Die 70 a grosse Waldfläche, bestockt mit Buche, Tanne, Bergahorn und Esche, liegt am Südhang oberhalb von Biel. Vor rund 24 Jahren wurde sie das letzte Mal bewirtschaftet und gepflegt. Im Herbst galt ihr die Aufmerksamkeit der Kursteilnehmer der "Anzeichnungs-Übung" von ProSilvaSchweiz. Die Fläche soll, gemäss neuer Betriebsausrichtung, in die Dauerwald-Bewirtschaftung überführt werden. Wie soll dies geschehen?

Die 23 Kursbesucher teilen sich in Gruppen auf und begingen – mit Farbbändern ausgerüstet – die Fläche mit fachmännischem Blick. Welche Bäume sind beim ersten Holzschlag zu ernten, wo muss mehr Licht auf den Boden fallen, welches sind geeignete "Nachrücker "? Es wird in den Gruppen laut und zum Teil heftig diskutiert. Nicht immer ist man sich über die Auswahl einig. "Während der Anzeichnungs-Übung entdeckten die Teilnehmenden immer wieder, dass es kein einzig wahres Rezept für die Auslese gibt. Fachwissen, Erfahrungen, aber auch Vorlieben für Baumarten spielen dabei eine Rolle", weiss der Kursleiter, Richard Stocker.

Für eine optimale Wahl der Hiebsmenge ist die ganzheitliche Betrachtung der Fläche entscheidend. Das heisst, der kundige Blick auf den Boden, aber auch der Blick zu den Baumkronen ist Pflicht. Wird eine Fläche in die Dauerwald-Bewirtschaftung überführt, ist das Mass für die Ernten schwierig zu finden: Wird zu wenig herausgenommen, kann sich auf der Fläche nicht genügend schnell eine Veränderung entwickeln – wird zu viel herausgenommen, gehen Zuwachs, Stabilität, Waldbinnenklima und Zukunftsbäume verloren.

Schönes Waldbild

Die obgenannte Fläche gehört zum Wirkungsgebiet von Kuno Moser, seit zwölf Jahren Oberförster der Burgergemeinde Biel. Er ist vor zehn Jahren dem Verein ProSilva beigetreten. "Die Dauerwald-Bewirtschaftung hat für mich verschiedene positive Aspekte", so Kuno Moser. Dauerwald benötigt einen kleinen Pflegeaufwand und Holz kann in einem definierten, regelmässigen Turnus auf den Flächen geerntet werden.

Für den Forstingenieur ist aber auch etwas Weiteres wichtig: "Unser Wald liegt am Stadtrand und ist ein beliebtes Naherholungsgebiet der Bevölkerung. Dauerwälder besitzen eine durchmischte, schöne Waldstruktur. Dies gefällt den Waldbesuchern. Die Holzernteeingriffe wirken nicht radikal, denn es werden nur einzelne Bäume entnommen. So verändert sich das Waldbild nicht abrupt."

Anzeichnungs-Übungen

Die gut besuchten Anzeichnungs-Übungen von ProSilva finden seit 20 Jahren regelmässig einmal im Jahr statt. Immer wieder sind auch Dauerwald-Neulinge mit von der Partie. So zum Beispiel die beiden Landwirte Hans Mathys und Martin Kaufmann. Sie arbeiten als Waldarbeiter in Forstrevieren der Region Oberaargau und begleiten "ihren" Förster, Marc Maeder, jeweils beim Anzeichnen der zu erntenden Bäume und besprechen die Fällaktionen. "Ich kenne die Dauerwald-Bewirtschaftungsform noch nicht so lange", erklärt Mathys. "Aber ich finde es eine gute, sinnvolle Sache." Die zwei Waldarbeiter möchten nun mit dem Besuch des Kurses noch mehr Einblick in die Handhabung der Pflege und Hege im Dauerwald erhalten.

Förster Maeder, kennt die Dauerwald-Thematik schon seit seiner Ausbildungszeit zum Forstwart. "Ich bin quasi damit aufgewachsen." In seinem Forstrevier, Altachen-Oenz, versucht er den Privatwaldbesitzern die Grundsätze der Dauerwald-Pflege näherzubringen.

Bewirtschaftungsform muss gelernt werden

Überzeugungsarbeit leisten muss auch Patrik Mosimann aus Grenchen nicht. Er ist seit 19 Jahren ProSilvaSchweiz-Mitglied und immer wieder an den Anzeichnungs-Übungen mit von der Partie. Vor 21 Jahren hat er das Forstrevier der Bürgergemeinde Grenchen übernommen. Bei seinem Stellenantritt wurde festgehalten, dass er den Wald – wie es sein Vorgänger begonnen hatte – im Dauerwald-System bewirtschaften muss. Der Wald umfasst 970 ha. Die gesamte Fläche wird seit 1995 als Dauerwald bewirtschaftet. "Damals besass ich noch keine Erfahrung mit der Dauerwald-Bewirtschaftung und nur wenige Kenntnisse in Bodenkunde. Ich musste dies von Fachleuten lernen und meine Lehren im Wald der Bürgergemeinde Grenchen machen."

Bereits zu jener Zeit wurden Anzeichnungs-Übungen durchgeführt. Damals hiess ProSilva noch "Arbeitsgemeinschaft naturgemässe Waldwirtschaft" (ANW). In der Zwischenzeit ist Mosimann "ein alter Hase" in diesem Bereich. "Ich kenne in meinem Waldgebiet beinahe jeden Baum, kenne die Bodeneigenschaften der Flächen, die Ansprüche der verschiedenen Baumarten." Diesen grossen Wissensfundus gibt er an Führungen durch seine Waldflächen gerne weiter.

Dauerwald und Wirtschaftlichkeit

Forstfachleute aus Zollikofen, Lyss, Maienfeld und sogar aus dem Ausland sind immer bei ihm wieder zu Gast. Eine häufig gestellte Frage während dieser Führungen ist die Frage nach der Wirtschaftlichkeit des Dauerwaldes. Denn oft wird Dauerwald für eine ökologisch-romantische Bewirtschaftungsform gehalten. Wissenschaftliche Studien widersprechen dieser Auffassung. Auch die Erfahrungen und Zahlen von Mosimann zeigen: Dauerwald = ökonomischer Wald. Warum? "Wir haben keine kostenintensiven flächigen Bepflanzungen und deutlich weniger Aufwand für die Jungwaldpflege. Wir können immer und regelmässig auf der gesamten Waldfläche Holz ernten. Im Dauerwald existieren keine geräumten Flächen, auf welchen erst in dreissig Jahren wieder Holz geerntet werden kann. Naturereignisse bilden hier die Ausnahme. Holz wächst bei uns überall auf jeder Fläche."

Theorie und Praxis

In Biel haben die Kursteilnehmer die Fläche begutachtet und angezeichnet. Die Gruppe sammelt sich für eine Besprechung. Für Richard Stocker ist klar: "Auf dieser Übungsfläche fehlen die jungen Bäume. Es fällt zu wenig Licht auf den Boden. Hier sind Werte verloren gegangen, weil das Kronendach zu dicht ist, zu lange nicht durchforstet wurde." Die Gruppen erläutern untereinander, wie viele Quadratmeter Grundfläche sie herausnehmen würden. Die Unterschiede der Nutzungsmengen sind gross. Die einen sind bei ihrer Auswahl zu zaghaft, die anderen zu forsch. Was ist nun richtig?

Theorie und Praxis sind in dieser Fragestellung zu kombinieren. Fachleute empfehlen, bis zum Erreichen der Zielgrundfläche etwa 20–22% der Grundfläche herauszunehmen, um danach jeweils nur noch den Zuwachs zu ernten. "Aber ihr müsst euren Wald, seine Gegebenheiten, den Boden, die Wüchsigkeit kennen, um richtig zu entscheiden", sagt Stocker. Wald in einen Dauerwald zu überführen, erfordert je nach Ausgangssituation sechs bis zwölf Eingriffe in einem Abstand von jeweils fünf Jahren. Es ist keine Hauruck-Aktion, sondern eine langfristige Investition in die Zukunft. Wer nicht gewillt sei, den Wald in einem klar definierten Rhythmus zu bewirtschaften und die Fläche ganzheitlich zu betrachten, soll keine Dauerwald-Bewirtschaftung anstreben, so Richard Stocker. "Für waldbauliche Erwägungen sind Grundflächen gegenüber Holzvorräten viel einfacher zu handhaben. Sie sind durch Kluppieren direkt messbar oder mit der Bitterlich-Methode in Sekundenschnelle zu erfassen. Leider haben wir diese Methoden bei der Ausbildung nicht hinreichend gut gelernt." Zur Berechnung von Nutzungsmengen und zur Kontrolle von Kleinflächen hat Richard Stocker ein Excel-Modell entwickelt.

Kontrollflächen für die Zukunft

Mit einem solchen Modell befasst sich zurzeit der Kursteilnehmer Roland Steiner, Förster des Reviers Egg-Ost-Stadlerberg. Er hat sich 1999, in der Folge des Jahrhundertsturmes "Lothar", zur Dauerwald-Bewirtschaftung entschlossen. Er ist seit vier Jahren Mitglied der ProSilva. Einige Erfahrungen hat er bei seinem Tun schon gesammelt. Nun geht er einen Schritt weiter. Er hat zusammen mit der aus Deutschland kommenden Forstwissenschafts-Praktikantin Josephine Schneider in seinem Revier zehn Kontrollflächen von je ca. 0,5 ha in verschiedenen Waldgebieten zur Beobachtung und Analyse der Waldentwicklung eingerichtet. Die gesamte bewirtschaftete Waldfläche ist in fünf Bewirtschaftungseinheiten (BWE) aufgeteilt, welche im Turnus von fünf Jahren genutzt und gepflegt werden.

Pro BWE wurden zehn Kontrollflächen eingerichtet. Diese Flächen werden nun – so ist es auch im Betriebsplan festgehalten – vor jedem Eingriff genauer unter die Lupe genommen, ihre Entwicklung wird mit Zahlen und Fakten festgehalten. "Es ist für mich ganz klar eine Investition in die Zukunft. Ich erfahre durch diese definierten Flächen und ihre Beobachtung mehr über das Dauerwald-Verhalten und die optimale Bewirtschaftung», erklärt Steiner. "Durch diese Grundlagen wird dereinst auch mein Nachfolger in die Lage versetzt, zu rekonstruieren, was in diesen Beständen realisiert wurde."

Er habe in den letzten Jahren nach Gefühl und Gutdünken gehandelt und sei damit gut gefahren. Er habe aber die Tendenz, so gibt er zu, jeweils zu wenig herauszunehmen. Die alljährlichen Stichproben in den Flächen werden in das von ProSilva entwickelte Modell eingespeist (siehe Abbildung). In der Auswertung sind verschiedenste Aussagen enthalten: unter anderem, wie sich die Umlaufzeit und die Grundflächen-Abbauzeit auf die Eingriffsstärke auswirken, wie sich scharfe oder zu schwache Eingriffe auf die Entwicklung des Dauerwaldes auswirken.

Für viele sind die ökonomischen Vorteile des Dauerwaldes in mitteleuropäischen Verhältnissen überzeugend. Bisher waren vor allem die Plenterwälder im Kanton Neuenburg, im Emmental und im Schwarzwald bekannt. Immer mehr verbreitet sich die Dauerwald-Bewirtschaftung auch in Laubwaldgebieten des Mittellandes. Heute ist die naturgemässe Bewirtschaftung der Wälder u.a. in den Kantonen Zürich, Bern, Aargau, Thurgau, Solothurn, Zug, Glarus und St. Gallen weit verbreitet. Die Flächen als Dauerwald zu pflegen und zu bewirtschaften, erfordert Erfahrung und ganzheitliches Wissen. "Es ist schön, dass dieses Gedankengut heute in der Ausbildung der Forstleute mehr einfliesst als in der Vergangenheit", sagt Stocker.

Erfahrungen mit dem Wild(druck)

Kuno Moser: "Ein zu grosser Wilddruck ist für die Verjüngung der vom Verbiss gefährdeten Baumarten im Dauerwald noch schwerwiegender als bei flächigen Verjüngungen. Diesen Baumarten droht ein Totalausfall."

Marc Maeder: "Der momentan sehr hohe Wildbestand führt unweigerlich zu einem grossen Verlust an Biodiversität. Und zwar in sämtlichen Waldbausystemen, welche ausschliesslich mit Naturverjüngung arbeiten."

Patrik Mosimann: "Da die Verjüngung im Schatten der grossen Bäume aufwächst, ist das Höhenwachstum in der Jugend geringer und die Zeit, in welcher der junge Baum dem Verbissdruck ausgesetzt wird, deutlich länger. Die Weisstanne hat in Grenchen nur sehr vereinzelt eine Chance, aus dem Verbiss hinauszuwachsen. Sie wird von der Gams und dem Reh fast überall 'niedergehalten'. Ein verstärkter Abschuss zugunsten der Baumartenvielfalt ist deshalb ein Muss!"

Roland Steiner: "Für den Dauerwald und den Waldbestand wichtige Pflanzen, wie die Tanne und die Eiche, die nicht sehr üppig vertreten sind, werden vom Wild intensiv angenommen. An vielen Orten ist es nur durch mechanische oder chemische Schutzmassnahmen möglich, dass sich diese Pflanzen entwickeln können. Auch Lärchen müssen geschützt werden, da sie sonst oft gefegt werden."

Erfahrungen mit den Lichtbaumarten

Kuno Moser: "Die eigenen Erfahrungen sind noch nicht so gross. Bei uns ist jedoch die Verjüngung von Eichen problematisch. Dies scheint jedoch nicht nur ein Problem eines ausreichenden Lichteinfalls zu sein."

Marc Maeder: "Lichtbaumarten gehören in die Dauerwald-Bewirtschaftung. Es ist jedoch ziemlich anspruchsvoll, diese auf natürlichem Wege einzubringen, da sie bei zu wenig Licht logischerweise keine Chance haben und bei zu viel Licht sofort durch die Brombeere stark konkurrenziert werden. Ein geringerer Wilddruck würde helfen, weil bei unseren Rehen die Lichtbaumarten noch beliebter sind als die Tanne und daher noch früher ausfallen."

Patrik Mosimann: "Auch Lichtbaumarten haben in der Dauerwaldbewirtschaftung eine Chance. Der Mut zur Lücke kann auch Lichtbaumarten zugutekommen. Meist sind die Lichtbaumarten in der Jugend vermehrt Schatten ertragend und haben deshalb eine Chance, auch im Dauerwald aufzuwachsen. Zudem gibt es auch im Dauerwald Naturereignisse, welche es erlauben, Lichtbaumarten evtl. auch mit Pflanzung einzubringen!"

Roland Steiner: "Grössere Bestandeslücken erlauben auch in der Dauerwald-Bewirtschaftung die Förderung von Lichtbaumarten. Föhren, Lärchen und Eichen müssen aber oft zusätzlich durch eine grosszügige Pflege begünstigt werden. Den Lichtbaumarten muss zwingend über mehrere Jahre konsequent geholfen werden."