Ohne den Schutzwald wären viele Alpentäler kaum ganzjährig besiedelbar, viele Verkehrsachsen wären vor allem im Winter unpassierbar und der Wintertourismus wäre in der heutigen Form nicht möglich. Überzeugende Zahlen und Fakten für eine überragende Bedeutung der Schutzwirkung des Waldes als Basissicherung des menschlichen Lebensraums, könnte man meinen. Doch die Realität sieht anders aus: Das öffentliche Bewusstsein für den Schutzwald ist gering.

Nachhaltig verfügbar? 

Der Zustand des Schutzwaldes ist – verglichen mit früheren Jahrhunderten mit flächiger Abholzung der Wälder – heute fast ideal, die Waldfläche nimmt sogar jedes Jahr zu. Daher wird die Multifunktionalität des Bergwaldes – etwa als Freizeit- und Erholungsraum, als Jagdrevier, als Wasserspeicher, als Naturbiotop und Rohstoffquelle – als selbstverständlich und nachhaltig verfügbar erachtet, ohne den fundamentalen Veränderungen des Klimas und der Gesellschaft hinreichend Beachtung zu schenken.

Warnungen vor kritischen Entwicklungen oder Risiken für den Schutzwald werden oft als hanebüchen hingestellt. Die Entwicklung geht in eine andere Richtung: Wie der gerade veröffentlichte Bericht „Schutzwald in Österreich“, den das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) gemeinsam mit seinen Wissenschaftspartnern im Auftrag des BMLRT erstellt hat, eindrucksvoll zeigt, ist der Schutzwald infolge des Klimawandels multiplen Risiken wie Lawinen, Rutschungen, Hochwasser, Dürre, Waldbrand u.v.m. ausgesetzt.

Regional nehmen die verheerenden Schadensereignisse im Schutzwald nach Häufigkeit und Intensität stetig zu. Wir sind zwar noch davon entfernt, apokalyptische Prognosen für die Schutzwirkung des Waldes zu stellen, doch ist für die Wissenschaft absehbar, was 1,5 oder 2,0 Grad Celsius Temperaturanstieg für den Bergwald und seine Bäume bedeuten. Ebenso kann jeder Forstwirt und jede Forstwirtin ermessen, welche Folgen ein jahrzehntelanger Ausfall der Naturverjüngung durch Wildverbiss für die Struktur und Stabilität des Schutzwaldes haben wird. Schließlich können in Risikodimensionen denkende Raumplaner*innen gut vorhersagen, wie stark die Verletzlichkeit des menschlichen Lebensraums durch Bebauung, Mobilität und Wertsteigerung zunehmen wird.

Wie sich solche Prognosen rasch materialisieren können, zeigt ein Blick in die Gemeinde Kals am Großglockner, wo etwa die Hälfte der Schutzwälder durch den Sturm Vaia zerstört wurden: Ohne technischen Schutz gibt es keine Sicherheit für den Siedlungsraum. Stellt man sich vor, dass solche Szenarien in vielen Regionen Realität werden können, ist das eine besorgniserregende Perspektive. 
 

Eine anschauliche Rechnung

Was der Verlust der Schutzwirkung des Waldes wirtschaftlich bedeutet, verdeutlicht diese Kalkulation: Die Kosten für die Pflege eines existierenden Schutzwaldes während 100 Jahren betragen weniger als 200 000 Euro/ha. Geht der Schutzwald durch Sturm verloren, muss durch Naturverjüngung, Aufforstung und falls nötig Lawinenverbauungen für Ersatz der Schutzwirkung gesorgt werden.

Auch Wildschäden durch Verbiss und Schälung, Beweidung und unsachgemäße Bewirtschaftung können eine Sanierung notwendig machen. Die Kosten für Lawinen- und Gleitschneeverbauung und Aufforstung können bis zu 600 000 Euro/ha betragen. Die Errichtung und Pflege von Lawinenverbauungen, die einen Schutzwald ersetzen, kosten etwa zwei Mio. Euro/ha (auf 100 Jahre gerechnet). Die Kosten der Schutzwaldpflege stehen zu ersatzweisen, technischen Schutzmaßnahmen im Verhältnis 1:10 oder anders ausgedrückt: Selbst das reiche Österreich könnte sich eine Kompensation aller Schutzwälder durch technische Verbauung unmöglich leisten.

Wald schützt uns alle

Die gesellschaftspolitische Situation um den Schutzwald wirkt geradezu anachronistisch: eine objektiv nie dagewesene Abhängigkeit der Daseinssicherheit von der Schutzwirkung versus eines fehlenden Bewusstseins für die Waldfunktionen; ein deutliches politisches Bekenntnis zum Schutzwald durch das Aktionsprogramm „Wald schützt uns“ versus dem Fehlen einer ökonomischen Basis für die kostendeckende Bewirtschaftung durch Eigentümer*innen; die anerkannt hohe Dringlichkeit für Pflege- und Verjüngungsmaßnahmen auf 50 % der Schutzwaldfläche versus einem ökologischen Dogma der Außernutzungstellung von 10 %.

Die gesellschaftlichen Ansprüche an den Schutzwald steigen, der Schutzwald ist in dieser Entwicklung stark exponiert und hat keine Lobby. So scheint es, dass der Schutzwald im klimatischen Wandel selbst dringend Schutz benötigen würde. Schützenswert ist allerdings nicht der Schutzwald, sondern seine überragende Wirkung für den Menschen, seine Gesundheit, Sicherheit und seine Daseinsgrundfunktionen.

Nachhaltiges Schutzwaldmanagement bedeutet, dieses in die Hände der Begünstigten zu legen, deren Bewusstsein und Verantwortung für „ihren“ Schutzwald zu stärken und sie wirtschaftlich, technisch und rechtlich in die Lage zu versetzen, die nachhaltige Entwicklung der Schutzwälder zu gestalten. Begünstigt sind in erster Linie jene Menschen, die unmittelbar von der Schutzwirkung des Waldes abhängig sind, mittelbar sind wir es aber alle.