
Für Menschen, die sich in Deutschland mit Waldbewirtschaftung beschäftigen, besteht seit den 80er Jahren eine Krisenkontinuität – vom „Waldsterben“ infolge des Sauren Regens über Wirtschaftskrisen, die auch den Holzmarkt betreffen, bis hin zur aktuellen Biodiversitäts- und Klimakrise.
Der durch die menschlichen Aktivitäten seit der Industrialisierung verursachte Anstieg klimarelevanter Spurengase in der Atmosphäre und die globale Erwärmung beeinflussen nicht nur den heutigen Zustand unseres Planeten. Aufgrund der Komplexität und der Trägheit des Klimasystems bestimmen sie ebenfalls die langfristige zukünftige Entwicklung. Metaphorisch gesprochen bestimmt also unser heutiges Handeln maßgeblich das Spektrum der möglichen Zukünfte unserer Gesellschaft – und unserer Wälder. Mit jedem weiteren Tag an dem wir unser Handeln nicht substantiell verändern, verlieren wir weitere dieser verschiedenen, denkbaren Zukünfte.
Dieses Krisenerleben lässt uns als Försterinnen, Förster und Waldbesitzende nicht unberührt. Die Folge sind oftmals klassische Symptome: Trauer über alles, was verloren geht. Wut über das menschliche und gesellschaftliche Beharrungsvermögen. Trotz, erst recht etwas zu verändern. Hoffnungslosigkeit angesichts der schier unmöglichen Veränderungsaufgabe. Im schlimmsten Fall ein Tunnelblick auf negative Nachrichten, Perspektivlosigkeit und Resignation. Die großen gesellschaftlichen und ökologischen Krisen können also auch auf der individuellen Ebene zu einer Krise führen.
Die meist negativen und oft lähmenden Gefühle des Krisenerlebens helfen allerdings beim Bewältigen einer Krise nur wenig weiter. Wie können Menschen also einen Umgang damit und einen Weg aus der Krise finden? Hier kann die Übertragung langfristig erprobter Denkansätze und Methoden aus dem Bereich von Supervision und Coaching in den Waldsektor hilfreich sein.

Abb. 1. Verlust möglicher Zukünfte. Grafik: eigene Darstellung; Weltkugel-Icon von Freepik (https://de.freepik.com/)
Aus der Krise „segeln“?
In Krisenzeiten kann man meist nur unter erheblicher Unsicherheit entscheiden. Wenn jedoch unsere (verständliche) Sehnsucht nach Sicherheit Entscheidungen und Handeln verhindert, führt das zum Stillstand und zum Verweilen in der Krise. Gebraucht wird eine Strategie, die Handlungsspielräume schafft und Energie freisetzt.
Hier hilft die supervisorische Methode des Polynesischen Segelns (Schmidt nach Lewis 1994). Wie schafften es die Polynesier in einer zerstreuten Insellandschaft ohne moderne Navigationssysteme von Insel zu Insel zu reisen? Sie hatten zum einen die innere Gewissheit, ihr Ziel zu erreichen, ohne es wirklich konkret zu kennen. Sie verließen sich auf Erfahrung und Intuition und passten ihren Kurs als Reaktion auf zufällige Ereignisse fortlaufend an. Dafür beobachteten sie kontinuierlich ihre Umgebung (z. B. Sterne, Winde, Strömungen, Vogelflug).
Bei großer Unsicherheit macht es also Sinn, ein ausreichend klares, gleichzeitig aber auch ausreichend vages Ziel zu definieren, um sich nicht vom Ergebnis abhängig zu machen und mit einer Mischung aus Vertrauen, Achtsamkeit und Nachsteuern „einfach los zu segeln“. Dadurch ändert sich die Funktion des Zieles: Es geht nicht mehr darum, ein ganz spezifisches, vorher festgelegtes Ziel auch wirklich zu erreichen, sondern aus der krisenhaften „Lähmung“ in Bewegung zu kommen.
Ziele und Planung von Waldentwicklung neu denken
In Zeiten der Klimakrise sollten wir also die Ziele der Waldentwicklung neu denken. Angesichts der klimatischen Unsicherheiten scheint es daher sinnvoll, den Erhalt und die Entwicklung zukunftsfähiger, funktionaler Waldökosysteme als neues gemeinsames Primärziel zu formulieren – im Sinne des Polynesischen Segelns ausreichend klar und gleichzeitig vage genug.
Außerdem erfordert der durch die Klimakrise bedingte Verlust der Planbarkeit von Försterinnen und Förstern eine Veränderung des Selbstbildes – von jemandem, der Waldwachstum aktiv steuert, zu jemandem, der Waldentwicklung begleitet. Das traditionelle Planungsdenken aufzugeben bedeutet jedoch nicht, zukünftig den Entwicklungen „hinterherzulaufen“, sondern diese eng zu begleiten und immer wieder aktiv nachzusteuern. Konkret müssen dafür zum Beispiel Planungsprozesse überdacht und dynamisiert werden, unter anderemmit Blick auf sinnvolle Planungszyklen, Behandlungseinheiten und Zielgrößen. „Agile“ forstliche Planung bedeutet auch, zufällige Entwicklungen wie zum Beispiel. Störungsereignisse in die Entwicklung eines Waldmosaiks auf der Landschaftsebene zu integrieren.
Der zukünftige Fokus der Waldentwicklung sollte vorrangig auf dem Erhalt der Funktionalität und einer Erhöhung der Anpassungsfähigkeit unserer Waldökosysteme liegen. Für die wesentlichen Anpassungsmechanismen sind neben einer Vielfalt von Artengemeinschaften, Strukturen und Entwicklungsphasen auf Bestandes- und Landschaftsebene v. a. kontinuierliche, vorrangig natürliche Verjüngungsprozesse notwendig, je nach Standort maßvoll und gezielt ergänzt durch die Integration weiterer Herkünfte oder Baumarten. Förderlich wäre die Formulierung von kontinuierlicher Verjüngung und frühzeitiger Fruktifikation als explizite Bewirtschaftungsziele.
Auf betrieblicher Ebene umfasst diese „Agilität“ auch Schaffung von Freiraum für kreatives lokales Handeln durch flexible waldbauliche Leitplanken. In einer unsicheren Welt sind in gewisser Weise alle Akteure dabei „zu experimentieren“. Die, die weitermachen bisher und hoffen, dass es schon nicht so schlimm wird. Die, die nichts tun und sich auf natürliche Prozesse verlassen. Und die, die aktiv verschiedene Strategien ausprobieren. Sie alle tragen zu der Strategie- und Maßnahmenvielfalt bei, die wir für den laufenden Anpassungsprozess benötigen. Entscheidend ist, dass wir die Hintergründe und Wirkungen der erprobten Ansätze beobachten, dokumentieren und uns darüber kontinuierlich und konstruktiv austauschen, um gemeinsam sowohl aus den Erfolgen als auch dem Scheitern dieser Ideen zu lernen.
Fazit
Die Klimakrise erfordert von uns Försterinnen und Förstern nicht nur eine Veränderung des waldbaulichen Handelns, sondern vor allem eine Erweiterung unserer Perspektiven und Denkansätze. Dabei können langfristig erprobte Methoden aus dem Bereich von Supervision und Coaching sowohl auf der individuellen als auch der betrieblichen Ebene hilfreich sein, um Handlungsspielräume zu identifizieren, Ziele neu zu definieren und in Bewegung zu kommen. Ein wertschätzender fachlicher und emotionaler Austausch zur Erfolgen und Rückschlägen unterschiedlicher Ansätze wird nicht nur zur Stärkung der Resilienz unserer Wälder, sondern auch der beteiligten Akteure beitragen. So können wir als Försterinnen, Förster und Waldbesitzende den fortlaufenden und krisenhaften Wandel individuell als Mensch gesund durchleben und gleichzeitig beruflich konstruktiv begleiten.
Hier finden Sie die Aufzeichnungen der Vorträge zum Eberswalder Waldkolloquium 2025 – Vorträge | Landesbetrieb Forst Brandenburg
Literaturquellen entnehmen Sie bitte dem Originaltext in der Eberswalder Forstlichen Schriftenreihe.


