In der Schweiz nahmen gleichförmige, dichte Gebirgsfichtenwälder im letzten Jahrhundert zu. Solche Waldestände können Ursache für waldbauliche Probleme sein, weil durch mangelnde Verjüngung die Toleranz des Waldes gegenüber Störungen oft stark vermindert ist. In diesem Artikel fassen wir einige Ergebnisse von Forschungsarbeiten zusammen und diskutieren sie im Hinblick auf die Bedeutung für die Gebirgswaldbewirtschaftung.

Aufgrund von jahrhundertelanger, intensiver Nutzung waren unsere Gebirgsfichtenwälder vor wenigen Jahrzehnten meistens viel offener als heute. Übernutzte, überalterte und wenig schutzwirksame Wälder, in denen kaum Verjüngung und Totholz vorhanden waren, prägten den Alpenraum im 19. Jahrhundert. Der aus Gründen der Schutzfunktion nötig gewordene Wiederaufbau der Gebirgswälder sowie zunehmende Extensivierungen in Land- und Forstwirtschaft führten danach zu einer starken Zunahme und Verdichtung des Waldes.

Obwohl fichtendominierte Gebirgswälder gegen die obere Waldgrenze hin meist offener, strukturierter und rottenförmiger werden, gibt es in der subalpinen Stufe heute auch dichte, gleichförmige Wälder, welche diesem typischen Bild nicht entsprechen. Solche Wälder entfalten derzeit in der Regel eine gute Schutzwirkung gegenüber Steinschlag und Lawinen. Allerdings kommt hier unter einem geschlossenen Kronenschirm kaum Verjüngung auf, was die Toleranz des Waldes gegenüber Störungen (Resilienz) stark vermindert. Insbesondere in gedrängten Gebirgsfichtenbeständen (ca. 5.4% der subalpinen Wälder oberhalb 1600 m ü. M.) tragen konkurrenzbedingte Mortalität, Kronenverkürzung und erhöhter Schlankheitsgrad zusätzlich zur Störungsanfälligkeit bei.

Abb. 1 - Illustration der Selbstdifferenzierungsphase in Gebirgsfichtenwäldern: links frühes Stadium (Klosters), rechts fortgeschrittenes Stadium (Parangalitsa-Reservat, Bulgarien). Fotos: Frank Krumm (WSL) / Momchil Panayotov (Universität Sofia)

Fragestellung

An der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL sind in den letzten Jahren verschiedene Forschungsarbeiten der Frage nachgegangen, wie sich gleichförmige, dichte Gebirgsfichtenwälder über die Zeit verändern. In diesem Artikel fassen wir einige Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten zusammen und diskutieren sie im Hinblick auf die Bedeutung für die Gebirgswaldbewirtschaftung. Insbesondere fragen wir uns, wie lange Selbstdifferenzierungsphasen (Abb. 1 und 2) dauern, in welchen räumlichen Skalen sie ablaufen und wie ungünstige Entwicklungen durch waldbauliche Massnahmen allenfalls verhindert werden können.

Dazu haben wir Daten des Schweizerischen Landesforstinventars (LFI) zwischen 1983/85 und 2004/06 analysiert und dendroökologische Aufnahmen sowie Wiederholungsaufnahmen von langfristigen waldwachstumskundlichen Versuchsflächen der WSL ausgewertet.

Die wichtigen Ergebnisse in Kürze

Gemäss Daten des Schweizerischen Landesforstinventars weisen rund 24% der reinen Fichtenwälder oberhalb von 1600 m ü. M. geschlossene Bestandesstrukturen auf (Schlussgrad locker bis gedrängt). LFI-Flächen in diesen Gebirgsfichtenwäldern zeigen seither meist zunehmende Grundflächen, gleichbleibende Stammzahlen, stark steigende Totholzvolumen und eher zunehmende Verjüngungsdeckungsgrade.

Die dendroökologischen Untersuchungen bestätigen, dass die Bäume in den heute meist 80- bis 150-jährigen, dichten Beständen meistens schon nach wenigen Jahrzehnten von konkurrenzbedingten Wachstumseinschränkungen und Selbstdifferenzierungsprozessen geprägt waren, welche derzeit noch andauernde und bisher meistens relativ kleinflächige Mortalitätsprozesse auslösten.

Wiederholungsaufnahmen in waldwachstumskundlichen Beobachtungsflächen bestätigen insgesamt diese Dominanz von relativ kleinflächigen Prozessen und zeigen auch Potenziale zur waldbaulichen Strukturverbesserung auf, vor allem in noch jungen Stadien der Selbstdifferenzierung.

Ausführliche Ergebnisse im Originalartikel (PDF)

Folgerungen

Ergebnisse von LFI-Auswertungen sowie von dendroökologischen und waldwachstumskundlichen Untersuchungen weisen insgesamt darauf hin, dass sich ein grosser Teil der unbewirtschafteten respektive der seit langer Zeit nicht mehr bewirtschafteten Gebirgsfichtenwälder im schweizerischen Alpenraum noch in einem relativ frühen Stadium der Selbstdifferenzierung befinden. Folglich wird der Vorrat eher noch weiter zunehmen, und die konkurrenzbedingten Mortalitätsprozesse – oft verstärkt durch Schneebruch oder andere Störungen – werden sich in den nächsten Jahren intensivieren.

Die Selbstdifferenzierung in Gebirgsfichtenwäldern verläuft gemäss bisherigen Untersuchungen meistens über lange Zeiträume (mehrere Jahrzehnte) und relativ kleinflächig. Deswegen sowie dank der günstigen Wirkung des allmählich anfallenden Totholzes und der erhöhten Oberflächenrauigkeit der Bestände führen die Selbstdifferenzierungsprozesse nicht zwangsläufig zu einer raschen Schwächung der Schutzwirksamkeit gegenüber Lawinen und Steinschlag. Zu berücksichtigen sind allerdings die häufig grössere Gefährdung durch Folgestörungen, welche insbesondere im Bereich von Bachgerinnen und an Steilhängen (>30°) am offensichtlichsten sind.

Eingriffe mit dem Ziel der Förderung der Vorverjüngung (Erhöhung der Resilienz) haben sich in der Vergangenheit meistens bewährt. Sie werden in Zukunft noch wichtiger, da mit einer weiteren Zunahme von dichten Beständen und – auch als Folge der Klimaerwärmung – mit einer zunehmenden Gefährdung durch Borkenkäfer und Windwurf gerechnet werden muss.

Waldbauliche Eingriffe mit dem Ziel einer verbesserten Bestandesstabilität (Erhöhung der Resistenz) sind vor allem in einem frühen Stadium sinnvoll, bevor die Konkurrenz zwischen den Bäumen so gross wird, dass sich die Kronen zu stark zu verkürzen beginnen. Der richtige Eingriffszeitpunkt ergibt sich vor allem aus dem noch vorhandenen Höhenzuwachspotenzial, mit welchem die grüne Krone des Baumes sich verlängern kann. Dabei muss die Verkürzung der Kronen im Zuge einer zu grossen seitlichen Konkurrenz verhindert werden.

Lange Kronen sind auch für die Einzelbaumstabilität wichtig, wobei die Kronen von Kollektiven, zum Beispiel Rotten, als eine Krone betrachtet werden können. Entsprechend hängt die sinnvolle Eingriffsstärke abgesehen von der Ausdehnung dichter Waldstrukturen und der standörtlichen Heterogenität vor allem vom Eingriffszeitpunkt ab. Während zum Beispiel die Rottenpflege vor Kronenschluss meist noch grosszügig durchgeführt werden kann, müssen sich Eingriffe in späteren Stadien in erster Linie an der Erhaltung und Förderung von bestehenden Baumkollektiven orientieren, wobei insbesondere nach stärkeren Eingriffen noch mit einer beträchtlichen Dynamik zu rechnen ist.

Nach verpasstem frühen Eingriffszeitpunkt werden Stabilitätsdurchforstungen im Sinne einer nachhaltigen Aufrechterhaltung der Schutzwirksamkeit dann weniger vordringlich und weniger effizient. Mit zunehmender Kronenverkürzung und Dauer der Selbstdifferenzierung steigt die Gefahr von Folgeschäden, und die Bedingungen für natürliche Verjüngung (mehr Licht und Moderholz, verjüngungsgünstigere Bodenbedingungen) werden dann allmählich wieder besser.

Eine aktive Schutzwaldbewirtschaftung bereits kurzkroniger Bestände in der Selbstdifferenzierungsphase kann sich somit auf diejenigen Bestände fokussieren, in welchen die Risiken aufgrund des vorhandenen Gefahren- und Schadenpotenzials als zu gross eingestuft werden oder wo zusammenhängende, dichte Flächenabschnitte (>1 ha) die Gefährdung durch nachfolgende Flächenschäden erhöhen. Dies entspricht dem Grundsatz der Methode "Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald" (Nais), wonach Schutzwaldpflege prioritär dort erfolgen soll, wo die Wirksamkeit der Eingriffe im Kontext der natürlichen Waldentwicklung gegeben ist.

 

(TR)