Oft wild umstritten ist die sogenannte "Wald-Wild-Frage" oder wohl treffender das Spannungsfeld "Forst – Jagd". Das hat in Mitteleuropa eine lange Tradition. Vielerorts prägen nach wie vor gegenseitiges Misstrauen und Feindbildpflege die Diskussion. Wo man bereits einigermaßen objektive Monitoringverfahren zur Beurteilung und Erfolgskontrolle einsetzt, interpretiert man deren Ergebnisse oft unsachlich bzw. einseitig, sodass sie bei der Gegenseite keine Akzeptanz finden. Wo liegen die tieferen Ursachen des Konflikts? Was sollte sich ändern? Dazu einige Anmerkungen:

Zur Schadensbewertung

  • Wesen des Konflikts

Wildverbiss ist eine natürliche Begleiterscheinung der Waldverjüngung. Es besteht jedoch ein Konkurrenzproblem Wildtier – Mensch um dieselbe Ressource (Pflanzen). Methodische Schwächen bei der Schadensbewertung sind meist unmittelbar erkennbar. Dies verstärkt das Misstrauen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen. Je nach Blickwinkel ändern sich Werte und Ziele. Dies führt zu ungleicher Bewertung von Fakten (z. B. Forstleute versus Ökologen/Biologen). Grundeigentümer und Forstbehörde haben oft unterschiedliche Ziele (oder kein konkretes, messbares Ziel). Zieldifferenzen bestehen auch zwischen Schutzwald, Wirtschaftswald und Nationalpark.

  • Monokausalität als einfache aber selten zutreffende Argumentation

"Wild ist Verursacher von mangelnder Waldverjüngung". Eine klare Differenzierung der Begriffe "Verjüngungsmangel", "Wildeinfluss" sowie "Wildschaden" bzw. "Wildnutzen" fehlt meist. Dadurch ergeben sich unzutreffende gedankliche Kurzschlüsse. Oft dient anstatt objektiver Information die verschleierte Motivation für den Monitoringeinsatz der Schaffung eines interessenpolitischen Druckmittels. Insgesamt ist die Sachlage vielschichtig und komplex, das Thema ist stark emotional, es ergibt sich ein hohes Konfliktpotenzial.

  • Verbiss ist nicht automatisch Verbissschaden

Nicht jeder verbissene Trieb bedeutet Schaden für den Baum und nicht jeder geschädigte Baum bedeutet Schaden für den Waldbestand. „Schaden“ (wie auch Nutzen) kann nur aus einem konkreten Soll-Ist-Vergleich abgeleitet werden.

  • Schadensprognose ist oft schwierig

Die Feststellung von Verbissschäden am Jungwuchs kurz nach dem Verbiss stellt immer eine Schadensprognose dar, weil der eigentliche Schaden erst später eintritt, z. B. zum Zeitpunkt der Holzernte oder wenn es eine wildbedingte Verschlechterung von erwünschten Waldfunktionen gibt. Je früher die Prognose gestellt wird, desto unsicherer ist sie, weil sich die Reaktionen des betreffenden Waldbestandes und sein Ausgleichs- und Regenerationsvermögen nur beschränkt vorhersagen lassen. Dies trifft vor allem bei Mischwald-Naturverjüngung zu. Ursache und Wirkung – Wildverbiss und Wildschaden – können im Wald viele Jahrzehnte auseinander liegen. Dadurch ist es oft sehr schwierig, den am Wald tatsächlich entstehenden Wildschaden bereits im Jahr des Verbisses einigermaßen sicher einzuschätzen.

  • Methodische Konsequenzen für die Wildschadensbeurteilung

Vertrauen schaffen durch Sachlichkeit, Offenheit- und, Ehrlichkeit; Verzicht auf gruppenspezifische "Überheblichkeiten" (Förster – Biologen – Jäger); Begriffswahl optimieren (Mangel vs. Einfluss vs. Schaden, Problem vs. Konflikt, ...); methodische Grenzen und Schwächen bei Wildschadensbeurteilung offen legen; tatsächliche Ziele klarstellen; kein "Etikettenschwindel"; Möglichkeit eines Wildnutzens akzeptieren (Bilanz Schaden – Nutzen); der Wildschaden muss primär am "verbleibenden" und nicht am "ausscheidenden" Bestand gemessen werden (operationale Verjüngungsziele sind wichtig); die Wildschadenanfälligkeit (Verbissdisposition) des Waldes sollte stärker beachtet werden (starke waldbauliche Einflussmöglichkeit); die Interpretation des Verbissprozents hinsichtlich "Schaden" ist problematisch.

  • Kernproblem

In Anlehnung an Aldo Leopold "Der Umgang mit Wildtieren ist vergleichsweise einfach – schwierig ist der Umgang mit den beteiligten Menschen" (ca. 1950) gilt zum gegenständlichen Thema Folgendes: Das Erkennen von Wildtier-Einwirkungen auf die Waldverjüngung ist vergleichsweise einfach – viel schwieriger ist die richtige Beurteilung der Auswirkungen auf die Walddynamik. Die verwendeten Methoden bringen meist keine klare Antwort auf die primär interessierenden Fragen (komplexe Zusammenhänge, mangelnde wissenschaftliche Grundlagen über längerfristige Verbissauswirkungen in verschiedenen Waldgesellschaften bei unterschiedlicher waldbaulicher Behandlung). Häufig bestehen Über- oder Missinterpretation von kurzfristigen Monitoring-Ergebnissen mit unglaubwürdigen Schlussfolgerungen und Schadensforderungen. Dadurch ist oft keine nachhaltige Konfliktminderung Forst – Jagd – Naturschutz möglich.

Empfehlung

Gut bewährt haben sich gemeinsame Revierbegehungen (Jäger, Grundeigentümer, Forstbehörde) mit Besichtigung von Verbiss-Kontrollzäunen als Basis für eine einvernehmliche Abschussplanung. Dadurch kann Vertrauen und Überzeugung leichter geschaffen werden.

Zur Minimierung von Wildschäden

  • Regulationsbedarf ist stets erforderlich

Schalenwild könnte in Mitteleuropa in höherer Dichte leben als es aus menschlicher Perspektive darf oder soll. Deshalb muss man seinen Bestand regulieren. Würde die jagdliche Regulation der Bestandshöhe und Bestandsverteilung ersatzlos wegfallen, so würden die Probleme mit Schalenwild wahrscheinlich stark zunehmen und müssten dann durch bezahlte Wildstandsregulatoren gelöst werden.

  • Ursachen von Wildschäden in Mitteleuropa

Überhöhte Schalenwildbestände, ungünstige Wildverteilung sowie wildschadensfördernde Wildbewirtschaftung (ineffiziente Bejagungsmethoden, Fütterungsfehler); hohe Wildschadenanfälligkeit von Wäldern (fehlende Berücksichtigung des Standortfaktors Schalenwild im Waldbau); Zersplitterung und Beunruhigung des Lebensraumes (Verkehrswege, Siedlungsbau, Tourismus, hoher Jagddruck).

  • Problemlösung alleine auf die Wildstandsreduktion auszurichten ist zu wenig

Es sind auch Rücksichtmaßnahmen von forstlicher und landwirtschaftlicher Seite sowie bei Freizeitaktivitäten und Raumplanung notwendig, vor allem Maßnahmen, die vorbeugend auf die Verringerung von Schäden ausgerichtet sind. Es geht darum, Lebensräume möglichst so zu gestalten, dass das Risiko von Wildschäden gemindert, die Wildartenvielfalt gefördert und eine effiziente jagdliche Wildbestandsregulierung ermöglicht wird.

  • Regulation der Schalenwildbestände

Die Abschussplanung sollte sich primär am objektiv festgestellten Wildeinfluss auf die Waldvegetation und nicht an Wildbestandszählungen orientieren; die Abschusserfüllung muss objektiv kontrolliert werden (z. B. Grünvorlage); wirksame Sanktionen bei wiederholter Nichterfüllung sind notwendig.

  • Wildschäden sind auch von Waldstruktur abhängig

Es bestehen stark unterschiedliche Verbiss- und Schälschadendispositionen verschiedener waldbaulicher Betriebsformen. Naturnahe Waldbauformen wie Schirm-, Saum- und Femelschlag sind in der Regel deutlich weniger wildschadenanfällig als Kahlschlag-Altersklassen-Systeme. Der Zustand des Waldes (Lebensraumes) beeinflusst die Tiere und deren Wirkung auf den Wald, d. h. Wild und Wald dürfen nie isoliert betrachten werden. Erst die Einsicht in die Wirkungen des gestalteten Waldes auf das Wild gibt umgekehrt die Möglichkeit, die Wirkungen des Wildes auf den Wald in ihren Ursachen richtig einzuordnen und auch von dieser Seite mögliche Konfliktlösungen zu suchen.

  • Einfluss der Forstwirtschaft auf die Habitatgestaltung und Schadenvorbeugung

Waldbauliche Betriebsform (Ernteverfahren, Verjüngungstechnik, Verjüngungszeitraum); Baumartenwahl, Baumartenmischung; Waldpflege (Technik, Intensität); Walderschließung (Forstwege, Rückegassen). Wildökologische Aspekte sollten man bereits in der forstlichen Planung inhaltlich, räumlich und zeitlich berücksichtigen.

  • Waldbauliche Maßnahmen zur Risikoverminderung von Verbiss- und Schälschäden

Auflockerung des Kronendaches dichter Waldbestände ab dem Dickungsstadium (weniger Klima- und Feindschutz, mehr Nahrungsangebot, frühzeitig gröbere, weniger schälattraktive Borke); Förderung von Mischwald anstelle von wintergrünen Reinbeständen (weniger Klimaschutz, mehr Nahrung durch Blattfall im Herbst, Mast; statt Aufforstung Förderung von natürlicher Waldverjüngung inkl. Verbissgehölze (großflächig ein natürliches Überschussangebot an Jungbäumen, das ohne Schadensfolgen vom Wild genutzt werden kann); Vermeidung optisch auffälliger Waldbestandesgrenzen, wie sie vor allem durch kahlschlagbedingte Steilränder entstehen, dadurch weniger Besiedlungsanreiz für Schalenwild; langfristige Vorbereitung bzw. längere Belassung größerer, nicht durch Schläge fragmentierter Baumholzkomplexe, in denen Rotwild ohne großes Schäl- und Verbissschadensrisiko im Winter gefüttert werden kann, falls Winterfütterung erforderlich ist.

  • Kooperation

Der vielschichtige Ursachenkomplex erfordert zur effizienten Problemlösung eine bessere Kooperation bei stärkerer Einbringung und Verantwortung der Grundeigentümer.

  • Wildökologische Raumplanung ist zweckmäßig

Sie ist ein Instrument zur großräumigen und nachhaltigen Lösung des Mensch-Wildtier-Umwelt-Konfliktes in der Kulturlandschaft. Sie dient der möglichst schadensfreien Integration von Wildtieren in die Kulturlandschaft. Eine Evaluierung der Wildökologischen Raumplanung in Vorarlberg nach 20 Jahren Umsetzung führte zum signifikanten Rückgang der Wildschäden in den meisten Wildregionen. Als primäre und wichtigste Voraussetzung für den Erfolg stellte sich heraus: „Kooperation statt Feindbildpflege“, gemeinsame Ziele von Forst und Jagd und darauf aufbauend Konventionen (Toleranzgrenzen, Maßnahmen und Sanktionen); "Gewehr und Motorsäge" wurde zur Devise. Dies setzt Offenheit, Verständnis und Vertrauen von beiden Seiten voraus.

Fazit

Ganzheitliches statt sektorales Schalenwild-Management (Kooperation, Partnerschaft auf "Augenhöhe"); großräumiger Blickwinkel (vor allem bei Rotwild, revierübergreifende Planung und Kontrolle, wildökologische Raumplanung); Therapie und Prävention der Wildschadensvermeidung sind wichtig (integrativ durch Jagd, Waldbau, Verkehrsplanung, Tourismusregelung, Landschaftsplanung).