Die Kastanie (Castanea sativa) ist auf der Alpensüdseite unter 1000 m die dominierende Baumart. Damit prägt sie das Landschaftsbild. Allerdings werden Kastanienwälder seit ungefähr 50 Jahren praktisch nicht mehr bewirtschaftet, weil es sich weitgehend um Niederwälder handelt, die nicht nachgefragte Kleinsortimente wie Pfähle, Brennholz usw. produzieren.

Mit den heutigen unbehandelten und überalterten Niederwäldern lässt sich kaum Qualitätsholz produzieren, da unregelmässig gewachsenes Kastanienholz stark zur Ringschäligkeit neigt. Damit liegt aber ein enormes Wachstumspotenzial brach. Aufgegebene Kastanienwälder werden mit der Zeit von anderen Baumarten kolonisiert und neigen dazu, sich zu Mischwäldern zu entwickeln. Das würde das Landschaftsbild unter Umständen stark beeinflussen.

Ziel: In 40 Jahren qualitatives Kastanienrundholz

Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, könnte man das Wuchspotenzial der Kastanie besser nutzen. Überführungsdurchforstungen haben bisher nicht sehr Erfolg versprechende Resultate gezeitigt. Weshalb nicht die enorme Stokkausschlagfähigkeit der Kastanie ausnützen und durch wenige, starke Eingriffe jene Sortimente produzieren, die sich vermarkten lassen? Wissenschafter in Italien und Frankreich haben bereits mit solchen Ideen experimentiert.

In drei neuen Versuchsflächen, in Bedano bei Lugano, in Gerra Gambarogno am Lago Maggiore und in Pura im Malcantone konnten wir mit Hilfe des Forstdienstes drei je ca. 1,5 ha grosse Niederwald-Kahlschläge ausführen. Die sich nach dem Schlag einstellenden Stockausschläge bilden die neue Generation, der unser eigentliches Interesse gilt. In einem klassischen Blockversuch – zwei Durchforstungsvarianten und eine Nullfläche, pro Versuchsanlage drei mal wiederholt – prüfen wir unsere Forschungsfragen:

  • Welches ist die beste Methode, um in Umtriebszeiten von 30–40 Jahren regelmässig gewachsenes, qualitatives Kastaniensägerundholz von 30–40 cm Durchmesser zu erzeugen?
  • Welches sind die Faktoren, die für die Bildung von Stockausschlägen massgebend sind?
  • Welche Rolle spielen Kernwüchse bei der neuen Generation?
  • Wie wirkt sich die Bestandesbehandlung auf die Holzqualität, insbesondere auf die Ringschäligkeit aus?

Das gesamte Projekt soll bis zum Abschluss einer ersten Generation 30- 40 Jahre laufen und gehört damit zu den relativ kurzen ertragskundlichen Versuchen.

Auferstehung von den Toten?

Bei diesem Experiment erhielten wir ein verblüffendes Resultat: 79% der Stöcke, an denen keine sichtbaren lebenden Teile vorhanden waren, schlugen wieder aus. In 17 Fällen trugen "offensichtlich tote Stöcke" sehr kräftige 2 Jahre alte Loden von mehr als 2 m Länge, in 3 Fällen sogar von mehr als 3 m. Im Mittel produzierten die Kastanienstöcke in Bedano in 2 Jahren 48 Loden. Nach 4 Jahren trugen die Stöcke noch 25 lebende Loden, das Material für den Durchforstungsversuch der Zukunft.

Loden sind in der Regel im Forstgarten angezogene und verschulte, kräftige, 1 m hohe Laubholzpflanzen (Quelle: lexika.tanto.de). Hier wird darunter ein Stockausschlag verstanden.

Bleibt die Frage, wie "tote Stöcke" ausschlagen können. Wir haben dazu eine Hypothese, die sich mit Hilfe der Genetik überprüfen liesse: Es könnte sich um Wurzelverwachsungen verschiedener Individuen handeln oder benachbarte Stöcke könnten zum selben Individuum gehören, das unterirdisch verbunden ist. Im Weiteren konnten wir zeigen, dass die Ausschlagfähigkeit, definiert als Anzahl Stockausschläge pro Stock, nicht nur von der Stockgrösse (Umfang) abhängig ist, sondern auch von der Konkurrenz (Distanz zum nächsten Stock), Schnitthöhe und Schnittqualität.

 

(TR)