Die in Waldbäumen gespeicherte genetische Information ist nicht allein von zentraler Bedeutung für den Ertrag forstlicher Produktionssysteme, sondern bestimmt auch das evolutionäre Anpassungspotential von Baum-Populationen. Die Gene stellen somit eine im Interesse der Stabilität von Waldökosystemen nachhaltig zu bewirtschaftende Ressource dar. Forstpflanzenzüchtung und die Erhaltung forstgenetischer Ressourcen sind in diesem Kontext wichtige Anwendungen forstgenetischer Forschung.

Forstpflanzenzüchtung

Die Erkenntnis, dass sich die Ausprägungen ertragsbestimmender Merkmale auch bei Waldbäumen durch eine geeignete Auswahl von Vermehrungsgut verändern lassen, hat spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts dazu geführt, das für die künstliche Bestandesbegründung verwendete Material gezielt zu beernten.

Zunächst verglich man vorwiegend das Wachstum von aus verschiedenen Beständen gewonnenen Absaaten in Provenienzversuchen. Aus solchen Versuchen gewonnene Erkenntnisse bilden eine wichtige Grundlage für Empfehlungen zur Auswahl geeigneten Saat- und Pflanzgutes. Insbesondere bei weitverbreiteten Koniferen der gemässigten und borealen Zone wurde schon bald auch die grosse genetische Variation innerhalb von Populationen in Nachkommenschaftstests nachgewiesen. Bei zahlreichen Arten verklonten Genetiker aus verschiedenen Beständen selektierte "Plus-Bäume" und stellten sie zu Klon-Samenplantagen zusammen.

Die konventionellen Züchtungsverfahren basieren vorwiegend auf dem Vergleich genetisch voneinander differenzierter Kollektive in langfristig angelegten Feldversuchen. In vielen Fällen liess sich auf diese Weise das angestrebte Ziel einer Erhöhung des Massen- und/oder Wertertrags erreichen. In Anbetracht einer rasch wachsenden Weltbevölkerung und global schwindender Waldflächen wird sich der Bedarf nach Holz und anderen Waldprodukten nur dann nachhaltig befriedigen lassen, wenn sich die Produktivität umfangreicher Waldflächen deutlich steigert. Forstpflanzenzüchtung wird in diesem Zusammenhang auch künftig ein unverzichtbarer Bestandteil intensiver forstlicher Produktionssysteme sein.

Trotz ihrer unzweifelhaften Bedeutung in Vergangenheit und Zukunft stellt die Forstpflanzenzüchtung nicht die Grundlage, sondern lediglich eine Anwendung forstgenetischer Arbeiten dar. Dieser Hinweis ist bedeutsam, weil sich forstgenetische Forschung in vielen Ländern aus der Züchtung von Waldbäumen entwickelt hat. In Ländern, in denen Forstpflanzenzüchtung keine grosse Bedeutung hat, ist Forstgenetik daher häufig ein noch recht junges Forschungsfeld. Dies gilt auch für die Schweiz. Aufgrund der grossen Heterogenität der Standortsbedingungen, der kleinflächigen Bewirtschaftung, der langen Tradition eines naturnahen Waldbaus und des erheblichen Anteils natürlich verjüngter Wälder ist hier an den grossflächigen Anbau züchterisch bearbeiteter Populationen kaum zu denken, und demzufolge ist auch die Züchtung von Waldbäumen nicht prioritär.

Erhaltung forstgenetischer Ressourcen

Die genetische Information von Waldbäumen beeinflusst nicht allein den Ertrag intensiv bewirtschafteter Plantagen, sondern stellt eine fundamentale Basis für die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Umweltbedingungen dar und ist somit ein Faktor, der die Stabilität von natürlichen, naturnahen und stark durch den Menschen beeinflussten Waldökosystemen massgeblich bestimmt.

Diese Erkenntnis gewann an Bedeutung, als das Ausmass des menschlichen Einflusses auf die natürliche Umwelt offenbar wurde. Weiträumig, teilweise sogar global spürbare Effekte wie Immissionen in Waldökosysteme und Klimaveränderung, aber auch Saatguttransfer durch den Menschen und die lokale Bewirtschaftung liessen eine in ihren Konsequenzen kaum vorhersehbare Veränderung genetischer Strukturen befürchten. Die Notwendigkeit, gezielte Bemühungen zum Schutz forstgenetischer Ressourcen zu ergreifen, gewann als weitere Anwendung forstgenetischer Forschung an Bedeutung und entsprechende Massnahmen wurden auch in der Schweiz eingeleitet (Genreservate).

Populationsgenetik und Erforschung genetischer Systeme

Die Organisation und Weitergabe genetischer Information sowie die Typen und die Anzahl der von einer Population gebildeten genetischen Kombinationen werden durch das genetische System einer Art bestimmt. Der Fortbestand einer Art hängt entscheidend von deren genetischem System ab.

Massnahmen zum Schutz forstgenetischer Ressourcen zielen nun in der Regel weniger auf die unveränderte, statische Konservierung genetischer Strukturen oder gar den Schutz besonderer Genotypen ab. Vielmehr wird die Erhaltung oder, soweit notwendig, die Wiederherstellung der Integrität des genetischen Systems einer Art angestrebt, um somit die entscheidende Voraussetzung für die Erhaltung der Anpassungsfähigkeit zu schaffen.

Die genetische Variation einer Art manifestiert sich sowohl innerhalb von Populationen als auch zwischen diesen. Das zu einem gegebenen Zeitpunkt vorliegende räumliche Muster genetischer Variation ist einerseits durch die Wirkung der Evolutionsfaktoren in der Vergangenheit entstanden. Andererseits bestimmt dieses Muster auch das evolutionäre Anpassungspotential an künftige Veränderungen der Umwelt.

Aufgrund der für Waldbäume leider unbekannten, aber sicherlich enorm hohen Zahl variabler Genorte ist es aber weder jetzt noch in absehbarer Zukunft möglich, das gesamte Muster genetischer Variation einer Population vollständig zu charakterisieren. Vielmehr wird man sich auch künftig mit einer nur kleinen Auswahl unmittelbar beobachtbarer, umweltstabiler Merkmale zufrieden geben müssen, um genetische Variation zu beschreiben.

Genetische Inventuren

Untersuchungen zur Erfassung der genetischen Variation innerhalb von und zwischen Populationen an ausgewählten Markergenen werden genetische Inventuren genannt. Da durch Analyse biochemischer und molekularer Genmarker jedoch nur ein kleiner Teil der gesamten genetischen Variation einer Art erfasst werden kann, sind den Möglichkeiten, mittels genetischer Inventuren unmittelbar Aussagen über das evolutionäre Anpassungspotential einer Art treffen zu können, enge Grenzen gesetzt.

Genmarker eignen sich gut, um Aussagen über die evolutionäre Vergangenheit einer Population oder gar einer Art zu treffen. Vielfach bietet es sich zu diesem Zweck an, Genmarker mit unterschiedlichem Vererbungsgang und unterschiedlichem Variationsmuster zu kombinieren. Ist auf diese Weise die Rolle der Evolutionsfaktoren in der Vergangenheit von Populationen geklärt, so lassen sich auch indirekt Schlüsse zum genetisch bedingten Anpassungspotenzial treffen (Abb. 4).

Genmarker sind kurze, künstlich hergestellte DNA-Schnipsel, die sich an spezifische Genabschnitte im Erbgut anheften. Anhand der Genmarker können die Forscher schnell erkennen, ob in einer Pflanze die gewünschten Gene vorhanden sind.

Quelle: Wikipedia

Beispiel: Das genetische System der Eichen in der Schweiz

Schlussfolgerungen und Ausblick

Für die Mehrzahl der in Mitteleuropa weit verbreiteten, bestandesbildenden Waldbäume liegen inzwischen auf der Untersuchung von Marker-Genorten basierende Ergebnisse genetischer Inventuren vor. Die meisten dieser Arten sind genetisch sehr variabel und zeigen eine nur mässige Differenzierung zwischen Populationen an biparental vererbten Genorten, aber deutlich höhere Differenzierung bei maternal vererbten Markern. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Variationsmustern, die auf Genmarkern basieren, und dem aus waldökologischer Sicht zentralen evolutionären Anpassungspotential ist häufig nur schwer zu erkennen.

Die genetischen Strukturen von Waldbaum-Populationen unterliegen zeitlicher Dynamik, die insbesondere während der sexuellen Reproduktion und unmittelbar folgender Stadien erstaunlich hoch ist. Dieser experimentell vielfach bestätigte Sachverhalt impliziert die Möglichkeit einer raschen Veränderung genetischer Strukturen durch menschliche Einflussnahme auf Waldökosysteme. Die genetischen Konsequenzen der vielfältigen Beeinflussung durch die lokale Bewirtschaftung sowie regional und global wirkende Umweltveränderungen sind jedoch nur unzureichend erforscht.

Nach bisherigen Erkenntnissen scheinen die genetischen Systeme zumindest bestandesbildender Waldbaumarten relativ robust zu sein, so dass das evolutionäre Anpassungspotential dieser Arten nur ausnahmsweise selbst durch drastische anthropogene Umweltveränderungen gefährdert sein dürfte, solange eine naturnahe Waldbewirtschaftung möglich ist und durchgeführt wird. Bei zersteut und in geringer Dichte auftretenden Baumarten insbesondere, aber nicht allein des Tropenraums scheinen dagegen die Gefährdungen durch Änderungen der Landnutzung (Waldzerstörung, Fragmentierung), der Waldbewirtschaftung (sowohl Intensivierung als auch Extensivierung) und weiterer landschaftsrelevanter Tätigkeiten des Menschen ungleich bedrohlicher. Forschung zum Schutz forstgenetischer Ressourcen wird sich daher künftig verstärkt mit den genetischen Systemen seltener, in geringer Dichte auftretender Arten befassen.