Die FVA befragte in Baden-Württemberg forstliche Praktikerinnen und Praktiker über ihre Erfahrungen mit Rindenschäden durch Holzernte und ihre Einschätzungen zu diesem Thema. Offenbar stimmen die subjektiven Wahrnehmungen in weiten Bereichen gut mit objektiven Messbefunden überein. Auffällige Diskrepanzen bestehen jedoch bei der Einschätzung der Entwicklung des Schadniveaus und der Bedeutung "weicher" eher personalspezifischen Faktoren für das Ausmaß der Schäden.

Empfindlichkeit der Baumarten für Rindenschäden

Bei den Nadelbäumen sind die Einschätzungen zur Empfindlichkeit der Rinde gegen Verletzungen bei der Holzernte eindeutig: Als mit Abstand am verletzungsempfindlichsten wird die Rinde von Fichte eingeschätzt (Tab. 1). Als besonders robust gelten Douglasie, Kiefer und Lärche. Und auch bei den Laubbäumen ergibt sich ein recht klares Bild: Am verletzungsempfindlichsten wird die Buche, am unempfindlichsten die Eiche eingestuft.

Tab. 1: Übersicht über Ergebnisse aus einer Praxisumfrage in Baden-Württemberg zu holzerntebedingten Rindenschäden (Datenbasis: 152 auswertungsfähige Antwortbögen).

Im direkten Vergleich zwischen Fichte und Buche wird Fichte als tendenziell etwas empfindlicher eingestuft: 40 % der Antworten gehen von einer größeren Empfindlichkeit der Fichte aus, 38 % stufen beide Baumarten als gleich empfindlich ein und 22 % schätzen die Buche im Vergleich zu Fichte als empfindlicher ein. Die empirischen Einschätzungen korrespondieren damit bestens mit quantitativen Messbefunden (Nehmen die Schäden eher ab oder zu?).

Sortierrelevante Verfärbungen und Fäulen

Aus den Rückmeldungen errechnet sich für Fichte eine mittlere Häufigkeit von 48 % sortierrelevanter Verfärbungen fünf Jahre nach einem Rückeschaden; Wundfäulen werden mit 41 % nur etwas weniger häufig erwartet (Tab. 1). Insgesamt scheint die Praxis damit die Wundfäuleanfälligkeit von Fichte tendenziell zu unterschätzen: Gemessene Werte weisen für rückegeschädigte Fichte um ca. 30 %-Punkte höhere Fäuleprozente aus (vgl. Wie wirken sich Rindenschäden auf Splint und Zuwachs aus?).

Die Praxis geht bei Fichte davon aus, dass die Größe der Rindenverletzung sowie die Zeitdauer seit der Verletzung besonders starken Einfluss auf die Entwicklung von Fäulen haben. Diese Einschätzung korrespondiert gut mit Untersuchungsbefunden. Allerdings wird die große Bedeutung einer Verletzung des Holzkörpers offenbar unterschätzt, der viele Rückmeldungen nur geringe Bedeutung zumessen.

Auch hinsichtlich der Ausdehnungsgeschwindigkeit von Wundfäulen bei Fichte decken sich die Praxiseinschätzungen in der Größenordnung gut mit Messbefunden. In den ersten fünf Jahren nach der Verletzung wird zum überwiegenden Teil noch eine Beschränkung der Ausdehnung auf höchstens einen Meter Länge veranschlagt; nach zehn Jahrn wird mit einer Ausdehnung zwischen einem und vier Metern gerechnet.

Im Vergleich zu Fichte werden die anderen Nadelbaumarten als deutlich weniger gefährdet eingestuft (Tanne: 22 %, Kiefer/Lärche, Douglasie: je 19 %). Die in pathologischen Untersuchungen (Holzstrukturen und Pilzbefall nach Rindenverletzungen)und Felderhebungen nachweisbare geringere Gefährdung der Tanne ist also in der Praxis bestens bekannt.

Den beiden Laubholzarten Bergahorn und Buche wird ein relativ hohes Entwertungsrisiko durch Rindenschäden zugemessen (Tab. 1). Esche und Eiche werden im Vergleich zu diesen beiden "hellen" Holzarten als deutlich weniger gefährdet angesehen.

Bei Nadelbäumen wird die Entwertungsgefahr bei Fällschäden im Vergleich zu Rückeschäden mehrheitlich ähnlich eingestuft (Fichte) beziehungsweise tendenziell geringer (Tanne, Douglasie, Kiefer/Lärche). Dagegen ergibt sich bei den Laubbäumen ein anderes Bild. Insbesondere bei den beiden "hellen" Laubholzarten Buche und Bergahorn gelten Fällschäden als deutlich kritischer als Rückeschäden. Bei Buche scheinen dabei die Entwertungsrisiken durch am Stammfuß liegende Rückeschäden (Tab. 1) tendenziell sogar noch überschätzt zu werden. Jedenfalls weisen mykologische und computertomographische Befunde auf eine höchst effektive Abschottung von Rindenverletzungen im Bereich des Stammfusses hin (Wie wirken sich Rindenschäden auf Splint und Zuwachs aus?). Und auch die Analyse eines Praxishiebes ergibt keine Hinweise auf eine besondere Entwertungsgefahr durch Rückeschäden.

Laubbäume: qualitative Absortierung durch Rindenmerkmale

In Übereinstimmungen mit den Befunden detailliert Hiebsanalysen bei Buche gehen die Praxiseinschätzungen davon aus, dass Rindenmerkmale, die sich aus Fällschäden entwickeln, bei Buche und bei Ahorn besonders häufig zur qualitativen Zurückstufung des Stammholzes führten. Dies gilt sowohl für die Absortierung von Stammholz bester Qualitäten (Güten A und F) als auch normaler Qualität der Güte B (Tab. 1). Demgegenüber erscheinen Esche und Eiche etwas weniger betroffen.

Diese Einschätzungen zeigen, dass vor allem bei hellen Laubholzarten Rindenmerkmalen von Fällschäden grundsätzlich ein erhebliches Entwertungspotential zukommt, völlig unabhängig davon, ob es überhaupt zur Entwicklung von Fäulen kommt.

Bestimmende Faktoren für das Ausmaß an Rindenschäden

Die Einschätzung der Bedeutung verschiedener Faktoren erfolgte auf der Basis einer Liste mit 13 explizit genannten Faktoren. Aus dieser Liste waren jeweils diejenigen vier Faktoren auszuwählen, die für am bedeutsamsten gehalten werden (Ränge 1 bis 4) beziehungsweise für am wenigsten bedeutsam (Ränge 5 bis 8). Die Abb. 1 stellt für beide Kategorien die fünf Faktoren mit den jeweils häufigsten Nennungen dar.

Bei den für am bedeutsamsten eingeschätzten Faktoren ist das Bild eindeutig. Besonders häufig benannt wurden: Eingriffszeitpunkt (in/außerhalb Saftzeit) und Professionalität des Personals. Ebenfalls als bedeutsam gelten: Aushaltung des Hauptsortiments (lang/kurz), Dichte des Bestandes und Einhaltung der Schlagordnung.

Bei den für am wenigsten bedeutsam gehaltenen Faktoren sind die Unterschiede in der Häufigkeit der Nennung zwischen den Faktoren weniger stark ausgeprägt. Als der am wenigsten bedeutsame Faktor gilt die Größe der Bäume, gefolgt von Baumart, Eingriffsstärke, Geländesituation sowie Überwachung von Qualitätsstandards durch die Leitungsebene des Betriebs.

Bei den als sehr bedeutsam einzustufend Faktoren scheint auf den ersten Blick in Bezug auf den Faktor Eingriffszeitunkt eine deutliche Diskrepanz zwischen Praxiseinschätzungen und analytischen Modellierungen zu bestehen: Während die Praktiker den Eingriffszeitpunkt als wichtigsten Faktor überhaupt benennen, ist er bei Modellierungen eindeutig den nicht signifikanten Faktoren zuzuordnen (Mal mehr, mal weniger Schäden – warum?). Tatsächlich dürfte diese scheinbare Diskrepanz aber auf einem Missverständnis beruhen und lässt sich vermutlich aus einer Vermengung der Kriterien "Häufigkeit" und "Größe" bei Beurteilung der entstehenden Verletzung erklären:

Der Modellierung zugrunde gelegt wurde die gemessene Häufigkeit des Auftretens von Rindenverletzungen und auch die Formulierung der Umfrage bezog sich – textlich eigentlich eindeutig formuliert – auf die Merkmalsausprägung Häufigkeit. Trotzdem ist es nicht auszuschließen, dass die Befragten bei der Beurteilung der Bedeutung verschiedener Faktoren für die Häufigkeit von Verletzungen gleichzeitig auch deren Größe mit bewerteten, obwohl sie sich eigentlich prinzipiell der Notwendigkeit einer Differenzierung bewusst waren: In überwältigender Mehrheit (85 % der Nennungen) wurde nämlich die Zusatzfrage bejaht, ob sich die Reihung der Faktoren unterscheide, falls nach der Größe der Verletzungen anstelle ihrer Häufigkeit gereiht würde. Außerdem benannten die Praktiker den Eingriffszeitpunkt als den weitaus wichtigsten Faktor für die Größe einer Rindenverletzung (72 % der Nennungen).

Diese Vermutung einer Vermengung der beiden Kriterien lässt sich auch durch eine Re-Analyse der für die Modellierungen der Rindenschäden verwendeten Datenbasis erhärten. In der der Modellierung zugrundeliegenden Datenerhebung war seinerzeit zusätzlich zu der in der Modellierung verwendeten Variablen Häufigkeit von Verletzungen auch die Variable Größe der Verletzungen gestaffelt nach zwei Größenkategorien erhoben worden. Eine nun nachträglich durchgeführte Analyse bestätigte eindeutig, dass die Häufigkeit von Rindenschäden bei Eingriffen in der Vegetationszeit tatsächlich nicht zugenommen hatte; dass bei Eingriffen in der Vegetationszeit jedoch ein signifikant höherer Anteil auf die Kategorie der größeren Verletzungen entfallen war.

Einschätzung von Entwicklungstendenzen

Eine der auffälligsten Diskrepanz zwischen Praxiswahrnehmung und objektiven Messbefunden findet sich hinsichtlich der Beurteilung der Entwicklung der Rindenschäden. Obwohl aus Inventuren ein hohes und tendenziell weiter ansteigendes Niveau objektiv belegbar ist, wird die Entwicklung in der Praxis offenkundig insgesamt recht positiv eingeschätzt: 38 % der Befragten gehen aktuell von einem mehr oder weniger gleichbleibenden Trend aus, 57 % sogar von einer Abnahme. Lediglich 5 % nehmen die Realität eines ansteigenden Trends wahr.

Möglicherweise verbirgt sich hinter diesem erstaunlichen Befund die Tatsache, dass das Problem von Rindenschäden durch Holzernte in weiten Bereichen der Praxis (immer noch) unterschätzt und nicht ausreichend engagiert thematisiert und verfolgt wird. Auch die Beteiligung an der Umfrage legt eine solche Vermutung nahe: Der Rücklauf lag bei deutlich unter einem Fünftel der angesprochenen Reviere. Auch lässt sich die außerordentlich heterogene Beteiligung in den Unteren Forstbehörden (Abb. 2) dahingehend interpretieren, dass der Fragebogen und das Thema nur in wenigen Fällen engagiert zum Gegenstand der Diskussion in den Betrieben gemacht worden waren.

Die Folgerung, dass holzerntebedingte Rindenschäden häufig nicht ausreichend im Fokus der Betriebe stehen, würde übrigens gut mit Befunden der quantitativen Schadensmodellierungen korrespondieren (Mal mehr, mal weniger Schäden – warum?): Diese liefern klare Hinweise darauf, dass sich viele der bei Holzernte entstehenden Rindenschäden aus "weichen" aber sehr wohl betriebsspezifischen Einflüssen erklärt und nicht auf der Wirkung "hart" messbarer naturaler oder technischer Einflussgrößen (wie Feinerschließung, Eingriffsstärke, Ernteverfahren etc.) beruht. So wären beispielsweise konsequente Bemühungen der Betriebsleitung um Überwachung und Einhaltung von Qualitätsstandards bei der Holzernte als ein solcher "weicher" betriebsspezifischer Faktor einzustufen – dem die Praxis aber zum weitaus überwiegenden Teil (leider) ganz offenkundig keine große Bedeutung zumisst (Abb. 1).