Die Arve ist als typische und äusserst zähe Baumart im Alpenraum bekannt und wird deshalb sehr geschätzt. Im Schutzwald, zur Holzgewinnung oder als Landschaftselement kommt dieser Baumart vielseitige Bedeutung zu. Wie bei kaum einer anderen einheimischen Baumart widerspiegelt die heutige Verbreitung der Arve ihre Geschichte, die lange Zeit durch Übernutzung geprägt war. Hinzu kommt eine faszinierende Ausbreitungsstrategie, bei welcher Wind (Pollen) und Tannenhäher (Samen) wichtige Rollen spielen.

All diese Umstände werfen interessante Forschungsfragen auf. Die Gruppe "Ökologische Genetik" an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Genetik dieser Baumart. Das folgende Porträt vermittelt teils unerwartete Erkenntnisse aus vielschichtigen, genetischen Untersuchungen.

Ein Land vor unserer Zeit

Vor etwa 18'000 Jahren, nach dem Gletscherhöchststand der letzten Eiszeit, zogen sich die Gletscherzungen zurück und hinterliessen eine ausgeräumte Landschaft. Bäume hatten sich während der Vergletscherung an lokal begünstigte Stellen ausserhalb der Alpen zurückgezogen. Das Gebiet, in dem die Arve wahrscheinlich die letzte Eiszeit überdauert hat, wird am südöstlichen Alpenrand vermutet. Mit der Erwärmung im Holozän dehnten sich die Areale der Baumarten wieder aus. Die Arve erreichte ihre grösste Verbreitung vor etwa 7000 Jahren, danach wurde sie von der später einwandernden Fichte, der das wärmer und feuchter werdende Klima besser behagt, in höhere Lagen verdrängt (Abb. 2).

Eine so bewegte Geschichte hinterlässt ihre Spuren, und diese können mit modernen molekular-genetischen Methoden nachvollzogen werden (Gugerli und Sperisen 2010). Eine Untersuchung von 19 Arvenpopulationen in der Schweiz zeigte eine Abnahme der genetischen Vielfalt von Ost nach West (Gugerli et al. 2009). Dieses Resultat unterstützte die Hypothese eines einzigen Rückzugsgebietes im Südosten der Alpen: Die dort noch vorhandene genetische Vielfalt ging auf der Rückwanderung in die Westalpen graduell verloren. Neueste Ergebnisse weisen nun aber auf eine zusätzliche genetische Verwandtschaftslinie in der Südschweiz hin, die möglicherweise aus einem südlichen Rückzugsgebiet bis in die Zentralschweiz vorgedrungen ist. Dadurch gerät die Hypothese, dass die Arve nur von Osten her gegen Westen gewandert ist, ins Wanken.

Zweigeteilte Schweiz

Das Muster von nunmehr 57 genetisch charakterisierten Arvenbeständen (Abb. 3) lässt zwei genetische Gruppen im Osten und im Westen der Schweiz erkennen. Die Resultate stützen somit die Aufteilung der Arve in zwei Hauptregionen, wie sie Rikli (1909) bereits anfangs des letzten Jahrhunderts vorgeschlagen hat. Allerdings lässt das Muster auch die Annahme zu, dass die Arve während der letzten Eiszeit nicht nur im Osten, sondern auch im Westen der Alpen überdauert hat und von dort wieder in den Alpenraum eingewandert ist. Zudem gibt es den erwähnten Hinweis auf eine zusätzliche Gruppe im Süden. Um diese regionalen Muster verlässlich deuten zu können, sind ergänzende Proben aus den Süd- und Westalpen notwendig.

Was hingegen klar ist: Die genetische Struktur der Arve deutet auf natürliche Prozesse und wenige oder höchstens kleinräumige menschliche Einflüsse hin. Nur einzelne Bestände zeigen ein von der grossräumigen genetischen Struktur abweichendes Muster auf, was auch als Resultat seltener Fernausbreitung von Samen gedeutet werden kann.

Natürlich oder angepflanzt?

Martin Rikli stellte sich diese Frage schon vor gut hundert Jahren. Er schreibt dazu: "Da seit ungefähr dreissig bis vierzig Jahren in den höheren Lagen der Zentral- und Voralpen eine grosse Zahl von Arvenaufforstungen mit bestem Erfolge ausgeführt wurden, so dürfte es einem späteren Bearbeiter nicht immer leicht fallen, ohne Weiteres zu entscheiden, ob ein bestimmtes Vorkommen von Pinus cembra als zu deren natürlichem Areal gehörig zu deuten oder aber auf eine ehemalige Anpflanzung zurückzuführen ist." (Rikli 1909)

Das Amt für Wald des Kantons Bern (KAWA) interessierte sich ebenfalls für diese Frage. Sind die Arvenbestände im Berner Oberland natürlich oder – mit Saatgut aus fremder Herkunft – aufgeforstet? Und in welcher Beziehung stehen sie zu den südlich angrenzenden Arvenvorkommen im Wallis? Die Ergebnisse dieser regional verdichteten Beprobung legen nahe, dass die untersuchten Bestände als natürlich gelten können oder zumindest von regionaler Herkunft sind. Die Berner Oberländer Arvenbestände stehen in naher verwandtschaftlicher Beziehung zu den Beständen im Wallis – dies trotz der naturräumlichen Trennung durch hohe Berge und Gletscher. Dieses Resultat bestätigt die gemeinsame Herkunft in Bezug auf eiszeitliche Überlebensräume und Rückwanderungsrouten für dieses Untersuchungsgebiet.

Inzucht am Alpennordrand?

Die kleineren und isolierten Nordalpenbestände zeigen eine deutliche genetische Differenzierung zu den grossen Beständen im Hauptverbreitungsgebiet. Einige weisen eine geringe genetische Vielfalt auf, was auf Inzucht hinweist. Dadurch könnte sich beispielsweise die Fitness der Nachkommen reduzieren. Ein Keimungsexperiment mit Samen aus drei isolierten Nordalpenbeständen (Neuenalp und Flumserberge SG, Rautialp GL) und vier Beständen aus dem östlichen Hauptverbreitungsgebiet (Avers, Davos, St. Moritz, Zernez GR) überprüfte diese Vermutung (Abb. 4).

Die Resultate entsprachen – leider – der Hypothese (Salzer 2011): Der Samenansatz und der Keimungserfolg waren bei den isolierteren Beständen deutlich geringer. Die isolierten Nordalpenbestände, aber auch andere kleine Arvenvorkommen, sind demnach mit grosser Sorgfalt zu pflegen, damit genügend Jungwuchs aufkommt und sie somit langfristig erhalten bleiben.

Bunt gemischte Arvenfamilien dank Wind und Vogel

Gibt es genetische Struktur auch innerhalb eines Arvenbestands? Sind die mehrstämmigen Arven miteinander verwandt? Was auf den ersten Blick als akademische Neugier erscheinen mag, hat auch praktische Relevanz.

Umfangreiche Forschungsarbeiten von Hermann Mattes (1990) in den 1970er-Jahren zeigten, wie wichtig der Tannenhäher für die Verjüngung im Arvenwald ist. Damit endete eine jahrzehntelange Diskussion über den Nutzen oder Schaden dieser Vogelart. Die als Futtervorrat angelegten Samenverstecke enthalten meist mehrere Kerne, die in nächster Nähe keimen und oft miteinander verwachsen, wenn sie nicht verspeist werden. Solche mehrstämmigen Arven kommen häufig vor (Abb. 5). Bestäuben sie sich wiederum gegenseitig und landen deren Samen in einer nächsten Generation wieder zusammen im gleichen Versteck?

Über die Wirkung der Sammeltätigkeit des Tannenhähers auf die Familienstruktur der Arve können molekulare Marker Aufschluss geben. Dazu wurde eine Untersuchung im Arvenbestand auf der Glarner Rautialp durchgeführt (Abb. 6). Auf etwa 90 ha stehen dort über 1000 fortpflanzungsfähige Bäume unterschiedlichen Alters, dazwischen wachsen Jungbäume einzeln oder in kleinen Gruppen. Alle fortpflanzungsfähigen Individuen und eine Stichprobe der jungen Bäume wurden kartiert und beprobt. Ihre Genetischen Fingerabdrücke ermöglichten, die Verwandtschaftsbeziehungen zu entschlüsseln (Salzer 2011).

Tatsächlich sind Arven, die nahe beieinander stehen, näher verwandt als solche, die weiter voneinander entfernt stehen. Der Arvenwald besteht also vorwiegend aus Grossfamilien oder Sippen. Bei etwa der Hälfte der Jungbäume konnten zudem die Eltern im Bestand bestimmt werden und es liess sich berechnen, wie weit der Pollen zwischen Mutter und Vater ausgebreitet wurde. Über welche Strecke der Samen vom Tannenhäher getragen wurde, lässt sich aus der Distanz vom Jungbaum zur Mutter ableiten. Pollen- und Samenausbreitung erfolgte zumeist innerhalb weniger Dutzend Meter, die maximalen Distanzen lagen jedoch bei mehreren Hundert Metern. Daraus ergaben sich mittlere Ausbreitungsdistanzen von etwa 200 m sowohl für Pollen als auch für Samen. Dieses Ergebnis überrascht, da der sehr leichte Pollen durch den Wind nicht weiter ausgebreitet wird als die schweren Samen durch den Tannenhäher.

In den dichteren Waldbereichen waren die Bestäubungsdistanzen eher gering. Dort war somit die Chance auf Verwandtenpaarung, also Inzucht, erhöht. Der Extremfall von Inzucht, nämlich Selbstung, konnte bei etwa 10% der Jungbäume festgestellt werden, was für eine Föhrenverwandte ungewöhnlich hoch ist und auch mit der geringen Grösse des Bestands zusammenhängen dürfte. Zudem zeigte sich, dass nur in jeder fünften Gruppe von Sämlingen, die aus einem einzelnen Samenversteck aufgekommen waren, Halbgeschwister vorkamen, welche die gleiche Mutter, aber verschiedene Väter hatten.

Aus all diesen Resultaten lässt sich das Sammelverhalten des Tannenhähers ableiten. Der Vogel versteckt Samen von einem oder mehreren Mutterbäumen am selben Ort. Dies führt zur stellenweisen Anhäufung verwandter Individuen, die über Generationen hinweg erhalten bleibt. Mehrstämmige Arven können somit aus verschiedenen, aber genetisch ähnlichen Individuen bestehen. Trotz dieser eher gerichteten, kleinräumigen Ausbreitung gibt es gelegentlich Pollen- und Samentransport über die ganze Rautialp. Zudem konnte auch Pollen- und Sameneintrag von ausserhalb des Bestands festgestellt werden. Demnach erscheint das Werk des "gefiederten Försters" im Zusammenspiel mit dem Wind, der Pollen verfrachtet, für die Arve auch in einem isolierten Bestand nachhaltig, da die Ausbreitung zu einer gewissen genetischen Durchmischung führt.

Molekular-genetische Untersuchungen

Für die beschriebenen Untersuchungen werden ähnliche Verfahren wie in der Kriminalistik oder bei Vaterschaftstests beim Menschen angewendet. Für eine molekular-genetische Analyse benötigt man wenig Material, im Fall von Arven sind es ein paar Nadeln. Im Labor wird daraus das Erbmaterial, die DNA (Deoxyribonucleic acid), gewonnen. Anhand von molekularen Markern in der DNA kann der genetische Fingerabdruck bestimmt werden. Je nach Übereinstimmung oder Unterschieden in den genetischen Fingerabdrücken können die Eltern von Nachkommen zugeordnet und Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb und zwischen Populationen bestimmt werden.

Frassschädling oder "gefiederter Förster"?

Die Ausbreitung der flugunfähigen, aber nährstoffreichen Arvensamen wird durch den Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes) besorgt. Ohne Häher würden die Samen nur um den Mutterbaum herum oder hangabwärts ausgebreitet werden. Ein Häher hingegen legt jeden Herbst gegen 10'000 Vorratsverstecke mit bis zu zehn Samen an. Davon nutzt er im Verlaufe des Jahres ca. 80% für sich und die Aufzucht seiner Jungen. Aus den nicht wiedergefundenen Verstecken können in den Folgejahren Arven auskeimen. Für den Häher gut zugängliche Samenverstecke bieten auch optimale Bedingungen für die jungen Bäumchen: im Rohhumus und oft an Stellen, die auch im Winter gut besonnt und schneearm sind. Die konkurrenzschwache Arve erhält so eine effektive Ausbreitung und Verjüngung bis über die heutige Waldgrenze hinaus, während der Häher von den energiereichen Samen profitiert. mehr dazu

Empfehlungen für den Waldbau

Naturverjüngung kombiniert mit gezielten Pflegeeingriffen wird von der Praxis allgemein als die sinnvollste waldbauliche Strategie erachtet. Wenn Arvenpflanzungen vorgesehen sind, sollte die räumlich-genetische Struktur berücksichtigt und die lokal vorhandene genetische Vielfalt möglichst erhalten bleiben. Letzteres ist insbesondere bei kleinen, isolierten Beständen am Rand des Verbreitungsgebiets wichtig. Somit lassen sich aus genetischer Sicht folgende Empfehlungen ableiten:

  • Saatgut oder Jungwuchs aus dem westlichen Gebiet sollten nicht im östlichen Arven-Hauptareal verwendet werden – oder umgekehrt. Die genetische Gruppierung in ein West- und ein Ostareal ist zu respektieren.
  • Um die standörtliche Eignung zu nutzen, sollte lokales Saatgut für Pflanzungen gesammelt und angezogen werden.
  • Es ist sinnvoll, innerhalb eines Bestands so viele Mutterbäume wie möglich zu beernten, damit im Saatgut die lokal vorhandene genetische Vielfalt enthalten ist.
  • Wegen der möglichen Verwandtschaft von nahe stehenden Bäumen sollte zwischen Samenerntebäumen ein Abstand von >50 m eingehalten werden.
  • Das Freistellen fortpflanzungsfähiger Arven macht diese leicht zugänglich für Pollen aus unterschiedlichen Richtungen und Distanzen. Dadurch wird das Saatgut genetisch vielfältig.

In den hundert Jahren nach Veröffentlichung der Monografie von Rikli hat sich einiges für die Arve zum Guten gewendet. Die wichtigste Erkenntnis ist sicher die, dass der Tannenhäher eifrig für die Verjüngung der Arve besorgt ist und sein Tun bei Förstern und Waldbesitzern keine falschen Befürchtungen mehr auslöst. Das heute vorhandene Arvenareal weist trotz starker Fragmentierung eine noch vielfältige und zumeist durch natürliche Prozesse geformte genetische Struktur auf. Dank ihrer grossen Anpassungs- und ihrer effektiven Ausbreitungsfähigkeit könnte es der Arve gelingen, der fortschreitenden Erwärmung zu trotzen und ihr Areal den sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen

Literatur

  • Gugerli, F., Rüegg, M., Vendramin, G. G. 2009: Gradual decline in genetic diversity in Swiss stone pine populations (Pinus cembra) across Switzerland suggests postglacial re-colonization into the Alps from a common eastern glacial refugium. In: Botanica Helvetica, 119, 13–22.
  • Gugerli, F., Sperisen, C. 2010: Genetische Struktur von Waldbäumen im Alpenraum als Folge (post)glazialer Populationsgeschichte. In: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 161, 207–215.
  • Mattes, H. 1990: Die Lebensgemeinschaft von Tannenhäher und Arve. Eidgenössische Forschungsanstalt für das forstliche Versuchswesen, Birmensdorf.
  • Rikli, M. 1909: Die Arve in der Schweiz. In: Neue Denkschriften der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft, 44, 1–455.
  • Salzer, K. 2011: Wind- and bird-mediated gene flow in Pinus cembra: effects on spatial genetic structure and potential close-relative inbreeding. Dissertation, WSL Birmensdorf, 110 S.

(TR)