Der Mensch musste seit eh und je genießbare von giftigen Pflanzen, jagdbare von gefährlichen Tieren, Nützlinge von Schädlingen unterscheiden. Das schärfte seinen Blick für die natürliche Vielfalt. Unterscheiden und Klassifizieren öffneten den Blick für die Vielfalt des Lebendigen in unserer Umwelt und schafften Bewusstsein für das Erbe der Natur. Heute ist es unsere Aufgabe, diese gegebene Vielfalt so zu pflegen, dass sie der Menschheit auch in Zukunft erhalten bleibt. Schutz heißt dabei keineswegs nur Abschottung; Schutz meint auch "Bereithalten für Nutzung in der Zukunft".

Wesentlicher Impuls für die Beschäftigung mit "biologischer Vielfalt" war im letzten Jahrhundert die erschreckend klar hervortretende Erkenntnis des dramatischen Verlustes der Vielfalt. "Katalogisieren" war der erste Schritt, diese Vielfalt wissenschaftlich zu erfassen. Dabei wurde klar, dass biologische Vielfalt keineswegs nur Artenvielfalt meint. Die Vielfalt der Allele und Allelkombinationen macht eine Art in sich genetisch äußerst vielfältig. Pflanzen- und Tierarten interagieren in Ökosystemen. Deshalb existieren lokal und weltweit vielfältige Pflanzengesellschaften, Tiergesellschaften und Ökosysteme. 1986 befasste sich eine internationale Konferenz in Washington DC mit dieser Thematik, das "National Forum on BioDiversity" (Wilson 1988). Aus BioDiversity wurde rasch biodiversity bzw. Biodiversität .

Was wissen wir über Biodiversität?

Etwa 1,4 Millionen Arten von Organismen sind beschrieben. Die Schätzung über die tatsächliche Artenzahl der Erde reichte zunächst von 5 bis 30 Millionen. Heute geht man von 13 bis 14 Millionen Arten aus. Selbst wenn hier und da große und spektakuläre Arten neu entdeckt werden wie die Wollemi-Kiefer 1994 in Australien, so umfasst die ganz überwiegende Mehrzahl der erwarteten, aber noch nicht wissenschaftlich erfassten Arten doch sehr kleine Lebewesen, meist Insekten. Nie werden wir die Gesamtzahl der Arten erfahren, denn täglich sterben zahlreiche Arten unwiederbringlich und unerkannt aus. Der Schwerpunkt der Artenvielfalt liegt in den Tropen, vor allem im tropischen Regenwald. Auf nur etwa acht Prozent der Landfläche konzentrieren sich circa 50 Prozent der Artenvielfalt der Erde. Gerade beim tropischen Regenwald ist ein dramatischer Verlust festzustellen, in manchen tropischen Ländern um mehr als ein halbes Prozent (!) pro Jahr (FAO 2006).

Zur globalen biologischen Vielfalt tragen auch vergleichsweise "arme" Landschaften wie Mitteleuropa bei. So ist der Bodensaure Buchenwald, das Luzulo-Fagetum, in Bezug auf Blütenpflanzen (!) an Artenarmut kaum zu überbieten. Seine beiden wichtigsten Pflanzenarten, die Rotbuche (Fagus sylvatica) und die Weiße Hainsimse (Luzula luzuloides), sind aber europäische Endemiten, aus globaler Sicht also zwei europäische "Alleinstellungsmerkmale" und im Hinblick auf die globale Biodiversität von gleicher Bedeutung wie der Elefant für die Savannen Afrikas oder der Panda für China. Tatsächlich kennzeichnet auch den Bodensauren Buchenwald lokal eine große Vielzahl an Arten, wenn man alle Artengruppen berücksichtigt. Je mehr naturnahe Strukturelemente dieser Wald enthält, insbesondere starkdimensioniertes, liegendes und stehendes Totholz, desto größer ist diese Vielfalt. Beispielsweise wurden in einem 90 Jahre lang nicht bewirtschafteten, ehemals von Eiche, heute von Buche dominierten Waldbestand im Naturschutzgebiet Ludwigshain 200 Käferarten nachgewiesen, davon 59 "faunistisch bedeutsame" bzw. 39 Rote Liste-Arten.

Auch bei einer vergleichsweise artenarmen Flora besitzen wir in Mitteleuropa eine beachtliche Vielfalt an Pflanzengesellschaften. Selbst im recht kleinen Bayern können wir über 50 Waldgesellschaften auf der Ebene der Assoziation unterscheiden.

Vernetzte Schutzgebiete versprechen den besten Schutz

Immer intensiver nutzt der Mensch Land und Meer. Die natürlichen Lebensräume werden zunehmend degradiert oder als Inselvorkommen isoliert. Aber nur wenn der Lebensraum erhalten bleibt, hat die einzelne Art eine Chance zu überleben. Darauf zielen die diversen Schutzgebiete auf der Erde ab, von Nationalparken über Naturschutzgebiete bis zu Naturwaldreservaten. Mit Natura 2000 ist ein Schutzgebietsrahmen geschaffen, in dem die landschaftstypischen Arten und Ökosysteme langfristig überleben sollen, selbst in einer intensiv genutzten Kulturlandschaft wie Europa. Ein echtes Schutzgebietsnetz, in dem Tiere und Pflanzen über Korridore von einem Schutzgebiet zum anderen wandern können, ist aber nur ansatzweise verwirklicht. Tatsächlich existiert ein solches Netz in dem (monetär) "armen" Land Bhutan. Mehr als ein Viertel der Landesfläche ist dort Schutzgebiet, weitere zehn Prozent der Fläche bilden speziell gestaltete Korridore zwischen diesen Schutzgebieten.

Bei uns kommen am ehesten die Naturwaldreservate (bzw. in anderen Bundesländern Waldschutzgebiete mit gleicher Zielsetzung, aber anderem Namen) dem Ziel der Vernetzung nahe. Die Reservate bleiben im Wesentlichen ohne jeden direkten Eingriff des Menschen. Sie stellen Gebiete dar, in denen sich die natürliche Vielfalt, d.h. die natürlichen Waldgesellschaften in ihrer ganzen Strukturvielfalt und Dynamik mit den räumlich-zeitlich eingenischten Arten in ihrer landschaftstypischen genetischen Vielfalt erhalten und frei entwickeln kann. Sie sind aber eingebettet in ein Waldgebiet, das zwar genutzt wird, aber in einer Weise, die heimische Baumarten fördert und natürliche Prozesse der Waldentwicklung grundlegend in die Bewirtschaftungsverfahren integriert. Naturnahe Forstwirtschaft auf der Fläche, verbunden mit eingestreuten Totalschutzgebieten (die dann vergleichsweise klein sein können) erweist sich heute als die beste (einzige?) Möglichkeit, nachhaltige Nutzung und langfristigen Schutz der biologischen Wald-Vielfalt zu kombinieren. Damit bietet "der Forst" ein wegweisendes Beispiel für die Kombination von Schutz und Nutzung der Biodiversität auch für andere Landnutzungsbereiche, andere Ökosysteme und andere Länder.

Naturwaldreservate sind folglich auch ein zentraler Bestandteil des Totholz- und Biotopbaumkonzeptes des Unternehmens Bayerische Staatsforsten (BaySF), das als größter bayerischer Waldbesitzer über 720.000 Hektar Wald bewirtschaftet. Naturwaldreservate geben wertvolle Hinweise, inwieweit die sich verändernde Umwelt (z.B. Eutrophierung, Temperaturanstieg) die Konkurrenzkraft, Vitalität und Mortalität der Baumarten ändert.

Biodiversität – ein unersetzliches Erbe in der Verantwortung der Menschen

Verlorenes Geld kann man mit Mühe und Fleiß wiedergewinnen. Eine ausgestorbene Art ist dagegen unwiederbringlich verloren. Dasselbe gilt für die genetische Vielfalt innerhalb von Arten. Bäume lassen sich auf einer Freifläche wieder anpflanzen. Das ursprüngliche Ökosystem wieder herzustellen ist aber (zumindest in Zeiträumen, die uns zugänglich sind) unmöglich. Vergegenwärtigen wir uns also immer: Biologische Vielfalt ist viel mehr als Biomasse, Energieinhalt oder ein paar "interessante" Gene. Sie ist ein Erbe, mit dem sehr pfleglich umzugehen ist. Dieses Erbe ist unersetzlich, niemand kann es ersetzen. Gerade reiche Länder tragen hier eine enorme globale Verantwortung. Diese Vielfalt trägt in hohem Maße zu unserem Überleben bei: Ernährung, physische und genetische Rohstoffe, aber auch Erholung, Inspiration, Begeisterung. Naturwaldreservate sind ein wesentliches Instrumentarium, die heimische Vielfalt der Wälder langfristig zu erhalten, zum Nutzen des Menschen.

Professor Dr. Anton Fischer leitet das Fachgebiet Geobotanik im Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München.

Dr. Helge Walentowski war Mitarbeiter in der Abteilung Biodiversität, Naturschutz, Jagd der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF).