Fichten-Naturverjüngungen auf Sturmflächen

Allein im öffentlichen Wald von Baden-Württemberg müssen in der Folge des Sturms vom Dezember 1999 gut 35.000 ha wieder bewaldet werden [10]. Davon sind bislang bereits deutlich über 8.000 ha mit Fichte verjüngt. Der weitaus überwiegende Teil der Fichten-Verjüngung entfällt dabei auf Fichten-Mischwaldtypen, bei denen die Naturverjüngung eine zentrale Rolle spielt (74 % der verjüngten Fläche). Zur Sicherung der im öffentlichen Wald gültigen waldbaulichen Qualitätsstandards [6, 15] erscheinen auch in Fichten-Verjüngungen Pflegemaßnahmen erforderlich, die aufgrund des großen Flächenumfangs erhebliche Aufwendungen verursachen können.

Insbesondere der Frage nach der Notwendigkeit von Baumzahlreduktion in baumzahlreichen Fichten-Naturverjüngungen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Als Beitrag zu dieser Diskussion wird daher im Folgenden die Entwicklung von Fichten-Verjüngungen bei unterschiedlichen Ausgangsbaumzahlen dargestellt; ein Schwerpunkt der Betrachtung liegt dabei auf der Entwicklung der Stabilität. Abschließend wird versucht, die Auswirkungen eines Verzichts auf Pflegemaßnahmen in baumzahlreichen Naturverjüngungen auf die Wertleistung der Bestände abzuschätzen.

Datengrundlage

Naturverjüngungen auf Sturmflächen
Im Frühjahr 2001 erfolgten Probekreis-Aufnahmen in drei 1990 durch Sturm freigestellten baumzahlreichen Fichten-Naturverjüngungen ("Bürstenwüchse"). In Biberach waren. bei einer Höhe der Bürstenwüchse von ca. 1 – 2 m 1994 im Rahmen eines Stützpunkt-Praxisversuchs folgende Varianten einer Jungbestandspflege angelegt worden: a) flächige Reduktion auf ca. 1.100 Fichten/ha, b) Auskesselung im Radius von 2 m, c) keine Maßnahmen (unbehandelt). Aufgrund der nicht systematischen Anlage wiesen die Pflegevarianten sehr unterschiedliche Flächenausstattungen auf. Die Anzahl aufgenommener Probkreise variierte daher stark. Zusätzlich wurden die Probekreis-Aufnahmen in 1990 freigestellten, unbehandelten Fichte-Tanne-Naturverjüngungen [11] herangezogen; verwendet wurden die Daten der Probekreise, in denen zum Zeitpunkt der Aufnahme (2003) eine Fichte den höchsten Baum bildete. Da die Aufnahmen auf die höchsten Bäume im Probekreis beschränkt wurde, liegen keine Angaben zur Baumzahl in diesen Naturverjüngungen vor.

Pflanzverbandsversuche
Für Vergleichszwecke wurden die Daten der Pflanzverbandsversuche "Fichte 387" (Schöntal) und "Fichte 423" (Heidenheim) herangezogen. Dargestellt ist die Entwicklung mit unterschiedlichen Ausgangsbaumzahlen angelegten Felder bis zu dem Zeitpunkt, an dem die ersten Entnahmen durch Pflegemaßnahmen erfolgten.

Modellierung der Wertleistung von Fichten-Beständen
Die Modellierung baute auf den waldbaulichen Behandlungsvorgaben für die Fichten-Anteile im Waldentwicklungstyp "Fichten-Mischwald" [16] auf und entsprach im wesentlichen dem Vorgehen von KOHNLE & V.TEUFFEL [8]. Für die Modellierung wurden folgende Annahmen getroffen:

  • dGz100 Bonität 12 (Fichte);
  • 200 Z-Bäume/ha (geästet auf 5 m Höhe);
  • zielstärkenorientierte Hauptnutzung innerhalb von 20 Jahren bei Erreichen des Ziel-Bhd (60 cm);
  • Reduktion einer Naturverjüngung (10.000 Fi/ha) auf 1.500 – 6.000 Fi/ha; Aufwand 0 – 30 Stunden/ha (umgekehrt proportional der Ausgangsbaumzahl);
  • Erschwernis der Erst-Durchforstung (Höhe 12 m): 0 – 20 Stunden/ha (proportional der Ausgangsbaumzahl);
  • Starkholz: Stammteile mit Zopfdurchmesser >39 cm als Abschnitte (5 m Länge);
  • Güteverteilung geästete Erdstammstücke: 30 % A, 60 % B, 10 % C;
  • C-Anteile beim übrigen Stammholz: 5 % (L/SL1a) – 15 % (L3b, SL5) bei 10.000 Fi/ha; bei reduzierten Baumzahlen Erhöhung des C-Anteils um bis zu 30 % umgekehrt proportional zur Ausgangsbaumzahl;

Verwendet wurden die in Abb. 1 dargestellten Preise mit einem aktuellen Preis für das Leitsortiment L2b (Güte B) von 62 €/Efm unterstellt [1]. Die C-Abschläge vom B-Preis liegen abhängig von der Stärkeklasse zwischen 13 % (L/SL1a) und 25 % (L3b, SL5).
Zufällige Nutzungen durch Sturm wurden aus der Oberhöhe und dem Vorrat geschätzt. Um ein moderates Sturmrisiko-Szenarium zu erhalten wurde die zehnjährige Wiederkehr eines Sturmereignisses mit Schäden in Höhe von 30 % eines realen Forstbetriebs im Randbereich des Schadensgebietes von 1999 unterstellt [9].

Entwicklung von Durchmesser und Stabilität

Tab. 1: Zahl der Bäume sowie durchschnittliche Höhe, Durchmesser und H/D-Wert der 200 höchsten Fichten/ha in im Frühjahr 1990 vom Sturm freigestellten baumzahlreichen Fichten-Naturverjüngungen mit oder ohne im Jahr 1992 durchgeführten Jungbestandspflege-Maßnahmen (Aufnahmezeitpunkt: Frühjahr 2001).

Tab. 2: Mittelwerte der jeweils höchsten Fichte in Probekreisen auf 1990 durch Sturm freigestellten, unbehandelten Fichte-Tanne-Naturverjüngungen (Datenquelle [11]; dargestellt sind nur solche Probekreise, in denen bei der Aufnahme 2003 eine Fichte den höchsten Baum stellte.

In den unbehandelten Naturverjüngungen zeigten Fichten in der Regel die auch aus früheren Untersuchungen aufgrund verstärkter Konkurrenz bekannte Verzögerung des Durchmesserwachstums [z.B. 5,7,19] bei den Fichten. Die von den herrschenden Fichten erreichten Durchmesser und H/D-Werte weisen auf eine ungünstige Entwicklung von Sortenleistung und Stabilität hin: die 200 höchsten Fichten/ha hatten lediglich Bhd zwischen 6 – 13 cm erreicht und die H/D-Werte lagen in der Regel deutlich über 80 (Tab. 1, 2).

Die in den unbehandelten Naturverjüngungen beobachteten H/D-Werte lagen in einem Bereich hoher Werte, wie er für baumzahlreiche Verjüngungen auf Freiflächen typisch zu sein scheint [z.B. 2,3]. Sie weisen darauf hin, dass die herrschenden Bäume das Durchmesserpotential nur unzureichend nutzen und in ihrer Wurzelentwicklung Einschränkungen unterliegen. Dieser Einfluss der Bestandesdichte auf das Wachstum der herrschenden Fichten zeigt sich auch in den Pflanzverbandsversuchen: die Durchmesserleistung der herrschenden Fichten sinkt hier mit zunehmender Ausgangsbaumzahl rapide ab bzw. steigen die H/D-Werte stark an (Abb. 2). Hohe H/D-Werte der Hauptzuwachsträger sind dabei nicht nur ein Indikator für erhöhte Anfälligkeit für Schneeschäden, sondern offenkundig auch für erhöhte Sturmrisiken. Hierauf weisen neben verschiedenen Untersuchungen [z.B. 4,14] nachdrücklich auch entsprechende Sonderauswertungen der BWI II hin. Wertoptimale Durchmesserentwicklungen ergeben sich offenbar für Ausgangsbaumzahlen zwischen 1.000 – 2.000 Fichten/ha [20], die mit H/D-Werten herrschender Fichten von unter 70 korrespondieren!

In der Jungendphase überhöhte H/D-Werte herrschender Fichten wirken sich nicht nur auf die Wertleistung ungünstig aus sondern haben auch gravierende Konsequenzen für die Betriebssicherheit: aufgrund des raschen Höhenwachstums der junger Bestände lassen sie sich durch verspätete bzw. nicht ausreichend energische Pflegeeingriffe erhöhte H/D-Werte in dieser Phase kaum stabilisieren geschweige denn verbessern.

Die Befunde aus dem Stützpunkt-Praxisversuch zeigten deutlich den positiven Einfluss frühzeitiger und energischer Pflegemaßnahmen. Frühe Auskesselung bzw. flächige Baumzahlreduktion (bei Oberhöhen von ca. 1 – 2 m) wirkten sich deutlich auf Durchmesser und H/D-Wert aus (Tab. 1). Ähnlich wie bei PAMPE et al. [18] führte vor allem die flächige Baumzahlreduktion zu einem befriedigenden Ergebnis. Neben einem Durchmesservorsprung von rd. 3 cm und günstigen H/D-Werten von deutlich <70 führte diese Pflegevariante zu den höchsten Anteilen beigemischter Laubbäume.

Die Auskesselung erzielte im Vergleich etwas ungünstigere Ergebnisse und weist darauf hin, dass der gewählte Radius von 2 m wahrscheinlich nicht ausreichend war. Da die erreichbaren H/D-Werte mit zunehmendem Kesselradius sinken [5] erscheint eine Vergrößerung des ausgekesselten Bereiches zweckmäßig. Tatsächlich sieht die aktuelle Pflegerichtlinie in Fichten-Bürstenwüchsen für die 250 höchsten Fichten eine Auskesselungen im Radius von 2,5 m vor [6,15]. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass mit zunehmendem Radius Aufwand und bearbeitete Fläche stark zunehmen, sodass sie sich einer flächigen Baumzahlreduktion annähern.

Abb. 2: Bhd (oben) und H/D (unten) in Abhängigkeit der Höhe der 200 höchsten Fichten je Hektar in den Pflanzverbandsversuchen Fichte 387 und Fichte 423 sowie bei Simulationen mit einem Wachstumssimulator [20].

Wertleistung von Fichten-Beständen

Die Beurteilung der Wertleistung erfolgte anhand des Vergleichs jährlichen Waldreinerträge normaler Betriebsklassen sowie der Kapitalwerte von Beständen bei unterschiedlichen kalkulatorischen Zinsfüßen. Da der Waldreinertrag keine Zinskosten enthält, ist er nur für solche Waldeigentümer geeignet, für die die Kapitalfunktion des Waldes (Zinserträge) keine wesentliche Rolle spielt. Der Kapitalwert betrachtet dagegen eine Bestandesbegründung aus dem Blickwinkel der Investitionsrechnung. Durch Diskontierung der Erträge und Aufwendungen berücksichtigt er die unterschiedlichen Zeitpunkte der Geldflüsse. Grundsätzlich kam es bei den Variantenvergleichen in erster Linie die Relation der Werte an; die absolute Höhe spielt dagegen eine nachgeordnete Rolle.

Reinerträge normaler Betriebsklassen

Bei ungestörter Produktion unterscheiden sich die untersuchten Varianten nur geringfügig bezüglich der erzielten Waldreinerträge. Offenbar kann die raschere Durchmesserentwicklung infolge anfänglicher Baumzahlreduktion die Nachteile (Pflegeaufwendungen, erhöhte C-Anteile) bereits unter der Annahme ungestörter Produktion nahezu vollständig kompensieren.

Allerdings erscheint die Annahme einer ungestörten Produktion unrealistisch bei Produktionszeiträume von über 100 Jahren wie sie bei dem angestrebten Zieldurchmesser nötig sind. Die Einbeziehung des modellhaften Risiko-Szenariums für Sturmschäden verspricht eine wesentlich realistischere Beurteilung. Dabei sinkt der Waldreinertrag bei steigender Ausgangsbaumzahl rasch ab (Abb. 3). Wird vollständig auf Jungbestandspflege verzichtet, liegt er deutlich unter der Hälfte des Wertes, wie er bei einer energischen anfänglicher Reduktion auf 1.500 Fi/ha erreicht wird. Ursächlich verantwortlich ist die bei hohen Ausgangsbaumzahlen verzögerte Durchmesserentwicklung, die die Produktionsdauer erheblich verlängert und damit die Bestände über verhältnismäßig lange Zeiträume einem mit zunehmender Höhe deutlich ansteigenden Risiko durch Sturmschäden aussetzt [9,12,13,14].

Kapitalwerte

Bei ungestörter Produktion führen die zu Produktionsbeginn eingesparten Pflegekosten der baumzahlreichen Varianten bei sehr niedrigen kalkulatorischen Zinsfüßen zwar zu günstigeren Ergebnissen. Bereits ab einem Zinssatz von 1 % führt jedoch die Reduktion auf 1.500 Fi/ha zu den günstigsten Kapitalwerten (Abb. 4). Der Grund ist die raschere Durchmesserentwicklung, die deutlich früher eingehende und damit weniger stark diskontierte Erlöse ermöglicht. Noch deutlicher wird der positive Einfluss einer anfänglichen Reduktion auf den Kapitalwert bei Einbeziehung des Sturmrisikos: der energischste Pflegeeingriff führt dann bei allen kalkulierten Zinssätzen zu klar überlegenen Kapitalwerten. Umgekehrt bewirkt der Verzicht auf Pflegemaßnahmen massive Einbussen.

Bei der Beurteilung des verwendeten Risiko-Szenariums ist zu berücksichtigen, dass es das Sturmrisiko ausschließlich aus der Bestandeshöhe schätzt. Die bei geringeren Ausgangsbaumzahlen günstigere Wurzelentwicklung bleibt dabei unberücksichtigt! Nicht berücksichtigt sind zudem andere Risikofaktoren wie beispielsweise Borkenkäfer oder Fäulen, deren Bedeutung tendenziell ebenfalls mit steigender Produktionsdauer zunehmen.

Folgerungen

In unbehandelten, baumzahlreichen Fichten-Verjüngungen führt die starke Konkurrenz selbst bei den herrschenden Fichten zu einer gegenüber optimalen Verhältnissen deutlich verzögerten Durchmesserentwicklung. Hieraus ergeben sich folgende negativen Konsequenzen:

  • das Durchmesserpotential der Hauptzuwachsträger wird nicht ausreichend genutzt. Spätere Eingriffe mögen solche ungünstigen Entwicklungen zwar abbremsen; sie können jedoch in der Jugendphase entstandenen Verluste nicht mehr rückgängig machen;
  • die angestrebten Dimensionsziele sind erst bei größeren Baumhöhen (Altern) erreichbar, in denen die Sturmgefährdung der Bestände überproportional ansteigt und die Fichten aufgrund der verlängerten Produktionszeit verstärkt auch anderen Risikofaktoren ausgesetzt werden;
  • die aufgrund starker Konkurrenz auch bei den herrschenden Fichten zu beobachtenden hohen H/D-Werte weisen nachdrücklich darauf hin, dass die Entwicklung der Bewurzelung und der Standfestigkeit beeinträchtigt ist. Dies muss als besonders kritisch gewertet werden, da die Entwicklung in der Jugend auch für die spätere Ausprägung der Bewurzelung entscheidend ist und Beeinträchtigungen offenbar nicht durch spätere Eingriffe kompensierbar sind [17];
  • der Verzicht auf einen anfänglichen Wachstumsimpuls durch frühzeitige Reduktionen führt in baumzahlreichen Verjüngungen zu empfindlichsten Einbußen bei der Wertleistung. Die Leistungsverluste durch versäumte Jungbestandspflege werden besonders deutlich, wenn Risiken durch Sturm in die Beurteilung mit einbezogen werden.

In der Konsequenz bedeutet dies für die in großem Umfang auf den Sturmflächen von 1999 vorhandenen baumzahlreichen Fichten-Naturverjüngungen, dass sich in vielen Fällen eine zielkonforme Entwicklung von Wertleistung und Betriebssicherheit nur durch energische, möglichst frühzeitige Jungbestandspflege sichern lässt. Ein Verzicht auf geeignete Pflegemaßnahmen führt zu nachhaltigen Fehlentwicklungen, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht oder nur mit enormen Mehraufwendungen korrigierbar sind.

Dort wo es technisch sinnvoll möglich ist, bilden deshalb rechtzeitige und ausreichend intensive Maßnahmen der Jungbestandspflege das Gebot der Stunde. Sonst entstehen aus den Fichten-Naturverjüngungen auf den Sturmflächen in großem Umfang eben jene Bestände mit reduzierter Leistungskraft und suboptimaler Stabilität, die die Wirtschaftskraft der Forstbetriebe langfristig erheblich belasten und die im Zweifelsfall vor Erreichen ihrer Hiebsreife wieder eine leichte Beute von Stürmen werden!