Hintergrund

Die Standortsbedingungen für unsere Waldbäume haben sich verändert, wodurch zum Beispiel das Zuwachsniveau deutlich gestiegen ist. Und auch viele waldbauliche Behandlungs­prinzipien haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Daher erschien eine Überarbeitung der etablierten Ertragstafelsammlung von Schober dringend geboten. Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) stellt mit einer neuen Generation von Ertragstafeln für die  Hauptbaumarten Eiche, Buche, Fichte, Douglasie und Kiefer (Stand 2024) ein nach den klassischen Vorbildern aufgebautes aktualisiertes Planungsinstrument für Nordwestdeutschland zur Verfügung.

Entwicklung der Ertragstafeln

Die erste Ertragstafelgeneration, beginnend mit den örtlichen Erfahrungstabellen, basierte auf einer geringen Datengrundlage und hatte eine recht beschränkte regionale Gültigkeit. Die zweite Ertragstafelgeneration erfuhr bereits eine Vereinheitlichung der Datengrund­lagen und Konstruktionsmethodik mit einer Bindung an „normale“ Bestände. Prominente Beispiele für diese Großgebietsertragstafeln stammen von Schwappach und wurden von Wiedemann und Schober weiterentwickelt. Die dritte Generation der Ertragstafeln, beginnend mit den Arbeiten von Gehrhardt sowie von Assmann und Franz, verwendet biometrisch-statistische Modelle, um aus Versuchsflächen-Beobachtungen die Altersverläufe der Bestandesgrößen abzuleiten. Auch viele neuere Ertragstafeln folgen dieser Methodik.

Einzelbaumwachstumssimulator

Auch die neuen Ertragstafeln der NW-FVA sind nach den klassischen Vorbildern aufgebaut. Die Herleitung dieser vierten Generation von Ertragstafeln für die fünf Hauptbaumarten geht jedoch über das Prinzip eines biometrisch-statistischen Ausgleichs von empirischen Beobachtungen hinaus. Neu ist, dass Versuchsflächendaten mit einem Einzelbaum­wachstums­simulator jeweils für 30 Jahre fortgeschrieben werden.

Konstruktionsprinzip: Die Datengrundlage zur Herleitung der Ertragstafeln basiert auf Versuchs­flächen­beobachtungen (Abb. 1, Schritt 1). Aus den empirischen Daten einer Versuchsfläche wird ein künstlicher Modell­bestand generiert, der einer definierten Grundflächen­haltung entspricht und die Dimensions­verteilungen (BHD, Höhe etc.) der Versuchsfläche aufweist (Abb. 1, Schritt 2). Dieser generierte Modellbestand wird mit dem Einzel­baum­wachstums­simulator TreeGrOSS in sechs Fünfjahres­schritten fortgeschrieben (Abb. 1, Schritt 3). Auf diese Weise wird eine Vielzahl an unterschiedlichen Modell­beständen erzeugt. Die resultierenden Simulations­ergebnisse werden mittels biometrisch-statistischer Funktions­gleichungen in Alters­verläufe der Ertragstafel­parameter überführt (Abb. 1, Schritt 4). Das Ergebnis ist eine klassisch aufgebaute Ertragstafel (Abb. 1, Schritt 5).

Dieses Vorgehen hat zwei entscheidende Vorteile:

  1. Zum einen wird das Wachstum mit den Zuwachsfunktionen von TreeGrOSS vom aktuell herrschenden Zuwachsniveau aus fortgeschrieben. Dies wäre sonst aufgrund der sich ändernden Standortsverhältnisse bei langfristig unter Beobachtung stehenden Versuchsflächen für weit zurückliegende Aufnahmen nicht gegeben.
  2. Zum anderem kann im Waldwachstumssimulator die von der NW-FVA empfohlene waldbauliche Behandlung einer gestaffelten Hochdurchforstung abgebildet werden. Die empirische Datenbasis für diese waldbauliche Vorgehensweise ist für eine Ertragstafelerstellung zu gering.

Datengrundlage

Die Erstellung der Ertragstafeln basiert auf zwei grundlegenden Festlegungen:

  1. Es wird ein mittleres Ertragsniveau abgebildet.
  2. Es wird ein in der Jugend modifizierter, funktionalisierter Bonitätsfächer auf Basis der baumartenspezifischen Alters-Oberhöhen-Beziehungen der Ertragstafelsammlung von Schober angewendet.

Die Datengrundlage stammt von ertragskundlichen Versuchsflächen der NW-FVA. Es wurden Versuchs­parzellen verwendet, die konsequent hochdurchforstet wurden und somit der empfohlenen, waldbaulichen Referenz einer gestaffelten Hochdurchforstung möglichst nahe kommen. Ziel war es dabei, ein möglichst breites Alters- und Bonitätsspektrum abzubilden. Anhand dieser Versuchs­flächen­daten wurden die mit dem Einzel­baum­wachstums­simulator fortzuschreibenden Modellbestände generiert. Die entsprechenden Kennwerte der Modellbestände für die fünf Hauptbaumarten sind in Tab. 1 aufgelistet. Der Altersbereich der Modell­bestände deckt, insbesondere nach deren 30-jähriger Fortschreibung, den Gültigkeitsbereich der zu erstellenden Ertragstafeln gut ab, nämlich vom Beginn der Durchforstungs­eingriffe bis zur einsetzenden End-/Zielstärken­nutzung. Das Bonitätsspektrum der verwendeten Versuchsflächen reicht bei Eiche von der –I. bis zur III., bei Buche von der –I. bis zur II,5., bei Fichte von der –I. bis zur II., bei Kiefer von der 0,5. bis zur II. und bei Douglasie von der 0,5. bis zur III. Ertragsklasse. Zur Validierung der Ergebnisse wurde auf eine weitaus größere Zahl Versuchsflächen zurückgegriffen.

Gültigkeitsbereich für Nordwestdeutschland

Die für die Erstellung der Ertragstafeln verwendeten Daten wurden überwiegend auf Versuchsflächen in den Partnerländern der NW-FVA Niedersachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein erhoben, aber auch auf einigen ausgewählten Flächen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland (ehemals preußische Versuchsflächen, die noch heute unter Beobachtung der NW-FVA stehen). Die neuen Ertragstafeln haben somit einen räumlichen Gültigkeitsbereich für Nordwestdeutschland. Es handelt sich um Großgebietstafeln.

Waldbauliches Behandlungskonzept

Das in den Ertragstafeln abgebildete Behandlungs­konzept zielt darauf ab, stabile, vertikal und horizontal strukturierte Bestände guter Qualität zu erziehen, die eine möglichst risikoarme Entwicklung der Volumen- und Werterzeugung gewährleisten und Handlungs­spielräume für die Verjüngungsphase schaffen. Dazu wird das von der NW-FVA empfohlene Konzept einer gestaffelten Hochdurch­forstung umgesetzt. Es sieht bei den ersten Eingriffen starke Durchforstungen im Herrschenden zur konsequenten Förderung einer baumartenspezifisch bemessenen Anzahl von Zukunftsbäumen vor. Danach folgen mäßige, die Zukunftsbäume pflegende und den Bestandesschluss erhaltende Eingriffe, die schließlich mit dem Einsetzen der End-/Zielstärkennutzung auslaufen. Die Phase der End-/Zielstärkennutzung selbst ist in den Tafeln nicht abgebildet. 

Maßgebliches Kriterium für die Durchforstungs­stärke ist die in bestimmten Altern bzw. bei bestimmten Oberhöhen anzustrebende Grundflächen­haltung im Oberstand. Der Unterstand, definiert im Anhalt an Assmann als die Bäume, deren Höhe ≤ 50 % der Oberhöhe (H100) des Bestandes in gegebenem Alter ist, wird nicht bei der Bemessung der Eingriffs­stärken und auch nicht in den Grundflächen­angaben der Ertragstafeln für den verbleibenden und ausscheidenden Bestand berücksichtigt. Die vorgegebene Grundfläche des verbleibenden Bestandes ist die Bezugsgröße und definiert den Bestockungs­grad B° von 1,0 für die neuen Ertragstafeln.

Bonitierung und Aufbau der Ertragstafeln

Die Bonitierung der Bestände erfolgt mittels des Bestandesalters und der Oberhöhe (H100) anhand der den Ertragstafeln zugrunde liegenden Bonitätsfächern. Die Ertragstafeln sind nach absoluten Oberhöhenbonitäten im Alter 100 gegliedert. Die Beziehungen der absoluten Oberhöhen zu den relativen Ertragsklassen laut Ertragstafelsammlung nach Schober sind in Tab. 2 aufgeführt.

Die Ertragstafeln stellen für verschiedene absolute Oberhöhenbonitäten die Entwicklungen der ertragskundlichen Bestandeskennwerte – getrennt nach verbleibendem und ausscheidendem Bestand – in Fünfjahresschritten dar (Tab. 3). Die Angaben beginnen mit der Fünfjahresaltersperiode, in dem der Bestand eine Oberhöhe (H100) von 11 m erreicht bzw. überschritten hat und erstmals durchforstet wird. Die Angaben enden, wenn die Endnutzung mit Aufkommen zielstarker Bäume einsetzt oder die festgesetzte Altersobergrenze der Tafeln erreicht ist (Eiche = 180 Jahre, Buche = 150 Jahre, Fichte = 120 Jahre, Douglasie = 120 Jahre, Kiefer = 120 Jahre).

Die Grundflächen- und Vorratsentwicklungen der neuen Buchenertragstafel mit Referenz zur Ertragstafel von Schober, mäßige Durchforstung, sind in Abb. 2a und 2b dargestellt. Die Angaben des laufenden Zuwachses beziehen sich auf die der Zeile vorangehenden Fünfjahresperiode, z.B. entspricht der in der Ertragstafel Buche, Oberhöhenbonität 36,5 m, im Alter 50 angegebene laufende Volumenzuwachs von 16,2 m³ je Hektar und Jahr einem 5-jährigen periodischen Zuwachs von 81 m³ je Hektar in der Altersperiode 45 bis 50. Dieses Vorgehen entspricht den Angaben vieler etablierter Ertragstafeln.

Anwendung der Ertragstafeln

Aufgrund der sich rapide ändernden Umweltbedingungen sollten die Ertragstafeln nicht für langfristige Planungen bzw. Prognosezeiträume > 20 Jahre verwendet werden. Anwendungen über diesen Zeitraum hinaus können ggf. zu deutlichen Abweichungen zwischen den in der Ertragstafel unterstellten Standort-Leistungsbeziehungen und deren künftiger Dynamik führen.

Oberhöhenbonität und Alter: Bei der Anwendung der Ertragstafeln kann zwischen den Oberhöhen­bonitäten und den Altern linear interpoliert werden. Für Angaben außerhalb der in den Ertragstafeln aufgespannten Bonitäts- und Altersrahmen sind die Möglichkeiten der linearen Extrapolation begrenzt.

Bestockungsgrad und Bestandesaufbau: Die Ertragstafeln sind für gleichaltrige, vollbestockte Reinbestände konzipiert. Je stärker die realen Bestände von dieser Referenz abweichen, desto ungenauer sind die Ertrags­tafel­schätzungen. Bei Abweichungen vom unterstellten Bestockungsgrad B° = 1,0 (Grundflächen­haltung der gestaffelten Hochdurch­forstung) sind die Zuwachskorrekturfaktoren anzuwenden, um den aus abweichenden Bestandes­dichten resultierenden Mehr- bzw. Minderzuwachs zu berücksichtigen.

Mischungsform: Baumartenmischungen können zu signifikanten Mehr- bzw. Minderzuwächsen des Gesamtbestandes führen. Je intensiver die Mischungsform ist (Einzelmischung, trupp- bzw. gruppenweise Mischung), desto ungenauer sind die Ertrags­tafel­schätzungen für die jeweiligen ideellen Anteilflächen der Mischbaumarten. Ein möglicher Vorschlag wäre die Verwendung von Zuwachs­korrektur­faktoren für Baumarten­mischungen bei der Anwendung von Ertragstafeln.

Für die Praxis wurden zusätzlich Bestockungsgrad-Faktoren (PDF) als Orientierungshilfe errechnet, um vom Bestockungsgrad (Ertragstafelsammlung von Schober, 1987) auf den Bestockungsgrad der neuen Ertragstafeln zu schließen.

Zusammenfassung

Die neuen Ertragstafeln für Nordwestdeutschland beschreiben modellgestützt die Altersentwicklung mittlerer Kennwerte von Waldbeständen bei einer gestaffelten Hochdurchforstung. Sie dienen sowohl als Referenz zur Beurteilung von Waldzuständen als auch zur Planung und Kontrolle von forstwirtschaftlichen Maßnahmen. Für gleichaltrige Reinbestände und gering bzw. nicht intensiv gemischte Bestände bieten die neuen Ertragstafeln ein nützliches Instrument, das die veränderten Umweltbedingungen berücksichtigt und ein empfehlenswertes waldbauliches Behandlungskonzept unterstellt. Bei der Verwendung der Ertragstafeln muss jedoch stets bedacht werden, dass ihre Aussagekraft umso stärker limitiert ist, je strukturreicher und gemischter ein Waldbestand ist. Auch Bonitätsänderungen und Ausfallrisiken können in den dargestellten Altersverläufen der Ertragstafelgrößen nicht berücksichtigt werden.

Projektförderung

Das diesem Beitrag zugrunde liegende Forschungsvorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (Förderkennzeichen 22027816) von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. gefördert. Die NW-FVA trägt die Verantwortung für den Inhalt dieses Beitrags.

Hinweis: 

Ertragstafeln zum Download

Auf der Website der NW-FVA stehen die neuen Ertragstafeln für Nordwestdeutschland mit zusätzlichen Informationen zum Download bereit. https://www.nw-fva.de/unterstuetzen/waldpflege-und-nutzung/neue-ertragstafeln

Ertragstafeln in Buchform 2024 erschienen

Die vierte Generation von Ertragstafeln der NW-FVA ist als Ertragstafelsammlung in Buchform erschienen. In diesem Buch wird ausführlich eine einführende Übersicht zur Datengrundlage, zum unterstellten waldbaulichen Behandlungskonzept, zur Bonitierung und zu den Anwendungsvoraussetzungen gegeben. Ein Abschnitt gibt Hinweise zur Anwendung der Ertragstafeln in nicht ertragstafelkonform behandelten Beständen. Die tabellarische Darstellung der Ertragstafeln sowie ergänzende Tabellen und Grafiken bilden den Hauptteil dieses Bandes. Das Buch ist über den Verlag der Universität Göttingen (https://univerlag.uni-goettingen.de/handle/3/isbn-978-3-86395-640-0) zu beziehen.