Der Juchtenkäfer (Osmoderma eremita), auch Eremit genannt, hat in Wien viel Aufsehen erregt. Die streng geschützte Schirmart aus der Familie der Blatthornkäfer verzögerte im Naherholungsgebiet Hörndlwald (Wien 13) den Baubeginn einer Reha-Klinik und bringt Anrainer, Naturschützer und Klinikbetreiber gegeneinander auf. Wegen ihm werden nun Burn-out-Patienten "länger auf ihre Therapie in Hietzing warten müssen". Was hat es mit diesem Käfer auf sich?

Der schwarz schillernde Eremit zeigt sich selten, wenn, nur im Sommer über 25 Grad Celsius. Er erinnert entfernt an den aus derselben Familie stammenden Mistkäfer, mit dem Unterschied, dass er keine Dungballen vor sich her rollt. Was bei ihm auffällt, ist sein pillenförmiger Kot, der gerne als Indikator für sein Vorhandensein hinzugezogen wird. Doch selbst dieser zerfällt meist binnen kurzer Zeit. Zuhause ist der zwei bis vier Zentimeter große Käfer in den mit Mulm angefüllten Anbrüchen und Höhlen alter Laubbaumbestände, die mindestens 200 Jahre alt und sogar älter sind.

Seine Entwicklung dauert lange. Drei bis vier Jahre braucht es bis sich die Larve zum Käfer entwickelt. Eine geeignete Bruthöhle kann von mehreren Generationen über viele Jahre hinweg bewohnt werden. Daraus wird klar, dass der Juchtenkäfer keinesfalls ein klassischer Totholzbewohner ist, sondern vielmehr Höhlen in lebenden Bäumen braucht. Weil er sich so selten zeigt und die meiste Zeit in der Bruthöhle bei den Larven verharrt, wusste man bis Anfang der 1990er Jahre nur wenig über ihn. Es war bislang den Entomologen vorbehalten, sich für ihn zu begeistern, da es als Herausforderung galt und nach wie vor gilt, ihn nachzuweisen. Doch seit er seit 1992 als streng geschützte Schirmart auf der EU-Habitatsverordnung 92/43/EEC und bei der Berner Konvention aufscheint, hat sich das Wissen über seine Lebensweise und sein Vorkommen wesentlich erhöht.

Pfand für den Naturschutz

Der Nachweis für sein Vorkommen steht immer wieder wirtschaftlichen Interessen im Weg. So ist er nun in Wien zum Politikum beim Bau einer Reha-Klinik geworden - ein Beispiel wo EU-Gemeinschaftspolitik, nationale wirtschaftliche und regionale Interessen aneinander reiben. Beim Kräftemessen zwischen Anrainern und Bauherren dient der Käfer als veritabler Pfand für den regionalen Naturschutz, was Fragen der bestehenden Raumordnungspolitik, "Wohlfahrt" versus Bürgerinitiativen und der Aufwertung von städtischem Naturraum aufwirft. Es gibt insgesamt um die 50 geschützte Arten im Hörndlwald - vom Hirschkäfer angefangen bis zu verschiedenen Libellen- und Fledermausarten.

Nur einer hat das "rechtliche Zeug", den Bau zu stoppen: der Juchtenkäfer. Es wurde nun ein auf seinen Geruch trainierter Spürhund eingesetzt, um ihn nachzuweisen. Auch wenn es zum Auffinden dieser Art keine publizierten Nachweise gibt, kann man davon ausgehen, dass diese Methode bei ihm gut funktioniert. Sein intensiver Geruch, der an Marille erinnert, ist markant. Zurzeit werden die am BFW ausgebildeten Spürhunde vordergründig bei der Suche nach dem invasiven Asiatischen Laubholzbockkäfer eingesetzt, der durch unbehandeltes Verpackungholz nach Österreich gelangt.

Juchtenkäfers Schirmherrschaft

Ist eine Art als zu schützende Schirmart eingestuft, ist ihre Präsenz mehr als erwünscht. Denn eine Schirmart hat ein so großes bzw. bedeutendes Habitat, dass ihr Schutz viele andere Arten trittbrettartig mitschützt. Ist der Juchtenkäfer vorhanden, dann weiß man, dass der Baumbestand sein natürliches Alter erreichen könnte, an dem auch viele andere hoch gefährdete Organismen gekoppelt sind. Hudewälder, unter Naturschutz stehende ehemalige Weidewälder, sind seine Habitate, aber auch Parkanlagen, Alleen oder sogenannte Kopfbäume. Als Kopfbäume gelten Laubbäume, die nur im oberen Bereich geschlägert werden und wieder austreiben können, wie Weiden, Pappeln, Erlen, Eschen, Buchen u.a.

Da sein Verschwinden oft mit Unkenntnis und der damit einhergehenden unsachgemäßen Bewirtschaftung von Altbaumbeständen zu tun hat, könnten Kampagnen in vielen Fällen entgegenwirken. Sind größere wirtschaftliche und wohlfahrtstechnische Interessen im Spiel, gelten andere Maßstäbe, die politisch ausverhandelt werden müssen. Was letztlich noch möglich ist, ist die Umsiedlung der Käfer-Larven bzw. von ganzen Höhlenbäumen. Diese Vorhaben sind sehr sensibel, erfordern Spezialisten und es ist nicht gesichert, dass sich der Eremit tatsächlich wieder ansiedelt. Erfreulicherweise wurden ab 2008 in Niederösterreich mehrere bislang unbekannte Vorkommen des Juchtenkäfers identifiziert und kartografiert.