Saatgutpartien aus demselben Bestand können sich genetisch unterscheiden

Die genetische Zusammensetzung und das Ausmaß der genetischen Variation der Saatgutpartien aus demselben Bestand kann von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich sein. Untersuchungen mit Genmarkern zeigten dies deutlich für Tannen-, Kiefern- und Fichtensaatgut (Konnert und Behm 1999).

Worauf sind diese Unterschiede zurückzuführen?

Zahlreiche Faktoren beeinflussen die genetische Zusammensetzung einer Saatgutpartie. So können sich Blüh- und Befruchtungsverhältnisse von Jahr zu Jahr ändern. Sie hängen stark von Faktoren wie Witterung, Standort, Bestandesalter ab. Untersuchungen von Müller-Starck in zwei Kiefernplantagen zeigten, dass der männliche und weibliche Beitrag einzelner Klone zur Folgegeneration sowohl von Jahr zu Jahr als auch von Standort zu Standort stark schwankt.

Die Bestandesdichte beeinflusst vor allem die Selbstbefruchtungsrate. Je größer das Verhältnis "baumeigener Pollen zu Fremdpollen" in der Umgebung der weiblichen Blüten ist, umso höher ist die Selbstbefruchtung. Farris und Mitton (1984) wiesen nach, dass bei Pinus ponderosa in Beständen mit 230 Bäumen/ha die Selbstbefruchtungsrate 6 % betrug, in solchen mit 13 Bäumen/ha aber 29 %. Selbstbefruchtung kann reduzierte Keimfähigkeit oder eingeschränkte Vitalität der Sämlinge zur Folge haben.

Dass sich das Bestandesalter negativ auf die genetische Variation einer Saatgutpartie auswirken kann, folgte aus einer Untersuchung an einer Plantagensaatgutpartie bei Linde. Die genetische Variation in dieser Partie war unerwartet gering, obwohl laut Begleitschein 27 Individuen beerntet worden waren. Nachforschungen ergaben aber, dass diese 27 Individuen nur 34 % der Klone aus der Plantage repräsentierten.

Dazu zeigten in der erst zwölfjährigen Plantage nur 18 % aller Klone einen starken Samenbehang, andere Klone hatten noch gar nicht geblüht oder fruktifiziert. Zusätzlich wurden in der Plantage bei einigen Klonen unterschiedliche Blühperioden beobachtet. Dies schränkt den Genfluss weiter ein (Konnert und Fromm 2004). Die für die unterschiedlichen Baumarten im Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG) angegebenen Mindestalter für die Zulassung von Erntebeständen müssen deshalb unbedingt eingehalten werden.

Zu den Faktoren, die mit der Samenernte unmittelbar in Zusammenhang stehen, gehört die Anzahl der beernteten Bäume und ihre Verteilung im Bestand. Werden zu wenige Bäume beerntet, so geht genetische Information auf Grund von Zufallseffekten ("genetische Drift") verloren. Es ist nicht möglich, eine allgemein gültige, aus genetischer Sicht optimale Anzahl von Erntebäumen anzugeben. Die gesetzlich verankerte Mindestbaumanzahl von 20 ist aber als untere Grenze einzuhalten, um die Anpassungsfähigkeit der Folgegeneration nicht zu gefährden.

Vor allem bei natürlich verjüngten Beständen schwerfrüchtiger Baumarten, bei denen in verschiedenen Untersuchungen deutliche Klumpungen der genetischen Strukturen nachgewiesen wurden (d.h. Nachbarbäume sind miteinander verwandt), ist es wichtig, die Erntebäume über den ganzen Bestand zu verteilen (z. B. Jansen, Behm und Konnert). Wird zu spät geerntet, so hat möglicherweise ein Teil der Bäume seine Samen bereits abgeworfen und trägt somit nicht mehr zur späteren Saatgutpartie bei. Demgegenüber kann eine zu frühe Ernte bei einigen Baumarten eine Verminderung der Keimfähigkeit vor allem bei längerer Lagerung zur Folge haben. In einem Versuch wurden am Amt für Waldgenetik (AWG) drei Klone einer Bergahornsamenplantage im Abstand von jeweils zwei Wochen beerntet. Bei den ersten beiden Terminen wurden von jedem Klon gleiche Mengen Saatgut geerntet. Beim dritten Erntetermin waren klonweise unterschiedlich viele Samen bereits abgefallen, so dass nur noch eine Mischung im Verhältnis 1:3:4 möglich war. Das Saatgut vom ersten Erntezeitpunkt baute seine Keimfähigkeit viel schneller ab als das Saatgut der beiden anderen Erntezeitpunkte (Konnert und Behm 1999).

Das folgende Beispiel zeigt, wie sich die Saatgutmenge pro Baum auf die genetische Struktur der Erntepartie auswirken kann. Wird das Saatgut der oben erwähnten drei Bergahornklone in unterschiedlichen Gewichtsverhältnissen gemischt (1:1:1; 1:3:4 oder 4:3:1), so erhält man Partien mit unterschiedlichen Häufigkeiten der Genotypen bzw. der Genvarianten am Genort GOT-C.

Folgerungen

Mit der Auswahl des Vermehrungsgutes und der Art der Kulturbegründung wird eine ökonomisch und ökologisch bedeutsame Entscheidung getroffen, weil über das Anpassungspotential der nächsten Generation entschieden wird. Aus Gründen des Aufwands, der Kosten und der Nachfrage kann keine vollständige Beerntung der Bestände vorgenommen werden. Dennoch erhält man eine möglichst hohe Anpassungsfähigkeit, wenn man die Ernteeinheit richtig auswählt, die Bestände nicht in zu frühem Alter und nur in Jahren mit guten Fruktifikationsverhältnissen (möglichst Vollmast) beerntet. Der richtige Erntezeitpunkt und die Beerntung möglichst vieler Bäume verteilt über die Bestandesfläche tragen ebenso zu einer möglichst breiten Genstruktur des Saatgutes bei.

Es liegt also nicht nur in der Hand der Natur, wie unsere Saatgutpartien genetisch zusammengesetzt sind, in weiten Teilen können wir Menschen die genetische Variation, die Grundlage langfristiger Stabilität, durch vernünftiges Handeln positiv beeinflussen.