Problematik

Grosse Sturm- und Borkenkäferschäden verändern nicht nur das Waldgefüge, sondern auch den Lebensraum für das Wild drastisch. Die sich schlagartig verändernden Äsungs- und Deckungsverhältnisse stellen aber auch die Jäger vor eine neue Herausforderung. Mit dem flächigen Aufkommen der Krautvegetation explodiert das Nahrungsangebot, entsprechend kann der Rehbestand stark anwachsen. Gleichzeitig erschwert sich aber die Bejagung, da die Tiere im aufkommenden Jungwuchs bald kaum mehr sichtbar sind. Gemeinsame Aufgabe der Jagd sowie von Waldbesitzern und Förstern muss es sein, den Rehbestand so weit zu kontrollieren, dass der Verbissdruck auf die Waldverjüngung in tragbaren Grenzen bleibt.

Das Einrichten von Freihalteflächen ist eine Möglichkeit, die erschwerte Jagd trotzdem erfolgreich auszuüben. Zudem bringen sie dank störungsarmer Tagesaustritte eine Verbesserung der Lebensraumverhältnisse und eine generelle ökologische Aufwertung. Das vorliegende Merkblatt ist eine Zwischenbilanz rund 9 Jahre nach dem Einrichten der Freihalteflächen. Die bisherigen Erfahrungen und Beobachtungen von 33 auf Lothar-Sturmschadenflächen eingerichteten Freihalteflächen im Kanton Zürich wurden dazu zusammengetragen, um Jäger und Förster bei der Arbeit mit Freihalteflächen zu unterstützen. Bei einem künftigen Schadenereignis hilft das Merkblatt Entscheidungen zu treffen und Fehler zu vermeiden.

Zusammenhänge

Dynamik

Auf einer grossen Schadenfläche entwickelt sich die Kraut- und Strauchvegetation in den ersten Jahren oft schlagartig. Falls es sich bei der Schlagflora um beliebte Äsungspflanzen handelt, nimmt das Äsungsangebot entsprechend zu. In der Folge kann der Rehbestand aufgrund der idealen Äsungsbedingungen anwachsen, wenn der Abschuss in und um die Schadenflächen nicht erhöht wird.

Wenn sich der Jungwuchs schliesst und zur Dickung einwächst, nimmt das Äsungsangebot für das Rehwild wieder ab. Dafür werden die Dickungen als Deckung (Einstände) genutzt. Die Rehe müssen sich die Nahrung im umliegenden Wald suchen, der Verbissdruck steigt.

Ziel einer frühzeitigen Schwerpunktbejagung über mehrere Jahre hinweg ist es, den Rehbestand in diesen Gebieten nicht übermässig ansteigen zu lassen, um die Verjüngung der standortgerechten Baumarten mit möglichst wenig Schutzmassnahmen sicherzustellen. Damit man die Tiere in den grossflächigen, geschlossenen Jungwüchsen und Dickungen überhaupt zu Gesicht bekommt, sollen Freihalteflächen eingerichtet werden. Wenn diese für das Rehwild attraktiv sind, d.h. ein gutes Äsungsangebot aufweisen und störungsarm sind, lässt sich hier ein Teil des Abschusses realisieren.

Äsungsangebot

Das natürliche Äsungspotenzial wird vom Standort (Waldgesellschaft) bestimmt. Je nach den an einem Ort herrschenden Boden- und Klimaverhältnissen gedeihen unterschiedliche Pflanzenarten (z.B. Schachtelhalm an nassen Stellen, Heidelbeere auf saurem Boden etc.). Zudem ist der Ausgangsbestand, d.h. der vom Sturm zerstörte Waldbestand und die vorhandene Naturverjüngung, für das Aufkommen der Vegetation auf einer Sturmfläche entscheidend. Standort und Ausgangsbestand sind gegeben und nicht veränderlich. Beeinflussbar sind das Befahren, die Einrichtung und die Pflege einer Freihaltefläche.
 

Einrichtung und Pflege der Fläche

Die Grösse und For der Fläche sowie einzelne stehen gelassene Bäume beeinflussen den Lichteinfall und damit die Zusammensetzung der Krautschicht. Kleine Strukturelemente, die als Deckungsmöglichkeit Sicherheit vermitteln, sind wichtig für die Akzeptanz der Freihalteflächen durch das Reh.

Befahren der Flächen

Flächiges Befahren mit schweren Maschinen ist durch das Waldgesetz grundsätzlich verboten. Beim Räumen der Schadenflächen bzw. beim Einrichten und Pflegen der Freihalteflächen führt es je nach Bodenart und Feuchtigkeit zum Zeitpunkt des Befahrens zu irreversiblen Bodenverdichtungen. Besonders empfindlich sind feinkörnige (siltige), saure und staunasse Böden.

 

Beliebtheit der Äsungspflanzen

Diese ist sehr unterschiedlich. Generell sind Kräuter und Sträucher sehr beliebt. An der Sonne wachsende Pflanzen sind reicher an Duft-, Geschmacks- und Inhaltsstoffen und werden Schattenpflanzen vorgezogen. Die Attraktivität schwankt auch mit den Jahreszeiten; Gräser werden z.B. vor allem im Winter gefressen. Die Brombeere ist ganzjährig betrachtet die wichtigste Äsungspflanze.

 

Ergebnisse der Vegetationserhebungen im Kanton Zürich

Zur Ermittlung des Äsungsangebotes in Freihalteflächen dienten Vegetationsaufnahmen. Aufgrund der Häufigkeit und der Beliebtheit der festgestellten Arten wurde das Äsungsangebot abgeschätzt. Es zeigte sich, dass sehr grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Flächen bestehen. 70% der untersuchten Freihalteflächen weisen jedoch eine gute bis sehr gute Eignung auf, obwohl die Standortvoraussetzungen nicht optimal sind (viele saure, nährstoffarme Böden).

Folgerungen und Empfehlungen

Anlage und Gestaltung einer Freihaltefläche
  • Anlage grundsätzlich in Schadenflächen über 2 ha in grossen Waldkomplexen.
  • Minimale Grösse: 10 bis 20 Aren.
  • Der Zeithorizont für den Betrieb einer Freihaltefläche ist ca. 15 bis 20 Jahre (Minimum 10 Jahre).
  • Möglichst störungsfreie Lage, d.h. mit genügend Abstand und Sichtschutz von Waldstrassen.
  • Flächen mit extremen Bedingungen (z.B. sehr trocken, nass oder stark sauer) sowie verdichtete Böden meiden.
  • Rückegassen (z.T. verbreitert) erweisen sich meist als ungeeignet.
  • Vielfältige Strukturen erhalten und fördern, d.h.
    • einzelne Sträucher oder Bäume, stellenweise Brombeergebüsch, Äser- und Fegstöcke, aufgestellte Wurzelstöcke stehen lassen. Diese vermitteln dem Rehwild Sicherheit und bieten Äsung;
    • innere Waldränder vielfältig und unregelmässig gestalten;
    • nicht gleichzeitig auf der ganzen Fläche mähen.
  • Gewundene Wildkorridore (0,5–1 m) durch dichtes Brombeergebüsch als Wildwechsel zu den Freihalteflächen freihalten.
  • Hochsitze:
    • Kugelfang und Hauptwindrichtung beachten;
    • Hochsitz so hoch wie möglich bauen, damit der ansitzende Jäger aus dem "Wind" ist.
    • Pirsch- und Unterhaltswege von der Waldstrasse her verdeckt anlegen.

 

Unterhalt

  • Zweimaliges Mähen verbessert mit den Jahren das Äsungsangebot. Die Vegetation wird vielfältiger und wiesenähnlicher.
  • Innere Waldränder in die Pflege einbeziehen.
  • Schnittzeitpunkt und Verfahren aufgrund eigener Erfahrungen optimieren. Zu beachten ist,
    • dass die zu fördernden Arten absamenkönnen,
    • dass unerwünschte Arten zurückgedrängt werden,
    • die Setzzeit der Rehe.
  • Pirschweg gut pflegen (lautloser Zugang zum Hochsitz).
  • Einsaat von Wildäsung:
    • Zuerst abwarten, welche Pflanzen sich auf dem jeweiligen Standort natürlicherweise einstellen.
    • Falls Wildäsung künstlich eingebracht wird, ist sie auf die vorhandenen Bodenverhältnisse abzustimmen.
  • Düngung ist im Wald verboten und auf unseren vorwiegend gut nährstoffversorgten Böden auch nicht nötig.

 

Jagdliche Nutzung

  • Beim Ansitz ist dem sich ändernden Äsungsangebot im Jahresverlauf und dem Verhalten des Rehwildes Rechnung zu tragen.
  • Jagdliche Ruhepausen einlegen, denn ständiges Ansitzen führt zur Nachtaktivität des Rehwildes.
  • Die Freihalteflächen sind primär für den Abschuss von Rehwild zu nutzen. Die gezielte Bejagung von Schwarzwild soll auf anderen Flächen erfolgen.
  • Freihalteflächen sind grundsätzlich für die Ansitzjagd geschaffen. Eine Nutzung auf Bewegungsjagden ist möglich.

Vorgehen

  • Die Auswahl und das Bezeichnen der Freihalteflächen soll möglichst früh durch Waldeigentümer, Förster und Jäger gemeinsam erfolgen.
  • Es empfiehlt sich, bei der Einrichtung einer Freihaltefläche klare Abmachungen zwischen Waldeigentümer, Forstdienst und Jagdgesellschaft zu treffen. Eine Vereinbarungsvorlage kann bei der Abteilung Wald des Kantons Zürich bezogen werden.
  • Eckpunkte markieren
  • Die Jagdgesellschaften besorgen idealerweise den Unterhalt der Freihalteflächen.

 

Schlussbemerkungen

Der jagdliche Erfolg auf Freihalteflächen wird nicht nur durch das Äsungsangebot, sondern durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Die Vermeidung von Störungen durch Erholungssuchende und durch den Jagdbetrieb selbst gehört dabei zu den wichtigsten Aufgaben. Die optimale Einrichtung und Pflege der Freihalteflächen ist eine Herausforderung, denn jede Freihaltefläche ist einmalig. Es gilt neben dem geeigneten Standort auch ein rationelles Arbeitsverfahren zu finden, welches Strukturen fördert und das Äsungsangebot nicht schmälert.

Freihalteflächen sind oft mit hohen Erwartungen verbunden. Zwar gibt es einige erfolgreiche Beispiele, jedoch auch viele mit nur wenig oder mässigem Erfolg. Freihalteflächen sind kein Allheilmittel und ersetzen weder die Ansitz- noch die Bewegungsjagd mit guten Hunden im übrigen Wald. Sie dienen aber dazu, grössere Sturm- oder Borkenkäferschadenflächen gezielt zu bejagen und Abschüsse auch unter schwierigen Verhältnissen zu tätigen.

Ausblick

Auch in reich strukturierten, jungwuchsreichen Waldbeständen (z.B. Dauerwald) wird das Einrichten von Freihalteflächen in jüngster Zeit vermehrt diskutiert. Denn auch hier ist das Wild wegen der guten Deckung und der schlechten Sichtbarkeit im dichten Unterwuchs nur noch schwierig zu bejagen. Erste Erfahrungen im Kanton Zürich mit solchen Flächen sind positiv.

Die Idee der Freihalteflächen lässt sich jedoch nicht einfach auf den geschlossenen Wald übertragen. Wer neue Freihalteflächen einrichtet, sollte natürliche und durch Holzerei entstehende Öffnungen im Wald jagdlich nutzen. Diese besitzen oft einen ähnlichen Charakter wie Freihalteflächen und können meist mit wenig Aufwand offen gehalten werden. Solche Flächen entstehen immer wieder neu und verschwinden mit dem Aufkommen des Jungwuchses wieder. Dies setzt ein Erkennen der Dynamik im Wald, Flexibilität und eine gute Kommunikation mit dem Förster voraus.

 

(TR)