Klimawandel und Naturgefahren – ein Überblick

Wie werden künftige klimatische Bedingungen im Alpenraum verschiedene Arten von Naturgefahren beeinflussen? Wie werden sich die für Naturgefahren relevanten meteorologischen Faktoren entwickeln? Klima­entwicklung – was ist zu erwarten? Dazu werden im Folgenden Ergebnisse aus der Literatur und rezenten Projekten kurz zusammengefasst.

Temperatur

Im Ostalpenraum hat die Temperatur seit Ende des 19. Jahrhunderts um rund 2 °C zugenommen, mit einer beschleunigten Erwärmung seit 1970. Es ist eine signifikante Veränderung der Extremwerte zu erwarten (siehe Informationsportal Klimawandel der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, ZAMG-Wien).

Höhere Temperaturen können konvektive Niederschläge (Gewitterregen) begünstigen, mit jedem Grad mehr an Lufttemperatur kann die Luft zirka 7 % zusätzlich an Feuchtigkeit aufnehmen.

Extreme Niederschläge – hier sind die Prognosen für den Alpenraum nicht eindeutig

Auswertungen der ZAMG lassen derzeit keinen eindeutigen Trend im gemessenen Niederschlag (abgesehen von dekadischen Schwankungen) erkennen. Nach den Ergebnissen des Projektes PRISKCHANGE, in dem die Perioden 1963–2006 und 2007–2051 verglichen wurden, ist für Österreich eine Zunahme der Intensitäten bei 30-jährlichen Niederschlagsereignissen um 17–26 % zu erwarten, insbesondere im Südosten. In dieser Region wurde im 20. Jahrhundert eine Niederschlagszunahme um 5 % beobachtet.

Stürme

Um 1900 war die Sturmhäufigkeit in Mitteleuropa deutlich höher als heute. Bei den täglichen Windmaxima sind jedoch keine größeren Änderungen zu erwarten (ZAMG-Wien). Allerdings sind stärkere Kontraste der Temperatur- und Drucklagen über den Alpenhauptkamm möglich, dies kann zu verstärkter Sturmhäufigkeit führen (Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel in Graz).

Abfluss - Hochwasser

Im ACRP-Projekt (Austrian Climate Research Program)Serac-CC wurden für drei Testgebiete in Westösterreich künftige Häufigkeiten von Hochwasser aus­lösenden Systemzuständen modelliert (Meißl et al. 2016). Demnach werden künftig im Winter Perioden mit hoher Bodenfeuchte in tiefer gelegenen Einzugsgebieten häufiger auftreten. Im Frühjahr wird es weniger Tage mit hoher Vorbefeuchtung in tiefen und mittleren Lagen, aber mehr Tage mit stark vorverfüllten Böden im hochalpinen Bereich geben. Im Sommer wird dann die Anzahl der Tage mit hoher Bodenfeuchte in allen Höhenlagen geringer.

Vereinfacht bedeutet dies höhere Abflüsse im Winter und geringere Abflüsse im Sommer. Das heißt die Chance, dass ein Niederschlagsereignis auf aufnahmefähige Böden trifft, wird im Sommer größer. Allerdings kann bei manchen Böden das Aufnahmevermögen für Niederschläge nach Austrocknung aufgrund hoher Benetzungswiderstände gehemmt sein.

In den letzten Jahren wird auch eine Zunahme von Hochwässern durch Oberflächenwässer (vereinfacht auch "Hangwasser" oder "Sturzfluten" genannt) abseits der ständigen Gerinne beobachtet. Im Projekt SAFFER_CC wird die künftige Häufigkeit solcher "Sturzfluten" unter Klimawandel-Bedingungen untersucht.

Erste Nachrechnungen von Ereignissen bei Schwertberg in Oberösterreich – hier hatte extremer Oberflächenabfluss im Frühjahr 2016 bei einem Gewitterregen auf einer Fläche von 0,1 km² Überflutungen ausgelöst (Abbildung 1) – zeigen, dass bei ent­sprechend mächtigeren Niederschlagszellen das Ausmaß der betroffenen Flächen und die Überflutungshöhe künftig deutlich zunehmen können.

Rutschungen

Hier gibt es umfangreiche Untersuchungen in verschiedenen Nachbarländern. Im Piemont in Italien ist eine Zunahme von Rutschungsereignissen seit 1960 dokumentiert. Ähnlich in den südöstlichen Französischen Alpen, wo für das Einzugsgebiet des Riou Bourdoux, das seit 1898 unter Beobachtung steht, ein deutlicher Anstieg seit den 1990er Jahren beobachtet wird (Lopez-Saez et al. 2013). In Österreich sind solche systematischen Beobachtungen für Rutschungen über längere Zeiträume leider nicht vorhanden.

Im ACRP-Projekt C3S_ISLS erstellte das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) als Grundlage für die Validierung von Berechnungen mit Rutschungsdispositionsmodellen eine Rutschungsdatenbank für Mittel- und Nordvorarlberg. In diese wurden rund 2.500 Ereignisse aus verschiedenen Daten­quellen eingepflegt, vor allem aber über Interpretation von Luftbildserien bis in die 1950er Jahre zurück.

So ergibt sich zum Beispiel eine deutlich höhere Rutschungsdichte für die Luftbildserien 2001-2012 in Relation zu 1972-1985. Primäre Ursache dafür sind die extremen Niederschlagsereignisse der Jahre 1999 ("Pfingsthochwasser") und August 2005. Es zeigt sich aber auch, dass auf Flächen mit Änderung der Landnutzung (wie etwa verzögerte Wiederbewaldung, unkontrolliertes Zuwachsen von Alm­flächen) die Zunahme der Rutschungsdichte deutlich höher ist als auf Flächen ohne solche Landnutzungsänderungen.

Murgänge

Im hochalpinen Zermatt-Tal in den Walliser Alpen hat die Anzahl der Muren nach den neuzeitlichen Gletscherhochständen (warm-feuchte Sommer) stetig abgenommen. Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts ist aufgrund der Abnahme der Sommerniederschläge auch ein Rückgang in der Murgangaktivität zu beobachten (Beniston et al. 2011).

Im ACRP-Projekt DEUCALION wurden Frequenz und Häufigkeit künftiger Wildbachereignisse für drei Testgebiete (Pitztal, Lienz/Toblach, Gesäuse) abgeschätzt. Die Autoren erwarten eine Verschiebung extremer Niederschläge in das Frühjahr und den Herbst.

Beim besten Klimaszenario sind keine Veränderungen im Frühjahr und ein Rückgang der Wahrscheinlichkeiten im Juli und August zu erwarten. Unterstellt man jedoch ein schlechtes Szenario für die weitere Klima­entwicklung, ist von einem deut­lichen Anstieg der Wahrscheinlichkeit von extremen Wildbach-Ereignissen in den drei Testgebieten auszugehen (von 8-13 auf 16-21 Ereignisse pro Dekade).

Steinschlag

Bei Steinschlag ist nach den IPCC-Temperatur-Szenarien eine Zunahme der Ereignishäufigkeit wahrscheinlich. Auch eine Steinschlag-Inventur (150 Ereignisse) in den Westalpen belegt einen sig­nifikanten Anstieg seit 1990. Kleinere Felsstürze (1.000-100.000 m³) werden häufiger, insbesondere nach Perioden mit extrem hohen Temperaturen unmittelbar vor dem Ereignis (Stoffel et al. 2014).

Lawinen

Lawinenexperten haben in den letzten Jahren beobachtet, dass die Anzahl der Nassschneelawinen gestiegen ist (Abbildung 1). Unter anderem im ACRP-Projekt RIMES hat das BFW die Auswirkungen des Klimawandels auf die Lawinenaktivität untersucht.

Auslösefaktoren sind vor allem Maximum-Temperaturen über 5 °C und Regen. Ein prognostizierter Temperaturanstieg von zirka 2,3 °C und eine Zunahme des Winterniederschlages um rund 12 % (z.B. für die Messstation Mooserboden (2.036 m Seehöhe) für die Periode 2041 - 2070 lassen eine Erhöhung der Auslösewahrscheinlichkeit für Nassschneelawinen in einer Höhenlage von 1.800 – 2.500 m erwarten. Am stärksten betroffen sind die Monate März bis Mai. Oberhalb von 2.500 m Seehöhe bleibt das Verhältnis Nass- zu Trockenschneelawinen gleich.

Bisherige Konzepte adaptieren

Der Klimawandel stellt einen zusätz­lichen Faktor im Naturgefahrenmanagement dar und erfordert eine Adaptierung bisheriger Konzepte: Eine der effektivsten und effizientesten Strategien im Umgang mit Natur­gefahren ist die gezielte Steuerung des Flächen­angebotes für Siedlungs-, Gewerbe- und Infrastrukturzwecke. Dafür sind nachhaltige Raumentwicklungs­strategien und eine entsprechende Anpassung der verschiedenen Planungskonzepte (GZP, FWP…) erforderlich.

Eine optimal dimensionierte Maßnahme wirkt im Hinblick auf das Bemessungsszenario, hat jedoch möglicherweise eine reduzierte oder keine Wirkung für andere Szenarien. Daher werden nachhaltige und robuste Schutzmaßnahmen benötigt, die auch bei überraschenden und unerwarteten Situationen noch eine bestimmte Schutzwirkung aufweisen (Abbildung 2).

Der Informationsstand der Bevölkerung muss weiter verbessert werden: Welche Naturgefahrenprozesse bedrohen meinen Lebensraum, wie kann ich mich schützen? Dazu gehören auch die ausreichende Kommunikation des Mehrwertes von Planungen und Maßnahmen der öffentlichen Hand zum Schutz vor Naturgefahren sowie die gezielte Information über verbleibende Restrisiken.

Nur durch die Analyse der Ver­gangenheit sind seriöse Aussagen über die Zukunft möglich. Monitoring von Naturgefahrenprozessen, Durchführung von Langzeitstudien, Beobachtung von Mus­tereinzugsgebieten zur Verbesserung von Datengrundlagen und Prozessverständnis stellen die elementaren Grundlagen für die Optimierung von Modellen, Prognose- und Warn­systemen und den darauf aufbauenden Planungen dar.

Literatur

  • Beniston, M.; Stoffel, M.; Hill, M. (2011): Impacts of climatic change on water and natural hazards in the Alps: Can current water governance cope with future challenges? Examples from the European "ACQWA" project. Env. Sci. & Policy 14, 734-743.
  • Kirnbauer, R., Pistotnik, G.; Blöschl, G. (2016): Klimawandel als Herausforderung für die Wildbachverbauung. Wildbach- und Lawinenverbau, 80.Jg., Nr. 178, 58-77.
  • Lopez-Saez, J.; Corona, C.; Stoffel, M.; Berger, F. (2013): Climate change increases frequency of shallow spring landslides in the French Alps. Geology, doi:10.1130/G34098.1
  • Meißl, G.; Formayer, H.; Klebinder, K.; Kerl, F.; Schöberl, F.; Geitner, C.; Markart, G.; Leidinger, D.; Bronstert, A. (2017): Climate change effects on hydrological system conditions influencing generation of storm runoff in small Alpine catchments. Hydrol. Proc. 2017, 1-17.
  • Stoffel, M.; Tiranti, D.; Huggel, C. (2014): Climate change impacts on mass movements — Case studies from the European Alps. Sci Tot. Env. 493, 1255-1266.