in Verbindung mit einer Drahthose einen sehr stabilen und kostengünstigen Schlag- und Verbissschutz dar. Auch für Rehböcke sind die Jungpflanzen schwieriger zu fegen, wenn sie eng in die Wurzelstockachseln gepflanzt wurden. Nicht zuletzt fördern die Mutterstöcke als Ansitzmöglichkeit für Tag- und Nacht-Greifvögel die biologische Mäusebekämpfung auf der Fläche.

CO2-Bilanz und ökologischer Nutzen: 

Auf der Mutterstockfläche ist die C-Bindung höher als auf geräumten Flächen, und der Kohlenstoff (C) bleibt noch lange auf den Flächen gebunden. Die Standzeit der Stöcke kann mit 15 Jahren in die Berechnungen einfließen. Viele zersetzende Organismen, wie Pilze und Insekten, finden an den langsam verrottenden Mutterstöcken Lebensräume und bieten eine Nahrungsgrundlage für Vögel und die weiterreichenden Nahrungsketten im Wald.

Betriebswirtschaftlicher Nutzen:

Neben den hier aufgeführten praktischen und ökonomischen Vorteilen der Stockachselpflanzung-/Mutterstock-Methode bei der Wiederbestockung von Flächen kann auch in Überlegung gebracht werden, dass Industrieholz zurzeit ein defizitäres Sortiment und nicht kostendeckend ist.  Auf Kalamitätsflächen können in Verbindung mit der durchgeführten Stockachselpflanzung auch schnellwachsende Baumarten – z.B. Hybridpappelklone – eingebracht werden. Diese sind auf pappelfähigen Standorten in der Lage, in relativ kurzer Zeit einen Vorwald zu bilden, der die Konkurrenzvegetation zurückhält und die Möglichkeit der späteren Einbringung von Schattbaumarten schafft. Nach bereits 15-20 Jahren können Vornutzungserträge erzielt werden.

Aspekte zum Forstschutz

Generell stellt der Große braune Rüsselkäfer unabhängig von der verbleibenden Stockhöhe auf allen Fichten Kalamitätsflächen mit einer nachfolgenden Nadelholz-Zielbestockung eine Gefahr dar. Er lebt und vermehrt sich in frischen Baumstöcken und kann junge Nadelholzpflanzungen komplett vernichten. Nach einer Wartezeit von drei Jahren bieten die Mutterstöcke für ihn jedoch keine Lebensgrundlage mehr. Das Risiko von Schäden an Nadelholzpflanzen durch Rüsselkäferbefall kann durch Mischungen aus Laubholzarten und Nadelholzarten gestreut werden. 

Fazit

Die Integration von auf Kalamitätsflächen belassenen Fichten-Mutterstöcken bei der Pflanzung einer neuen Waldgeneration ist ein Versuch, mit geringen Ressourcen an Pflanzmaterial und finanziellen Mitteln schnellstmöglich einen klimastabilen Wald zu begründen. Die Methode hat viele Vorteile, erfordert jedoch eine sehr exakte und strategische Pflanzplanung, die den Pflegekolonnen deutlich definiert werden und die strikt eingehalten werden muss. Angesichts der aktuellen Kalamität soll dieses Praxisbeispiel eine Diskussionsgrundlage bilden, auf der vielleicht ein Optimalverfahren erarbeitet werden kann.

Literatur

  • Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft Deutschland (ANW) e.V. (2019): Die Weißtanne (Abies alba). Anregungen für Praktiker.
  • Bayerische Staatsforsten (Hrsg. 2018): Waldbauhandbuch. Richtlinie für die Waldbewirtschaftung im Hochgebirge, WNJF-RL-006 Bergwachtrichtlinie, Stand: 03/2018, S. 121.
  • Forstbetriebsgemeinschaft Main-Spessart West e.V.: Newsletter 01/2019 Stockachselpflanzung; www.fbg-msp-west.de; abgerufen am 05.08.2020.
  • mein wald mein holz. Fachzeitschrift für Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer, Heft 1/2019.
  • Wald und Holz NRW (Hrsg. 2020): Praxisleitfaden Fichten-Dürrständer: Hinweise zum Umgang mit stehenden abgestorbenen Fichten auf Kalamitätsflächen. Münster.
  • Wald und Holz NRW (Hrsg. 2015): Waldblatt Herbst 2015, S. 13 (Regionalforstamt Kurkölsches Sauerland).
  • www.anw-hessen.de/eip/pages/anw-exkursion-22052013.php, abgerufen am 31.07.2020.