Im Rahmen dieser Umsetzungen wurden unter anderem spezielle Saatgutmischungen zur Anlage von Blühflächen im Wald erprobt. Dazu konnten 15 Forstämter mobilisiert werden, welche in den Jahren 2021 und 2022 auf insgesamt etwa 65 Hektar (artenarme ehemalige Wildäcker, Weihnachtsbaumkulturen …) Blühflächen mit gebietseigenem Saatgut anlegten. Hierfür wurden sieben speziell an unterschiedliche Standortsansprüche angepasste Saatgutmischungen für Freiflächen im Wald entwickelt.
Saatgutmischungen
Für die Auswahl der Saatgutmischung wurden mehrere Arbeitsschritte durchgeführt. Zunächst erfolgte eine Recherche bereits vorhandener Saatgutmischungen bei verschiedenen Saatgutherstellern. Anschließend wurden weitere Arten aus sechs für Insekten besonders wichtigen Pflanzenfamilien einbezogen: Doldenblütler, Glockenblumen, Korbblütler, Kreuzblütler, Lippenblütler und Schmetterlingsblütler.
Die ausgewählten Arten wurden anhand folgender Kriterien attributiert:
- Ihr Vorkommen in Mecklenburg-Vorpommern sowie ihre Lebens- und Blühdauer. Bevorzugt wurden indigene Arten mit einigen Ausnahmen archäophytischer Arten wie dem Natternkopf. Neophyten wurden nicht berücksichtigt. Es wurden überwiegend mehrjährige Arten gewählt, ergänzt durch einige einjährige Arten als Platzhalter, um eine durchgängige Blühperiode von März bis Oktober sicherzustellen.
- Ihre Attraktivität für Insekten wie Käfer, Wildbienen und Schmetterlinge sowie ihre Verträglichkeit gegenüber Mahd, Weide und Schnitt.
- Ihre Einteilung nach Stickstoff- und Feuchteansprüchen gemäß Ellenberg et al. (1992)
Abschließend wurde die endgültige Artenliste hinsichtlich der Verfügbarkeit von gebietseigenem Saatgut überprüft.
Im Ergebnis wurden mehrere Saatgutmischungen eingesetzt. Für jedes der drei Ursprungsgebiete kamen jeweils zwei Mischungen zum Einsatz: eine für Standorte mit mittlerer bis guter Nährstoffversorgung und frischen bis leicht feuchten Böden sowie eine für nährstoffarme, trockene bis mäßig frische Standorte. Insgesamt ergaben sich somit sechs Mischungen.
Für das dritte Ursprungsgebiet wurde zusätzlich eine spezielle Mischung mit reduzierter Artenzahl entwickelt, die für die Einsaat zwischen den Pflanzreihen der landesforsteigenen Forstbaumschule Gädebehn vorgesehen war. Diese Mischung wurde gezielt zusammengestellt, um tiefwurzelnde Arten zu enthalten, die keine Konkurrenz zu den Waldbäumen darstellen, sowie stickstoffbindende Arten zur ökologischen Aufwertung des Standorts. Zudem wurden anspruchslose Arten berücksichtigt, die sich an die sehr trockenen und nährstoffarmen Bodenverhältnisse anpassen können.
Die einzelnen Mischungen enthielten zwischen 26 und 40 Pflanzenarten, während die Mischung mit reduzierter Artenzahl auf 14 Arten beschränkt wurde.
Untersuchungsflächen
Aus dem 65 Hektar umfassenden Flächenpool wurden sieben über verschiedene Regionen Mecklenburg-Vorpommerns verteilte Flächen für weitergehende Vegetationsaufnahmen ausgewählt. Diese sollten ein und zwei Jahre nach der Anlage dazu dienen, den Erfolg der ausgebrachten Regio-Saatgutmischungen sowie das Vorkommen von Pflanzenarten aus dem natürlichen Samenvorrat (Diasporenvorrat) zu überprüfen.
Bei der Auswahl der Flächen wurde darauf geachtet, dass jede Saatgutmischung – mit Ausnahme der Mischung mit reduzierter Artenzahl – mindestens einmal vertreten ist. Die Vegetationsaufnahmen fanden zweimal jährlich statt: eine Frühjahrsaufnahme im Mai und eine Sommeraufnahme im August.
Auf jeder Untersuchungsfläche wurden im Schnitt vier Aufnahmeflächen angelegt. Jede dieser Aufnahmeflächen hatte eine Größe von 2 × 2 Metern. Zur besseren Wiederauffindbarkeit während des Untersuchungszeitraums wurden sie mit Magneten markiert. Abbildung 2 zeigt beispielhaft Aufnahmeflächen einer Untersuchungsfläche, wie sie 2022 vorgefunden und eingerichtet wurden.
Ergebnisse
Artenausstattung der Flächen
Die Abbildungen 3 und 4 stellen je Jahr die Anzahl an gefundenen Arten denen gegenüber, welche in der jeweiligen Mischung enthalten waren. Sie zeigen auch, wie viele Arten insgesamt in den Mischungen enthalten waren. In Nettelgrund war 2022 die Diskrepanz zwischen den Arten der Mischung und den kartierten Pflanzenarten besonders groß.
Stetigkeit
Bei der Stetigkeit wird die Zahl der Aufnahmeflächen, auf denen eine bestimmte Pflanzenart vorkommt, ausgewiesen. In Abbildung 5 und 6 sind die Stetigkeiten der Arten mit den höchsten Stetigkeiten aus den Aufnahmen 2022 und 2023 dargestellt. Es ist zu beachten, dass die Arten, die auch in den Mischungen enthalten waren (grüne Säulen), jedes Jahr zu den am häufigsten auf den Aufnahmeflächen vorkommenden Arten gehörten.
Artenwechsel (Turnover)
Als Maß für den Wandel der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft durch hinzukommende und nicht mehr nachweisbare Arten wurde für die Blühflächen der Artenwechsel (Turnover) betrachtet. Er wurde mit folgender Formel berechnet:
Turnover t, t1 = (Neu nachgewiesene Arten + Nicht mehr nachgewiesene Arten) / Artenzahl 2022 + Artenzahl 2023
Die hohen Werte für t1 deuten auf einen starken Wandel der Arten innerhalb ihrer Lebensgemeinschaften hin. Auf jeder Fläche wurden im zweiten Jahr zwischen 10 und 37 Arten nicht mehr nachgewiesen. Neu gefunden wurden im zweiten Jahr zwischen 6 und 18 Arten.

Abb. 7: Artenzahlen und Turnover-Raten für die einzelnen Untersuchungsflächen.
Im Vergleich
Ein Vergleich der Ergebnisse aus den Vegetationsaufnahmen mit den Erkenntnissen zum Blüherfolg ausgewählter Arten aus einem Berliner Projekt zur urbanen Biodiversität (Weweler et al. 2022) zeigt Folgendes:
- Die Arten, welche in Berlin die höchsten Blüherfolge aufwiesen, gehörten auch hier zu den häufigsten Arten, z. B. Gewöhnliche Schafgarbe (Achillea millefolium), Gewöhnliche Wegwarte (Cichorium intybus), Wilde Möhre (Daucus carota) und Wiesen-Margerite (Leucanthemum ircutianum).
- Die Arten, welche in Berlin geringe Blüherfolge aufwiesen, sind auch gemäß Vegetationsaufnahmen nicht bzw. nur in sehr geringer Stetigkeit kartiert worden, z. B. Buchweizen (Fagopyron esculentum), Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium), Acker-Witwenblume (Knautia arvensis), Kleine Braunelle (Prunella vulgaris) und Feld-Klee (Trifolium campestre).
- Diskrepanzen gibt es unter anderem bei den Arten Borretsch (Borago officinalis), Kornblume (Centaurea cyanus), Gewöhnlicher Natternkopf (Echium vulgare), Gewöhnliches Ferkelkraut (Hypochaeris radicata) und Klatschmohn (Papaver rhoeas). Diese Arten hatten in der Vergleichsuntersuchung in Berlin einen hohen Blüherfolg, wurden jedoch bei den eigenen Vegetationsaufnahmen 2022 und 2023 nur in geringer Stetigkeit bzw. gar nicht vorgefunden.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Folgende Schlussfolgerungen können anhand der Ergebnisse aus den Vegetationsaufnahmen an den sieben Untersuchungsflächen und deren Diskussion im Rahmen eines Experten-Workshops gezogen werden:
Auf ehemaligen Ackerflächen ist der Boden aufgedüngt. Auf vorher waldähnlichen Flächen wie ehemaligen Weihnachtsbaumkulturen ist eine erhebliche Humusauflage vorhanden. In beiden Fällen besteht ein starker Stickstoffüberschuss, der durch die Maßnahme mobilisiert wird. Deshalb ist eine starke Bewegung in der Artenzusammensetzung der betroffenen Flächen zu beobachten und es vergehen einige Jahre, bis sich die Artenzusammensetzung ausbalanciert hat. Erst dann ist auch eine abschließende Beurteilung des Aussaaterfolgs möglich. Deshalb wäre eine weitere Beobachtung der Vegetationszusammensetzung auf den Flächen sinnvoll.
Ob die Stabilisierung einer Fläche (Verdunstungsschutz, Nährstoffentzug) durch Beimischung von wenig Roggen erreicht werden kann, sollte erprobt werden.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Arten, welche gefunden wurden und gleichzeitig in den Blühmischungen enthalten waren, tatsachlich den Mischungen entstammen. Das heißt, diese Arten waren höchstwahrscheinlich vorher nicht oder nicht in diesem Umfang im natürlichen Samenvorrat (Diasporenvorrat) des Bodens vorhanden, sondern kamen erst durch die Aussaat auf die Flächen. Dies lässt sich einerseits durch die hohe Individuenzahl bestimmter Arten erklären, die auf natürliche Weise nicht zu erwarten wäre, und andererseits durch das Vorkommen von Arten in erheblichem Umfang, die in der Umgebung völlig fehlen.
Eine Bewertung der Artenzahlen an den einzelnen Untersuchungsflächen (Abb. 3 und 4) ergab, dass die Zahlen im Großen und Ganzen dem standörtlichen Potential entsprechen. Zwei der Untersuchungsflächen (Kirch Rosin II, Grittel) wiesen eher höhere Artenzahlen auf, als sie den standörtlichen Verhältnissen entsprächen und werden noch absinken. Der Grund dafür ist eine hohe Stickstofffreisetzung und geringe Konkurrenz durch eine noch nicht vollständig geschlossene Vegetationsdecke. Nettelgrund gehört durch den Kalkgehalt natürlicherweise zu den besonders artenreichen Standorten. Das Verhältnis ausgesäter Arten zu aufgelaufenen Arten aus den Mischungen (Abb. 3 und 4, hell- und dunkelgrüne Säule) ist mit jeweils 1/3 zufriedenstellend.
Bei der Mischung mit reduzierter Artenzahl für die Forstbaumschule stellte sich aufgrund der Aussaat in einem sehr trockenen Sommer nur mäßiger Erfolg ein. In Regionen mit häufiger Frühjahrs- und Sommertrockenheit erscheint die Spätsommeraussaat von August bis Oktober erfolgsversprechender. Einjährige Arten, welche als Deckfrucht oder Platzhalter dienen, kommen dabei jedoch meist nicht zur Blüte und können damit nicht den erwünschten Effekt erzielen. Auch eine zeitweise Beschattung von Teilen der Flächen wirkt sich bei extremer Sommerhitze positiv aus.
Es empfiehlt sich eine Konzentration auf die nachfolgend genannten mesophilen Arten. Sehr konkurrenzschwache Arten mit speziellen Standortsansprüchen und teilweise hohen Saatgutkosten sind wirtschaftlich kaum zu etablieren. Denkbar wäre, in einem ersten Schritt die mesophilen Arten zu begründen und nachträglich, wenn sich der Stickstoffüberschuss abgebaut hat, kleinflächig und räumlich konzentriert Arten wie die Wiesen-Glockenblume (Campanula patula) und Gewöhnlichen Hornklee (Lotus corniculatus) einzubringen.
Flächen mit stark schwankenden Grund- oder Stauwasserständen sind als komplett ungeeignet für die Ausbringung von Saatgut einzuschätzen.
Arten mit guten Erfolgsaussichten zur Etablierung sind insbesondere die nachfolgend genannten, mesophilen Arten:
- Spitzwegerich (Plantago lanceolata)
- Schwarzes Königskerzen (Verbascum nigrum)
- Schafgarbe (Achillea millefolium)
- Knapweed (Centaurea scabiosa)
- Wilde Möhre (Daucus carota)
- Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea)
- Irkutsk-Gänseblümchen (Leucanthemum ircutianum) (kein etablierter deutscher Name)
- Rotklee (Trifolium pratense)
- Gemeines Gänseblümchen (Leucanthemum vulgare)
- Kriechende Wicke (Vicia cracca)
- Gewöhnliche Silene (Silene vulgaris)
- Wiesen-Knautie (Knautia arvensis)
- Weiße Nachtkerze (Silene latifolia ssp. alba)
- Durchwachsenes Johanniskraut (Hypericum perfoliatum)
- Weißes Labkraut (Galium album)
- Wilde Malve (Malva sylvestris)
Ebenso gute Erfolgsaussichten haben die nachfolgend genannten, einjährigen Arten:
- Kornblume (Centaurea cyanus)
- Echter Buchweizen (Fagopyrum esculentum)
- Klatschmohn (Papaver rhoeas)
Die in unserem Versuch nicht erfolgreich etablierten Arten Ringelblume (Calendula officinalis) und Gartenkresse (Lepidium sativum) konnten an anderer Stelle erfolgreich eingebracht werden (Aussage im Experten-Workshop).
Die nachfolgenden Arten können nur auf sehr sandigen, trockenen Standorten erfolgreich begründet werden, wenn die Fläche entsprechend ausgehagert ist:
- Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium)
- Doldiges Habichtskraut (Hieracium umbellatum)
- Gewöhnliches Ferkelkraut (Spergula arvensis)
- Echtes Labkraut (Galium verum)
- Hasen-Klee (Trifolium arvense)
Die Aussaat von Gräsern wird grundsätzlich als nicht zielführend bewertet. Von der Aussaat von Glatthafer (Arrhenatherum elatior) ist abzuraten. In dem Zusammenhang sollte darauf geachtet werden, dass in den Messern der Bodenbearbeitungsgeräte keine Verschmutzungen mit Reitgräser-Wurzelteilen (Calamagrostis) enthalten sind. Diese werden sonst auf andere Flächen verbracht und können dort durch ihr ausgeprägtes klonales Wachstum negative Auswirkungen entfalten.
Gebietseigenes Saatgut: Zur Abgrenzung von gebietseigenen und gebietsfremden Arten ist Deutschland in 8 sog. Produktionsräume und 22 Ursprungsgebiete (UG) gegliedert worden (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2011, Prasse et al. 2010).
Die Produktionsräume bezeichnen Areale, innerhalb derer jeweils zwei bis vier Ursprungsgebiete zusammengefasst wurden. Innerhalb eines Produktionsraumes können alle Arten der betreffenden Ursprungsgebiete vermehrt werden. Ein Ursprungsgebiet bezeichnet eine geografische Region, innerhalb derer das Erbgut der dort heimischen Wildpflanzen je Art nach derzeitigem Kenntnisstand identisch ist (DVL 2016). Mecklenburg-Vorpommern liegt nach dieser Einteilung in den Ursprungsgebieten 3 – Nordostdeutsches Tiefland, 4 – Ostdeutsches Tiefland, 22 – Uckermark Odertal.








