Das Projekt MultiRiskSuit ist ein Verbundvorhaben, was die Risikobewertung für die Hauptbaumarten verbessern soll. Eine Teilaufgabe des Projekts bestand darin, die Verbreitung der Mistelkiefer (Viscum album spp. austriacum) zu modellieren. Dazu wurden europaweite Daten aus dem Level-I und Level-II-Plot-Netz ausgewertet und grundlegende Bestandesvariablen (Alter, Kiefernanteil, Kronenverlichtung) am Beobachtungspunkt (Plot) mit Klimavariablen wie beispielsweise Sommertemperatur verknüpft. Mithilfe des Modells kann die aktuelle und zukünftige Verbreitung der Mistel in Europa abgeschätzt werden.

Abbildung 1 zeigt die Verteilung aller ausgewerteten Plots, wobei solche mit beobachtetem Mistelbefall innerhalb des Zeitraums farbig hervorgehoben wurden. Der Befalls-Schwerpunkt befindet sich in Spanien, Türkei, Frankreich und Deutschland. Dabei ist zu ca. 60 % die Waldkiefer (Pinus sylvestris) befallen, gefolgt von Schwarzkiefer (P. nigra) mit 23 % sowie die mediterrane See-Kiefer (P. pinaster) mit 11 % und die Aleppo-Kiefer (P. halapensis) mit 7 %. Seit 2004 zeigt die Kiefernmistel einen stetigen Befallsanstieg. Es ist zu erwarten, dass sich der beobachtete Trend zukünftig fortsetzt und die Kiefern-Mistel in Deutschland eine noch stärkere Bedeutung erlangen wird (s. Abb. 2).

Bereits 2020 waren ca. 9 % aller Kiefern im Beobachtungsnetz in Deutschland befallen. Bei gleichbleibendem Trend würden 2030 schon über 15 % der Kiefern befallen sein können. Dies sind drastische Beobachtungen, welche bereits in unserem Nachbar-Bundesland Brandenburg zur aktuellen Realität gehören. Hier weisen 13 % der beobachteten Kiefern einen Mistelbefall auf. Hierzulande findet sie noch keine Erwähnung im WZE-Bericht und im eWSM wird sie, obwohl in Brandenburg als besorgniserregender Komplexschädling aufgeführt, noch nicht als eigenständige Schadart erfasst. 

Die Mistelverbreitung ist stark temperaturabhängig, sowohl in ihrer Keimung, als auch in ihrer dauerhaften Etablierung. Ein erwarteter Anstieg der Temperaturen könnte es der Mistel zukünftig auch ermöglichen, sich in den nördlicheren und höheren Lagen zu etablieren. Dies zeigt sich auch in unseren Ergebnissen. In Abbildung 3 ist ersichtlich, dass der Mistelbefall überwiegend in Regionen mit warmen winterlichen Durchschnittstemperaturen (30-Jahres-Durchschnitt zwischen 1981 und 2010) beobachtet wurde. Kältere Regionen unter durchschnittlich -2,5° C sind möglich, aber zeigen ein geringeres Aufkommen. Ein ähnlich klares Bild ergibt sich für den durchschnittlichen Sommer-Niederschlag oder der Sommer-Temperatur. Die Mistel tritt am häufigsten in Regionen Europas mit Sommer-Niederschlägen von 50–200 mm und Sommer-Temperaturen von 18–22 °C auf. Deutschland befindet sich überwiegend in diesen Klimabereichen. Diese Wertebereiche und die Modellergebnisse legen nahe, dass der Befallsdruck zukünftig mit steigenden Wintertemperaturen und geringeren Sommer-Niederschlägen zunehmen wird.

Wo ist das Problem?

In Deutschland bestehen bereits großflächige Mistelpopulationen an der Kiefer in mehreren Bundesländern wie Brandenburg, Bayern oder Hessen. In Mecklenburg-Vorpommern ist ebenfalls in den ausgeprägten Kieferngebieten in den kommenden Jahren mit Mistelbefall zu rechnen. Aktuelle Befalls-Meldungen aus MV können in Abbildung 4 eingesehen werden. Die Mistel hat als Photosynthese betreibender Halbschmarotzer eine sehr ineffiziente Wassernutzung gegenüber der Kiefer, die sehr sparsam mit ihren Ressourcen umgeht. Sie zapft die Leitbahnen der Kiefer direkt an. Dies erzeugt im Wirt in Trockenphasen einen umso größeren Trockenstress.

Nicht allein Wasser, sondern auch Nährstoffe werden der Wirtspflanze entzogen. Dies schwächt die Vitalität des Baumes. Je nach Standort und Befallsgrad kann dies den Wirt und zuletzt den gesamten Bestand gefährden. Tröstlich ist, dass dies mitunter auch mehrere Jahre dauern kann, sodass eventuell noch Handlungsmöglichkeit besteht. Sie zu entdecken ist dabei anfangs die Herausforderung, weshalb sie oft erst richtig wahrgenommen wird, wenn der Befall schon weit fortgeschritten ist. Zudem haben weitere Schädlinge am geschwächten Wirt leichteres Spiel, weshalb die Mistel zu den Komplex-Schädlingen gezählt wird. Durch Mistelbefall wird die Kohlenstoffaufnahme reduziert, der Zuwachs herabgesetzt und sogar die Holzqualität verringert.

Nach den ausgewerteten Daten des ICP zu urteilen sind junge und vitale Bestände kaum betroffen. Der Befall beginnt ab dem Alter von 40 Jahren und die Befallsraten steigen mit zunehmendem Alter und Vitalitätsverlust. Freigestellte und insbesondere ältere Kiefern ab 80 Jahren sind besonders gefährdet. Die Gefährdung steigt mit zunehmendem Befall in der Nachbarschaft. 

Eine Parasitierung der Kiefer durch die weit verbreitete Laubholzmistel (V. album ssp. album) ist dabei auszuschließen, ebenso wie eine Kreuzung zwischen den jeweiligen Mistel-Subspecies (Walas et al. 2024). Eine Neu-Etablierung über weitere Distanz ist allein durch Verbreitung über Vögel ("Ornithochorie") möglich und dabei nicht von Spezialisten abhängig. Ebenso ist für die Keimung der Samen nicht erforderlich, dass sie den Vogel-Darm passieren ("Endozoochorie"), ein Abstreifen des Samens auf den Ast reicht aus ("Ektozoochorie"). Deshalb sind Samen fressende sowie Fruchtfleisch fressende Vögel gleichermaßen verantwortlich für die Verbreitung der Mistel, wenngleich mehrere Drosselarten, allen voran die Misteldrossel (Turdus viscivorus) die Hauptverbreiter sind. Sobald ein Gebiet befallen wurde, ist mit einer umliegenden Erweiterung in den kommenden Jahren zu rechnen. Am Baum selbst ist der Befall anfänglich in den Oberkronen zu erwarten. Herabfallende Beeren setzen sich an unterständigen Baumteilen fest und können dort keimen. Mit fortschreitendem Befall kann so die gesamte Krone und der Stamm parasitiert werden.

 

Was sind nun potenzielle Risiko-Gebiete?

Um das Verbreitungspotential der Mistel abzuschätzen, wurde das auf Europa-Daten entwickelte Modell verwendet, um Prognosen für die Zukunft durchzuführen. Dabei wurden Vorhersagen für verschiedene Klimaszenarien sowie fiktive Bestandes-Situationen (Alter, Kiefernanteil, Kronenverlichtung) durchgeführt. In Abbildung 6 ist eine Deutschlandkarte mit der Modell-Prognose für 2021–2050 abgebildet - mit dem ungünstigsten, da wärmsten Klimaszenario aus dem Portfolio des Forschungsprojektes (RCP85 HAD013). Zu sehen ist das potentielle Befallsrisiko für die Kiefer in Deutschland im Alter von 80 Jahren und einem Bestandes-Anteil von 75 % sowie einer mittleren Kronenverlichtung von 25 %. Letztere stellt einen Wert für den Nadelverlust dar und gibt Aufschluss über den Vitalitäts- bzw. Kronenzustand. In der Karte wird sichtbar, dass ein hohes Risiko von 50 – 60 % (hellgelb) auf 16,6 % von Deutschland zutrifft. Die hohen Vorhersagewerte werden teilweise in Gebieten angegeben, wo die Mistelverbreitung bereits heute vorhanden ist und werden auch ebenfalls durch die Beobachtungen aus MV bestätigt (Abb. 4). Weitere Berechnungen zeigen, dass bei höher angesetzten Altersvorgaben das prognostizierte Risiko deutlich steigt.

Es ist hilfreich, potenziell gefährdete Bestände bereits frühzeitig zu erkennen. Der Modellierungsansatz kann hier eventuell Abhilfe schaffen. Erwähnen sollte man dabei aber stets, dass ein anderer zukünftiger Klimaverlauf auch zu einer Abschwächung des Mistelbefalls führen kann. Diese Unsicherheiten des Klimas, insbesondere für MV, sind beispielsweise bei Thurm & Wöhlbrandt (2024) thematisiert worden. Höhere Niederschläge beispielsweise führen zu einer Stärkung des Wirts und befähigen zu einem besseren Reaktionsvermögen durch Überwachsen des Keimlings; zu heiße, sommerliche Temperaturen führen zu einem frühzeitigen Absterben des Keimlings, ehe dieser die Leitbahnen erreicht hat. Das Klima in den Modellansatz zu integrieren ist deshalb sinnvoller als die rein statische Vorhersage von aktuellen Trends (Abb. 3) oder über die reine Betrachtung von Bestandesvariablen, um auch mit diesen Unsicherheiten rechnen zu können.

Für die Prozentangaben der Modellvorhersagen fehlt es allerdings noch an einer quantitativen Bewertung. Dies ist ein weiteres Forschungsanliegen unsererseits, sodass aus einer Prognose z. B. klare Wertverluste je Hektar abgeleitet werden können. Dies könnte zum einen manche Dramatik nehmen, zum anderen auch den Entscheidungsprozessen Nachdruck verleihen, wenn es um Gegenmaßnahmen wie frühere Holzentnahme oder sogar langfristigen Waldumbau geht.

Allerdings reicht hierfür die aktuelle Datenlage noch nicht aus, da auf Bestandesebene zu wenig bekannt ist, wie stark die Mistel den Zuwachs letztlich reduziert. Eine Literaturrecherche unsererseits und angesetzte Wissenschaftskooperationen sollen diese Datenlücke zukünftig verkleinern.