In den vergangenen 20 Jahren wurden in Mittel- und Nordeuropa Einzelbaum-Waldwachstumsmodelle entwickelt, die als alternative Prognoseinstrumente zu den herkömmlichen Ertragstafeln gedacht waren. Dabei folgte man einem Trend aus Nordamerika, wo solche Modelle bereits in den frühen 70er Jahren entstanden. Der Vorteil: Sie bilden die Bestandesentwicklung tatsächlich über das Wachstum der einzelnen Bäume und nicht wie in den Ertragstafeln über die Entwicklung von Hektar- und Mittelwerten ab (Stammzahl, Grundfläche oder Volumen je Hektar bzw. Mitteldurchmesser, Mittelhöhe oder Oberhöhe).

Deshalb können sie die Auswirkungen einer Vielzahl von waldbaulichen Behandlungsvarianten, Baumartenzusammensetzungen und Alterskombinationen beschreiben und so detailliertere Informationen über die Entwicklung der Bestandesstruktur (BHD-Verteilung, Schichtung, Baumartenzusammensetzung) liefern. Angesichts des Trends zu einer stärker einzelbaumorientierten Waldwirtschaft ist dies von zunehmender Bedeutung.

In Österreich wurde am Institut für Waldwachstumsforschung der Universität für Bodenkultur Wien das abstandsunabhängige Einzelbaum-Waldwachstumsmodell PROGNAUS entwickelt. Für die Parametrisierung des Modells stellte das Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW) die Daten der permanenten Österreichischen Waldinventur (ÖWI) zur Verfügung.

Das Funktionsschema von PROGNAUS

PROGNAUS ist ein in all seinen Teilmodellen abstandsunabhängiges Einzelbaum-Waldwachstumsmodell. Das heißt, es benötigt keine räumlichen Positionen der Einzelbäume. Darüber hinaus beruht es nicht auf dem Potenzialkonzept, sondern es liefert baumartenspezifische, direkte Schätzungen von Zuwachs (Durchmesser und Höhe) und Mortalität in Abhängigkeit von baumindividuellen Größen- und Konkurrenzvariablen, einem Bestandesdichtemaß und einem Set aus standortsbeschreibenden Faktoren, wie sie bei der ÖWI erhoben werden. Alle Teilmodelle sind gültig für Bäume ab einem Grenzdurchmesser von 5 cm. Mit Hilfe eines Einwuchsmodells werden Anzahl, Baumart und Dimensionen jener Bäume abgeschätzt, die innerhalb von fünf Jahren den Grenzdurchmesser überschreiten.
Darüber hinaus enthält der Simulator neben dem Waldwachstumsmodell auch noch diverse Hilfsmodelle zur Prognose von Stammschäden sowie der Stärke- und Güteklassenverteilung.

Für einen Prognosedurchlauf müssen dem Simulator von einer bestimmten Waldfläche Durchmesser, Höhe und Baumart aller Bäume eingegeben werden. Weiters benötigt der Simulator die Flächengröße sowie die Standortsparameter Seehöhe, Neigung, Exposition, Relief, Gründigkeit, Humusmächtigkeit, Bodentyp, Bodenfeuchte, Vegetationstyp und Wuchsraum (siehe Abbildung 1: Ablaufschema eines Prognoselaufes mit dem Waldwachstumssimulator PROGNAUS for Windows 2.3 ).

Dabei wird für jede Wachstumsperiode abgefragt, ob ein Ernteeingriff durchgeführt, die natürliche Mortalität berechnet, die Stammqualität bestimmt und der Einwuchs über die Kluppschwelle von 5 cm abgeschätzt werden soll. Durch die Wahl der optionalen Einstellungen lassen sich daher bestimmte Teilmodelle bzw. Routinen zu- oder wegschalten, sodass je nach Fragestellung mehr oder weniger umfangreiche Prognoseläufe möglich sind. Die Ernteeingriffe können entweder interaktiv (Abbildung 2) oder automatisiert durchgeführt, die Ergebnisse sowohl grafisch (Abbildung 3) als auch in Form einer Leistungstabelle dargestellt werden.

Bisherige und künftige Einsatzbereiche von PROGNAUS

Der bisherige Einsatzbereich des Simulators war mit wenigen Ausnahmen auf die Lehre und Forschung an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) beschränkt, wo man zum Beispiel der Frage nachging, ob PROGNAUS in Kombination mit permanenten Stichprobeninventuren zur Nachhaltskontrolle auf Revier- oder Betriebsebene eingesetzt werden kann. Weiters wurden unterschiedliche Pflegestrategien in von Rotwild geschälten Beständen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Güteklassenverteilung untersucht. Am Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW) soll in Zukunft die Anwendung des Simulators in das Ausbildungs- und Versuchswesen einfließen.

Aufgrund der Repräsentativität des Datenmaterials kann PROGNAUS im Prinzip im gesamten österreichischen Ertragswald angewendet werden. Wenn zum Beispiel Daten einer permanenten Inventur zur Verfügung stehen, sollte – wenn möglich – der Simulator einer Überprüfung und lokalen Kalibrierung unterzogen werden. Bedingt durch die Erhebungsmethode der Parametrisierungsdaten, seine Abstandsunabhängigkeit und seine Fähigkeit, Routine-Inventurdaten zu verarbeiten, ist PROGNAUS besonders prädestiniert für die individuelle Fortschreibung von relativ kleinen Probeflächen bei Stichprobeninventuren. Dadurch können Szenariosimulationen nicht nur auf Bestandesebene sondern auch auf betrieblicher, regionaler und nationaler Ebene durchgeführt werden, worin die eigentliche Stärke von PROGNAUS zu sehen ist.

Beispiele eines erfolgreichen Einsatzes auf Basis von Stichprobeninventuren sind die Holzaufkommensprognose für Österreich und die Prognose der Vorrats- und Zuwachsentwicklung im Wirtschaftswald der Österreichischen Bundesforste AG. Darüber hinaus wurde er bereits mehrfach zur Hiebsatzermittlung in einem Forstbetrieb eingesetzt, der sich in der Übergangsphase von der Altersklassenbewirtschaftung zum Plenterbetrieb befindet.

Da in PROGNAUS das standörtliche Leistungsvermögen ausschließlich über verschiedene kontinuierliche und diskrete Standortsvariablen und nicht über den darauf stockenden Baumbestand beschrieben wird, ist dieses Waldwachstumsmodell dazu geeignet, für einen Standort das Leistungsvermögen von Baumarten abzuschätzen, die auf diesem Standort bisher nicht vorhanden waren, als Alternative aber in Betracht kämen.