Der künstlichen Bestandsbegründung kommt in Zeiten des notwendigen Waldumbaus und der Restaurierung und Rehabilitation degradierter Landflächen wieder zunehmende Bedeutung zu. Das erfolgreiche Anwachsen, Überleben und weitere Wachstum der Forstpflanzen hängen von der Wahl des Pflanzgutes, dessen äußerer und innerer Beschaffenheit und von dessen Fähigkeit ab, neue Wurzeln auszubilden. Mit der Ausbildung neuer Wurzeln wird der Pflanzschock minimiert, der häufig durch Wasserstress begründet ist.

Aufgabenverteilung in der Wurzel

Die physiologischen Aufgaben der Wurzelsind die Aufnahme, Leitung und Speicherung von Wasser und Nährstoffen sowie die Synthese, Bereitstellung und Leitung von Pflanzenhormonen und sekundären Pflanzenstoffen. Wurzeln können sehr vielgestaltig sein und bilden sogenannte Wurzelsysteme aus verschiedenen Typen von Wurzeln aus. Für die Wasser- und Nährstoffaufnahme sind in erster Linie Fein- und Feinstwurzeln zuständig, die durch Symbionten wie Mykorrhizen oder Bakterien unterstützt werden. Solche Wurzeln sind relativ kurzlebig (wenige Monate bis maximal zwei Jahre) und werden ständig erneuert. Sie sind meist nicht zu einem sekundären Dickenwachstum befähigt. Das strukturelle Wurzelsystem wird durch Schwach-, Grob-, Derb- und Starkwurzeln gebildet und stellt das Stützgerüst für den Baum.

Die Polwurzel

Der erbliche Bauplan bestimmt die Art der Bewurzelung, die Ausformung der Polwurzel (Keimwurzel), die Wurzelverzweigungen sowie die Art der Wurzelverteilung im Boden. Die Polwurzel unterscheidet sich je nach Baumart in ihrem Tieferstreben. Besonders trockenheitsangepasste Baumarten wie Eiche oder Kastanie besitzen eine tiefreichende, gut ausgeprägte und meist verdickte Polwurzel. Baumarten mit einer derartigen Polwurzel können rasch der Wurzelkonkurrenz mit anderen Baumarten entkommen und tiefere Wurzelschichten für sich erschließen. In der Jugendphase ist die tiefgehende Polwurzel auch für die wichtige Verankerung zuständig. Die Polwurzel vieler Baumarten besitzt im Sämlingsstadium einen positiven Geotropismus; sie wächst also senkrecht nach unten, während die Seitenwurzeln horizontal wachsen.

Wird die Polwurzel verletzt – durch Unterschneidung im Saatbeet oder ungünstige Umgebungsbedingungen (z.B. Luftwurzelschnitt) – bilden sich oberhalb der Schnittfläche oft mehrere Adventivwurzeln, die ebenfalls positiv geotrop wachsen können. Sie übernehmen somit die Funktion der Polwurzel. Gelegentlich bleibt aber diese Regeneration aus, was bei jungen Bäumen zu einer erhöhten Anfälligkeit gegen Windwürfe führen kann.

Mit dem Verlust der Wurzelspitze der Polwurzel geht auch der Sensor für den Schwerkraftreiz verloren. Ab diesem Moment erkennt die Wurzel nicht mehr, wo oben und unten ist. Das Reizempfinden muss erst wieder hergestellt werden. Dieser Vorgang bindet pflanzliche Ressourcen, die die Pflanze dann nicht in das oberirdische Wachstum investieren kann.

Verhältnis von Wurzel und Spross

In der forstlichen Praxis wird untern dem Wurzel-Spross-Verhältnis oft das Verhältnis der Wurzeltiefe zur Sprosshöhe verstanden; tatsächlich basieren Angaben in der Fachliteratur aber meist auf Biomasse- bzw. Volumenverhältnissen. Viele Studien zeigen, dass Sämlinge mit größerer Wurzelmasse oder größerem Wurzelvolumen beim Auspflanzen im Freiland – insbesondere bei Trockenheit – besser wachsen und überleben als solche mit geringerer Wurzelmasse oder -volumen. "Kopflastige" Sämlinge bekommen unter trockenen Umweltbedingungen Probleme, weil das unzulängliche Wurzelsystem den Wasserbedarf des Sprosses nicht in ausreichendem Maß decken kann.

Sämlinge mit einem ausgeprägten Fein- und Feinstwurzelsystem sind leistungsfähiger. Sie besitzen eine relativ große Wurzeloberfläche mit vielen Wurzelspitzen. Eine wichtige Rolle spielen die Seitenwurzeln erster Ordnung als Ausgangsorte für die Verzweigung. Besonders Koniferen erschließen sich mit ihrer Hilfe die oberen Schichten des Waldbodens (Übergangsbereich zwischen Auflagehorizont und Mineralboden).

Der Wurzelschnitt und seine Auswirkungen

Während kein Zweifel herrscht, dass eine Beschädigung des Leittriebs, beispielsweise durch Verbiss, negative Auswirkungen hat, werden bei der Beschädigung der Wurzel kaum Bedenken laut. Der Wurzelschnitt führt aber unmittelbar zu einer abrupten Einschränkung der Wasser- und Nährstoffaufnahme sowie zur Störung des pflanzlichen Hormonhaushalts. Letzterer ist entscheidend für die aufeinander abgestimmte Entwicklung von Spross und Wurzel (Abb. 1). Das Streckungswachstum des Sprosses wird sofort reduziert, das Wachstum der unversehrt gebliebenen Wurzelteile ist nur geringfügig beeinflusst. Das Wasserpotential im Spross sinkt rasch ab und die Pflanze gerät in Trockenstress. Die Transpiration der Blätter überwiegt deutlich die Wasseraufnahme aus dem Boden; die Spaltöffnungen der Blätter verengen sich, wodurch Kohlendioxidaufnahme und damit die Photosynthese eingeschränkt werden.

Die Pflanzen streben in ihrem Stoffwechsel ein dynamisches Gleichgewicht zwischen dem internen Kohlenstofffluss und dem Nährstoff- und Wasserfluss an. Dieses Gleichgewicht wird eingestellt durch einen aufeinander abgestimmten Zuwachs von Spross und Wurzel. Phytohormone vermitteln dieses Gleichgewicht, die fungieren als Signalstoffe in der Wurzel-Spross-Interaktion (Abb. 1). Der Wurzelschnitt stört die Wurzel-Spross-Interaktion für einige Tage bis Wochen: Wird ein Großteil der Wurzelspitzen entfernt, reduziert sich die Produktion von Phytohormonen aus der Gruppe der Cytokinine drastisch. Damit kann der Spross vorübergehend keine Assimilate mehr für den eigenen Zuwachs nutzen. Der Spross bildet seinerseits Auxine und verlagert diese in die Wurzel. Die Auxine induzieren ein gesteigertes Längenwachstum der Wurzeln und eine intensive Bildung neuer Seitenwurzeln.

Zwei Arten von Wurzelschnitten

Unterschneiden in der Baumschule: Es führt zu einem kleinräumig kompakten Feinwurzelsystem, das bei der Verpflanzung ohne gravierende Wurzelverletzungen zu handhaben ist und Trocknisschäden entgegenwirkt. Bei fachkundiger Ausführung kann die Wurzel nach dem Schnitt innerhalb kurzer Zeit regenerieren, mit langfristigen Wachstumseinbußen der Pflanze ist nicht zu rechnen.

Wurzelschnitt vor der Pflanzung: Der Wurzelschnitt unmittelbar vor der Pflanzung wird häufig als wenig sinnvoll erachtet. Zu den unvermeidlichen Auswirkungen des Aushebens aus dem Saat- oder Verschulbeet (z.T. hoher Verlust von Feinwurzelmasse) kommen zusätzlich Wurzelmasseverluste durch Transport oder Einschlag. Das Verhältnis zwischen Wasser liefernder und Wasser verdunstender Oberfläche ist massiv verändert. Um zu überleben muss die Pflanze das Wurzelwerk wieder zu alter Größe ausbauen.

Wurzelschnitt: mit Bedacht

Ursprünglicher Zweck des Wurzelschnitts war, das Wurzelwerk routinemäßig so zu verkleinern und zu formen, dass es leicht und schnell in die Pflanzöffnung eingebracht werden kann. Heute wird der Wurzelschnitt nicht mehr routinemäßig durchgeführt, sondern nur um Verletzungen zu beseitigen und Wurzeldeformationen zu reduzieren. Der Wurzelschnitt sollte dann nur mäßig durchgeführt werden und nicht mehr als 20 Prozent der Fein- und Feinstwurzelmasse betreffen. Schnittflächen mit einem Durchmesser von mehr als vier Millimetern müssen vermieden werden. Der generelle Wurzelschnitt vor der Pflanzung muss mit einem großen Fragezeichen versehen werden, da der Schnitt zur Verstümmelung eines lebenswichtigen Organs führen kann, dessen Funktionen dadurch beeinträchtigt werden bzw. möglicherweise unwiederbringlich verloren gehen.

Folgerungen für Praxis und Forschung

Pflanzverfahren: Die Wahl des geeigneten Pflanzverfahrens ist wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Pflanzung. Es sollte so gewählt werden, dass die Wurzel möglichst unbeschadet in den Boden gebracht werden kann. Der Grundsatz lautet: "Die Pflanztechnik muss an die Pflanze angepasst werden". Generell sollte Pflanzverfahren der Vorzug gegeben werden, die ein großzügiges Pflanzlochvolumen schaffen und somit die naturgegebene Dreidimensionalität des Wurzelsystems gewährleisten.

Wurzelvolumen und Wurzel-Spross-Verhältnis: Um den Anwuchserfolg zu sichern, ist es nötig, dass das Wurzelwachstum sofort nach der Pflanzung einsetzt. Frische Pflanzen mit größerem Wurzelvolumen können Wasser besser aufnehmen, den Pflanzschock leichter überstehen und haben bessere Anwuchschancen. Die optimale Forstpflanze sollte eine harmonisch ausbalancierte, funktionale Beziehung zwischen Spross und Wurzel aufweisen.

Wasserversorgung: Der Pflanzschock ist gering, wenn die neu gepflanzten Sämlinge über genügend Bodenkontakt und Bodenwasser verfügen und eine geringe atmosphärische Verdunstung vorliegt. Bei trocken-warmer Witterung zur Pflanzzeit kann es zu einem ausgeprägten Wasserdefizit kommen. Dagegen sollte Vorsorge getroffen werden, beispielsweise durch die Wahl des besten Pflanzzeitpunkts (Herbstpflanzung) bzw. durch künstliche Bewässerung.

Forschungsbedarf: Aufgrund des limitierenden Kenntnisstandes sind weitere Untersuchungen an den forstlichen Forschungsanstalten nötig. Es müsste möglich sein, die Auswirkung verschiedener Pflanzverfahren und einzelner vorgelagerter Verfahrensschritte auf die verschiedenen Baumarten und Pflanzensortimente sowie für die wichtigsten Standorte herzuleiten.