Wald ist ein wesentlicher Bestandteil im Leben vieler Menschen in Baden-Württemberg. Über 80% der Menschen halten sich hierzulande in ihrer Freizeit im Wald auf. Täglich sind insgesamt rund zwei Millionen Waldbesuchende anzutreffen. Was sie dabei aber selten zu Gesicht bekommen, sind Wildtiere. Und trotzdem gehören diese untrennbar zu den Vorstellungen von Wald dazu. "Wenn’s keine Tiere gibt, dann gibt’s theoretisch auch keinen Wald", meint eine junge Waldbesucherin.

Für das Denzlinger Wildtierforum 2017 wurde anhand mehrerer Studien aus Baden-Württemberg die Beziehung zwischen Mensch und Tier im Wald aus Sicht von Waldbesuchenden beleuchtet. Einige Antworten auf die folgenden Fragen werden dargestellt: Welche Rolle spielen Tiere für das Erleben von Waldnatur, wie ist es um die Beziehung der Menschen zu Wildtieren bestellt und was verrät das über die Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf Tiere beim Waldbesuch? Wie lässt sich mit diesen Befunden in der Praxis arbeiten?

Tiere gehören zum Wald

"Wie sieht Ihr Idealwald aus?" Diese Frage wurde Passantinnen und Passanten auf dem Freiburger Wissenschaftsmarkt 2014 gestellt. Sie waren aufgefordert, die Frage mithilfe einer Magnettafel und Waldsymbolen zu beantworten – verfügbar war eine Reihe unterschiedlicher Motive wie Bäume, Blätter, Zapfen, Totholz, Tiere, Menschen, Harvester und Windräder. Ihre mündlichen und schriftlichen Kommentare zu den so entstandenen Bildern wurden dokumentiert und ausgewertet. Ein Ergebnis: Bei 39 von 54 Bildern wurde hervorgehoben, dass Tiere für das Waldbild der Personen besonders wichtig waren, oder dass unter den vorhandenen Magneten nicht genügend Tierarten waren, um einen Idealwald darzustellen. Die Tierbegeisterung reichte vom Kleinstlebewesen bis hin zu den besonders oft kommentierten Großprädatoren Luchs und Wolf.

Die Kommentare während der Gestaltung der Waldbilder offenbaren eine komplexe Sichtweise auf diese Tiere, die romantische Idealisierung genauso einschließt wie nüchternen Realismus. Folgender Dialog illustriert das: "Oh, Du stellst den Wolf zum Reh?!" "Der muss doch auch essen." In diesem Gespräch zwischen zwei Erwachsenen mündet die Begegnung von Wolf und Reh auf der Magnettafel einerseits im Bild einer verletzlichen und schutzbedürftigen Natur – eine moralisierende Sichtweise, die Mitgefühl mit dem Leiden des Rehs bezeugt –, andererseits symbolisiert die Szene auch die Vorstellung eines natürlichen Gleichgewichts, das außerhalb menschlicher Moral liegt.

Ein Fazit dieser Idealwald-Befragung: Die Begeisterung für den Wald hat viel mit der Begeisterung für Tiere zu tun, und die Tierwelt stellt für Menschen eine Fülle ambivalenter Symbole bereit, mittels derer sie sich mit Natur identifizieren können.

Was sucht der Mensch im Wald?

Möchte man einordnen, weshalb Tiere in der Wahrnehmung von Wald eine Schlüsselrolle spielen, muss man zunächst verstehen, was Waldbesuchende überhaupt in den Wald lockt. Zahlreiche Studien zeigen, dass unter den Motiven für einen Waldbesuch Abschalten, Natur beobachten und Bewegung ganz oben rangieren.

Ermöglicht man Menschen im Interview ausführlich und mit eigenen Worten, von ihren Erfahrungen mit Wald zu berichten, tritt zudem zutage, dass sie vor allem deshalb in den Wald gehen, um von etwas wegzukommen. Über den Wald sprechen sie häufig in Negationen. Sie erzählen, was im Wald nicht ist. Neben biophysischen Faktoren des Wohlbefindens ist es auch dieses Potential des Waldes als Gegenwelt, was die Faszination und Erholungswirkung des Waldes ausmacht. Der heilen Welt des Waldes stehen die Belastungen des Alltags entgegen, denen man entflieht: Technik und Zivilisation, Arbeit und soziale Verpflichtungen. Von all dem verspricht der Wald eine Auszeit. Damit ist noch wenig darüber gesagt, was Wälder eigentlich sind, und so bleiben sie in hohem Maße geeignet als Projektionsfläche: Wald – ein Sehnsuchtsort, Waldbesuche – ein "Eintauchen in eine andere Welt". Diese Deutung von Wäldern knüpft an die Naturvorstellungen der Romantik an: Erst in dieser Zeit wurde Natur der Kultur als ein positives Gut gegenübergestellt. So fungiert "Natur als Projektionsfläche für Ideen vom guten und richtigen Leben oder als positive Gegenwelt zu einer kritisch gesehenen Kultur als auch Zivilisation". In der Kontaktaufnahme mit Natur suchen Menschen seither auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer eigenen Natur.

In der vermeintlich ganz anderen Welt des Waldes erleben sich Menschen, die sich selbst als Kulturwesen sehen, als Gast in einer Welt der Naturwesen. Beschreibungen von Wäldern heben dementsprechend metaphorisch die eigenständige Wesenhaftigkeit des Waldes hervor: Der Wald agiert und reagiert, hat moralische Rechte, wird als belebt wahrgenommen und man tritt zu ihm in Kontakt . Durch solche "symbolisierende[n], anthropomorphe[n] Naturdeutungen werden Naturerfahrungen persönlich bedeutsam. Auf symbolische Weise fühlt man sich bei Naturerlebnissen »gemeint« und angesprochen.".

Tierbegegnungen und Tierfantasien

Für das Bedürfnis der Menschen, eine persönliche Beziehung zu Naturräumen herzustellen, spielen die Tiere des Waldes eine zentrale Rolle. In einer Studie wurden neben einer standardisierten Befragung auch 25 Proband/-innen in qualitativen Interviews nach ihren Walderlebnissen gefragt. In jedem dieser Interviews werden Tiere thematisiert, obwohl kein einziges Mal nach Tieren gefragt wird. Der Wald und seine Tiere – das gehört für die Interviewten fraglos zusammen. Die Antwortmuster im Interview zeigen darüber hinaus, dass Tiere Naturerfahrungen erst erzählbar machen. Während die Flora des Waldes eher den Stoff für Beschreibungen bietet, kann über Tierbegegnungen erzählt werden: Es passiert etwas. Der Wald wird zu einem Ort lebendiger Begegnung.

Im Gegensatz zu der häufigen Thematisierung von Tierbegegnungen steht, dass Menschen beim Waldbesuch äußerst selten tatsächlich mit Wildtieren in Kontakt kommen. Die besondere Wichtigkeit von Wildtieren als Teil von Walderlebnissen lässt sich eher über deren symbolische Bedeutung erklären: Tiere rühren an die Sehnsucht der Menschen, in Kontakt zu einer anderen Welt zu treten. Tierbegegnungen sind immer verbunden mit Tierfantasien.

Tiere als Repräsentanten einer fremden Welt

Tierbegegnungen werden durchweg als (zu) selten thematisiert: Man sieht "mal" ein Tier, "fast nie", "gerne öfter", spricht darüber im Konjunktiv, freut sich schon über bloße Tierspuren und gibt sie nicht auf, "die Hoffnung, dass man mal ein Reh sieht". Selbst kleinste Begebenheiten bleiben in Erinnerung.

Obwohl Tiere also gegenüber den Menschen für gewöhnlich mit Abwesenheit glänzen, sind sie als unsichtbare Anwesenheit immer präsent. Das wird durch die Erfahrung unterstützt, dass Tiere in Walderlebnissen "plötzlich" und unvorhersehbar auftauchen. Ihr Erscheinen ist eine freudige, selten auch bedrohliche Überraschung, ein "Nervenkitzel". In ihrer Rarität sind sie eine Belohnung für Waldbesuchende, die sich so verhalten, dass der Wald ihnen seine Geheimnisse preisgibt. Tierbegegnungen werden oft als sinnliche Erfahrungen geschildert, die die Wahrnehmung herausfordern, Geduld und Ruhe voraussetzen: "da mal nur auf einem Baumstumpf zu sitzen und leise zu sein, man dann plötzlich die Tierchen sieht, dann hört man plötzlich die Vögel und nimmt alles Mögliche wahr."

Denn eigentlich wird der Wald als die Heimstätte der Tiere geschildert. Sie "wohnen" hier, der Mensch ist nur zu Gast. Er kann auch Störenfried und Schädling sein. Seine Anwesenheit ist den Tieren nur mit Rücksichtnahme zuzumuten. Von gut informierten Waldbesuchenden werden tageszeitliche, jahreszeitliche und räumliche Rückzugsräume ("Zonen") gefordert. Als illegitim werden solche Handlungen beschrieben, die Tiere stören könnten: "sich rumtreiben", "nachts um 11 noch mit der Helmlampe durch den Wald rennen", "wie Irre durch die Gegend fahren". "Man stört die Tiere nicht in ihrer Welt, sozusagen. Ja. Man versucht halt einfach, man ist sozusagen als Gast da und macht keine Unordnung."

Tiere sind ein lebendiges Sinnbild der Fremdheit von Natur, indem sie für Menschen unverfügbar und unberechenbar sind. Sie sind besonders geeignet, das Eigenleben der Gegenwelt Wald zu verkörpern. Andererseits sind sie aber auch ideale Träger von Übertragungen aus der Welt des Menschen und erlauben es Waldbesuchenden, sich zur Natur in Beziehung zu setzen.

Tiere als Brücke zwischen Mensch und Natur

Tiere agieren und reagieren viel sichtbarer, dem Menschen ähnlicher, als Bäume und andere Elemente des Waldes. Dadurch eignen sie sich als Träger von Projektionen. Die Übertragung von menschlichen Gedanken, Gefühlen und Handlungsweisen auf andere Objekte oder Lebewesen bezeichnet man als Anthropomorphisierung. Solch eine Personifikation von Tieren ist in vielen Bereichen unserer Kultur gang und gäbe –beispielsweise in der Haustierhaltung oder in Mythen und Märchen. Wildtiere gelten im Symbolvorrat einer Kultur als kollektive Träger von menschlichen Eigenschaften und sozialen Bedeutungen, zum Beispiel der böse Wolf, der schlaue Fuchs oder die verschlagene Schlange. "Die Mythen- und Fabelwelten sind bevölkert mit Tieren, die Vergegenwärtigung menschlicher Wesenszüge und Spiegel menschlicher Bilder sind."

Untersucht man die Interview-Erzählungen daraufhin, wie Tiere zu Menschen ins Verhältnis gesetzt werden, zeigen sich drei Ebenen der Personifikation:

a) Tiere haben menschenähnliche Eigenschaften:

Tiere "wohnen" im Wald, "essen" auf der Wiese, "ärgern" sich über Störungen durch Menschen, "haben halt auch was Besseres zu tun, als da am Straßenrand zu stehen". Tierisches Handeln wird in solchen Formulierungen mit einem Vokabular für menschliches Handeln beschrieben; man imaginiert ihr Leben als ein menschenähnliches . Nicht nur werden Tieren emotionale Reaktionen auf menschliche Störungen unterstellt, zuweilen übernehmen Menschen dabei selbst die emotionale Reaktion für die Tiere: "mich regt’s auf!" "Das ärgert einen als schon mal auch für die Tiere."

b) Beziehungen zu Tieren sind moralische und soziale Beziehungen:

Tiere werden in ihrem Territorium vom Menschen regelrecht heimgesucht, sie werden fast immer als schutzbedürftig, verletzlich und bedrängt thematisiert. Menschen treten dabei zugleich in der Rolle als Störer und Anwälte von Tierrechten auf. In der Beziehung zu Tieren drückt sich auch die soziale Reife der Menschen aus: "Also als kleines Kind hab ich auch mal en Ameisenhaufen geärgert, aber wenn dann halt sich ein 30jähriger einen Spaß damit macht einen Ameisehaufen umzuwühlen, dann find ich das nicht mehr lustig. Dann denk ich eigentlich: "Ja du hast dich nicht weiterentwickelt". Als soziale Interaktionspartner vermögen Tiere auch starke Emotionen auszulösen. Die Erzählungen über Tierbegegnungen vermitteln Gefühle von Freude und Rührung, aber auch Ekel und Angst.

c) Der moralische Status von Mensch und Tier wird gleichgesetzt:

Die Gleichwertigkeit des moralischen Status von Tieren drückt eine Nähe zwischen Tier und Mensch aus, die in dieser Art von Analogieschluss nicht für Pflanzen oder unbelebte Natur formuliert wird. Zum Beispiel wird gefordert, die Rücksicht auf andere Menschen und auf Tiere sollte gleichermaßen selbstverständlich sein. Mit Formulierungen wie "Menschen und andere Tierchen" wird die geteilte Zugehörigkeit zu einer biologischen Kategorie betont.

Tiersymbolik als Instrument im Besuchmanagement

Wenn Tiere eine so prominente Rolle in den Erlebnissen von Waldbesuchenden spielen, lässt sich davon auch auf eine reale Rücksichtnahme auf Wildtiere schließen? Die Erfahrungen vieler Forstleute und Betreuender von Schutzgebieten sprechen ja für eine andere Entwicklung. Gerade die störungsintensiven Aktivitäten in der Natur nehmen zu. Wie auch die Analyse der Interviews gezeigt hat, ist die positive Beziehung zu Wildtieren vor allem auf deren symbolische Bedeutung zurückzuführen, als auf tatsächliche Tierbegegnungen. Auch im Bereich der Bereitschaft zur Rücksichtnahme fallen die symbolische Ebene – das sicherlich aufrichtig gemeinte Lippenbekenntnis, Rücksicht üben zu wollen – und die Handlungsebene auseinander.

Versuche in der Schweiz haben gezeigt, dass die Rücksichtslosigkeit teilweise auf mangelndes Wissen zurückzuführen ist. Wissensvermittlung verstärkt die tatsächliche Rücksichtnahme allerdings nur unter den Bedingungen, dass

  1. es detailliert ist (nicht nur das Verbot, sondern ausführlich seine Funktion kommuniziert wird) und
  2. die grundsätzliche Bereitschaft zur Rücksichtnahme bei den Personen schon vorher besteht.

Eine positive Beziehung zu Wildtieren bietet hierfür eine relevante Grundlage. Psychologische Studien zur Naturschutzkommunikation geben Hinweise darauf, dass Anthropomorphismen und die soziale Normativität von Tierbeziehungen ein wirksamer Anknüpfungspunkt sind, um mehr Rücksichtnahme zu erreichen – zugleich bergen sie aber auch das Risiko, dass Tiere zu negativ aufgeladenen Symbolen gemacht werden können. Insofern gilt es die sehr verschiedenen Symbolinhalte der Arten im Auge zu behalten. Wer auf die falschen Symbole setzt kommuniziert an wichtigen Zielgruppen vorbei. Wie im Sprichwort gilt auch in der Kommunikation, dass die Würmer den Fischen schmecken müssen und nicht den Angelnden. Insofern darf nicht die Begeisterung der Forstleute für eine Art maßgeblich sein, sondern deren Wirkung auf das adressierte Publikum. Entsprechend führt es natürlich auch in die Irre, Arten auszuwählen, weil es dafür vor Ort naturschutzbezogene Gründe geben mag. So haftet Auerhühnern zwar die Botschaft an, dass sie selten und am Aussterben sind. Aber dementsprechend wenig vertraut sind sie auch einem breiteren Publikum. Die Art weckt nur bei wenigen Menschen Assoziationen, die zur Rücksichtnahme einladen. Die Bezüge sind eher historisch-traditionell, das Image verstaubt. Vor allem aber werden die Vögel in Wappen, der Werbung oder Schildern stets in Balzpose, also männlich, kraftstrotzend und vital präsentiert. Warum sollte man also diesem potenten Vogel einen spannenden Fackellauf im Tiefschnee opfern?

Im Gegensatz dazu wird etwa mit der Allerweltsart Reh von vielen Waldbesuchenden vor allem Schutzbedürftigkeit verbunden. Rehe sind in der Vorstellung vieler Menschen jung oder weiblich, scheu, oft allein und daher auf Rücksichtnahme angewiesen. Bambi hat seine Geschichte effektvoll erzählt. Zudem ist die Art weitverbreitet, bekannt und man sieht sie immer wieder. Es ist also auch plausibel für Waldbesuchende, dass die eigene Rücksichtnahme in diesem Fall ganz konkreten Tierindividuen nützt.

Fazit

Tiere sind einerseits Verkörperungen des Fremden, des radikal Andersartigen, der Waldwelt. Sie bleiben unsichtbar, geheimnisvoll und oft ahnt man nur ihre Präsenz in den Wäldern. Begegnet man ihnen, agieren sie plötzlich und unberechenbar. Andererseits eignen sich Tiere als Projektionsflächen für menschliche Empfindungen, sind unsere Verwandten im Wald. Tierbegegnungen verkörpern somit eine reaktive Natur, die für Menschen einerseits eine völlig fremde Welt eröffnet und sie gleichzeitig in eine Beziehung zu dieser Welt setzt. Auch wenn Tiere oft unsichtbar bleiben, gehören sie zu Waldbesuchen dazu. Ob diese emotionale Relevanz von Tieren in der Naturbeziehung grundsätzlich eine praktische Rücksichtnahme auf Tiere nach sich zieht, kann bezweifelt werden. Einen Ansatzpunkt für die Kommunikation bieten sie aber sicher.