Im Waldbaukonzept Nordrhein-Westfalen werden als wichtige Kriterien bei der Auswahl standortgerechter Waldentwicklungstypen und waldbaulicher Maßnahmen u.a. der Erhalt der Vitalität und der Stabilität der Wälder im Klimawandel sowie die Wertentwicklung der Bestände genannt. Die Umsetzung der waldbaulichen Entscheidungen auf der Fläche erfolgt mit Arbeitsverfahren und Technikeinsatz. Rahmenbedingungen hierfür sind Wert- und Einkommensverluste in den Betrieben, hoher kurz- und mittelfristiger Investitionsbedarf und knappe Ressourcen an Arbeitskraft sowohl im Betriebsvollzug, als auch bei den ausführenden Waldarbeiterinnen und Waldarbeitern bzw. den Unternehmen.
Am Forstlichen Bildungszentrum (FBZ) in Neheim wurde deshalb das Arbeitsverfahren „Wertastung und erste Positivläuterung mit Akkuschere und Spacer“ entwickelt. Es berücksichtigt die oben genannten Rahmenbedingungen und die waldbaulichen Grundsätze:
- Waldpflege am Ausleseprinzip (Vitalität/Stabilität und Qualität),
- Dimensionierung von Stamm- und Wertholz in kürzeren Zeiträumen (Risikominimierung).
Ausgangslage
Wälder, die nach Kalamitäten entstehen oder begründet werden, wachsen oft großflächig ohne Schirm oder Seitenschutz durch ältere Bestände auf. In der Kultur- und Jungwuchsphase sind mehr oder weniger intensive Eingriffe zur Regelung von Konkurrenz und Mischung erforderlich. Nach der Jungwuchsphase wird in die Bestände – beim Nadelholz bis zur ersten Durchforstung mit verwertbaren Sortimenten, beim Laubholz bis zum Erreichen der angestrebten astreinen Schaftlänge – oft nicht mehr eingegriffen.
Die Erfahrung zeigt, dass bei unbeeinflusster Konkurrenz qualitativ gut veranlagte vitale Bestandesglieder gegenüber wüchsigeren, aber qualitativ nicht befriedigenden Bäumen zurückfallen. Gerade auf Kalamitätsflächen ist die Stückzahl der Baumarten, die den Hauptbestand bilden sollen, oft begrenzt. Vorwüchsige Pionierbaumarten können die gewünschten Hauptbaumarten im Wuchs und in der Vitalität beeinträchtigen. Bei der ersten Durchforstung ist es dann oft nicht mehr möglich, die anzustrebende Anzahl von 50 bis 70 Wertholz produzierenden Z-Bäumen je Hektar zu finden.
Die häufig geübte Praxis, die Astung gleichzeitig mit der ersten Durchforstung zu beginnen, hat außerdem zur Folge, dass die berühmte Bierdeckelstärke im unteren Stammbereich deutlich überschritten wird. Das Produkt „astreines Wertholz“ wird am Markt in möglichst großer Stärke nachgefragt. Je dicker die Stammwalze bei Beginn der Astung ist, desto größer muss die Zielstärke sein. Dies führt zu längeren Produktionszeiträumen und größeren Baumhöhen. Bei häufiger und heftiger auftretenden Stürmen steigt das Risiko, die geasteten Bäume vor Erreichen der notwendigen Dimension zu verlieren.
Das Arbeitsverfahren setzt auf
- die Nutzung der Vorteile einer frühen Z-Baumauswahl Sicherung der Wertträger,
- die Astung zum optimalen Zeitpunkt Verkürzung der Produktionszeit und Minimierung von Risiken.
Durch den Einsatz moderner Arbeitsmittel wird die Qualität der Astung verbessert, und es ergeben sich ergonomische Vorteile gegenüber üblichen Vorgehensweisen.
Durch die Implementierung aller notwendigen Arbeitsschritte in das Verfahren ergeben sich erhebliche Rationalisierungseffekte und damit wirtschaftliche Vorteile.
Beschreibung des Arbeitsverfahrens
Das Arbeitsverfahren gliedert sich in zwei Schritte.
Vor Beginn der Maßnahme wird für den Gesamtbestand eine Feinerschließungsplanung in Abhängigkeit von Gelände und Reihenverlauf sowie der Anbindung der Fläche an Wege gemacht.
Die Arbeitsabschnitte 1 und 2 mit den einzelnen Teilschritten (Abb. 2) können in einem Zug oder entkoppelt durchgeführt werden. Wenn beide Abschnitte zur selben Zeit ausgeführt werden, ist ein Tätigkeitswechsel im Tagesverlauf möglich (z.B. zwei Blöcke markieren und asten, zwei Blöcke Bedrängerentnahme). Die Bedrängerentnahme kann aber auch einige Zeit nach der Reichhöhenastung stattfinden (z.B. Astung zu Beginn der Vegetationszeit, um eine optimale Überwallung zu gewährleisten, Entnahme der Bedränger im Spätherbst aus Forstschutzgründen).
Alleinarbeit ist aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht zulässig, wenn der Einsatz des „Spacers“ in klassischen Läuterungsbeständen erfolgt und sich keine Probleme durch herabfallende Baumteile ergeben. Letztere können durch eine geeignete persönliche Schutzausrüstung wirksam entschärft werden. Die Gefährdungsbeurteilung zum Einsatz des „Spacers“ muss für die jeweilige örtliche Situation geschehen.
Voraussetzung für eine zielführende Anwendung des Verfahrens ist für den Arbeitsabschnitt 1 die waldbauliche Kompetenz der Ausführenden. Sie ist für den Erfolg des gesamten Arbeitsvorhabens entscheidend.
Eine stichprobenweise Erfolgskontrolle (z.B. entlang einer zufällig festgelegten Linie durch den Bestand) ist mit geringem Aufwand möglich, sofern die Kriterien für die Z-Baum-Auswahl und die Anforderungen an die Arbeitsqualität im Arbeitsauftrag klar formuliert sind. Die Dokumentation der Maßnahme erfolgt je nach betrieblichen Anforderungen flächenbezogen mit der geasteten Stückzahl oder in GIS-Anwendungen mit Einzelbaumkoordinaten.
Abb. 2: Darstellung des Arbeitsverfahrens „Wertastung und erste Positivläuterung mit Akkuschere und Spacer“. Foto: Forstliches Bildungszentrum, T. Heimann
Wissenschaftliche Evaluation
Abb. 3.: Armbelastung nach OWAS. Quelle: Abteilung Arbeitswissenschaft und Verfahrenstechnologie der Universität Göttingen (2019)
Abb. 4: Rückenbelastung nach OWAS. Quelle: Abteilung Arbeitswissenschaft und Verfahrenstechnologie der Universität Göttingen (2019)
Abb. 5: Douglasie 65 Jahre, BHD 87 cm Höhe 38 m.
Foto: T. Heimann.
Zielsortiment: Erdstammstück Länge 9 m, ¾ astreiner
Mantel, mindestens Stärkeklasse 6
Beginn Astung | BHD | Zielsortiment erreicht mit | Baumhöhe |
12-15 Jahre | 12 cm | 50 Jahren | 32 m |
20-25 Jahre | 20 cm | 70 Jahren | 40 m |
Nach Erprobung der Praxistauglichkeit des Arbeitsverfahrens wurde die Abteilung Arbeitswissenschaft und Verfahrenstechnologie der Universität Göttingen mit der Produktivitätsabschätzung und ergonomischen Bewertung beauftragt. Zur ergonomischen Beurteilung des Verfahrens wurden Herzfrequenzmessungen durchgeführt. Das Gelände war ein überwiegend stark auf Teilflächen mäßig geneigter Hang. Der gutachtlich hergeleitete Leistungsgrad des Durchführenden betrug 120 %.
Im Arbeitsabschnitt 1 lag die Belastung deutlich unter der Dauerleistungsgrenze. Die Tätigkeiten am Baum waren weniger belastend als das Gehen im Gelände, das immer wieder durch kurze Pausen zum Ausschau halten nach und dem Beurteilen von möglichen Z-Bäumen unterbrochen wurde.
Im Arbeitsabschnitt 2 lag die Belastung knapp über der Dauerleistungsgrenze und die Spannweite der gemessenen Herzfrequenzen war deutlich größer (Abarbeiten der Blöcke abwechselnd hangaufwärts und hangabwärts). Die insgesamt höhere Belastung kann damit erklärt werden, dass die markierten Z-Bäume ohne Pausen zur Orientierung angelaufen werden und die Arbeit am Baum deutlich kürzer dauert als im Arbeitsabschnitt 1. Bei einem Leistungsgrad von 100 % (Normalleistung) ist mit einem Absinken der durchschnittlichen Belastung unter die Dauerleistungsgrenze zu rechnen.
Für die Beurteilung der eingesetzten Arbeitsmittel wurden Körperhaltungen nach der OWAS-Methode analysiert:
Verglichen wurden Akkuschere und ARS-Säge für die Astung sowie Spacer und leichte Motorsäge für die Bedrängerentnahme. In den Abbildungen 3 und 4 sieht man, dass die Arbeitsmittel Akkuschere und Spacer zu einer Reduktion belastender Körperhaltungen gegenüber ARS-Säge und Motorsäge führen.
Kriterium beide Arme über Schulterhöhe:
Die Notwendigkeit, schwerere Äste mit der freien Hand zu stützen, damit es nicht zu Rindenausrissen kommt, besteht mit der Schere nicht.
Kriterium gebeugter Rücken:
Durch den Stiel des Spacers ist es nicht notwendig, für bodennahe Schnitte den Rücken stark zu beugen. Dass beim Spacer die Hauptlast auf dem Rücken getragen wird, ist ein weiteres Argument für den Spacereinsatz. Alleinarbeit ist mit Akkuschere und Spacer nach Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich möglich.
An einer Teilmenge der geasteten Bäume wurde die Qualität der Astung mit Akkuschere oder Handsäge verglichen. Die Schnittflächen sind mit der Akkuschere weniger rau als bei der Verwendung von Astungssägen. Die Gefahr, dass sehr dünne Äste beim Ansetzen der Säge ausweichen und es zu Rindenverletzungen durch Abrutschen kommt, besteht bei der Schere nicht. Es kommt bei schweren Ästen nicht zu Rindenausrissen (Geschwindigkeit des Schnittes und stützende Funktion vom Amboss).
Mit den durchgeführten Zeitstudien wurden als Kalkulationshilfe Planzeiten für die einzelnen Arbeitsschritte ermittelt. Außerdem konnten leistungsbeeinflussende Parameter identifiziert werden. Somit sind Kalkulationen für unterschiedliche Ausgangslagen möglich. Das Arbeitsverfahren bietet eine hohe Flexibilität. Die zeitliche Entkopplung von Astung und Bedrängerentnahme erlaubt es, beides (Astung im zeitigen Frühjahr, Bedrängerentnahme bei Nadelholz im Spätherbst) zum optimalen Zeitpunkt durchzuführen.
Je nach Ausgangssituation lässt sich das Verfahren anpassen. Wenn im Zuge einer vorherigen Jungbestandspflege beispielsweise schon Pflegepfade angelegt wurden, entfällt das Einmessen der Gassen, und die vorhandenen Pflegepfade müssen nur nachmarkiert werden.
Vorteile auf einen Blick
- Rationalisierungseffekte durch das Zusammenfassen von Arbeitsschritten, die üblicherweise in einzelnen Flächendurchgängen stattfinden: Feinerschließung markieren, Z-Baumauswahl und Auszeichnen, Astung.
- Optimierung der Wertleistung durch Erhalt der Wertträger und Astung zum optimalen Zeitpunkt,
- verringertes Forstschutzrisiko (geringere Gefahr von Pilzbefall durch glattere Schnittflächen und keine Rindenverletzungen sowie schnelle Überwallung),
- Verringerung des Betriebsrisikos durch kürzere Umtriebszeiten (Abb. 5).
Ausblick auf ein breites Einsatzspektrum
Das Arbeitsverfahren wurde in Beständen der Baumart Douglasie entwickelt und erprobt. Ob und welche Baumarten geastet werden, ist eine betriebliche Entscheidung. Das Verfahren ist auch in Beständen anderer Baumarten (Edellaubhölzer, Eiche, Lärche, Kiefer) praktikabel. Bei den totasterhaltenden Baumarten gilt die Astung seit langem als probates Mittel und ist außer im Hochgebirge für die Wertholzerzeugung unumgänglich.
Bei den Totastverlierern wird in Deutschland meist auf die natürliche Astreinigung gesetzt. Gerade bei den Lichtbaumarten wird dadurch der Zeitraum des früh kulminierenden größten Höhen- und Massenzuwachses für den Kronenausbau supervitaler Z-Bäume verschenkt. Auf guten und sehr guten Standorten erreichen die herrschenden Individuen ohne Überschirmung schon im Alter 20 Höhen von 12-20 m.
Durch das Verkürzen der Qualifizierungsphase mittels Astung lässt sich die zuwachsstärkste Zeit im Bestandesleben für die Produktion von astreinem Wertholz nutzen. Zusammen mit langen, gut ausgebauten Kronen als Motor für einen großen Massenzuwachs lässt sich Wertholz der Stärkeklasse 6+ auf guten Standorten in deutlich kürzeren Produktionszeiträumen als heute üblich erzeugen. Weitere Vorteile, die sich durch große Kronen und frühe Eingriffe zur Förderung ergeben, sind eine dem Kronenzuwachs entsprechende Wurzelausdehnung und damit Einzelbaumstabilität und Vitalität.
Am FBZ werden weitere Studien in anderen Bestandestypen durchgeführt, um umfassende Planzeiten für die Praxis bereitzustellen. Außerdem ist die Akkuschere auch ein geeignetes Arbeitsmittel, um die weiteren Astungsstufen mit der Diestelleiter durchzuführen. In einem weiteren Schritt werden auch hierfür Planzeiten ermittelt und das Verfahren aus Sicht des Arbeitsschutzes und der Ergonomie beleuchtet.