Heute steht der Industrie mit der Holzhydrolyse, auch Holzverzuckerung genannt, ein Verfahren zur Verfügung, das es ermöglicht, aus Holz Futtereiweiß, Biosprit, Zucker oder Ligninprodukte für die Landwirtschaft sowie Rohstoffe für Kunstharze herzustellen. Aus fünf Tonnen Holz gewinnt man z. B. ca. 1.000 Liter Ethanol, 270 kg Futterhefe mit einem Proteinanteil von 40-50 Prozent und bis zu 200 kg landwirtschaftlich nutzbare Ligninprodukte.
Im Jahre 1812 gelang dem Petersburger Apotheker Kirchhof, aus Getreidemehl Zucker zu gewinnen. Dieses Verfahren legte den Grundstein für die Fabrikation des Stärkezuckers aus Getreide und Kartoffeln. Sieben Jahre später, im Jahr 1819, fand der Franzose Braconnot ein Verfahren, um aus Holz Traubenzucker zu gewinnen. Heute wird die Holzhydrolyse im technischen Maßstab vor allem in der russischen Föderation angewendet.
Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß
Ab 1819 war es möglich, Holz weitgehend in eine Lösung vergärungsfähiger Zucker umzuwandeln. Mittels Gärung erhielt man Ethanol und Glycerin, aber auch andere Stoffe, bis hin zu eiweiß-, fett- und vitaminreichen Hefen. Die drei Hauptbestandteile unserer Nahrung - Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß - lassen sich auf diesem Wege gewinnen. Nahrung aus Holz, wenigen Spezialisten wie dem Holzwurm und der Termite selbstverständlich, kann sich so auch der Mensch verschaffen und seit 1819 fehlte es nicht an Versuchen der technischen Umsetzung. Es zeigte sich aber, dass der Aufwand es nicht zuließ, gegen billige landwirtschaftliche Produkte Stärke aus Getreide und Kartoffeln sowie Zucker aus Rüben und Zuckerrohr zu konkurrieren.
J. W. v. Goethe begrüßte begeistert im Jahre 1812 Kirchhofs Entdeckung. Er nahm wohl auch Kenntnis von Braconnots Fund, um es dichterisch umzusetzen:
"Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
Hier ist ein Wunder, glaubet nur!"Mephisto in Auerbachs Keller zu Leipzig zu Dr. Faustus, um vor ahnungslosen Studenten aus Holz Wein zu zaubern.
In Notzeiten war es anders. Im 2. Weltkrieg wurde in Deutschland und Russland Holz verzuckert. Das russische Werk in St. Petersburg rettete Zehntausende während der Blockade 1941 bis 1944 vor dem Hungertod. Die deutschen Werke wurden bald nach 1945 geschlossen. Benzin, Alkohol und Futtereiweiß standen über Importe billiger zur Verfügung. In der UdSSR wurde diese Industrie nach 1945 ausgebaut. Um 1970 existierten über vierzig Fabriken, zum Teil mit Tagesleistungen von mehr als 3.000 Tonnen Holz. Hauptprodukt war und ist Futtereiweiß. Der Niedergang dieser leistungsfähigen Industrie - heute produzieren noch acht Fabriken - ist nicht anders zu deuten als im Interesse guter Handelsbeziehungen zu China und den USA, deren durch Zölle nicht mehr geschützte Soja-Exporte nach Russland zu akzeptieren. Der Erlös für das Hauptprodukt Futtereiweiß sank drastisch.
Wenn im Zuge abzusehender Erdölverknappung eine solche Industrie in der EU wieder eingeführt werden soll, empfiehlt es sich, russische Fabriken umzusiedeln. Sowohl im Hinblick auf eine moderne technische Ausrüstung wie auch seitens der technischen Beratung und des Personals zur Inbetriebnahme stehen einem solchen Projekt Hindernisse kaum entgegen.
Produktionskosten und Wirtschaftlichkeit
An die Qualität des Rohstoffs (Waldrestholz, Sägespäne, Altholz, auch Altpapier) werden keine besonderen Ansprüche gestellt. Das Holz muss nicht trocken sein. Nur zur besseren Übersicht wird bei den Verbrauchszahlen mit trockenem Material (t atro) gerechnet. In Tabelle 1 sind Produktionskosten und Erlöse einer mittelgroßen Fabrik mit einer Jahreskapazität von 100.000 t atro Holz am Standort Bayern abgeschätzt. Anstelle einer Investition von 30 Millionen Euro für eine Neueinführung ist mit einer Investition von 20 Millionen Euro bei Nutzung russischer Kapazitäten, Erfahrungen und Hilfspersonal zur Inbetriebnahme zu rechnen. Die Produktionskosten und Erlöse sind auf 1.000 Liter Biosprit bezogen.
Eine ca. 2 m hohe voll funktionsfähige Laboranlage, die mit Sägemehl, Holzspänen oder auch Altpapier betrieben werden kann, steht zu Demonstrationszwecken und zur Quantifizierung des Produktionsvorganges zur Verfügung.
Johannes Scholer ist Chemiker und Russland-Kenner. Er ist als Freiberufler und Ruheständler in der Umwelt- und Kommunalpolitik aktiv.
E-Mail: jscholler@special-net.de