Die langjährig hohen Säure- und Stickstoffeinträge haben die Bodenfruchtbarkeit und die Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungseigenschaften der Waldböden negativ beeinträchtigt. Während die Einträge von Schwefelverbindungen mittlerweile stark zurückgegangen sind, treiben die anhaltend hohen Stickstoffeinträge die Versauerung von Waldböden weiter voran. Doch selbst bei anhaltend sinkenden Depositionen ist eine natürliche Regeneration der Böden nur in Teilen und innerhalb sehr langer Zeiträume erwartbar. Mit dem Programm der regenerationsorientierten Bodenschutzkalkung soll in Baden-Württemberg deshalb nicht nur der aktuelle Säureeintrag kompensiert, sondern die natürliche Bodenreaktion der Waldböden wiederhergestellt werden.

Positive Wirkung auf Baumvitalität und Bodenfauna

Auf gekalkten Flächen steigen der pH-Wert, die Basensättigung und die Säureneutralisationskapazität der Böden. Im Gegenzug sinken die Konzentrationen von Aluminium und Schwermetallen in der Bodenlösung und in der Humusauflage. Die Nährstoffgehalte im Kalkmittel sowie die durch den Humusabbau freiwerdenden Nährstoffreserven verbessern die Versorgung insbesondere mit Magnesium und Calcium. Infolge der positiven Wirkungen auf den Bodenchemismus und das Bodenwasser zeigen Waldbäume nach Kalkungen geschädigter Standorte häufig eine verbesserte Vitalität und oft auch ein stärkeres Wachstum. Die Aufnahmen der Kronenverlichtung im Rahmen der jährlichen Waldzustandserhebung in Baden-Württemberg belegen, dass die Nadel-/Blattverluste nach Kalkungen zurückgehen und auch 15 Jahre nach der Kalkung auf einem niedrigeren Niveau bleiben als auf ungekalkten Standorten (vgl. Abb. 2). Eine temporäre Nährstoffanreicherung im Oberboden kann jedoch zunächst zur Verflachung des Feinwurzelsystems führen. Mit zunehmender Kalkungswirkung in die Tiefe folgt, insbesondere auf sehr stark geschädigten Standorten, aber auch eine tiefere (Wieder-)Erschließung des Wurzelraums.

Abb. 2: Differenz der mittleren Nadelverluste von gekalkten Fichten (links) bzw. Tannen (rechts) im Vergleich zum Gesamtkollektiv der jeweiligen Baumart im Datensatz der Waldzustandserhebung Baden-Württemberg.

Auf gekalkten Flächen steigen die Aktivität und Biomasse des Bodenmikrobioms und der Bodenfauna sowie die Artenvielfalt und Biomasse der Bodenvegetation. Besonders hervorzuheben ist die fördernde Wirkung auf Regenwürmer, die sich positiv auf die chemische Ausstattung und die physikalischen Eigenschaften (wie Belüftung und Aggregierung) des Mineralbodens auswirken. Abb. 3 zeigt im Vergleich zweier direkt benachbarter Flächen eindrücklich den Umbau und die Einmischung von organischem Material in den Mineralboden als Folge der Regenwurmaktivität. Auf der ungekalkten Fläche (Abb. 3 links), die eine schlecht zersetzte Humusauflage aufweist, wurde lediglich ein Regenwurm pro m2 gefunden. Auf der benachbarten, mehrfach mit Dolomit und Dolomit-Holzasche-Gemisch behandelten Fläche (Abb. 3 rechts, 60 Regenwürmer pro m2) war die Auflagemächtigkeit stark reduziert und der mineralische Oberboden durch den eingebauten Humus dunkel gefärbt.

Auch weitere Bodenfunktionen werden durch Kalkungen günstig beeinflusst. So sind durch die Stabilisierung der Filter- und Pufferfunktion der Waldböden positive Effekte auf das Bodenwasser und das waldbürtige Oberflächen- und Grundwasser nachgewiesen; diese Wirkung kann über mehrere Jahrzehnte anhalten.

Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen

Mit der Kalkung werden Prozesse angestoßen, die der Wiederherstellung der natürlichen Nährstoffausstattung dienen. Damit kommt das Programm zur regenerationsorientierten Bodenschutzkalkung dem gesetzlichen Auftrag zum Erhalt oder zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit (Bundesbodenschutzgesetz § 1 und § 2; Bundeswaldgesetz § 1 und § 8; Landeswaldgesetz § 1 und § 14) nach. Auch das Bundesnaturschutzgesetz (§ 1 Abs. 3 Nr. 2) fordert, Böden so zu erhalten, dass sie ihre Funktionen im Naturhaushalt erfüllen können.

Gleichzeitig müssen bei der Planung von Kalkungsmaßnahmen aber mögliche Beeinträchtigungen weiterer Bodenfunktionen berücksichtigt werden. Insbesondere muss eine Schädigung der natürlich vorkommenden Lebensgemeinschaft am betroffenen Standort sowie nachgeschalteter Systeme wie dem Grund- und Oberflächenwasser soweit wie möglich vermieden werden. Naturschutz und andere Schutzgüter werden sehr umfangreich bei der Planung und Durchführung der Bodenschutzkalkungen berücksichtigt. Grundlage bilden die in einer FVA-Handreichung definierten Ausschlusstatbestände, die laufend um neue Erkenntnisse, z. B. zu Vorkommen und Kalkungsempfindlichkeit von Arten, erweitert werden.

Kalkungen erhöhen den pH-Wert der Humusauflage und verbessern damit die Bedingungen für deren Zersetzung. Diese Wirkung ist vordergründig als positiv zu werten, da sie Nährstoffe aus den (infolge der Versauerung mächtigen) Humusauflagen freisetzt und wieder pflanzenverfügbar macht, weshalb nach Kalkungen aber auch die Stickstoffkonzentrationen im Bodenwasser in der Regel für mehrere Jahre erhöht sind. Vermehrte Stickstoffausträge aus dem Boden in das Oberflächen- oder Grundwasser waren bisher aber nur dann festzustellen, wenn der Stickstoff nicht von der Vegetation aufgenommen auf dem Fließweg bis zu den Grundwasserkörpern und Vorflutern nicht ausreichend abgebaut wurde. Flächen, die unmittelbar an Fließgewässer grenzen oder sehr kurze Fließwege zum Grundwasser haben, werden deswegen vorsorglich von Kalkungen ausgeschlossen.

In vielen Studien wird beobachtet, dass der Nährstoffeintrag mit den Kalkmitteln selbst sowie die in Folge erhöhten Stickstoffkonzentrationen in der Bodenlösung „Generalisten“ insbesondere in der Bodenvegetation fördern, während seltenere Arten mit Anpassungen an Nährstoffmangel und saure Böden ihren Lebensraum verlieren. Um dies zu vermeiden, werden Kalkungsmaßnahmen in Baden-Württemberg an den natürlichen Säurehaushalt des jeweiligen Standorts angepasst. Natürlich saure Standorte, die besonders empfindlich für Stoffeinträge sind, werden deshalb mit einem Puffer von 100 m generell von der Kalkung ausgeschlossen.

Praktische Umsetzung und Flächenvollzug

Die Grundlage für die Bewertung des Kalkungsbedarfs liefern landesweite Karten, welche sogenannte „Kalkungspotentialflächen“ sowie die notwendige Anzahl von Wiederholungskalkungen ausweisen. Der Kalkungsbedarf ergibt sich dabei aus dem Vergleich zwischen aktuellem Versauerungsstatus eines Standorts und dem angestrebten, aus historischen Werten abgeleiteten natürlichen Bodenzustand. In die Karten fließen hochaufgelöste Regionalisierungsmodelle umfangreicher chemischer und physikalischer Analysen der Bodenzustandserhebung sowie weitere wichtige Standortsinformationen (z. B. Forstliche Standortskartierung) ein. Im Zuge der konkreten Maßnahmenplanung werden auf den Potentialflächen Bodenproben gewonnen, um die Kartengrundlage zu überprüfen. Auf Flächen mit validiertem Kalkungsbedarf werden von den zuständigen Forstverwaltungen dann die Kalkungsmaßnahmen konkret geplant.

Die aktuell in Baden-Württemberg eingesetzten Kalkmittel sind Dolomit (3 t/ha, auf 59 % der Fläche) und Dolomit-Holzasche-Gemisch (4 t/ha im Mischungsverhältnis 3:1, auf 41 % der Fläche), jeweils in erdfeuchtem Zustand. Die Kalkmittel unterliegen strengen Anforderungen in Bezug auf Inhaltsstoffe und Textur, die im Rahmen einer aufwendigen Qualitätssicherung kontrolliert und zertifiziert werden. Seit 2019 ist für alle Unternehmen, die Kalkmittel für Waldkalkungen in Baden-Württemberg bereitstellen, die Teilnahme am „DLG-Qualitätssiegel für Produkte zur Bodenschutzkalkung“ verpflichtend, welches die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) zusammen mit FVA und Landesforstverwaltung entwickelt hat.

Die Ausbringung erfolgt zwischen Anfang Juli und Ende Oktober entweder durch Verblasung von Fahrwegen und Rückegassen aus oder mittels Helikopter. Aufgrund der geringeren Kosten und des niedrigeren Energiebedarfs wird die terrestrische Ausbringung in Baden-Württemberg favorisiert. Dass dennoch etwa drei Viertel der Flächen per Helikopter gekalkt werden, liegt vor allem an der weniger aufwändigen Planung und an teils schwer erschließbaren Waldbeständen. Zukünftig soll die Beratung zum Einsatz von Gebläsetechnik verstärkt werden, um deren Akzeptanz in der Praxis zu erhöhen.

Zu Beginn des Programms der regenerationsorientierten Bodenschutzkalkung waren in Baden-Württemberg etwa 840.000 ha Waldfläche als potentiell kalkungsbedürftig klassifiziert (Abb. 4 links). Da auf einem Teil der Flächen zur Regeneration des Basendefizits bis zu vier wiederholte Kalkungen im Abstand von etwa 10 Jahren notwendig sind, ist das Kalkungsprogramm auf eine Gesamtdauer von 40 Jahren angelegt, womit jährlich im Mittel 21.000 ha zu kalken wären. Tatsächlich wurden seit Programmbeginn jährlich nur etwa 13.000 ha gekalkt (Abb. 4 rechts). Dies hat mehrere Ursachen. Zum einen wurden im Landesmittel 13 % der bearbeiteten Potentialfläche aus Natur- und anderen Schutzerwägungen von der Kalkung ausgenommen. Zudem zeigt die Gesamtschau aller seit 2010 analysierten rund 4.000 Bodenproben, dass 25 % der bisher bearbeiteten Kalkungspotentialfläche keinen Kalkungsbedarf aufweist. Aus diesem Grund wird aktuell die Kalkungspotentialkarte überarbeitet und zukünftig die Bodenbeprobung auf die Areale fokussiert, in denen die Schätzunsicherheit der Karte hoch ist.

Abb. 4: Ausweisung des Kalkungsbedarfs (Anzahl an nötigen Dolomitkalkungen mit einer Dosierung von 3 t/ha) bei Programmbeginn im Jahr 2010 (links) und bis 2018 in Baden-Württemberg dokumentierte Kalkungsmaßnahmen (rechts).

Bodenschutzkalkungen werden in Baden-Württemberg im Privatwald < 30 ha mit 100 % der Nettokosten, im Privatwald > 30 ha und im Körperschaftswald mit 90 % der Nettokosten gefördert. Die verbleibenden Eigenanteile gelten, neben dem hohen Aufwand für die Förderabwicklung, als ein großes Hindernis für die Kalkung im Privat- und Körperschaftswald. Zukünftig wird deshalb eine Vereinfachung des Förderverfahrens angestrebt.

Fortführung des Kalkungsprogramms

Nach wie vor sind weite Teile der Wälder Baden-Württembergs durch Säureeinträge geschädigt. Auf vielen Standorten nehmen die Bodenvorräte an essentiellen Nährstoffen weiterhin ab, da die im Boden gespeicherten Säuren basische Kationen mit dem Bodensickerwasser austragen. Gleichzeitig führen anhaltend hohe Stickstoffeinträge zu einer weiteren Bodenversauerung. Um eine Verschlechterung der Standortsqualität zu verhindern und die Standorte in Richtung ihrer natürlichen (vorindustriellen) Ausstattung zu entwickeln, muss das Programm der regenerationsorientierten Bodenschutzkalkung fortgeführt werden. Dies ist auch deshalb nötig, weil ein Großteil der Flächen entweder noch nicht gekalkt wurde oder einer Kalkungswiederholung bedarf, um die erwünschten Effekte zu gewährleisten. Auch wenn die Wirkung von praxisüblich dosierten Waldkalkungen durch erneut einsetzende Versauerung zeitlich begrenzt ist, gehen die pH-Werte in der Regel nicht wieder auf das Ausgangsniveau vor der Kalkung zurück. Mit steigender Basensättigung werden zudem Magnesium und insbesondere Calcium exponentiell stabiler gespeichert und weniger leicht ausgewaschen. Außerdem wird infolge der erhöhten biologischen Aktivität, der verbesserten Durchwurzelung und der damit verbesserten Nährstoffversorgung der Vegetation der Stoffumsatz im Waldökosystem langfristig verbessert.

Dadurch bewirkt die Kalkung eine selbstverstärkende Stabilisierung des Stoffhaushalts, so dass verlorengegangene Bodenfunktionen dauerhaft wiederhergestellt werden können, wenn die standortstypische Bodenreaktion wieder erreicht wird. Die Böden weisen dann ohne erneute Bodenschutzkalkungen ausreichende Pufferkapazitäten auf, um einer weiteren Bodenversauerung entgegenzuwirken. Dieses Ziel ist jedoch nur dann realistisch, wenn die Stickstoffeinträge als externe Treiber der Bodenversauerung auf ein natürliches Maß reduziert werden. Stickstoffeinträge, welche die Aufnahmekapazität der Wälder überschreiten, werden die Waldböden auch weiterhin versauern. Unter diesen Umständen kann die Waldkalkung lediglich als „Fristverlängerung“ wirken, um langfristig wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Stickstoffemissionen herbeiführen zu können. Zusätzlich müssen weitere Ansätze zur Minderung der Bodenversauerung verfolgt werden. So wirken Nährstoffentzüge bei der Holznutzung versauernd, wenn diese höher sind als die natürliche „nachschaffende Kraft“ der Böden. Die forstliche Nutzung muss sich deshalb stärker als bisher am natürlichen Nährstoffhaushalt der Waldstandorte orientieren.

Auch Waldumbau kann dazu beitragen, eine dauerhafte Abhängigkeit von Bodenschutzkalkungen zu vermeiden, da Laub- und Mischwälder durch ihre gegenüber Nadelwäldern geringere Kronenoberfläche weniger Säuren und Stickstoff auskämmen. Außerdem haben vor allem Laubhölzer, aber auch Tannen und Douglasien einen tieferen Wurzelraum als Fichten und erschließen somit auch Nährstoffreserven aus tieferen (i. d. R. weniger versauerten) Bodenschichten.