“Kliööh“ klingt es durch den spätwinterlichen Wald. An einem dicken Buchenstamm sitzt ein Schwarzspecht-Weibchen, erkennbar am feuerroten Hinterscheitel. Das rabenschwarze Gefieder, die weisse Iris und der weissliche Schnabel mit dunkler Spitze sind gut zu erkennen. Bald kommt ein Männchen dazu, dessen Scheitel ist vollständig rot. Obwohl es sich um ein Paar in der Nähe der künftigen Bruthöhle handelt, strecken beide ihre langen Hälse von sich und bedrohen sich gegenseitig mit schwenkenden Kopfbewegungen.

Dieter Blume, der deutsche Altmeister der Spechtforschung, beschrieb den Schwarzspecht als ausgesprochenen Einzelgänger. Obwohl ein Brutpaar vermutlich das ganze Jahr über in Rufkontakt ist, lassen sich ausserhalb der Brutzeit oft gegenseitige Aggressionen beobachten. Im Januar oder Februar nähern sich die Partner langsam an, locken sich gegenseitig durch lange «kwih»-Rufreihen an, die an einen Grünspecht erinnern, und nähern sich vorsichtig der Schlafhöhle des Partners – oft mit aggressiven Bewegungen wie dem Kopfschwenken. An der zukünftigen Brut- oder einer Schlafhöhle spielt sich häufig ein Klopfkonzert ab: Ein Partner sitzt in der Höhle und klopft von innen gegen die Höhlenwand, der andere antwortet mit leisen “kijak“-Rufen von der Aussenseite her.

Während der Balzzeit und bis in die Brutzeit hinein verteidigt das Paar das gemeinsame Revier durch “kwih“-Rufreihen und weitum hörbares Trommeln. Eine Trommelreihe dauert jeweils drei Sekunden. Pro Sekunde schlägt der Schwarzspecht 17 Mal auf einen Resonanzkörper wie zum Beispiel einen Ast. Der Höhepunkt des einige Wochen dauernden Rituals ist die Kopulation im April. Das Weibchen setzt sich dazu quer auf einen waagrechten Ast und fordert das Männchen mit Flügelzittern zur Paarung auf. Mit dem Brutbeginn verschwinden die meisten Abwehrreflexe gegenüber dem Partner.

Ein kriegerischer Waldbaumhämmerer

Seine kämpferische Natur machte den Schwarzspecht in der Antike zum Glücksbringer des Kriegsgottes Mars. Vor Schlachten wurde er bei den Römern jedoch ungern gesehen, da dies Unglück und Verderben verhiess. “Holzkrähe “ oder “Holzgüggel“ wurde er im Volksmund genannt. Die stattliche Grösse und das schwarze Gefieder erinnern tatsächlich an einen Rabenvogel. Conrad Gessner stellte ihn 1585 in seinem berühmten Vogelbuch richtigerweise zu den Spechten, und Carl von Linné verlieh ihm 1758 schliesslich den wissenschaftlichen Namen Dryocopus martius, der "dem Mars geweihte/kriegerische Waldbaumhämmerer“.

Specht-typische Merkmale lassen sich beim Schwarzspecht kaum leugnen: Der Schnabel ist lang und meisselförmig, die Kletterfüsse kräftig mit zwei Hinter- und zwei Vorderzehen, der Stützschwanz verfügt über verstärkte, mittlere Steuerfedern. Unter dem Federkleid zeigen sich weitere Spezialisierungen: Der lange, mit stützenden Muskeln bepackte Hals dient als Hammerstiel, eine schwammige Knochenverbindung zum Schädel hin federt die Schnabelschläge ab. Seine Zunge kann der Schwarzspecht bis 5 Zentimeter über die Schnabelspitze heraus strecken. Die Zungenspitze ist klebrig und mit Widerhaken besetzt. So kann er Insektenlarven aus ihren Holzgängen hervorziehen.

Um Holz dreht sich denn auch einiges im Leben des Schwarzspechts. Seine Nahrung besteht zu 80 Prozent aus Ameisen, die er oft unter Rinden oder im Holz findet, zu 15 Prozent aus holzbewohnenden Käferlarven und zu einem geringen Teil aus Schnecken und Früchten. Während im Sommer vor allem Weg- und Holzameisen auf dem Speisezettel stehen, ernährt sich der Schwarzspecht im Winter hauptsächlich von Waldameisen. Meist findet er diese in Fichten, die einen "rotfaulen" Kern haben. Als Rotfäule bezeichnet man den anfänglich rötlichen Pilzbefall bei Nadelhölzern, der zum Abbau von Lignin im lebenden oder toten Holz führt und das Holz faserig und instabil werden lässt. Da Ameisen in Fichten mit einem faserigen Kern überwintern, sucht der Schwarzspecht in diesen seine Nahrung.

Ganz anders liegen die Vorlieben des Schwarzspechts in Sachen Höhlenbäume. Zur Anlage von Brut- und Schlafhöhlen bevorzugt er keine Nadelbäume, sondern alte Buchen. Diese beiden Vorlieben machen den Schwarzspecht zu einem typischen Bewohner von Mischwäldern des Mittellandes. Er kommt aber auch in höheren Lagen in Wäldern vor, in denen Nadelbäume dominieren. Im Schweizer Mittelland beträgt die durchschnittliche Reviergrösse 3 bis 4 Quadratkilometer pro Paar.

Dicke Bäume nötig

Ein Baum muss hohen Anforderungen genügen, damit der Schwarzspecht darin seine Höhle zimmert. Meist wählt er über 100 Jahre alte Buchen mit einem Durchmesser von mindestens 40 cm, die für den Bau einer geräumigen Höhle genügend stabil sind. In diesem Alter bilden Buchen oft hallenartige Bestände mit kahlen Stämmen und einem hohen Kronendach.

Dies ermöglicht den Tieren einen freien Anflug zur Höhle in 6 bis 20 Metern Höhe. Seine Höhle baut der Schwarzspecht fast ausschliesslich in Buchen mit einem weissfaulen Kern. Wie bei der Rotfäule der Nadelbäume zerstören die Weissfäule-Pilze das Lignin der Laubbäume und machen so den Holzkern faserig und für den Schwarzspecht besser bearbeitbar. Man nimmt an, dass Schwarzspechte von der akustischen Resonanz auf das Innenleben einer Buche schliessen können, da der Befall durch Weissfäule von aussen oft kaum zu erkennen ist. Ein erstaunliches Indiz hierfür liefern Querschnitte ehemaliger Schwarzspecht-Höhlen. Sie zeigen, dass der Höhleneingang stets durch die dünnste Schicht des umgebenden Hartholzes angelegt wird.

Der Bau einer neuen Höhle dauert 23 bis 28 Tage und wird von einem Brutpaar alle 3 bis 5 Jahre begonnen. Meist legen die Schwarzspechte zuerst nur einen wenige Zentimeter tiefen Eingang an, der ausfault. Erst Jahre später bauen sie den Eingang zu einer richtigen Höhle aus. Von aussen ist eine Schwarzspecht-Höhle am rechteckigen bis ovalen Höhleneingang erkennbar, der etwa 13 x 9 cm gross ist. Der Querschnitt offenbart eine raffinierte Bauweise: Der Oberrand der Öffnung überragt den aussen abgeschrägten Unterrand und schützt so die Höhle vor einem Wassereinbruch. Oft legt der Schwarzspecht seine Höhlen in sogenannten Höhlenzentren an: ein Altholzbestand, in dem viele zum Höhlenbau geeignete alte Buchen dicht beieinander stehen. Nicht selten werden mehrere Höhlen in denselben Baum gezimmert. Dieser fault mit der Zeit innerlich aus und bleibt als “Baumflöte“ mit vielen Löchern stehen.

Langschläfer und engagierter Vater

Die Höhlen dienen dem Schwarzspecht hauptsächlich als Schlafplatz. Morgens verlässt er seine Höhle erst nach Sonnenaufgang und fliegt sie abends vor Sonnenuntergang in einem ritualisierten Ablauf an, begleitet von lauten “krrück, krrück…“ Flugrufen. Die Schlafhöhlen von Weibchen und Männchen liegen oft mehrere 100 m auseinander. Mitte April legt das Weibchen 3 bis 5 weisse, kugelrunde Eier in die gemeinsame Bruthöhle. Diese werden tagsüber abwechselnd von beiden Eltern, nachts aber nur vom Männchen bebrütet, während das Weibchen in der eigenen Schlafhöhle übernachtet. Nach 13 Tagen schlüpfen die nackten Jungvögel, die neun Tage lang gehudert werden.

Damit die Jungen ihre Kletterfähigkeiten trainieren können, überreichen ihnen die Eltern das Futter ab dem 17. Tag unter dem Höhleneingang und ab dem 24. Tag nur noch an der Aussenseite der Höhle. Nach dem Ausfliegen mit 28 bis 30 Tagen werden die Jungen in Waldteile mit dichtem Unterholz geführt. Das Männchen füttert sie noch bis zu einem Monat lang. In dieser Zeit übernachten die Jungen meist ausserhalb von Höhlen an Bäume geklammert, jedoch in der Nähe der Schlafhöhle des Männchens, bis der Familienverband aufgelöst wird.

Specht mit Schlüsselfunktion

Mit seinen geräumigen Höhlen schafft der Schwarzspecht eine begehrte und limitierte Ressource in einem Wald. Über 60 Tierarten sind als Nachnutzer oder Höhlen-Konkurrenten des Schwarzspechts bekannt. Darunter sind Baummarder, Eichhörnchen, Hohltaube, Sperlings- und Raufusskauz, Kleiber, Dohle und Star. Sogar Hornissen und Wespen nutzen die Höhlen zur Fortpflanzung. Zahlreiche Fledermausarten verwenden die Schwarzspecht-Höhlen als Sommereinstand und Überwinterungsort. Am Boden von alten, faulenden Höhlen entsteht mit der Zeit Mulm, eine Ansammlung aus tierischen Exkrementen und sich zersetzendem Holz. Dieser ist ein begehrter Lebensraum für zahlreiche spezialisierte Käferarten, darunter der äusserst seltene Juchtenkäfer oder Eremit.

In Thüringen (D) konnte gezeigt werden, dass der Hauptnutzer der Schwarzspechthöhlen nicht etwa der Schwarzspecht selbst, sondern die Hohltaube ist. Als Konkurrentin des Schwarzspechtes zieht sie bei direkten Auseinandersetzungen zwar meist den Kürzeren. Da die Hohltaube am Höhlenboden aber eigenes Nistmaterial einträgt, kann sie im Gegensatz zum Schwarzspecht auch Höhlen in einem schlechten Zustand nutzen und so auf ein grösseres Angebot zurückgreifen. Ganz anders die Dohle: Sie gewinnt in der Regel Kämpfe um eine Bruthöhle, selbst wenn der Schwarzspecht diese eben frisch gezimmert hat. Da die Dohle aber auf einen Höhlenstandort in Waldrandnähe angewiesen ist, übt sie bei tiefer im Wald gelegenen Höhlen keinen Konkurrenzdruck aus. Noch etwas wählerischer ist der Raufusskauz. Er benötigt ein grosses Höhlenangebot in seinem Revier, da er jedes Jahr eine neue Bruthöhle bezieht. Der Grund für dieses verschwenderisch erscheinende Verhalten liegt vermutlich im erhöhten Prädationsrisiko in alten Bruthöhlen: Hat ein Baummarder eine Bruthöhle einmal erfolgreich geplündert, kontrolliert er diese auf der Suche nach Nahrung noch über Jahre und gefährdet so insbesondere den Bruterfolg von Nachnutzern.

In Naturwäldern mit mehreren Jahrhunderte alten Baumbeständen finden sich natürliche Höhlen in ausgefaulten Astabbrüchen, Spalten oder anderen Nischen im stehenden Totholz. Da im Wirtschaftswald die Holzernte aber bereits in einem jüngeren Waldstadium stattfindet, sind dort viele der Konkurrenten und Nachnutzer auf den Schwarzspecht als Höhlenfabrikanten angewiesen. Der Schwarzspecht ist somit eine Schlüsselart in bewirtschafteten Mischwäldern.

Höhlenbäume schützen und sichern

Mit dem Schutz der gesamten Waldfläche, der Einführung des naturnahen Waldbaus und dem damit steigenden Anteil an Höhlenbäumen und Totholz wuchsen die Bestände des Schwarzspechts in der Schweiz. In jüngster Zeit findet man ihn sogar in Städten, wo genügend kleine Waldinseln vorkommen. Obwohl der Schwarzspecht momentan weder in der Schweiz noch in seinem bis nach Ostasien reichenden Verbreitungsgebiet bedroht ist, sind doch Schutzmassnahmen für geeignete Höhlenbäume nötig. Von diesen profitieren insbesondere die zahlreichen Nachnutzer der Höhlen. Leider werden Höhlenbäume immer wieder unabsichtlich gefällt, denn oft sind Höhleneingänge erst bei genauerem Hinsehen erkennbar. Wälder sollten daher nach Höhlen- und Biotopbäumen abgesucht und diese dann markiert werden, um die Wohnungsnot in unseren Wäldern lindern – zum Wohle des Schwarzspechts und seiner Nachmieter.