In den letzten zehn Jahren hat die Forschungsanstalt WSL mit Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) bei verschiedenen Baumarten der Schweiz genetische Vaterschaftsanalysen durchgeführt. Dabei werden Samen einiger Bäume und Blätter aller Bäume der untersuchten Art in einem Bestand gesammelt. Man kennt also die Mutterbäume und deren Nachkommen sowie alle infrage kommenden Vaterbäume innerhalb eines Bestandes.

Mit genetischen und statistischen Methoden kann man dann feststellen, welcher Samen eines Mutterbaums von welchem Vaterbaum befruchtet wurde oder ob keiner der Bäume innerhalb des Bestands als Vater in Betracht kommt. So lässt sich herausfinden, welche Vaterbäume einen Mutterbaum bestäuben, über welche Distanzen hinweg Befruchtungen durch Pollen und damit genetische Durchmischung stattfindet oder ob und wie viel Polleneintrag von ausserhalb des Bestandes auftritt.

Wir haben mit solchen genetischen Vaterschaftstests häufige und seltene, insektenbestäubte und windbestäubte, Mittelland- und Gebirgsbaumarten untersucht, nämlich Eichen, Wildbirne, Elsbeere, Speierling, Schwarzpappel und Arve.

Beispiel Wildbirne

Die Wildbirne ist eine seltene Baumart in der Schweiz. Meist kommt sie nur in kleinen Beständen von weniger als 50 Bäumen vor (Abb. 1). Die Wildbirne blüht im Frühling (Abb. 2) und wird von vielen verschiedenen Insekten bestäubt. Als Beispiel für die Pollenausbreitung bei dieser Baumart zeigen wir Resultate für einen Wildbirnen-Mutterbaum in einem Bestand bei Effingen im Aargauer Jura (Abb. 3).

Dieser Mutterbaum wurde von verschiedenen anderen Wildbirnen im Bestand bestäubt. Viele dieser Vaterbäume stehen nah beim Mutterbaum, einige befinden sich hingegen in grösserer Distanz. 36% der Samen dieses Mutterbaums wurden zudem von Vätern ausserhalb des Bestandes bestäubt, denn es wurden keine passenden Vaterbäume für die betreffenden Nachkommen im Effinger Bestand gefunden. Die nächsten Wildbirnen stehen einen bis mehrere Hundert Meter vom untersuchten Bestand entfernt.

Im Durchschnitt aller untersuchten Mutterbäume in diesem Bestand wurden 51% des Pollens, der von Vätern innerhalb des Bestands stammte, über weniger als 10 m, 28% zwischen 10 und 40 m und 21% zwischen 40 und 120 m weit ausgebreitet. Der Polleneintrag von aussen für den ganzen Bestand betrug 36%.

Beispiel Eiche

Die Pollenausbreitung bei den windbestäubten Trauben- und Stieleichen (Abb. 4) haben wir in einem Bestand bei Büren an der Aare untersucht. Dieses Bespiel zeigt, dass in dem von Stieleichen dominierten Waldstück vorwiegend innerhalb der jeweiligen Art erfolgreiche Befruchtungen stattfanden (Abb. 5).

Nur wenige Nachkommen (<2%) entstanden aus zwischenartlichen Kreuzungen, wobei bevorzugt eine Stieleiche als Vater auftrat. Letzteres dürfte mit dem unausgeglichenen Verhältnis der beiden Arten im Bestand zu erklären sein, sodass das Angebot an Stieleichenpollen überwog. Der Anteil an Hybriden einer Einzelbaumabsaat variierte allerdings stark zwischen den Mutterbäumen.

Wie bei der insektenbestäubten Wildbirne fanden wir zumeist nahe stehende Bäume als Väter von Samen eines Mutterbaums. Dennoch stellten wir eine Pollenausbreitung bis maximal 346 m innerhalb des Bestands fest. Polleneintrag von ausserhalb des Bestands machte im Durchschnitt sogar 53% aus. Dies schliesst vermutlich Fernausbreitung über Hunderte von Metern ein. Ein Teil dieses Pollens dürfte indessen nicht weit geflogen sein, da weitere Eichen angrenzend an das Untersuchungsgebiet vorkamen.

Was sind die Konsequenzen?

Ein positives Resultat ist, dass viele Bäume an der Nachkommenschaft eines Bestandes beteiligt sind. Es kommt also zu einer guten Durchmischung der Gene, selbst in kleinen Beständen. So wird sowohl die geneti­sche Vielfalt als auch das Anpassungsvermögen der Bäume in natürlich verjüngten Flächen, aber auch in Samenerntebeständen, erhalten. Ein dauernd mit neu eingetragenen Genen aufgefrischtes Anpassungspo­ten­zial ist gerade dann für einen Baumbestand überlebenswichtig, wenn sich die Umweltbedingungen rasch ändern, so wie gegenwärtig das Klima.

Die gute genetische Durchmischung kann zusätzlich gefördert werden, indem Einzelbäume freigestellt werden und diese dadurch mehr Blüten und Samen bilden. Die unterschiedlichen Anteile der Väter am Saatgut einer Mutter sollten ebenfalls berücksichtigt werden, um die lokale genetische Vielfalt zu erhalten, sei es bei der Saatguternte (viele Mutterbäume verteilt über den ganzen Bestand einbeziehen) oder bei der Förderung der Naturverjüngung (eher einige kleine Flächen statt eine grosse verjüngen).

Diese gute Durchmischung hat aber auch eine negative Seite. Falls zwei Baumarten bastardieren, sich also gegenseitig befruchten können, muss damit gerechnet werden, dass dies auch über grosse Distanzen geschieht. Bekannt sind die natürlicherweise auftretenden Bastarde zwischen der Elsbeere und der Mehlbeere oder bei Stiel-, Trauben- und Flaumeiche. Problematisch kann das aber bei der Einführung von nicht einheimischen Baumarten sein. Falls sich diese mit einheimischen Baumarten fortpflanzen können, wird dies über kurz oder lang auch geschehen.

Ein grosser Teil des erfolgreichen Pollens stammt von ausserhalb eines Bestandes, sodass Gene oft auch dann zwischen Beständen ausgetauscht werden, wenn diese räumlich isoliert sind. Man möchte annehmen, dass in diesem Fall der Austausch von Pollen und Genen unwahrscheinlich ist, und nur gelegentlich und zufällig vorkommt. Das muss aber nicht der Fall sein: Auch räumlich relativ weit voneinander getrennte Bestände können über den Pollenflug miteinander vernetzt sein. Beim insektenbestäubten Speierling konnten wir im Kanton Schaffhausen zum Beispiel Pollenaustausch über 16 km hinweg nachweisen. Auch seltene Waldbäume sind also besser genetisch vernetzt, als wir oft denken. Somit dürfte bei vielen kleinen Beständen von Waldbäumen weniger die Vernetzung als die oft fehlende Verjüngung ein Problem darstellen. Diese lässt sich aber durch waldbauliche Eingriffe fördern.

Diese Art genetischen Austauschs zwischen Beständen hat allerdings eine negative Seite. Erstens wird selbst bei räumlich isolierten Samenerntebeständen ein beträchtlicher Anteil der Samen von Bäumen ausserhalb des Bestands bestäubt. Die geernteten Samen tragen also eine Mischung der gewünschten Eigenschaften des Samenerntebestandes und der vielleicht unerwünschten Eigenschaften von aussen. "Rein" ist das Saatgut somit kaum. Das Gleiche gilt auch für Generhaltungsbestände. Es ist nicht möglich, diese gegenüber Geneintrag von aussen abzuschirmen.

Diese Vernetzung von Bäumen und Beständen, die durch Pollenflug und durch die hier nicht untersuchte Samenausbreitung entsteht, fördert also die weiträumige genetische Durchmischung. Es bewegen sich somit Gene durch die Landschaft und kommen an Orte und in Bestände, wo sie vorher nicht vorhanden waren. Im Hinblick auf die sich verändernden Umweltbedingungen heisst das, dass Gene dorthin transportiert werden, wo sie in Zukunft das ihnen passende Klima antreffen könnten. Damit ist die Voraussetzung für Selektion geschaffen: Wo genetische Vielfalt vorhanden ist, kann die natürliche Auslese ansetzen und können sich die angepassten Bäume bzw. Gene durchsetzen. Diesen Prozess gilt es zu erhalten.

Die wichtigsten Resultate in Kürze
  • Innerhalb eines Bestandes tragen viele Bäume zur Fortpflanzung bei. Dabei werden Mutterbäume zwar zu einem grossen Teil, aber nicht ausschliesslich durch die nächstliegenden Bäume bestäubt, sondern die bestäubenden Vaterbäume können über den ganzen Bestand hinweg verstreut sein. Dies gilt sowohl für wind- als auch für insektenbestäubte Baumarten.
  • Die Samen eines einzelnen Mutterbaums weisen auf ungleichen Fortpflanzungserfolg einzelner Vaterbäume hin: Wenige Väter sind dominierende Bestäuber, während viele Väter wenige Nachkommen zeugen. Dieser ungleiche Fortpflanzungserfolg führt dazu, dass die Samen von einem Baum zwar von vielen Vätern bestäubt wurden, letztere aber ihre Gene unterschiedlich häufig an die nächste Generation weitergeben.
  • Ein grosser Prozentsatz der Samen eines Bestandes wird von Bäumen ausserhalb des Bestandes bestäubt. Diese Vaterbäume können mehrere Hundert Meter oder sogar mehrere Kilometer entfernt liegen. Natürlich ist dieser Prozentsatz je nach Situation verschieden, aber er ist generell hoch, und dies gilt erstaunlicherweise sowohl für räumlich vernetzte als auch für isolierte Bestände. Genau die gleichen Schlussfolgerungen, wie wir sie hier für Pollenfernflug ziehen, wurden in zahlreichen Untersuchungen aus der ganzen Welt gefunden. Damit muss man immer mit beträchtlichem Polleneintrag, und somit auch Geneintrag, von ausserhalb eines Bestandes rechnen.