Ein schöner Herbsttag, die 2. Klasse einer Mödlinger Volksschule ist im Stadtwald unterwegs. Die Füße wuseln in den liegenden Blättern, die Kinder spießen mit Stöcken unterschiedliche Blätter auf. Beim Begrüßungsplatz stellt jedes der Kinder sein Kunstwerk vor. Die kreativsten Dinge werden in die Objekte rein interpretiert: ein Mühlenrad, ein Windrad, die Scheinwerfer von einem Auto, viele Laub- und einige Nadelbäume. 

Frage an die Schülerinnen und Schülern, was damit gebaut werden soll? Die Idee eines Dorfs entsteht. Und wie soll es heißen? Walddorf, Steckendorf und dann kommt der Vorschlag Blattopia. Alle sind begeistert! Und dann bauen sie eifrig an Blattopia. Was nimmt man mit? Dort, wo Blattopia ist, gibt es viele Laub- und einige Nadelbäume. Blattopia. Die Idee, wie die Wälder in 50, in 100 Jahren aussehen werden, nimmt ihren Lauf.

Den Bäumen reißt der Faden

Österreichs Wald ist im Umbruch, in einem Umbau: Höhere Temperaturen und Wassermangel setzen die Bäume in manchen Teilen Österreichs erheblich unter Druck. Fällt zu wenig Niederschlag, wird das pflanzenverfügbare Wasser im Boden knapp. Die Bäume saugen dann über die Wurzeln vermehrt Luft an und die Wassersäule in den Leitungsgefäßen reißt ab. Entstehen zu viele Luftblasen, kommt es zu Embolien, die das Wasserleitungssystem irreversibel schädigen. Das bedeutet: Länger anhaltende Trockenheit schwächt die Bäume, beispielsweise Buche und Fichte.

Die letzten Jahre geben einen Vorgeschmack auf mögliche Entwicklungen bei weiter fortschreitender Klimaerwärmung. Der Buchdrucker vermehrte sich im Wald- und Mühlviertel in einem Ausmaß, das bisher nicht bekannt war. Die Schäden durch Borkenkäfer betrugen im Jahr 2018 österreichweit 5,2 Millionen Kubikmeter (Quelle: Dokumentation der Waldschädigungsfaktoren) und für 2019 ist keine Verbesserung zu erwarten. 

Den Großteil des geschädigten Holzes verursachte der Buchdrucker an Fichte. Diese wirtschaftlich wichtige Baumart bildet ein flaches Wurzelsystem aus und reagiert sensibel auf zu wenig Wasser. Sie benötigt zwischen April bis Oktober zumindest 360 Millimeter Niederschlag. Zur Zukunft der Fichte in Österreich forschen zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW). 

Gibt es "gallische Dörfer" unter den Fichten?

Fichtenbestände auf Standorten, wo sie nicht hingehören, werden der Vergangenheit angehören, außer man nimmt ein hohes Risiko in Kauf. Ein Umbau dieser Flächen hin zu naturnahen Wäldern mit einem geringen Fichtenanteil wird in naher Zukunft notwendig sein. Was gerne vergessen wird: Die Fichte kommt auf rund 1,3 Millionen Hektar in Österreich in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet vor und gilt auf dieser Fläche derzeit noch als standortsangepasst. Hierzu gehören beispielsweise der Fichten-Tannen-Wald sowie der Fichten-Tannen-Buchenwald. Diese Waldgesellschaften finden sich vor allem im zentralen und westlichen Teil Österreichs wieder. In diesen Regionen wird die Fichte auch weiter eine enorme wirtschaftliche Rolle spielen.

Die Waldgenetik geht davon aus, dass nicht alle Fichten gleich anfällig gegenüber Trockenstress und Borkenkäfer sind. Ein Projekt am BFW versucht, "gallische Dörfer" unter den heimischen Fichten zu finden, um ihre Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit und Borkenkäfer für zukünftige Anpassung gegen die Folgen der Klimaerwärmung zu nutzen. "Für uns war interessant zu beobachten, dass selbst nach extrem hohem Trockenstress und Borkenkäferbefall nicht alle Fichten gleich reagieren, sondern stets einige wenige Bäume äußerst vital übrigbleiben, während der Großteil des Bestandes bereits nach wenigen Wochen stirbt", erklärt Thomas Geburek vom Institut für Waldgenetik des BFW. 

Diese gesunden Bäume und ihre Gene könnten für die Anpassung zukünftiger Fichtengenerationen im Klimawandel eine zentrale Rolle spielen. Diese trockentoleranteren Herkünfte sollen nicht dazu dienen, die Fichte wieder in den heutigen geschädigten Gebieten einzubringen, sondern sie werden dort gepflanzt, wo heute noch keine Probleme vorliegen.  

Das Projekt FichtePLUS verfolgt das Ziel, diese wichtigen Gene zu markieren und für zukünftige Züchtungsvorhaben zu nutzen. Vitale PLUS-Fichten, die innerhalb großer Schadflächen überlebt haben, werden aufgesucht und für die Zukunft gesichert. Dazu werden junge Zweige aus der Krone entnommen, welche über Stecklinge oder durch das Pfropfen auf eine herkömmliche Wurzelunterlage vermehrt werden. Rund 100 solcher PLUS-Fichten konnte das Institut für Waldgenetik im Herbst 2018 und Winter 2019 bereits identifizieren und erfolgreich sichern. Eintrag ins Merkheft: Wir können mitgestalten, indem wir Fichtenherkünfte (sogenannte Ökotypen) nutzen, die besser mit Trockenperioden umgehen können.

Die Mischung senkt das Risiko

Über Nadelholz in neuen Waldbaukonzepten macht sich Silvio Schüler vom Institut für Waldwachstum und Waldbau des BFW Gedanken. Und hier braucht es einen neuen Zugang, weg vom statischen, hin zu einem dynamischen Denken. Bis jetzt gingen die Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter davon aus, dass die Bedingungen für einen Standort gleich bleiben: Es fällt im Durchschnitt immer die gleiche Menge an Niederschlag, auch die Temperatur bleibt gleich. Damit ist es vorbei. An der Stelle, wo früher gute Bedingungen für den Anbau von Fichte herrschten, werden in fünfzig und hundert Jahren andere herrschen. Um das herauszufinden, werden Szenarien verwendet.  

Schüler empfiehlt, auf solchen Standorten den Anteil an Nadelhölzern zu senken und besser auf eine möglichst breite Mischung an Laubbaumarten zu setzen. Das muss man sich vorstellen wie beim Kauf von Aktien. Setze ich auf ein Unternehmen und das geht bankrott, verliere ich alles. Die Mischung macht es aus. Mischwälder minimieren das Risiko im Klimawandel, da sie Störungen leichter ausgleichen können und daher gegenüber Schädlingen weniger anfällig sind als sogenannte Reinbestände, sprich Monokulturen.

Migration ist Realität

Der Klimawandel macht vor politischen Grenzen keinen Halt: Um geeignetes Saat- und Pflanzgut für Bäume zu finden, die sich besser an die Bedingungen an einer Klimaerwärmung anpassen können, muss über die nationalen Grenzen geschaut werden. Baumarten orientieren sich bei ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet an ökologischen Lebensräumen. Zum Beispiel könnten Ökotypen von Eichen aus Ungarn oder südosteuropäischen Ländern auch in Österreich angebaut werden. Das Projekt SUSTREE etwa begab sich auf die Suche nach grenzüberschreitenden Herkunftsgebieten für sieben wichtige Laub- und Nadelbäume. 

Waldbäume sind an das Klima ihrer Lebensräume angepasst. Aufgrund der raschen Klimaerwärmung können diese lokalen Anpassungen nicht mit den sich ändernden Umweltbedingungen Schritt halten. Die Gewissheit, dass lokale Baumbestände und deren Saatgut immer die beste Wahl darstellen, verliert dadurch ihre Gültigkeit.  Zukünftige Gesetzgebungen zur Wiederaufforstung und zum Saatguttransfer sollten daher die lokalen Anpassungen von Baumarten in deren gesamten Verbreitungsgebiet berücksichtigen, um die genetischen Ressourcen von Baumarten im Klimawandel bestmöglich zu schützen.

Wo Blattopia liegt

Ein Blattopia könnte künftig im südlichen Weinviertel in der Nähe von Gänserndorf liegen. Der dort stehende Wald befindet sich an der unteren Waldgrenze, die Forstleute nennen dieses Wuchsgebiet Pannonisches Tief- und Hügelland. Er wird für Brenn- und Sägeholz genutzt, schützt den Boden vor Erosion und dient der Bevölkerung zur Erholung. Weißkiefern und Lärchen wachsen dort, der Borkenkäfer hat aber schon zugeschlagen, einige starke Wildschäden fallen auf. In den nächsten zwei Wochen werden sie allesamt geschlägert. 

Aber was dann? Wie könnte der neue Blattopia-Wald aussehen?  Lichtstark, vital, bunt, einladend und gut gemischt vielleicht? Vor dem geistigen Auge tauchen Spitzahorn, Stieleiche und Hainbuche auf. Und dazu nehme man noch die korsische Kiefer und Douglasie. Modellhaft kann man Blattopia sprunghaft jeweils um 20 Jahre wachsen lassen, und nochmals 20 Jahre usw. Schlussendlich steht er als imaginärer alter Wald da. Die Menschen, die mit Wäldern arbeiten, denken in langen Zeiträumen: "Was ich heute setze, wird in 100 Jahren der Wald der Zukunft sein."

SUSTREE

wurde vom Interreg Programm Central Europe finanziert und zielt auf die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Vielfalt von Waldbäumen im Klimawandel ab. Im Rahmen des Projektes wurde der Film "Borderless Forests" erstellt, der zeigt, mit welchen Hinder­nissen und Problemen die Wissenschaftler dabei konfrontiert sind. 

Utopie

Entwurf einer fiktiven Gesellschafts­ordnung, die nicht an zeitgenössische historisch-kulturelle Rahmenbe­dingungen gebunden ist.

Szenario

Ziel ist, mögliche Entwicklungen der Zukunft zu analysieren und zusammenhängend darzustellen. Beschrieben werden dabei alternative zukünftige Situationen sowie Wege, die zu diesen zukünftigen Situationen führen. Szenarien stellen hypothetische Folgen von Ereignissen auf, um auf kausale Prozesse und entscheidende Momente aufmerksam zu machen.

Prognose

auch Vorhersage, ist eine Aussage über Ereignisse, Umweltzustände oder Entwicklung in der Zukunft.