Seit einigen Jahren bekommt Rehwild in Ostbayern hin und wieder Besuch von seinem nächsten Verwandten, dem Elch. Der Elch ist die größte Hirschart der Erde und wird – ebenso wie das zierliche Rehwild – der Unterfamilie der Trug- oder Neuwelthirsche zugeordnet. Das Erscheinen dieser beeindruckenden Wildart wirft jedoch viele Fragen auf. Daher hat das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) den "Elchplan für Bayern" entwickelt. Der Plan klärt den rechtlichen Status des Elchs, stellt verlässliche Regeln für einen ausgewogenen Umgang mit dieser Wildart auf und bildet die Grundlage für die Etablierung des Elchmonitorings.
Die "bayerischen" Elche stammen vermutlich aus einer kleinen Population in der Tschechischen Republik, die sich in den 1960er Jahren in der Grenzregion zu Deutschland im Bereich des Moldaustausees etabliert hat. Im Jahr 2006 wurden bereits neun Mal Elche registriert, im Jahr 2007 waren es mehr als zwanzig.
Monitoring für Elche
Der Elch verrät sich nicht nur durch Fährten im Schnee oder Losung. Er wurde auch schon vom Küchenfenster aus beobachtet oder am helllichten Tag friedlich äsend auf einem Wildacker fotografiert. Bisher liegen Elchmeldungen aus den drei ostbayerischen Bezirken Niederbayern, Oberpfalz und Oberfranken vor.
Um die Elchnachweise in Bayern zukünftig standardisiert erfassen zu können, richtete das StMELF ein unkompliziertes Monitoringsystem ein. Demnach können Beobachtungen über Elche und ihre Spuren an die örtlich zuständigen unteren Jagdbehörden gemacht werden. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Regensburg steht den Behörden als kompetenter Berater zur Seite. Alle fachkundigen Personen sind aufgerufen, sich am Monitoring zu beteiligen und über ihre Beobachtungen, Fährten- und Losungsfunde oder andere Nachweise zu berichten. Alle Meldungen fließen in der Elch-Datenbank der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) zusammen, die eine kontinuierliche Dokumentation gewährleistet. Ein grenzübergreifendes Monitoring gemeinsam mit Tschechien nimmt bereits konkrete Formen an.
Rechtlicher Status und Elchschäden
Jeder Wildschaden, den Schalenwild verursacht, ist grundsätzlich ersatzpflichtig. Dies gilt somit auch für jene Schäden, die das ganzjährig geschonte Elchwild hervorruft. Bisher sind zwar noch keine gravierenden Schäden durch Elche bekannt geworden, dennoch muss die Anwesenheit einer weiteren Schalenwildart in unseren Wäldern äußerst kritisch beobachtet werden. Genau dies bezweckt das Monitoring. Es soll nicht nur aufdecken, wie viele Elche Bayern ungefähr durchstreifen und in welcher Intensität sie zuwandern, sondern dient auch dazu, gezielt den Einfluss des Elchwildes auf die Vegetation zu erfassen.
Ausgewachsene Elche wiegen etwa 500 Kilogramm, sie benötigen täglich durchschnittlich 25 Kilogramm pflanzliche Nahrung. Weichlaubhölzer wie Weide oder Pappel stellen die bevorzugte Nahrung dieser Wiederkäuer dar, sie beäsen aber auch Edellaubholz, Eiche oder Tanne. Zwar gleichen sich die Schadbilder der verschiedenen Schalenwildarten stark, doch nur Elchwild kann Bäume in einer Höhe von mehr als zwei Metern verbeißen. Zusätzliche Hinweise auf den Verursacher liefern Trittsiegel, Losung oder Haarfunde im Bereich der geschädigten Pflanzen. Auch Fraßspuren an wirtschaftlich unbedeutenden Baumarten sollten dokumentiert werden. Im Aufnahmeformular für Elchmeldungen können in einer eigenen Rubrik die Spuren vermerkt werden, die Elche an der Vegetation hinterlassen haben.
Exot oder Spätheimkehrer?
Nachdem das Elchwild über Jahrhunderte hinweg aus Deutschland verschwunden war, wandert die Hirschart wieder selbständig in die Bundesrepublik ein und taucht inzwischen unregelmäßig in Bayern sowie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern auf. In Brandenburg leben sogar circa acht bis zehn Stücke als Standwild. Abgesehen von der relativ isolierten Elchpopulation am Moldaustausee in der Tschechischen Republik befinden sich die nächsten großen Elchpopulationen derzeit im Osten Polens und den östlich angrenzenden Gebieten sowie in Schweden und nördlich davon.
Der Elch wird heute als typischer Bewohner der nördlichen Hemisphäre wahrgenommen. Doch er ist kein Exot in Bayern, sondern war einst Teil der Fauna Mitteleuropas. Informationen zu Elchvorkommen im früheren Germanien überlieferten unter anderem Plinius und Caesar. Im Mittelalter war Elchwild noch relativ weit verbreitet. Nachweise liegen vor allem aus Brandenburg und Sachsen vor. Sogar das Nibelungenlied berichtet von einer Elchjagd Siegfrieds im Odenwald. Eine relativ vitale Population scheint im Umfeld der Elbe bis ins 11. oder 13. Jahrhundert existiert zu haben. Bejagung, Wilderei und der Verlust geeigneter Lebensräume ließ die Zahl der Elche schrumpfen und führte zur Verinselung der letzten verbliebenen Teilpopulationen.
Bis ins 20. Jahrhundert wurden zahlreiche Wiederansiedlungsversuche unternommen, die jedoch alle fehlschlugen. Im Jahr 1746 soll der vorerst letzte deutsche Elch in Sachsen erlegt worden sein. Auch im übrigen Verbreitungsgebiet erfuhr der Elch zahlreiche Reduktionsphasen. In Kriegszeiten wurde die Wildart als wertvolle Nahrungs- und Lederquelle besonders intensiv bejagt. Zar Peter der Große kleidete Anfang des 18. Jahrhunderts seine Armee fast ausschließlich mit Elchleder ein, der Bedarf überstieg mehrere 10.000 Häute jährlich und führte binnen kurzer Zeit nahezu zur Ausrottung des Elchbestandes. Auch aus Polen und Skandinavien sind Phasen bekannt, in denen das Elchwild extrem dezimiert wurde.
Elche sind extrem mobil und anpassungsfähig
Abb. 2: Ausgewachsene Elche benötigen täglich durchschnittlich 25 Kilogramm Pflanzennahrung (Foto: F. Schönfeld).
Dass das Elchwild trotzdem nicht ausstarb, ist auf seine perfekte Anpassung an unbeständige Lebensbedingungen zurückzuführen: Die Hirschart besiedelt mit Vorliebe Lebensräume, die von kontinuierlicher Veränderung geprägt sind. Gerade nach Waldbränden, Windwürfen und Kahlschlägen entsteht eine üppige Sukzessionsflora, die den großen Pflanzenfressern ausreichend Energie liefert. Doch solche Areale bilden sich plötzlich und erfordern eine spontane, schnelle Besiedlung. Als ausdauernder Läufer, der im Durchschnitt 15 Kilometer täglich wandert, wenn nötig aber auch Distanzen bis zu 80 Kilometer zurücklegt, kann Elchwild in kurzer Zeit in bisher unbesiedelte Gebiete vordringen. Es gibt kaum natürliche Hindernisse, die einen wandernden Elch stoppen können. Die Tiere sind gute Schwimmer und können dank ihrer spreizbaren Schalen auch sumpfiges Gelände leicht durchqueren.
In optimalen Lebensräumen verhält sich die Wildart aber durchaus standorttreu. Im Winter können sich lockere Rudel bilden. Die Tiere profitieren allerdings nicht vom Leben in der Gruppe – im Gegenteil, in Elchgruppen treten aggressive Interaktionen sogar besonders häufig auf. Die rudelartige Ansammlung ist hauptsächlich auf das geklumpte Auftreten von Nahrungsressourcen in Kieferndickungen zurückzuführen, die im Winter gleichzeitig Einstand und Hauptnahrungsquelle für Elche bilden.
Das für ein Tier dieser Größe ungewöhnlich hohe Reproduktionspotential sowie die frühe Geschlechtsreife sind ebenfalls Zeichen für die stammesgeschichtliche Anpassung der Elche an die Schnelllebigkeit ihres Lebensraums: Elchtiere sind – gute körperliche Verfassung vorausgesetzt – bereits im Jahr nach ihrer Geburt fortpflanzungsfähig und können potenziell jedes Jahr ein bis zwei Kälber gebären.
Wählerische Allesfresser
Die Ernährungsphysiologie der Elche ist ebenfalls voll darauf ausgerichtet, ein saisonal stark schwankendes Nahrungsangebot optimal auszunutzen. Als Konzentratselektierer äsen Elche vor allem energiereiche, leicht verdauliche Nahrung wie Knospen, Blätter und junge Triebe. Gräser und anderes Raufutter spielen dagegen keine bedeutende Rolle in der Ernährung. Sie sind aber keinesfalls auf eine bestimmte Pflanzengattung oder -art festgelegt, sondern nehmen im Jahresverlauf die unterschiedlichsten Pflanzen auf. Der Elch besetzt dennoch eine exklusive Nahrungsnische. Dank ihrer Körpergröße kann die Wildart Pflanzen in bis zu drei Metern Höhe beäsen. Dies ist keiner anderen Schalenwildart möglich. Jüngere Bäumchen kann der Elch mit seinem Körper niederdrücken, um an die frischen Triebe in der Krone zu gelangen. Im Winter kann es jedoch zu Konkurrenz mit Rotwild und anderen Hirscharten kommen, die außerhalb der Vegetationsperiode ebenfalls Zwergsträucher, Knospen, Nadeln und Rinde äsen und somit die gleichen Nahrungsressourcen wie der Elch nutzen. Allerdings sinkt in dieser Phase der Nahrungsbedarf der großen Tiere auf ein Minimum, auch die Stoffwechseltätigkeit wird reduziert. Deshalb wird das Überleben bereits durch ein relativ karges Nahrungsangebot wie z.B. Rinde und Jahrestriebe der Kiefer ermöglicht.
Unauffällige Färbung und mangelndes Fluchtverhalten
Auf ihren ausgedehnten Wanderungen müssen Elche immer wieder Verkehrswege überqueren. Wildsperrzäune an bayerischen Autobahnen sind konzipiert für die relativ kleinen heimischen Wildarten, insbesondere Reh- und Rotwild. Für die großen Elche stellen diese Zäune kein unüberwindliches Hindernis dar. Allerdings dürften die Zäune eine gewisse Leitlinienfunktion bzw. einen Barriereeffekt besitzen. Elche folgen dem Zaunverlauf zunächst und überspringen Zäune vermutlich nur in besonderen Situationen. Am Zaunende und an Unterbrechungen des Zaunverlaufs besteht dann eine erhöhte Kollisionsgefahr mit Elchen und anderen Wildtieren.
Elche sind auf Grund ihrer unauffälligen Färbung für Verkehrsteilnehmer oft schwer zu erkennen. Sie tauchen meist unerwartet auf der Fahrbahn auf und verharren dann oftmals einen Augenblick. Vermutlich hat diese Wildart kein ausgeprägtes Fluchtverhalten entwickelt, da sie außer Wölfen und Bären nahezu keine natürlichen Feinde besitzt; auch könnte bei Elchen die Fähigkeit, Geschwindigkeiten einzuschätzen, aus diesem Grund geringer ausgebildet sein. In Bayern werden in der aktuellen Situation noch keine zusätzlichen Präventionsmaßnahmen wie z. B. erhöhte Zäune oder neue Verkehrsschilder zur Warnung vor Elchen für erforderlich gehalten, da Unfälle mit Elchen bislang extrem selten auftreten.
Umgang mit dem Elch
Der Elchplan ist auf die aktuelle Situation zugeschnitten, in der Elche Bayern nur durchwandern. Der Plan sieht daher vor, dass die natürliche Zuwanderung des Elchwildes stattfindet, aber nicht aktiv gefördert wird. Sollte sich die Situation grundlegend verändern, beispielsweise weil Zahl und Höhe der Elchschäden erheblich ansteigen, kann der Plan angepasst und die Einführung einer Jagdzeit erörtert werden. Der Plan, die Formulare für das Elchmonitoring sowie umfangreiche Hintergrundinformationen rund ums Thema Elch können auf dern Webseite des StMELF heruntergeladen werden.