Pacific Rim Nationalpark – Fenster zum Küstenregenwald im pazifischen Nordwesten Amerikas

Der Pacific Rim Nationalpark liegt an der niederschlagsreichen Westküste von Vancouver Island. Er umfasst den unmittelbaren Küstenbereich mit seiner Landschaft aus Felsklippen und Sandstränden sowie die an die Küste anschließende Zone eines Küstenregenwaldes der gemäßigten Klimate.

Ökologische Verhältnisse im Pacific Rim Nationalpark

Der für nordamerikanische Verhältnisse eher kleine (rd. 500 km²) Nationalpark liegt an der niederschlagsreichen Westküste der Vancouver Insel (s. Abb. 1). Der Park umfasst die unmittelbare Küstenlandschaft und schließt im Wesentlichen folgende Bereiche ein: sublitorale Tiefwasserzone, Gezeitenzone, Küstenzone aus Felsenklippen, Sandbänken und Treibholzansammlungen sowie die Zone des Küstenregenwaldes. Prägend für den gesamten Park ist der unwirtliche, kalte Pazifik. Die Winterstürme und der auch im Sommer recht kühle Ozean halten die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter in Grenzen: Die Spanne der Tagesdurchschnittstemperaturen reicht von winterlichen + 6 °C bis + 14 °C im Hochsommer. Frosttage und Schneefall sind ausgesprochen selten. Und selbst im Hochsommer klettert das Thermometer so gut wie nie über + 25 °C.

Zweites Charakteristikum ist die hohe Feuchtigkeit. Aufgrund der Steigungsregen an der Barriere der Westküstenberge fallen jährlich bis 3.000 mm Niederschlag. Es gibt im Prinzip keine Jahreszeit, in der nicht regelmäßig ergiebiger Regen fällt. Aufgrund des Niederschlagsschwerpunktes im Winterhalbjahr zählen die Regenwälder der Vancouver Insel zur Zone der "seasonal rainforests". Taifunartige Winterstürme können in Einzelfällen pro Tag durchaus knapp 500 mm abladen. Aufgrund der kalten Meeresströmung bildet sich zudem auch häufig dichter Nebel. Der nebelreiche, küstennahe Bereich wird daher auch als "fog belt" (Nebelgürtel) bezeichnet.

Waldgesellschaften im Park

Aus forstlicher Sicht ein besonderer Leckerbissen ist der Einblick, den der Park in die Waldgesellschaften im engeren Küstenbereich vermittelt. Unmittelbar an der Küste findet sich im Regelfall ein schmaler Waldstreifen aus Sitkafichten (Picea sitchensis). Die Sitkafichte kommt mit starkem Wind gut zurecht und toleriert den Salzeintrag durch Spritzwasser. Auf armen Sandstandorten tritt an ihre Stelle die "Shore Pine" (Pinus contorta var. contorta). In unmittelbarer Strandnähe sind die Bäume höchsten Windgeschwindigkeiten ausgesetzt, die das Höhenwachstum einschränken und die Kronen zu den für windige Standorte typischen "Fahnen" deformieren. In mehr windgeschützten Buchten oder in wenigen Hundert Metern Entfernung vom Küstensaum wachsen die Sitkafichten dann jedoch zu gewaltigen Bäumen heran, mit Durchmesser bis 1,80 m und bis gut 60 m hoch. Mit zunehmender Entfernung vom Ozean nimmt dann der Anteil der Hemlocktannen (Tsuga heterophylla) im Wald rasch zu, die etwa dieselben Dimensionen wie die Sitkafichten erreichen und von der Verbreitung und Dominanz die eigentlichen "Herrscher" der Regenwälder der Vancouver Insel sind. Charakteristisch ist die Vergesellschaftung der Hemlocktannen mit dem Riesenlebensbaum ("Western Red Cedar", Thuja plicata). Sie können Durchmesser von über 2,50 m erreichen. Kennzeichnendes Merkmal dieser Baumschönheiten sind ihre rötliche Rinde und das dauerhafte Holz: Es erweist sich als sehr witterungsbeständig, verströmt einen milden, angenehmen aromatischen Duft und wird außerordentlich gut bezahlt.

Die Thuja spielt auch für Leben, Kultur und Mythologie der indianischen Ureinwohner eine wichtige Rolle. Von ihnen wird sie aufgrund der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten auch als "Baum des Lebens" bezeichnet. Die faserige Rinde wurde an stehenden Bäumen als Basis für Gewebe und Flechtmaterial geerntet. Das leicht spaltbare Holz liefert die Planken für Wohn- und Kulthäuser. Es dient auch als Rohmaterial für den Bau der großen Kanus und die eindrucksvollen Schnitzereien wie die aus mystischen Motiven aufgebauten Totempfähle.

In die Hemlock-Thuja-Zone schiebt sich landeinwärts zunehmend die Douglasie (Pseudotsuga menziesii) ein. Im "fog belt" begünstigen die ökologischen Verhältnisse Sitkafichte, Hemlock und Thuja noch so stark, dass sie die Douglasie hier noch fast vollständig verdrängen. Mit zunehmender Küstenentfernung steigt dann jedoch die Konkurrenzkraft der Douglasie an, und entsprechend nehmen ihre Anteile im Küstenregenwald zu. Noch weiter landeinwärts schließt sich dann östlich an den Bereich des Küstenregenwaldes das eigentliche Douglasiengebiet an ("Douglas-fir type proper" [1]).
Dort dominiert die Douglasie als Charakterbaumart in den meisten Waldgesellschaften zumindest die frühen Stadien der hier regelmäßig vom Feuer in Gang gesetzten Waldentwicklungszyklen.

Wer mit offenen Augen den Pacific Rim Nationalpark besucht, wird rasch feststellen, dass die Küstenregenwälder im Parkbereich in weiten Bereichen keine unberührten Urwälder mehr sind. Natürlich gibt es im Park auch kleinere Bereiche ursprünglichen Urwaldes, in denen kein Holzeinschlag stattgefunden hat. Dort sind die Bäume dann noch dicker, der Pflanzenverhau am Boden noch undurchdringlicher. Aber diese Bereiche machen nur einen Bruchteil des Parks aus. Die Ursache liegt in der intensiven Holznutzung, die vor der Errichtung des Parks vor allem im südlichen Bereich der Vancouver Insel stattgefunden hat.

Dies schmälert allerdings den Parkgenuss kaum: Die Wälder sind im Bereich des Parks schon seit langer Zeit wieder sich selbst überlassen. Wer durch solch einen sich selbst überlassenen Sekundär-Urwald geht, die gewaltigen Bäume und die sich am Boden anhäufenden verrottenden Stämme betrachtet, mag kaum glauben, dass hier zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts Fällaxt, Ochsengespanne und gigantische Seilanlagen gehaust haben [2]. Wen man allerdings genau hinschaut, entdeckt man in regelmäßigen Abständen riesige Baumstümpfe: um die drei Meter hoch und Durchmesser deutlich jenseits von zwei Metern. Die Stümpfe weisen meist zwei Meter über dem Boden eigentümliche Löcher auf, etwa zwanzig Zentimeter im Geviert. In diese Löcher hatten die alten Holzfäller ihre "Springboards" gesteckt, auf denen sie hoch über dem Boden standen und die charakteristische doppelköpfige Fällaxt schwangen. Ziel war es, oberhalb des besonders dicken Wurzelanlaufs etwas leichteres Spiel beim Fällen der Baumriesen zu haben. Erst mit Einführung leistungsfähiger Motorsägen Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts verschwanden Fällaxt und Springboard und die Stöcke wurden niedriger.

Besuch des Nationalparks

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um die für das Gebiet typische Küstenlandschaft und die Küstenregenwälder in drei getrennten Parkteilen zu erleben. Der nördliche Parkbereich "Long Beach" (rd. 80 km²) bietet Autotouristen mit einem begrenzten Zeitvorrat einen gemächlichen Zugang. Für Besucher mit Zeit und Abenteuergeist offeriert der "West Coast Trail" genannte Küstenstreifen des südlichen Parkteils ein einzigartiges Erlebnis. Schwierig erreichbar ist der mittlere Parkteil der "Broken Group Islands". Die zahlreichen Inseln dieses Archipels liegen vor der Küste im Mündungsbereich des Barkley Sounds und sind ausschließlich mit kleinen Booten oder im Kajak erreichbar.

Der Bereich Long Beach

Das Gebiet Long Beach zieht die meisten Besucher an. Ursprünglich beschränkte sich dieser Parkteil auf den durch eine Straße erschlossenen Küstenabschnitt zwischen denOrten Tofino und Ucluelet. Seit kurzem ist er jedoch nördlich von Tofino um einen Teil des Clayoquot Sound-Gebietes erweitert worden. Dieser neue Teil ist für normale Autotouristen nicht erreichbar. Der Besuch von Long Beach gestaltet sich aufgrund der Infrastruktur völlig unproblematisch [3] und lohnt sich trotz des lebhaften Besuchzuspruches in jedem Fall. Von der Parkstraße ausgehende, bestens ausgebaute kurze Spazierwanderwege ermöglichen in kürzester Zeit einen nahezu vollständigen Überblick über die Zonen und Lebensgesellschaften des Küstengürtels:

Wickaninnish Beach begeistert neben dem hervorragend gestalteten Besucherzentrum mit seinem weitläufigen Sandstrand am eiskalten Ozean an dem sich große Mengen an salzwassergebleichtem Treibholz türmen. Kreuz und quer von den Wellen übereinander auf den Strand geworfen finden sich vom kleinsten Stöckchen bis zum riesigen Stamm Hölzer aller denkbaren Größen. Eindrucksvoll sind auch die häufig am Strand angeschwemmten, viele Meter langen Schläuche des Kelp-Tanges, der vor der Küste regelrechte Unterwasser-Wälder bildet.

Als Kontrastprogramm zum Sandstrand beinhaltet der Weg nach Wya Point an der Florencia Bay Kiesstrand und Felsenklippen. Bei Ebbe finden sich auf den von Seepocken überkrusteten, tangbewachsenen Felsen stille Tidentümpel mit schmucken grünlichen Seeanemonen, Seesternen und anderem Getier. Und der kurze Shorepine Bog Trail führt den Besucher durch die Welt eines küstennahen Hochmoors.

Am Aussichtspunkt von Radar Hill bietet sich ein phantastischer Rundblick von der Küste bis zum von einem grünen Waldteppich überzogenen gebirgigen Hinterland. Leider zeigt Radar Hill auch allzu deutlich die Ursachen für die großen Kontroversen zwischen Holznutzung und Natur- und Landschaftsschutz, die den pazifischen Nordwesten erschüttern: In den grünen Waldteppich der Bergkonturen sind in scharfen geometrischen Mustern riesige Kahlschlagflächen hineingestanzt. Selbst Jahre nach erfolgreicher Wiederbewaldung stechen diese Umrisse noch ins Auge.

Für eine erste Bekanntschaft mit dem Innenleben eines Küstenregenwaldes bietet sich der knappe Kilometer Wegs an, der von der Parkstraße steil hinab nach Schooner Cove führt. Anfänglich geht’s durch Hemlock-Thuja-Regenwald. Zum Abschluß wird unten am Strand ein Streifen reiner Sitkawald erreicht, dessen Bäume sich mit lehrbuchmäßigen, winddeformierten Fahnenkronen präsentieren. Gut zu beobachten auch, wie Hemlock und Thujen unter dem von der Brandungsgischt eingewehten Salz viel stärker leiden als die robusteren Sitkafichten.

Ein besonders eindrückliches Walderlebnis bietet der in einem Hemlock-Thuja Küstenregenwald angelegte Rain Forest Pfad – für forstlich interessierte Parkbesucher ein absolutes "Muss". Zwei vollständig über Holzstege geführte Rundwege leiten den Besucher auf verschlungenen Pfaden durch dichten, feuchtetropfenden Pflanzendschungel. Am Boden ein undurchdringlicher Verhau umgestürzter, moos- und pflanzenüberwachsener Stämme in allen Stadien des Vermoderns und Zerfalls. Gen Himmel recken sich die Baumriesen, deren dichtes Kronendach auch bei hellem Sonnenschein nur dämmrig-gefiltertes Licht auf den Boden fallen lässt und das von einer üppigen Flora epiphytischer Moose und Flechte bevölkert wird.

Der West Coast Trail

Der Parkbereich des West Coast Trail besteht lediglich aus einem relativ schmalen Band Küstenlandschaft entlang des sich etwa über 75 km erstreckenden Wanderweges. Prinzipiell findet sich all das, was Long Beach zu bieten hat, auch im Bereich des West Coast Trail. Der Besuch dort ist zwar wesentlich beschwerlicher und aufwendiger, dafür aber noch eindrücklicher und abenteuerlicher.

Entstanden ist der Weg zur Zeit des britischen Empire anlässlich der Einrichtung und Instandhaltung einer Telegraphenleitung durch den Küstenregenwald. Wegen der vielen Schiffshavarien an der nebelverhangenen Felsenküste der Insel, die deshalb auch den bezeichnenden Beinamen "graveyard of the pacific" (Friedhof des Pazifik) trägt, wurden Teile des Telegraphistenweges später zu einem Lebensrettungspfad ausgebaut. Heute wird der Weg von der Nationalparkverwaltung als Wanderweg unterhalten.

Die Endpunkte der Wanderung in Bamfield und Port Renfrew sind per Schiff, Auto oder Bus zu erreichen. Für den Weg selbst heißt es, Schusters Rappen zu satteln und Stoffhaus nebst Verpflegung zu schultern. Unterwegs gibt es weder feste Unterkünfte noch Verpflegungsmöglichkeiten. Der West Coast Trail ist alles andere als ein Spazierweg. Er bedarf ausreichender Vorbereitung und ordentlicher Ausrüstung. Manche Passagen sind so anspruchsvoll, dass man für einen Kilometer Wegs gut und gerne eine Stunde braucht. Für den gesamten Weg sollte man daher mindestens fünf, besser sieben Tage veranschlagen. Wegprofil, Anforderungen, Gefahren und Höhepunkte sind bestens in "Blisters and Bliss" (Blasen und Glückseligkeit) beschrieben [4] – ein spritzig und humorvoll geschriebener Wanderführer der absoluten Spitzenklasse.

Der Treck bietet sicherlich die intensivste Art, Küstenlandschaft und Regenwald kennen zu lernen. Mal geht es stundenlang über menschenleere Sand- und Kiesstrände gesäumt von den bis an die Wasserlinie herunter bewaldeten Küstenfelsen. Dann wieder überquert man bei Ebbe weite Schelfebenen aus Sandstein von denen sich das Meer zurückgezogen hat. In der Luft nur das Brausen des Pazifik, Möwenschrei und das heisere Gebell von Seelöwen. Nicht selten schweben Weißkopfseeadler über den Küstenwäldern. Und wer ganz viel Glück hat, sichtet sogar einen blasenden Wal.

Forstlich besonders eindrücklich sind die Passagen, auf denen der Weg durch den dichten Regenwald führt. Um das Terrain überhaupt für normale Wanderer begehbar zu machen, unterhält die Parkverwaltung umfangreiche Hilfsanlagen: In handbetriebenen Seilgondeln schwebt man über Flüsse, himmelhoch reichende Holzleitern testen bei der Bewältigung steiler Felsenpassagen im Pflanzendschungel die Belastbarkeit des Herz-Kreislauf-Systems, eine haarsträubend schwankende – aber bombensicher befestigte – Hängebrücke quert eine tiefe Schlucht.

Im Regenwald tun sich auf dem schmalen Fußweg ständig tiefe Morastlöcher auf, die so grundlos aussehen, dass man nicht hineinfallen möchte, und lieber mühevoll um sie herumklettert. Von Norden kommend helfen anfänglich noch häufig Bretterstege über die übelsten Moraststellen. Je weiter man nach Süden kommt, um so seltener und morscher werden sie jedoch. Und da man sich im Küstenregenwald mit seinen typisch hohen Biomasseanreicherungen aufhält, liegen auch zahlreiche gewaltige Baumstämme kreuz und quer über den Weg. Dann heißt es: drunter durch oder oben darüber klettern. Ein Kapitel für sich sind auch Baumstämme, die als Brückenersatz quer über Wasserläufen liegen. Auf nass-glitschiger Oberfläche balanciert man so über dichten Pflanzenbewuchs, aus dessen Tiefe das Gurgeln eines versteckten Wasserlaufes klingt.

Die Art der Wegführung bringt den Besucher in intensivsten Kontakt mit dem Regenwald. Welch ein Kontrast, wenn man dann nach stundenlangem Umrunden von Morastlöchern, Kraxeln über Baumstämme und hochgeklappte Wurzelteller, Klettern von Leitern und Queren schwankender Brücken aus den dunklen Säulenhallen des Waldes heraustritt an den Rand des Ozeans, der sich von der bewaldeten, menschenleeren Küste bis zum Horizont dehnt: Aaahhh, the West Coast! [4].

Literatur

  • [1] McArdle, R.E., Meyer, W.H., Bruce, D. (1961): The yield of Douglas fir in the Pacific Northwest. USDA Techn. Bull. 201, S. 74 [2] Andrews, R.W. (1956): Glory days of logging - action in the big woods, British Columbia to California. Bonanza Books, New York, 176 S. [3] Mertz, P. (1996): Kanada. Reiseführer Natur. BLV Verlagsgesellschaft, München, Wien, Zürich, 239 S. [4] Foster, D., Aitken, W. (2003): Blisters and bliss - a trekker's guide to the West Coast Trail. B&B Publishing, Victoria/B.C., 144 S.