In Europa wächst die Arve (Pinus cembra) in höheren Lagen als jede andere Baumart, gefolgt von der Lärche. Die höchste LFI-Probefläche mit Arven, auf der Mitarbeitende der WSL alle neun Jahre den Waldzustand beurteilen, liegt in einer Höhe von 2283 m über Meer. Die Literatur dokumentiert jedoch weit höher gelegene Vorkommen.

So zitiert Urs-Beat Brändli, Leiter des wissenschaftlichen Dienstes des Schweizerischen Landesforstinventars (LFI), eine Quelle aus dem Jahr 1909, nach der bei Plattje oberhalb von Saas Fee eine Arve auf 2585 m stehen soll. Gefunden hat Brändli diese Arve bisher allerdings nicht.

Doch die Analyse von Luftbildern hat ihn ins Nachbartal nach Zermatt geführt. Und nach einer mehrtägigen Suche fand er im Sommer 2015 am Nordhang des Gornergrates einige kleine Arven auf 2745 m in einer unzugänglichen Felswand. Das grösste Exemplar ist zirka 2,2 m hoch und hat in 1,3 m Stammhöhe einen Durchmesser von ungefähr 6 cm. Schliesslich entdeckte Brändli auf 2765 m einen erst 11 cm hohen Winzling, in einer Felsspalte am nahe gelegenen Unterrothorn (Abb. 1).

Die Rekordjagd ist eröffnet

Ist das der Schweizer Rekord, vielleicht sogar Europarekord? In der Literatur finden sich nur wenige Angaben über höhere Fundorte. Diese Standorte sind jedoch entweder nicht beschrieben oder so unpräzise dokumentiert, dass es nicht möglich ist, sie zu überprüfen. Denn Fundmeldungen ohne Koordinaten und Fotos sind keine verlässlichen Quellen.

Deshalb hat das LFI ein öffentliches Log- oder Feldbuch eröffnet, in das jedermann seine Funde eintragen kann. Gesucht sind nicht nur Arven, sondern alle Gehölzarten. Die Minimalgrösse eines Baumes oder Strauches muss lotrecht gemessen 10 cm betragen. Ab dieser Pflanzenhöhe erfassen LFI-Mitarbeiter die Gehölzarten. Sie sammeln alle Fundmeldungen, die den Anforderungen entsprechen, und publizieren diese laufend.

Die neue Rekordhalterin ist eine Lärche

Schon kurz nach Eröffnung des Online-Logbuchs wurde der vermeintliche Rekord gebrochen. Derzeit (Stand: Januar 2016) führt eine Lärche, die auf 2971 m über Meer in der Walliser Gemeinde Ausserberg wächst (Abb. 2), die Statistik an. Der höchste Fund einer Arve stammt aus Orsières im Unterwallis mit 2805 m. Aber auch aus dem Engadin wurde ein Spitzenplatz gemeldet: eine Arve aus Pontresina auf 2782 m. Bei den Laubbäumen liegt eine Hängebirke mit 2860 m an der Spitze.

In der Liste ganz oben befindet sich allerdings ein Wacholder, der in 3020 Metern Höhe gefunden wurde. Aber kann ein Wacholder der höchstgelegene "Baum" sein? Dies führt uns zur Frage, was ein Baum eigentlich genau ist.

Wann ist ein Baum ein Baum?

Unter einem Baum versteht man in der Botanik eine ausdauernde Pflanze, die einen deutlich erkennbar aufrechten, verholzten Stamm besitzt. Viele Baumarten können aber unter dem Einfluss von Klima, Schneedruck oder Verbiss buschartig wachsen. Besonders in der sogenannten Kampfzone oberhalb der Baumgrenze sind niedrige Wuchsformen typisch. Demnach entspricht also nicht jedes Individuum einer Baumart der Lebensform Baum.

Die Baumgrenze hingegen wird von Bäumen gebildet, die je nach Autor mindestens 2 oder 3 Meter hoch sind. Und wo befindet sich die Waldgrenze? Nach internationaler Walddefinition muss ein Waldbaum mindestens 5 Meter hoch werden. Um die Höhenlage der verschiedenen Grenzen untersuchen zu können, werden deshalb im Logbuch alle gemeldeten Funde nach Höhenklassen gegliedert.

Grundlage für die Forschung

Feld-Teams des LFI überprüfen die bedeutendsten Funde vor Ort, vor allem Arven, Lärchen und Fichten. Diese drei Baumarten bilden in der Schweiz die obere Waldgrenze. Die Forstfachleute ermitteln die Lage-Koordinaten exakt und vermessen die Gehölze detailliert (Höhe und Länge der Pflanze, Durchmesser am Stammfuss und auf 1,3 m Höhe, Länge der Jahrestriebe). Diese Bäume bilden die Basis für eine langfristige wissenschaftliche Messreihe an der Baumgrenze. Mit künftigen Messungen soll untersucht werden, wie sich das Pflanzenwachstum in der so genannten Kampfzone im Verlaufe der Zeit entwickelt. Damit entstehen wertvolle Hinweise, wie sich die Klimaveränderung auf die Verbreitung einzelner Baumarten auswirkt.

Das LFI erfasst unter anderem die Höhenverbreitung der Gehölzarten in der Schweiz, ein Thema, das auch unter dem Aspekt der Klimaveränderung von Interesse ist. Eine Stichprobenerhebung wie das LFI ist aber nicht in der Lage, Extremwerte zu entdecken, denn mit landesweit 6500 Probeflächen von je 500 m2 Fläche können seltene Ereignisse durch das Stichprobenetz fallen.

(TR)