Anthropogene Einflüsse durch Wegebau und forstliche Nutzung des Umlandes wirken sich direkt auf die Gewässerstruktur und auf die Lebensgemeinschaften in Fließgewässern aus. In Deutschland wurde der Fließgewässerzustand durch die gesetzliche Verpflichtung aus der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) und dem Wassergesetz erfasst und, wo notwendig, verbessert. Zwei Indikatoren sind für die ökologische Funktion der Gewässerläufe von großer Bedeutung:

  1. die Morphologie (Struktur) des Gewässerbetts und des -umfeldes sowie
  2. die Durchgängigkeit für wandernde Organismen und die mitgeführte Sedimentfracht.

Abb. 1: Bild oben und unten: Die Groppe (Cottus gobio), Fisch des Jahres 1989 und 2006. Bild unten: Durch ihre Zeichnung getarnte Groppe (Marke entspricht 1 cm) am Bachgrund (Foto oben: R. Berg).

Die Arbeit, die Wasser durch seine Reibung am Gerinne leistet, verändert kontinuierlich dessen Gestalt. Auswaschungen und Ablagerungen von feinerem Bettmaterial kommen in naturnahen Gewässern durch vielfältige Strömungsverhältnisse zustande. Überall dort, wo dem Wasserfluss ein Widerstand entgegengesetzt wird, kommt es zu Turbulenzen und alternative Fließwege werden erschlossen. Gehölze, die der seitlichen Verlagerung eines Bachlaufs im Wege stehen, werden umspült und bilden kleine Inseln im Gewässerlauf. Verliert das Wurzelwerk den Halt, findet man sog. Sturzbäume, deren Stamm oder Krone teilweise in den Bachlauf ragen. All diese Elemente (Totholz, Substratdiversität, Beweglichkeit des Gewässerlaufs etc.), die aus dem Kontakt mit der fließenden Welle hervorgehen und gleichzeitig den Wasserstrom beeinflussen, zählen zu den natürlichen Gewässerstrukturen. Sie sind Lebensraum für zahlreiche aquatische Organismen. Je höher die Zahl an unterschiedlichen Strukturen in einem Gewässer, desto vielfältiger ist dessen Spektrum an Tier- und Pflanzenarten. Dabei bezieht sich eine moderne Definition des "Gewässers" auf alle Bereiche, die bei unterschiedlichen Wasserständen durchflossen werden. Dies schließt das Gewässer, das Gewässerumfeld (Aue) und den von außen nicht sichtbaren Wasserfluss im Kieskörper unter dem Bachbett mit ein.

Die EU-WRRL und das Wassergesetz nutzen u.a. die zentralen Parameter Gewässerstruktur und Durchgängigkeit als Kriterien, wonach spätestens bis zum Jahr 2027 ein "guter ökologischer Zustand" der Oberflächengewässer hergestellt werden muss. Um den derzeitigen Zustand der Fließgewässer im Wald abzubilden, wurden im Rahmen eines zweijährigen Projektes der Abt. Wald und Gesellschaft an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) die Gewässerstruktur und -fauna von 11 Waldbächen in verschiedenen Naturräumen Baden-Württembergs untersucht.

Verfahren zur Kartierung von Gewässerstrukturen

Als standardisiertes Maß für die naturraumtypische Vielfalt von Fließgewässerstrukturen dient seit Ende der 90er Jahre das Verfahren zur Strukturgütekartierung nach LAWA (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser). Grundlage für die Bewertung der kartierten Strukturen ist ein sog. Leitbild. Das Leitbild ist eine umfassende Beschreibung des Gewässerkörpers, der Ufer und des Umlandes, wie sie im menschlich unveränderten Zustand im jeweiligen Naturraum anzutreffen wären. So ist bspw. ein gestreckter Gewässerlauf in einer tiefen Klinge im Keuper-Lias-Land durchaus als naturnah anzusehen, während ein gestreckter Bachlauf entlang eines Wirtschaftsweges in einer weiten Talsohle mit geringem Gefälle auf die künstliche Festlegung des Ufers zurückzuführen ist.

Das LAWA-Kartierverfahren (LAWA 2000) bezieht sich, je nach Gewässerbreite, auf Abschnitte von 50 bis 100 Metern Länge. Zu jedem Abschnitt werden 25 Einzelparameter erhoben und im Bezug auf das Leitbild bewertet. Das Ergebnis sind farbige Bänder, die über dem Gewässer aufgetragen, die jeweilige Strukturgüte in sieben Stufen widerspiegeln (1 unverändert bis 7 vollständig verändert). Das LAWA-Verfahren ermöglicht es, Gewässerläufe mit hoher Reproduzierbarkeit zu erfassen und zu bewerten. Es erwies sich jedoch im Wald als sehr zeitaufwändig. Dies lag mitunter an der Bestimmung der 100 Meterabschnitte, die in dichten Beständen selbst für geübte Kartierer schwierig ist.

Auf dem LAWA-Kartierverfahren aufbauend wurde von der FVA daher eine Kartiermethode entwickelt, die auf die besonderen Belange von Gewässerläufen im Wald zugeschnitten ist. Dieses Verfahren bezieht sich im Gegensatz zum LAWA-Verfahren nicht auf einen vordefinierten Gewässerabschnitt, sondern beschränkt sich auf die Aufnahme von Einzelobjekten, die die Durchgängigkeit oder Lebensraumqualität an Waldbächen beeinflussen (s.h. den Artikel Kartieranleitung Fließgewässer im Wald).

Morphologischer Zustand von Waldbächen

Eine Vielzahl gewässertypischer Strukturen und naturnahe Gewässerstrecken wurden an vier der sechs untersuchten Waldbäche angetroffen. Entsprechend ihrem naturraumtypischen Leitbild verfügen sie über vielfältige Sohl- und Uferstrukturen. In den meisten der untersuchten Gewässer war Totholz in den Bachbetten und im Uferbereich vorhanden. Hier übernehmen abgestorbene Holzreste eine wichtige Funktion als Unterschlupf für Kleintiere und schaffen vielfältige Strömungsverhältnisse im Gewässer.

Zwei der Untersuchungsgewässer erhielten im Mittel Strukturgütebewertungen, die schlechter als 3 ausfielen. Dies lag hauptsächlich an der hohen Zahl von Gewässerquerungen und des damit verbundenen Verbaus der Ufer und der Gewässersohle. Eine intensive forstliche Bewirtschaftung und die Bestockung mit standortfremden Fichtenbeständen bis an den Gewässerrand führten zu Abwertungen der Strukturgüte . Reine Fichtenbestände erfüllen nicht die Anforderungen eines Gewässerrandstreifens: so verfügen standorttypische Auwälder über eine Strauch- und Krautvegetation, die u.a. zu Fixierung von Bodenmaterial im Uferbereich beiträgt. Dadurch wird der Eintrag von Feinsedimenten und Nährstoffen in die Gewässerläufe verringert.

Leben im Waldbach

Begleitend zur Kartierung von Gewässerstrukturen wurden im Rahmen des Projektes die Lebensgemeinschaften in den Waldgewässern untersucht.

Fische

Elektrobefischungen gaben Aufschluss über Vorkommen und Alterszusammensetzung von Fischbeständen in fünf Waldgebieten. Selbst kleinste Gewässer, kaum breiter als einen Meter, verfügen über einen ausgewogenen und gesunden Bestand an Bachforellen und Groppen (vgl. Abb. 1). Dies war jedoch nur der Fall, solange die Gewässer nicht durch Abstürze in ihrer Durchgängigkeit unterbrochen wurden. Eine Zerteilung des Gewässers führte zum Ausfall der Fischpopulationen oberhalb des Wanderungshindernisses (Abb. 2). Am Beispiel des Trauzenbachs bei Murrhardt wurde deutlich, welche Rolle der Bach als Laichgewässer für die heimischen Bachforellen hat. In einem naturnahen Abschnitt mit wechselnden Lichtverhältnissen wurden bis zu 25.000 juvenile Bachforellen pro Hektar Bachfläche ermittelt.

Makrozoobenthon

Zahlreiche wirbellosen Kleinlebewesen, das sog. Makrozoobenthon, sind Zeiger für eine bestimmte Wasserqualität. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen Kleinkläranlagen und Fischteiche die Gewässer mit ihren Einleitungen belasten, sind die untersuchten Waldbäche durch eine sehr hohe Wasserqualität ausgezeichnet. Ihr intaktes System an Makro- und Mikroorganismen ist oft in der Lage die erwähnten Verunreinigungen auf wenigen hundert Metern Fließstrecke abzubauen. Insgesamt wurden in den untersuchten Waldgewässern 221 Arten und Artengruppen nachgewiesen. 24 Zoobenthonarten werden in der Roten Listen Baden-Württembergs und Deutschlands geführt und gelten somit als selten oder in ihrem Bestand gefährdet.

Krebse

Einheimische Krebspopulationen wurden in den letzten Jahrzehnten meist Opfer der "Krebspest". Diese Pilzerkrankung wurde zusammen mit amerikanischen Flusskrebsen Ende des 19. Jahrhunderts eingeschleppt und führte zu einem dramatischen Rückgang europäischer Krebsarten. Die verzweigten Waldbachsysteme im Einzugsgebiet des Tiefenbachs (bei Nürtingen) dienen dem heimischen Steinkrebs als Rückzugsort. In diesem speziellen Fall führen natürliche und künstliche Wanderungshindernisse zu einer schützenden Isolation der heimischen Krebsbestände und verhindern das Eindringen pilzinfizierter Tiere aus dem Gewässerunterlauf.

Feuersalamander

Auch der seltene Feuersalamander profitiert in einzelnen Fällen von Querverbauungen in Bachoberläufen. Abschnitte, die für Forellen und Groppen unzugänglich waren, zeigten außergewöhnlich hohe Dichten von Larven des Feuersalamanders.

Bachmuscheln

Im Mühlbach, bei Ravensburg, konnten noch die Schalen einer erloschenen Bachmuschelpopulation (Unio crassus) nachgewiesen werden. Wahrscheinlich ist die wiederholte Einleitung von Feinsedimenten durch die Bewirtschaftung eines Fischteichs im Oberlauf des Mühlbachs für das Absterben der Muschelpopulation verantwortlich. Diese filtrierenden Muscheln sind nicht nur auf einen gesunden Fischbestand in ihrem Lebensraum angewiesen – die Larvalstadien der Muscheln leben für einige Wochen als Parasiten auf den Fischkiemen – sondern benötigen klares und nährstoffarmes Wasser. Die Art ist in Baden-Württemberg von Aussterben bedroht und findet u.a. in Waldbächen der kollinen Stufe letzte Rückzugsräume.

Einfluss der Waldzusammensetzung

Aus den Daten, die mit Hilfe der FVA-Kartierungsmethode erhoben wurden, ließ sich die Zusammensetzung der uferbegleitenden Waldbestände ermitteln. Am Trauzenbach und am Gewässersystem des Tiefenbachs wurden rund 57 km Waldbestand kartiert. 84 % des Baumbestandes in Ufernähe setzen sich an den untersuchten Bächen aus naturnahen oder seltenen naturnahen Waldgesellschaften (Waldbiotope) zusammen.

In den nährstoffarmen Oberläufen von Fließgewässern ist eingetragenes Pflanzenmaterial die wichtigste Energiequelle für viele Bachbewohner. Je nach ihrer Ernährungsweise werden die Zoobenthonorganismen in Gruppen (sog. Gilden) zusammengefasst: Zerkleinerer, Weidegänger, Filtrierer, Räuber etc. Durch die unterschiedliche Qualität von eingetragenem Laub oder Nadelstreu als Nahrungsgrundlage wurde vermutet, dass der Anteil von Nadelgehölzen Einfluss auf die Zusammensetzung der Ernährungstypen des Makrozoobenthos hat. Zerkleinerer, die sich größtenteils von Blattmaterial ernähren wären demnach durch den Eintrag von Nadelstreu in ihrer Nahrungsaufnahme limitiert und würden in dichten Nadelholzbeständen zurückgehen. Eine statistische Auswertung der gewonnenen Untersuchungsdaten zeigte jedoch keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Waldzusammensetzung im Uferbereich und dem Anteil der Ernährungstypen. Aus vergleichbaren Untersuchungen geht jedoch hervor, dass dichte Nadelholzbestände durch die geringe Licht- und Wärmedurchlässigkeit zum Gewässer deren Sekundärproduktion reduzieren können.

Gewässerquerungen

Rund ein Drittel der Fläche Baden-Württembergs ist von Wald bedeckt. Rund 36 % der gesamten Fließgewässerlänge in Baden-Württemberg, insgesamt etwa 50.000 km, liegen innerhalb Waldes. Ein verzweigtes Netz aus Quellbächen und Kleingewässern sammelt die Niederschläge aus den Waldflächen bevor sie in die Talgewässer des Offenlands münden. Im Wald herrscht nicht nur eine hohe Fließgewässerdichte – auch das Wegenetz ist im Wald engmaschiger als im Offenland. Aus digitalen Kartenbeständen ließ sich für acht untersuchte Forstamtsbezirke ableiten, dass man auf 10 km Fließgewässerlänge im Durchschnitt 38 Gewässerquerungen antrifft (Min. 5, Max. 65). Wo Betonröhren ohne die nötige Sedimentauflage das natürliche Gewässerbett unterbrechen, werden sie zu einem Wanderungshindernis für Kleinlebewesen (Abb. 2).

Die glattwandigen Röhren bieten ihnen keine Möglichkeit, sich stromaufwärts fortzubewegen (vgl. Abb. 2). Richtig eingebaut, zu einem Drittel in die Gewässersohle eingelassen, werden Verrohrungen in beiden Richtungen durchgängig: stromaufwärts für wandernde Organismen und in Fließrichtung kann das mitgeführte Geschiebe durch die Röhren transportiert werden.

Handlungsbedarf und Schulung der Forstämter

Um den wertvollen und zum großen Teil intakten Lebensraum "Waldbach" zu erhalten ist es notwendig, die Erkenntnisse aus dem Projekt "Gewässerentwicklung im Wald" in die forstliche Praxis zu transportieren. Häufigstes Defizit an den Untersuchungsgewässern sind Wanderungshindernisse und Ufersicherungen durch den forstlichen Wegebau. Durch eine angepasste Bewirtschaftung und Unterhaltungsmaßnahmen von gewässerbegleitenden Waldbeständen ist es möglich, diese Defizite zu beheben oder zu vermeiden.