Historische Waldnutzungsformen

Mittel-, Nieder- und auch Hutewälder waren in der Kulturlandschaft Mitteleuropas einst weit verbreitet. Gegenwärtig sind nur noch wenige Reliktbestände vorhanden. Sie spielen dennoch eine besondere Rolle für die Entstehung und Erhaltung einer schutzbedürftigen Biodiversität. Traditionell genutzte wie auch durchwachsende Niederwälder stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands. Sie drohen zunehmend, ebenso wie traditionell genutzte Mittelwälder, sogar vollständig zu verschwinden. Der Grund liegt auf der Hand – die Nutzungsformen, die zu ihrer Entstehung geführt haben, werden nicht mehr ausgeübt. Die Fläche der noch aktiv bewirtschafteten Niederwälder in Deutschland wird auf weniger als 12.000 Hektar geschätzt. Gemäß der dritten Bundeswaldinventur (BWI3 - 2012) nehmen alle Wälder mit Niederwaldstrukturen rund 32.500 Hektar, Wälder mit Mittelwaldstrukturen rund 46.000 Hektar ein.

Teil unseres Waldkulturerbes

Die verbliebenen Nieder- und Mittelwälder enthalten häufig Zeugnisse und Spuren von historischen Bewirtschaftungstechniken wie Schneitelung, Waldstreunutzung oder Absenkerverjüngung. Sie sind damit ein wichtiger Teil unseres Waldkulturerbes. Damit eng verbunden ist das immaterielle Kulturerbe im Wald. Es umfasst das traditionelle Wissen, Handwerk und Brauchtum, welches mit der Ausübung von historischen Waldnutzungsformen eng verbunden ist. Dazu gehören die Köhlerei, die Verlosung von Nutzungsberechtigungen in Genossenschaftswäldern oder besondere Erntetechniken in Niederwäldern, z.B. zur Lohrindegewinnung für die Gerberei bis ins 20. Jahrhundert.

Heute sind zeitgemäße Bewirtschaftungs- und Pflegekonzepte unabdingbar, um die für viele Tier- und Pflanzenarten essentielle Habitatkontinuität in diesen meist arten- und strukturreichen Lebensräumen zu sichern und zu entwickeln. Gleichzeitig gilt es, das materielle und immaterielle Kulturerbe im Wald zu erhalten und zukunftssicher zu machen. Gegenwärtig bestehen zudem große Chancen, die energetische Nutzung von Holz effektiv mit der Erhaltung und Entwicklung wertvoller Waldlebensräume zu verbinden.

Niederwaldwirtschaft

Die Niederwaldwirtschaft ist seit der Antike bekannt und eine der ersten Formen der systematischen nachhaltigen Forstwirtschaft im Hinblick auf den Holzertrag. Umgesetzt wurde in ihr das Prinzip des Flächenfachwerks: Eine Waldfläche wird in so viele einzelne Schläge eingeteilt, wie die Umtriebszeit in Jahren beträgt. Historisch waren dies 10 bis 40 Schläge und dementsprechend 10 bis 40 Jahre. Typische Baumarten der Niederwaldwirtschaft sind Eichen, Hainbuche, Linden, Ahorne, Weiden, Hasel, Birken und z.T. auch die Rotbuche. Jährlich werden die Bäume einer Hiebsfläche auf den Stock gesetzt, in den Folgejahren verjüngen sie sich vegetativ durch Stockausschläge. Auf diese Weise entsteht in Niederwäldern dem Hiebszyklus entsprechend ein sich stetig wandelndes Mosaik aus Verbuschungsstadien und Stangenhölzern mit unterschiedlichsten Licht- und Wärmesituationen.

Häufig resultierte die Niederwaldwirtschaft aus dem permanenten Brennholz- bzw. Holzkohlebedarf vor- und frühindustrieller Wirtschaftszweige, etwa zur Salzsiederei oder Eisenverhüttung. Darüber hinaus wurde diese Betriebsart auch in schwer zugänglichen Flusstälern oder Bruchwäldern eingesetzt, wo Nässe oder steile Hänge keine andere Form der Holzerzeugung erlaubten.

Mittelwaldwirtschaft

Ein traditionell bewirtschafteter Mittelwald ist zweischichtig aufgebaut und besteht aus einem locker bis lichten Oberholz und einer Hauschicht (Unterholz) aus Stockausschlägen. Jede Mittelwaldfläche, auch Hiebszug genannt, ist in einzelne Schläge aufgeteilt, die zumeist kleiner als zwei Hektar sind und jeweils einem Nutzungszyklus von 20 bis 30 Jahren unterliegen. Dabei wird die Hauschicht des jeweiligen Schlages bis auf wenige sogenannte Lassreitel, die das zukünftige Oberholz bilden sollen, vollständig geerntet. Je nach Bedarf und Verfügbarkeit werden auch einzelne Stämme aus dem Oberholz entnommen.

Dementsprechend ist der Mittelwald eine multifunktionale Betriebsart, die verschiedenste Ansprüche erfüllt, von der Brennholzgewinnung über die Bauholzerzeugung bis hin zur Waldweide. Dadurch entsteht ein kleinräumiges Mosaik unterschiedlicher Sukzessionsstadien und Baumalter auf engem Raum, die sich durch ein verschiedenartiges Licht- und Wärmeangebot in Bodennähe auszeichnen. Typische Baumarten des Oberholzes sind Stiel- und Trauben-Eiche, aber auch Buche und Edellaubhölzer. Das Unterholz wird wie im Niederwald von ausschlagfähigen Baumarten wie Hainbuche, Winter- oder Sommer-Linde und zahlreichen Straucharten gebildet, wie z.B. zum Beispiel Feld-Ahorn, Weißdorn oder Hasel.

Der Mittelwald stellte seit dem 17. Jahrhundert eine angesehene Waldbauform dar. Veränderte ökonomische Rahmenbedingungen und forstliche Lehrmeinungen führten jedoch ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Umwandlung der meisten Mittelwälder in Hochwaldbestände. In Gemeinde-, Kommunal- und kleinen Privatwäldern hielt sich die Mittel- und Niederwaldbewirtschaftung aufgrund anderer Bewirtschaftungsziele länger als im Staatswald. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie aber auch dort zunehmend zurückgedrängt.

Biologische Vielfalt

Zahlreiche Untersuchungen belegen die große Bedeutung von strukturreichen Mittel- und Niederwäldern für licht- und wärmeliebende Arten. Eine Vielzahl von oft spezialisierten Tier- und Pflanzenarten des Waldes, der Waldränder sowie auch des Offenlandes findet hier einen vielfältigen und wertvollen Lebensraum. Dazu gehören neben den Gruppen der Schmetterlinge, Stechimmen, Ameisen, Spinnen, Reptilien, Singvögel und Gefäßpflanzen auch Spechte, totholzbewohnende Käfer, Moose und Flechten. In den ersten Jahren nach einer Hauung bildet sich eine dichte, artenreiche Krautschicht aus, die sich mit abermals dichter werdender Hauschicht und entsprechend abnehmendem Lichtangebot wieder ausdünnt. Viele Arten der Mittel- und Niederwälder sind heute selten und gefährdet. Dies ist auf den Rückgang dieser einst flächenmäßig häufigen historischen Waldbewirtschaftungsformen zurückzuführen. Ehemalige Nieder- oder Mittelwald-Bestände sind auch nach Jahrzehnten am breitkronigen Habitus der Bäume aus dem früheren Oberholz sowie in der Zusammensetzung der Krautschicht und der Gehölzarten noch erkennbar. Durchgewachsene Niederwälder weisen typische Strukturen wie mehrstämmige Baumindividuen und oft totholzreiche große Wurzelstöcke auf. Durch die Wiederaufnahme der für sie typischen Wirtschaftsform können in den noch vorhandenen Nieder- und Mittelwäldern zahlreiche schutzbedürftige Lebensraumtypen und Arten erhalten werden.

Nieder- und Mittelwald in den Trägerländern der NW-FVA

Die Tabelle gibt einen Überblick über die Fläche von Wäldern mit Nieder- und Mittelwaldstrukturen in Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Die räumlichen Schwerpunkte dieser Betriebsarten entsprechen dabei deren Vorkommen in den 1920er-Jahren, als sie insgesamt noch größere Flächen einnahmen. Allerdings fand auch in Nordwestdeutschland insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein großflächiger Umbau von Nieder- und Mittelwäldern zu Hochwald statt. Im 19. Jahrhundert wie auch heute ist eine Bindung dieser Betriebsarten an die Art des Waldeigentums auffällig. So kommen Nieder- und Mittelwälder sowie deren Relikte vielerorts vor allem in Genossenschafts-, Gemeinde- und kleineren Privatwäldern vor. Von besonderer naturschutzfachlicher und soziokultureller Bedeutung sind bis heute genossenschaftlich genutzte Niederwälder im hessischen Lahn-Dill-Bergland, die insgesamt etwa 2000 ha umfassenden Hauberge mit Eiche und Birke. Im Kleinprivatwald des Weserberglandes und in Ostholstein wurde die Niederwaldwirtschaft zu einer mehr plenterartigen, einzelstammweisen Stockausschlagnutzung zur permanenten Brennholzerzeugung auf kleinen Besitzparzellen abgewandelt, die mitunter Mittelwaldcharakter aufweist.

Tabelle 1: Flächenangaben der Wälder mit Nieder- und Mittelwaldstrukturen in den Trägerländern der NW-FVA gemäß der dritten Bundeswaldinventur (BWI3 - 2012). Zusammenstellung nach Vollmuth (2021).

Bundesland

Niederwaldstrukturen (ha)

Mittelwaldstrukturen (ha)

Hessen

4399

400

Niedersachsen

2186

794

Schleswig-Holstein

997

898

Sachsen-Anhalt

399

797

 

Forschung im Mittelwald Liebenburg

Der Mittelwald Liebenburg der Niedersächsischen Landesforsten liegt im Salzgitter-Höhenzug am nordwestlichen Harzrand. Im Jahr 1986 wurde auf zunächst 15 Hektar und ab 1989 auf über 200 Hektar die Mittelwaldwirtschaft wieder aufgenommen. Das Ziel ist die Wiederherstellung und Erhaltung eines historischen Mittelwald-Komplexes durch die Reaktivierung des traditionellen Bewirtschaftungszyklus. Dies geschieht unter Beachtung der heutigen ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen sowie veränderter Umweltverhältnisse. Ausgehend von dauerhaften Erschließungslinien wird die Hauschicht auf 20 Jahresschlägen von einem Harvester mittels Fäller-Bündler-Aggregat geerntet, am Fahrweg abgelegt, gehackt und als Energieholz vermarktet. Diese Mittelwald-Reaktivierung wird seit 2002 von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) wissenschaftlich begleitet. In den Jahren 2015 und 2016 wurden die Artenvielfalt, Vegetation und Waldstruktur dieses reaktivierten Mittelwaldes mit denen eines benachbarten Hochwaldes verglichen. Der Vergleich zeigt, dass es zwar aufgrund ähnlicher standörtlicher und vegetationsökologischer Voraussetzungen eine große Schnittmenge gemeinsamer Arten gibt, dass jedoch der Artenreichtum insgesamt und vor allem die Anzahl exklusiver Arten im Mittelwald deutlich höher sind als im Hochwald. Insgesamt dokumentieren die Untersuchungen der Tier- und Pflanzenvorkommen nach dem initialen Reaktivierungszyklus eine hohe und für Mittelwälder typische Biodiversität.

 

Ausblick

Die Mittelwaldbewirtschaftung ist sehr gut dazu geeignet ist, den Erhaltungszustand von Waldlabkraut-Eichen-Hainbuchenwäldern als Lebensraumtyp der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zu sichern bzw. wiederherzustellen. Tag- und Nachtfalter, Holzkäfer, Heuschrecken, Wanzen, Bienen und Hummeln reagieren positiv auf das höhere Licht- und Wärmeangebot sowie den Blütenreichtum im Mittelwald. Dort bewirkt der turnusmäßige Einschlag der Hauschicht ein kleinflächiges Nebeneinander unterschiedlicher Sukzessionsstadien und damit verbunden unterschiedliche kleinklimatische Verhältnisse. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg dieser Mittelwald-Reaktivierung im Hinblick auf Flora und Vegetation ist die relative kurze Unterbrechung der Mittelwaldbewirtschaftung von 30 bis 40 Jahren. Diese ermöglichte das erfolgreiche Überdauern von Mittelwald-typischen Pflanzenarten in Restbeständen oder als Diasporen im Erdboden.


Zitierte Literatur:

  • Hesmer H. (1937): Die heutige Bewaldung Deutschlands. Paul Parey, 52 S.
  • Vollmuth D. (2021): Die Nachhaltigkeit und der Mittelwald: Eine interdisziplinäre vegetationskundlich-forsthistorische Analyse – oder: Die pflanzensoziologisch-naturschutzfachlichen Folgen von Mythen, Macht und Diffamierungen. Göttinger Forstwissenschaften 10: 1–568.

Originalartikel:
Der Artikel ist mit länderspezifischen Passagen in den Waldzustandsberichten 2023 für die Länder Niedersachsen, Hessen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt der NW-FVA erschienen.